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Martina Nußbaumer, 27.4.2022

Willi Resetarits über den Bruckhaufen in Floridsdorf

„Der Ruf des Bruckhaufens hat mich stark gemacht“

Stinatz und Favoriten: Damit verbindet man den Namen von Willi Resetarits (1948 – 2022). Dass der vor kurzem tödlich verunglückte Sänger und Aktivist seine Jugend am Bruckhaufen in Floridsdorf verbracht und ab 2002 wieder dort gewohnt hat, ist weniger bekannt. Aus Anlass der Ausstellung „WIG 64“ im Jahr 2014 haben wir ihn und zwei weitere Bewohner der Siedlung zum Interview gebeten. Ein Archiv-Beitrag als Hommage.

Mit dem am 24. April 2022 verstorbenen Musiker und Menschenrechtsaktivisten Willi Resetarits verliert auch das Wien Museum einen wichtigen und warmherzigen Gesprächspartner und Unterstützer. 2014, im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellung „WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne“, vermittelte uns der begeisterte Bewohner der Siedlung Bruckhaufen Kontakte zu Zeitzeugen des Wandels der Siedlung, die sich mit dem Bau des Donauparks und der Ausrichtung der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 stark verändert hat. Neben Othmar Stadler und Leopold Draxler erzählte auch der „zua‘graste“ Resetarits viel über das Leben zwischen Alter und Neuer Donau vor der WIG 64.

Martina Nußbaumer

Herr Resetarits, im Gegensatz zu Othmar Stadler und Leopold Draxler, die seit ihrer Geburt am Bruckhaufen leben, sind Sie erst als Zehnjähriger hierher gezogen. Können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke vom Bruckhaufen erinnern?

Willi Resetarits

Ich bin 1948 im Südburgenland auf die Welt gekommen, in Stinatz. 1952 sind wir nach Wien gezogen, zunächst in den 10. Bezirk. Mein Vater war Maurer und hat in der Nähe des Südbahnhofs gearbeitet. Ich erinnere mich, dass ich noch nicht Deutsch sprechen konnte – meine erste Sprache war Kroatisch –, als ich das erste Mal am Bruckhaufen zu Besuch war. Und dort hat’s mir natürlich besser gefallen als im dicht besiedelten 10. Bezirk! Einen starken Geruch hat’s gehabt durch die Mülldeponie, aber sonst war’s gut hier: Tiere wurden da auf die Weide getrieben… Das waren meine ersten Eindrücke. Ab 1958 waren wir dann zuag’raste Bruckhaufner und sehr bald heimisch. Am Bruckhaufen geht das ja ein bisserl schneller als in Mittelengland zu Lebzeiten von Emily Brontë, dass man auch dazugehört. Da muss man nicht drei bis vier Generationen warten!

Martina Nußbaumer

Der Bruckhaufen hatte in den 1950er-Jahren ja nicht gerade den besten Ruf in der Stadt und galt als „Glasscherbeninsel“. Woher kam dieses schlechte Image?

Leopold Draxler

Keine Ahnung. Bei uns ist es halt irgendwie wild zugegangen. Da hat sich sogar die Polizei versteckt! Die Polizeistation ist jeden Freitag Abend geschlossen gewesen. Da ist nämlich oft der Xandl gekommen – das war einer, der ist, glaub’ ich, nach 15 oder 20 Jahren aus Sibirien zurückgekommen. Der hat jedes Mal, wenn die Polizei offen gehabt hat, deren Schreibmaschinen durch das Fenster geworfen …

Willi Resetarits

Ja, die Polizei hat’s nicht leicht gehabt!

Leopold Draxler

Aber im Großen und Ganzen ist relativ wenig geschehen dafür, dass wir abgestempelt waren als Gsindl! Aber schön war’s, als Gsindl, da lass’ ich nichts drüber kommen! Laut Schülerbeschreibungsbogen war ich ein asoziales Element. Dabei hab’ ich keinen Häfn, keine Polizei, nix hinter mir. Ein bisserl gerauft haben wir… Aber bei uns waren’s immer ehrlich, die Leut’. Da ist auch nix gestohlen worden, so viel ich weiß. Und bei den Raufereien, die’s gab, ging’s einfach um alte Familienzwistigkeiten.

Martina Nußbaumer

Haben Sie als Schüler unter dem schlechten Ruf des Bruckhaufens gelitten?

Leopold Draxler

Natürlich gab’s Vorurteile, aber du hast auch deine Ruhe gehabt. Du bist nie einer gewesen, der Watschen gekriegt hat, sondern einer, der ausgeteilt hat!

Willi Resetarits

Wenn irgendwie durchgesickert ist, dass man vom Bruckhaufen ist, dann hat man den Vorteil gehabt, dass man kein gefährlicher Raufer sein musste, um als solcher zu gelten. Ich hätt’ ja niemandem eine Watschen geben können! Aber der Ruf des Bruckhaufens hat mich stark gemacht. Da hat sich niemand getraut, mir was zu tun – die haben Angst gehabt, dass ich irgendwen von den stärkeren, älteren Burschen schick’.

Leopold Draxler

Ja, weil’s das „Zigeunerviertel“ war. „Glasscherbeninsel“ und „Zigeunerviertel“ – das sind unsere Namen gewesen.

Martina Nußbaumer

Weil der Bruckhaufen ein Ort war, an dem sich mit der Zeit viele Roma, Sinti und Lovara angesiedelt haben?

Leopold Draxler

Ja, das hat damit begonnen, dass die mit ihren Wagen herumgezogen sind. Da hat’s die „Jenische Partie“ gegeben und die sogenannte „Zigeuner-Partie“.

Willi Resetarits

Oder, wie man früher gesagt hat: die „Zigeuner“ und die „Schleifer“. Mittlerweile sind die in die Bruckhaufner Bevölkerung diffundiert. Wann haben die eigentlich angefangen zu siedeln?

Othmar Stadler

In den 1950er-Jahren.

Martina Nußbaumer

Inwieweit hat der schlechte Ruf des Bruckhaufens auch mit der Armut hier zu tun gehabt, mit der Tatsache, dass viele Menschen hier vom Mist-Stieren und Koks-Stieren auf der benachbarten Mülldeponie gelebt haben?

Willi Resetarits

Aus meiner Lebenserfahrung heraus weiß ich, dass es das Vorurteil gibt, dass die Leute, die mittellos sind, das ‚Gsindl’ sind und in die Nähe der Kriminalität gerückt werden. Festgemacht wird das oft an der Sprache – wenn du so einen gewissen Spruch hast, ist das der Ausweis für ein kriminelles Milieu. Aber ein bisserl ein ‚richtiges‘ Gsindl wird’s schon auch gegeben haben! Viele Arme – was ist ihnen denn anderes übrig geblieben! – sind Mist-Stierln gegangen. Das übt dann auch eine Anziehung auf ein bestimmtes Milieu aus, das sagt: Da kann ich mich verstecken, da kann ich leichter leben, wenn ich, sag’ ich jetzt einmal, von Beruf Kleinkrimineller bin.

Leopold Draxler

Aber das sind die Wenigsten gewesen! Mein Vater war zum Beispiel Schuhmeister im Burgtheater. Das hört sich leiwand an, Burgtheater, aber wie ich damals am Bau gearbeitet hab’, hab’ ich in der Woche mehr verdient als der Vater im Monat! Also wie hätt’ der ein Haus bauen sollen? In den 1920er-Jahren hat er dann das Haus schwarz gebaut und deshalb eine Verwaltungsstrafe von 100 Schilling zahlen müssen. Die Mama wär’ bereit gewesen, für ihn in den Häfn zu gehen – so wie es alle anderen gemacht haben, die kein Geld gehabt haben, um diese Strafe zu zahlen. Und in der Zwischenzeit hat dann der Mann daheim weitergebaut! Aber der Vater hat die 100 Schilling gezahlt, um seinen Bundesbeamtenstatus nicht zu gefährden.

Martina Nußbaumer

Ihr Vater war also einer der klassischen Siedler hier, die den Grund legal als Schrebergarten gepachtet und dann illegal darauf gebaut haben?

Leopold Draxler

Ja, es waren ja fast alle illegal! Es gab ja im ganzen Gebiet keine Baubewilligung.

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Martina Nußbaumer

Herr Resetarits, Sie haben einmal vom besonderen Widerstandsgeist der Bruckhaufner und der benachbarten Bretteldorfer gesprochen. Inwieweit hat dieser Widerstandsgeist mit der gemeinsamen Erfahrung des illegalen Bauens zu tun?

Willi Resetarits

Wir haben hier mehr oder weniger eine Insellage. Und wir haben organisierte Illegalität. Wenn’s ein Bauverbot gibt und alle trotzdem bauen, dann eint der kollektive Gesetzesbruch die Menschen, und sie haben so das Gefühl: Da ist die Obrigkeit, und da sind wir; wir gehören zu den ökonomisch Ärmsten. Und nicht nur, aber auch deshalb sind sie hier – weil es da einen leistbaren Grund gibt. Und weil die Mistgstätten daneben ist. Das eint. Die Illegalität hat sich zwar dann erledigt; 1929 ist die Siedlung Bruckhaufen legalisiert worden. Aber dieser Geist, ein gemeinsames Feeling bleibt.

Martina Nußbaumer

Das heißt, nach und nach haben viele der Siedlerinnen und Siedler den Grund, auf dem sie gebaut haben, auch erworben?

Leopold Draxler

Wir haben das Glück gehabt, dass der Grundeigentümer, das Stift Klosterneuburg, in den 1950er-Jahren Geld gebraucht hat und die Grundstückln verkauft hat. 7,5 Schilling hat der Vater damals gezahlt pro Quadratmeter Grund, so um 1951, 1953 herum – in Raten, über Jahre hinweg.

Martina Nußbaumer

Sie haben schon betont, wie wichtig die Mülldeponie für das Überleben am Bruckhaufen bis in die 1950er-Jahre war. War das auch für Sie als Kinder ein wichtiger Ort?

Leopold Draxler

Ja, sicher – ein Spielplatz, alles war das für uns! Ich hab’ mein ganzes Spielzeug von der Mistgstätten gehabt. Was wir da für Sachen gefunden haben – unwahrscheinlich! Und reparieren hast du gelernt! Du bist ein Bastler geworden, das war das Wesentliche. Im Kugelfang haben wir Löcher gebohrt und Tunnel gebaut. Also ich hab’ die schönste Jugend gehabt!

Martina Nußbaumer

Die Kugelfänge der ehemaligen Militärschießstätte Kagran waren also auch ein wichtiger Spielplatz?

Leopold Draxler

In den Kugelfängen sind ja Unmengen von Blei gesteckt. Und da hat’s die alten Projektile gegeben – das waren die sogenannten Schwammerl. Die waren fast so dick wie der Daumen. Mit denen haben sie im Krieg geschossen, und wenn sie nicht getroffen haben, haben die sich aufgedreht wie ein Schwammerl und sind knapp unter der Erdoberfläche stecken geblieben. Mit der Zeit, mit dem Regen sind die dann hinaus geschwemmt worden, und dann hast du die gefunden. Und mit dem Geld, das du mit so einer Konservenbüchse voller Schwammerl verdient hast, hast du drei Mal ins Kino gehen können. Wir haben keine Geldsorgen gehabt, wir haben gut gelebt! Jeder hat seine Viecher gehabt. Wir haben Hendln, Hasen, vier Säue und drei Ziegen gehabt. Wir haben alles selber gehabt, wie eine kleine Landwirtschaft. Sonst hätten wir nicht überleben können. Ein jeder hat das gehabt, ein jeder war Selbstverpfleger.

Martina Nußbaumer

War in ihrer Jugend die NS-Vergangenheit der Schießstätte eigentlich etwas, worüber man gesprochen hat? Hat man von den Hinrichtungen gewusst, die dort zwischen 1940 und 1945 stattgefunden haben?

Leopold Draxler

Für mich war das schon ein Thema. Weil Gschichtln erzählt worden sind.

Othmar Stadler

Hast du was mitgekriegt von den Hinrichtungen?

Leopold Draxler

Wir haben ja die Kühe immer auf der Schießstätte gehalten, oben am Kugelfang. Und da wurde erzählt: Hier sind sie damals hingerichtet worden, und man hat sie schreien gehört.

Willi Resetarits

Du selbst hast sie aber nicht schreien gehört, oder?

Leopold Draxler

Ich selbst nicht, ich war ja damals erst sechs Jahre alt. Aber ich kannte viele, die sie gehört haben. Übrigens waren am Plafond bei uns noch lange die Einschussstellen zu sehen – die hat man mit Gips gefüllt –, wo die Kugeln stecken geblieben sind. Weil über den Kugelfang hinaus sind immer wieder die Kugeln geflogen, wenn die nicht zielen konnten auf der Schießstätte.

Martina Nußbaumer

Was ist mit der aufgelassenen Schießstätte, die später dem Donaupark wich, eigentlich in den 1950er-Jahren passiert?

Othmar Stadler

Viele Bodentrichter gab’s da, von den Bomben. Und eine Sandgstätten, wo sie Sand und Schotter abgebaut haben. Drei große Schottergewinnungen waren da unten. Die waren lange Zeit mit Wasser voll, bis das für die WIG 64 zugeschüttet worden ist.

Willi Resetarits

Aber Wald muss es da auch gegeben haben, weil’s ja Rehe gegeben hat. Kurz vor der WIG 64 ist ein Rehbock durch die Siedlung gerannt, den sie quasi delogiert haben im Park.

Martina Nußbaumer

Wie hat man damals die Nachricht am Bruckhaufen aufgenommen, dass hier in der unmittelbaren Nachbarschaft – auf dem Gelände der ehemaligen Mülldeponie Bruckhaufen, der informellen Siedlung Bretteldorf und der ehemaligen Schießstätte Kagran – ein Park gebaut und eine internationale Gartenschau veranstaltet werden soll?

Othmar Stadler

Eigentlich hat sich niemand wirklich dafür interessiert. Wir haben nur den großen Vorteil gehabt, dass wir die Schnellbahnstation gekriegt haben – die ist später verlegt worden in Richtung U-Bahn-Station Strandbäder. Und sie haben Gott sei Dank endlich einmal den Fußweg asphaltiert für die WIG 64. Das war eigentlich das Einzige, das etwas gebracht hat.

Willi Resetarits

Ich war damals ja ein Kind, und ich hab’ das super gefunden, dass es die WIG 64 gibt! Mein Vater war begeistert vom Bau des Donauturms, von der Bautechnik, und ist ihn öfter inspizieren gegangen. Mit der WIG 64 ist dann a bisserl Straßenbau gekommen, und danach die Kanalisierung – das Wasser war schon lang vor der WIG 64 da.

Othmar Stadler

Ja, 1953.

Willi Resetarits

Und dann ist 1992 oder 1993 sogar das Erdgas gekommen.

Martina Nußbaumer

Das heißt, die WIG 64 war auch der Startpunkt für eine schrittweise Verbesserung der Infrastruktur am Bruckhaufen?

Leopold Draxler

Bei uns hat’s ja quasi wie irgendwo in Sambia oder in Äthiopien ausgesehen, da gab’s ja fast nix. Kaum jemand hat ein Badezimmer gehabt; da hat’s nur eine Waschkuchl gegeben. In der Waschkuchl ist meistens ein Ofen gestanden, mit einem Kupferkessel, in dem immer gerührt worden ist. Eine Lavur, ein Stockerl und irgendetwas, wo die Seife drinnen war – das war das Badezimmer! Wie dann der Strom gekommen ist, gab’s auf einmal Warmwasser. Und dann ist das Fließwasser gekommen, die ersten Brausen!

Martina Nußbaumer

Inwieweit war die WIG 64 auch als Arbeitsort wichtig für die Siedlung? Haben da viele Bruckhaufnerinnen und Bruckhaufner gearbeitet?

Leopold Draxler

Ja, da haben etliche gearbeitet – ich auch. Damals war ich Steinmetz und hab’ als Terrazzoarbeiter bei einer Firma auf der WIG 64 gearbeitet. Am Donauturm auf einer Platte – auf der ersten, wo jetzt auch das Café ist.

Martina Nußbaumer

Wie nehmen denn die Bruckhaufnerinnen und Bruckhaufner den Donaupark heute wahr? Ist das ein Ort, den man nutzt?

Othmar Stadler

Ja, eigentlich schon. Vor allem, wenn man Kinder hat. Es gibt zwei große Spielplätze dort.

Willi Resetarits

Der „Sparefroh-Spielplatz“, der ist verdoppelt und dann noch mal verdoppelt worden. Ich bin ja jetzt kein Kind mehr, aber vielleicht hätt’ mir das als Kind gut gefallen, unsere Spielplätze waren ja eher überschaubar.

Leopold Draxler

Aber die alte Au hätt’ dir besser gefallen!

Martina Nußbaumer

Der Bruckhaufen gilt heute ja bereits als eher teures Wohngebiet. Wann hat dieser Aufwertungsprozess eingesetzt? Begann das unmittelbar mit der WIG 64?

Willi Resetarits

Ja, ich mach’ das fest mit dem Zeitpunkt der WIG 64-Eröffnung. Natürlich ist durch die Beseitigung der Mülldeponie auch die Attraktivität des Bruckhaufens gestiegen.

Martina Nußbaumer

Woran merkt man diese Aufwertung im Alltag? Nur an den steigenden Grundstückspreisen?

Othmar Stadler

Auch an der Größe der Grundstücke. Die Grundstücke waren früher größer – zwischen 600 und 1.000 Quadratmeter. Und heute ist das so: Wenn der Grund an mehrere Kinder vererbt wird und der eine kann den anderen nicht auszahlen, dann kommt eine Baugesellschaft, die kauft. Die haben mittlerweile viel aufgekauft.

Leopold Draxler

Mir kommen die Leut’ jetzt alle eine bisserl komisch vor. Die glauben, das ist ein Cottage – aber das ist nie ein Cottage gewesen und wird auch nie eines sein. Es ist noch immer ländlich, aber kein Nobelviertel.

Willi Resetarits

Von den Grundstückspreisen her aber schon! Mich stört, dass so viel Bodenversiegelung passiert. Dass man neue Bauklassen hat und dass man die so extrem ausnützt, weil der Grund so teuer ist. Und meiner Meinung nach zieht das eine andere Klientel an – die „Gödigen“, wie man hier sagt. Dann gibt’s andere, so wie mich, die sind halt mit ihren Eltern hergekommen, aber dann auch zu relativem Wohlstand gekommen – wie viele andere unserer Generation.

Othmar Stadler

Na ja, so soll’s ja auch sein.

Willi Resetarits

Als wir gebaut haben, 1958 bis 1961, haben wir ein einstöckiges Haus gebaut. Vielleicht war damals auch die Bauklasse neu, dass man das durfte. Dass man ein Stockhaus baut, war neu, aber alt war, dass die Ziegel dafür aus Abbrüchen stammten. Weil man kein Geld gehabt hat, neue Ziegel zu kaufen. Der Vater hat ja am Bau gearbeitet, und wenn’s irgendwo einen Abbruch gab, hat er gesagt, dass sie das bei uns abladen sollen. Und die Mutter hat den Mörtel abgepeckt mit dem Hammer. Das war bald bekannt – denn wenn man vorbeigeht, redet man auch ein bisserl. Der Siedlergruß lautete damals – und vielleicht auch heute noch: „Fleißig, fleißig!“. Das sagt der, der draußen vorbeigeht. Und der, der drinnen steht, sagt: „Schön langsam…!“ Der draußen geht: „Viel Arbeit, so ein Grund…“ Und der drinnen: „Aber schön ist es auch!“

Martina Nußbaumer

Für viele Wienerinnen und Wiener ‚diesseits‘ der Donau ist ‚Transdanubien‘ noch immer ein blinder Fleck auf der Landkarte. Wie würden Sie jemanden, der den Bruckhaufen nicht kennt, erklären, was das Besondere an diesem Ort ist?

Othmar Stadler

Dass der Bruckhaufen noch immer einen gewissen dörflichen Charakter hat, das ist eigentlich für mich das Nonplusultra.

Leopold Draxler

Ich geh’ immer fischen!

Willi Resetarits

Und ich find’s super, dass man im Sommer das Gefühl wie in einem Urlaubsort hat. Ich bin ja kein Schwimmer, ich geh’ nicht ins Wasser, aber es gefällt mir, zu wissen, dass ich jederzeit ins Wasser gehen könnte, wenn ich wollte! Dieses Urlaubsartige ist ein Privileg!

Dieses Interview ist die leicht gekürzte Fassung des Texts „Wir waren ja das Gsindl. Aber schön war’s, als Gsindl!“, der 2014 im Ausstellungskatalog „Wien 64. Die grüne Nachkriegsmoderne“ (hg. von Ulrike Krippner, Lilli Lička und Martina Nußbaumer) erschienen ist.

Willi Resetarits (1948 – 2022) war freischaffender Musiker (u.a. 1969–1989 Schmetterlinge, 1985–1995 Ostbahn Kurti & Die Chefpartie, 1995–2003 Kurt Ostbahn und die Kombo, Stubnblues) und Menschenrechtsaktivist (Mitbegründer von Asyl in Not, SOS Mitmensch und des Vereins Projekt Integrationshaus). Er zog als Kind mit seiner Familie auf den Bruckhaufen und lebte seit 2002 wieder dort.

Leopold Draxler (geb. 1939) arbeitet seit 1969 als freischaffender Bildhauer und lebt seit seiner Geburt am Bruckhaufen, wo er auch sein „Atelier Künette“ hat.

Othmar Stadler (geb. 1941) arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Mechaniker und lebt seit seiner Geburt am Bruckhaufen.

Martina Nußbaumer studierte Geschichte, Angewandte Kulturwissenschaften und Kulturmanagement in Graz und Edinburgh und ist seit 2008 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen, Publikationen und Radiosendungen (Ö1) zu Stadt- und Kulturgeschichte im 19., 20. und 21. Jahrhundert, Geschlechtergeschichte sowie zu Geschichts- und Identitätspolitik.

 

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Kommentare

Redaktion

Lieber Herr Reinthaler, lieber Herr Zeilinger! Vielen Dank für Ihr positiven Rückmeldungen - das freut uns sehr! Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Heinrich Reinthaler

Ein sehr interessanter und spannender Beitrag.

Gratuliere!

Fritz Zeilinger

Gute Idee, dieses Gespräch neu zu präsentieren!

Man weiß ja nicht Genaueres, aber vielleicht hat dieser Satz jetzt eine zusätzliche Bedeutung: "Als wir gebaut haben, haben wir ein einstöckiges Haus gebaut. Vielleicht war damals auch die Bauklasse neu, dass man das durfte."