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Walter Öhlinger, 16.12.2019

140 Jahre Eisstoß auf der Donau

Die Schrecken des Eises vor Wien

Am 3. und 4. Jänner 1880 war Wien mit einem Katastrophen-Szenario konfrontiert, das heute kaum noch vorstellbar ist: Riesige Treibeisplatten stauten sich auf der Donau und drohten den Fluss zu blockieren. Ein großes Gemälde des Wien Museums zeigt, wie es mit Hilfe einer davor auf der Weltausstellung präsentierten technischen Innovation gelang, die Eismassen vom Donaukanal fernzuhalten und die drohende Überflutung ganzer Bezirke zu verhindern.    

Wien wurde immer wieder von Hochwasserkatastrophen heimgesucht. Im Frühjahr, bei Tauwetter nach schneereichen Wintern, trat die Donau aus ihren Ufern, überschwemmte das halbe Marchfeld und setzte die Wiener Vorstädte Leopoldstadt, Rossau, Weißgerber und Erdberg unter Wasser. In frostigen Wintern war der sogenannte Eisstoß  gefürchtet: Dabei stauten sich große Treibeisplatten an Untiefen und Flussgabelungen und schoben sich übereinander. Bei Hochwasser wurden diese oft meterhohen Eisgebilde ausgehoben, trieben bis zum nächsten Hindernis und verstopften schließlich das Gerinne. Dann war binnen kürzester Zeit das Umland überflutet. Besonders verheerende Überschwemmungen  gab es Anfang März 1830 und im Februar 1862.

Mit der großen Donauregulierung in den Jahren 1870 bis 1875 wurde die Überschwemmungsgefahr entschärft. Der Strom, der sich bei Wien in vier Haupt- und viele kleine Nebenarme aufspaltete, wurde damals in ein neues, künstliches Flussbett gezwängt, das wesentlich größere Wassermassen an Wien vorbeileiten konnte. Trotzdem kam es immer wieder zu Überschwemmungen. Erst die Anlage der „Neuen Donau“ in den Jahren 1970 bis 1987 bedeutete das Ende der Hochwassergefahr für Wien.

Gleichzeitig mit der Regulierung des Hauptstroms versuchte man auch, die vom Donaukanal ausgehende Überschwemmungsgefahr zu bannen. Es wurde ein Schwimmtor – auch „Sperrschiff“ genannt – installiert. Noch heute ist an der Kaimauer des linken Donaukanalufers, etwa 170 Meter unterhalb der Abzweigung des Kanals vom Hauptstrom, eine kleine Bucht erkennbar, die den „Hafen“ des Sperrschiffes bildete. Im Bedarfsfall wurde ein Teil der Ketten, die es dort festhielten, gelöst, sodass die Strömung es quer zur Stromrichtung stellte. Durch Einlassen von Wasser in Füllkammern, falls nötig auch durch Steinballast, konnte es dann abgesenkt werden und so eine feste Barriere gegen die Wassermassen bilden.


Völlig neuartige Konstruktion


Bei Eisgängen beließ man es schwimmend  in der Querstellung, sodass  es in Verbindung mit einem Eisrechen das Eindringen des Treibeises in den Donaukanal verhinderte. Im Inneren gab es Dampfpumpen, mit deren Hilfe die Füllkammern wieder entleert werden konnten, und eine Dampfheizung, die das Einfrieren des Wassers im Schiffsraum verhinderte – deshalb der Schlot, der dem Schwimmtor tatsächlich das Aussehen eines Dampfschiffes verlieh. Als völlig neuartige Konstruktion wurde das Sperrschiff – bevor es am 13. Dezember 1873 an seinem Bestimmungsort einsetzt wurde – auf der Wiener Weltausstellung gezeigt. Rund ein Vierteljahrhundert lang erfüllte es seine Aufgabe, bis der Bau der Donaukanallinie der Stadtbahn eine noch leistungsfähigere Sperre notwendig machte. In den Jahren 1894 bis 1898 wurde an seiner Stelle – nach Plänen von Otto Wagner – die Nussdorfer Wehranlage errichtet.

Unser Gemälde zeigt das Sperrschiff bei seiner ersten großen Bewährungsprobe, dem Eisstoß vom 3. und 4. Jänner 1880. Eine Menschenmenge bestaunt das Ereignis. Auch der Konstrukteur des Sperrschiffs, der Eisenbahningenieur Wilhelm Freiherr von Engerth, befindet sich am Schauplatz: Mit der Kappe in der Hand steht er vor Erzherzog Albrecht (in der Mitte des Bildes, ganz im Vordergrund). Übrigens zeigt das Bild auch eine nützliche  Seite des Eisstoßes: Man sieht Männer, die das Eis abbauen und auf Wägen verladen, um es für den Gebrauch in den Eiskästen der Gaststätten, Lebensmittelgeschäfte und privaten Haushalte zu verkaufen. Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gehörten die „Eismänner“, die auf ihren Schultern Jutesäcke mit Eisblöcken zustellten, zum Wiener Straßenbild. Im Hintergrund sind die kurz zuvor fertiggestellten Wiener Donaubrücken zu sehen, als am nächsten liegende die Nordwestbahnbrücke (an der Stelle der heutigen Nordbrücke). Weiter im Hintergrund setzt die Kuppel der für die Weltausstellung 1873 im Prater errichteten (und 1937 abgebrannten) Rotunde einen deutlichen Akzent im Häusermeer der Stadt.

Das Bild ist ein Gemeinschaftswerk zweier Künstler: Adolf Obermüllner (1833–1898) und Alexander Bensa (1820–1902). Obermüllner war ein auf heroische Gebirgslandschaften spezialisierter Maler. Zahlreiche Gletscherbilder und eine Serie zur österreichischen Nordpolexpedition in den Jahren 1871 bis 1874 – allerdings nicht aus eigener Anschauung gemalt – zeugen von der Faszination, die das Thema „Eis“ auf ihn ausübte. Bensa wiederum schuf vor allem Genre- und Schlachtenbilder. Obermüllner nützte Bensas Kunst der Menschendarstellung und ließ viele seiner Landschaftsbilder – so auch das vom Eisstoß 1880 – von Bensa staffieren.

Walter Öhlinger, Historiker, Studium der Geschichte und Deutschen Philologie, seit 1989 Mitarbeiter des Wien Museums, Kurator für Wiener Stadtgeschichte 1500–1918 mit den Schwerpunkten politische Geschichte und Sammlungen des ehemaligen Wiener Bürgerlichen Zeughauses. 

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