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Franz D. Hofer, 29.6.2020

Bierstil Wiener Lager

Revolution in Klein-Schwechat

Um 1840 stellte Anton Dreher das heimische Brauwesen mit technologischen Innovationen und der Einführung des untergärigen Brauverfahrens auf den Kopf. Sein „Klein-Schwechater Lagerbier” war das erste helle Lagerbier in Europa - und findet bis heute Nachahmer.

Im Jahr 2016 wurde das 500. Jubiläumsjahr des „Reinheitsgebots“ feierlich begangen. Bayrische Brauereien priesen die Vorzüge des berühmten Gesetzes an, in München waren mehrere Ausstellungen über die Geschichte der Bayerischen Landesordnung von 1516 zu sehen, und Bierliebhaber_innen in ganz Deutschland debattierten wieder einmal über die Relevanz dieser jahrhundertalten Schrift.

Zur gleichen Zeit wurde auch in Wien ein Jubiläum gefeiert: 175 Jahre Wiener Lager. Auch wenn dies weniger Aufsehen erregt hat, hatte man dennoch guten Grund, den Wiener Beitrag zum Kulturerbe des Bieres zu würdigen. Untergäriges Bier war zwar schon davor in Europa hergestellt worden. Doch erst 1841 sorgte Anton Dreher, Inhaber des Brauhauses zu Klein-Schwechat, für eine bedeutende Revolution in der Braugeschichte: Durch die Zusammenführung unterschiedlicher technischer Neuerungen, die er in Großbritannien und Bayern kennengelernt hatte, konnte er das erste Lagerbier herstellen, das ganzjährig gebraut werden konnte.

Der Vater von Anton Dreher, Franz Anton Dreher, war seit 1787 Besitzer des Brauhauses zu Klein-Schwechat. Als er 1820 starb, war Anton noch ein Kind. Die Mutter und weitere Verwandte mussten den anfangs unwilligen Anton davon überzeugen, dem Weg seines Vaters zu folgen und ins Brauwesen einzusteigen. Doch die Lehrzeit in der Simmeringer Brauerei wurde für Anton prägend. Denn zeitgleich mit ihm machte Gabriel II Sedlmayer, Sohn des berühmten Brauers Gabriel Sedlmayer von der Spaten Brauerei in München, auch in Simmering seine Lehre. Die zwei Braumeister-Söhne freundeten sich schnell an und begaben sich in den frühen 1830er Jahren auf Bildungsreise quer durch Europa, um ihre Kenntnisse im Brauwesen zu perfektionieren. Die letzte Station der Reise war Großbritannien, dessen Biere im frühen 19. Jahrhunderts herausragend waren.

Die britischen Produzenten waren ihrer Konkurrenz auf dem Kontinent in punkto Brauwissen und Technologie meilenweit voraus. Sie hatten sich neue Darrprozesse für Malz ausgedacht, bei denen indirekte Hitze verwendet wurde. Sie hatten auch neue Kühlsysteme entwickelt, um die Würze rascher abzukühlen — ein Verfahren, das einen enormen Beitrag zur Brauhygiene leistete. Die Briten wussten insbesondere um die Bedeutung der Temperaturkontrolle und benutzten Thermometer, um die einzelnen Schritte des Brauprozesses besser zu kontrollieren.

Als Dreher wieder 1836 in Schwechat war, begann er, die neuartigen Geräte und Verfahren in der familieneigenen Brauerei, die seit dem Tod des Vaters einen schleichenden Niedergang erlebt hatte, einzuführen. Doch seine neuen Ideen stießen auf erheblichen Widerstand seitens der anderen Brauer. Die Ablehnung ging so weit, dass diese dem jungen „Wirrkopf“ sogar beim Brauerstammtisch auswichen.

Das Brauwesen war noch immer stark von der Zunft kontrolliert und rückwärtsgewandt, und es gab keine Innovationen. Diese Situation war ambivalent. Auf der einen Seite hatten die obergärigen Biere aus Wien einen schlechten Ruf: ein trübes Gebräu, das Zeitgenossen als „recht miserabel” einstuften. Auf der anderen Seite schützte die Verteidigung des Status quo die bisherige Lebensgrundlage der Brauer – bis der junge Dreher mit seinem neuen Wissen alles zu kippen drohte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Wiener Brauer ihrem Gespür vertraut und waren Neuerungen wie dem Thermometer grundsätzlich skeptisch gegenüber gestanden. Man glaubte, vom Morgentau im Herbst darauf schließen zu können, ob das Bier im Keller schon reif war, oder fürchtete den diabolischen Einfluss von Gewittern, die das Bier verderben. Doch Dreher lehnte jede Form von Aberglauben ab. 1836 brachte er sein „Kaiserbier“ auf den Markt – ein süffiges obergäriges Bier, das hinsichtlich Qualität andere obergärige Biere in Wien übertraf. Die Gewinne aus dessen Verkauf investierte der selbstbewusste Jung-Brauer ins Unternehmen, 1839 führte er das untergärige Brauverfahren ein, das dem Dreher`schen „Klein-Schwechater Lager“ den Weg ebnete. Das Bier wurde erstmals 1841 im Wirtshaus „Zur Kohlkreunze“ ausgeschenkt und war eine derartige Sensation, dass es ein unangekündigtes Straßenfest ausgelöst haben soll.

Was ist eigentlich ein „Wiener Lager“?

Obwohl Dreher einen neuen Bierstil erzeugte, hatte er ihn im Grunde genommen nicht erfunden. Vielmehr verwendete er neueste internationale Gärungstechniken und Rezepturen, setzte die Temperaturkontrolle und als erster Brauer in Wien auch die Dampfmaschine ein. Warum dies einer Revolution glich? Weil bis zu diesem Zeitpunkt in vielen europäischen Ländern der Monat April das offizielle Ende der Brausaison war. Von Georgi (23. April) bis Michaeli (29. September) war das Bierbrauen aufgrund der wärmeren Temperaturen sogar in Bayern verboten gewesen, um eine akzeptables Niveau zu gewährleisten. Dreher machte die jahreszeitlichen Einschränkungen obsolet, indem er ein Verfahren entwickelte, das ganzjähriges Bierbrauen ermöglichte.

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Das von Dreher in 1841 auf den Markt gebrachte malzbetonte Bier hatte eine bernstein-goldene Farbe und einen dezenten Duft von würzigem Hopfen. Verwendet wurde leicht gedarrtes Malz aus Mähren und Hopfen aus Saaz in Böhmen. Die Würze wurde schnell gekühlt, was die Hygiene und Stabilität des Bieres verbesserte – dies hatte Dreher in England gelernt. Sedlmayer in München hatte ihm vor Augen geführt, wie wichtig eine Temperatur-kontrollierte Untergärung ist - gefolgt von mehreren Wochen Lagerung im Keller.

Der Niedergang und die Wiedergeburt des Wiener Lagers

Dreher wurde bekanntlich ein enorm erfolgreicher und reicher Mann. Sein Bierstil wurde lange Zeit auch international geschätzt. So brauten die Münchner ab dem Oktoberfest 1872 ein Märzen „nach Wiener Art“, das auf der „Wiesn“ auch in den folgenden Jahrzehnten ausgeschenkt wurde. Mit Erzherzog Maximilian I, der von 1864 bis 1867 als „Kaiser von Mexiko“ scheiterte, fand das Wiener Lager sogar seinen Weg nach Mexiko, wo heute noch „Negra Modelo“-Biere daran erinnern. Doch auch Bierstile kommen aus der Mode, und so verschwand das Wiener Lager mit der Zeit, ehe es ab den 1980er Jahren eine (meist unterschätzte) Rolle bei der nordamerikanischen „Craft Beer“ Bewegung spielte: „Boston Lager“, das berühmte Aushängeschild der Brauerei Samuel Adams, ist nichts anderes als ein Wiener Lager. In Österreich feierte das Wiener Lager erst vor rund zehn Jahren ein Comeback - und zwar auf Betreiben kleiner Brauereien wie Gusswerk, Loncium oder Brew Age. Kurz vor dem Jubiläum 2016 brachte dann Ottakringer ein Wiener Lager-Bier auf den Markt, und schließlich folgte auch Schwechater - jene Brauerei, von der aus das Wiener Lager einst seinen Siegeszug begonnen hatte.

 

Quellen:

„Durst Notiz: Kleine aber erhabene Bier-Epopä”, in: Der Humorist, Wien, 17. Juni 1843

Alfred Paleczny: Die Wiener Brauherren: Das goldene Bierjahrhundert, Wien, 2014.

Josef Promintzer: Dreihundert Jahre Brauhaus Schwechat: Vergangenheit und Gegenwart der größten Brauerei Österreichs, Wien, 1932.

Conrad Seidl: Unser Bier: Reisen zu Österreichs Brauereien 1994/95, Wien, 1993.

Christoph Wagner, René Schaumüller, and Gerhard Trumler, 1000 Jahre Österreichisches Bier, Wien, 1996.

Anton Dreher auf Wien Geschichte Wiki.
 

Franz D. Hofer ist Historiker, war zwischen 2015 und 2017 als Mellon-ACLS Postdoctoral Fellow im Wien Museum tätig. Er arbeitet gerade an einem Buch über Bier in Deutschland und schreibt den Bierblog A Tempest in a Tankard.

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Kommentare

Alfred HULKA

Die Stadt Wien ist seit 1904 im Besitz der Kälteanlage der Schwechachter Dreher Brauerei . Als am Ende des 19 Jhdt. die relative neue, jedoch zu unterdimensionierte Solehochdruck Kühlanlage den Kältebedarf in Schwechat nicht decken konnte, gelangte die komplete Anlage in das neu errichtete Versorgungsheim Lainz und kühlte unvorstellbar gut fast hundert Jahre bis Mitte der Neunzigerjahre die gesamten Lagerräume der Anstaltsküche, der Fleischerei, und der Blockeiserzeugung des Vesorgungsheims, des Pflegeheims Lainz, des Geriatriezentrums Am Wienerwald.
Der heutige Zustand des zuerst mit Dampf, ab 1930 mit Elektromotor betriebenen Kompressors ist umwerfend hervorragend. Das ist dem Team des Kesselhauses und der Technischen Direktion zu verdanken, die Messingteile, Schwungräder, Leitungen und Becken, bis hin zur selbst hergestellten Lederdichtungen liebevoll betriebsbereit erhielt. Youtube hält für Interessierte Filme bereit. Der Geist von Drehers Eismaschine schläft in LAINZ.

Redaktion

Sehr geehrter Herr Thömmes, vielen Dank für diese wertvolle Ergänzung - und für das positive Feedback auf den Artikel! Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Günther Thömmes

Danke für den schönen Artikel. Anmerken möchte ich aber, dass es Mitte des 19. Jahrhu derts in Österreich kein Sommerbrauverbot gab, sondern nur in Deutschland. Daher hatte Dreher nicht nur den Wettbewerbsvorteil, sondern im Spätsommer quasi ein Monopol, wenn er Bier nach Bayern exportierte. Durch die geringere Steuer als kn Bayern war sein Bier sogar in München noch billiger, wie Briefe bayerischer Brauer bezeugen, die sich darüber beklagten. Das Sommerbrauverbot wurde 1865 aufgehoben. Danach entwickelten Sedlmayer (Spaten) und Deiglmayr (Dreher) zusammen mit Linde die neue Kältemaschine, so daß man um 1880 wieder auf Augenhöhe war. Technisch wie wirtschaftlich. Das ganze gibt es auch in Prosa nachzulesen in meinen Bierzauberer-Romanen. Viele Grüße Günther Thömmes