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Sarah Pichlkastner, 10.4.2020

Krankheitserregende Ausdünstungen

Gefahr liegt in der Luft

Bis ins 19. Jahrhundert dachte man, dass Krankheiten durch Ausdünstungen – sog. Miasmen – verursacht werden, die vom Boden, aber auch von Lebewesen ausgehen. Die Entdeckung der Bakterien und Viren brachte schließlich das Ende dieses auf die Antike zurückgehenden Erklärungsmodells, wie Krankheiten entstehen und übertragen werden.

Am 1. Juli 1680 zu Mittag erhielt der damalige Wiener Bürgermeister Johann Andreas von Liebenberg ein Schreiben des Arztes Wolfgang Christoph Rostmann. Gerade erst war die gravierende Pestepidemie von 1679/80 in der Stadt zu Ende gegangen, die im September des Vorjahres ihren Höhepunkt erreicht hatte. Rostmann war damals für die ärztliche Versorgung der Kranken im sogenannten Parzmayerischen Haus im Tiefen Graben zuständig. Er teilte dem Bürgermeister mit, dass er bereits veranlasst habe, ihn daran zu erinnern, die Fennster machen zu lassen […], welches biß dato noch nicht geschechen, unndt in gegenwertigen wilten Wetter den Kranckhen sehr gefährlich sei. Zudem bilde es eine Gefahr, dass die Vorbeygehente[n] steths hinein schauen und daher leicht von den aufsteigenten Dämpffen, die von den Fieberkranken ausgehen, ein Miasma fangen können. Die Fenster des zur Krankenunterbringung genützten Gebäudes waren demnach nicht oder nicht gut genug verschließbar, wodurch die Kranken im Inneren nicht vor dem damals anscheinend zu Sommerbeginn herrschenden „wilden Wetter“ und die Vorbeigehenden draußen nicht vor einem herauskommenden „Miasma“ geschützt waren. 

Im Parzmayerischen Haus, das der Stadt gehörte und innerhalb der Stadtmauern lag, waren damals erst seit kurzer Zeit übergangsweise Patientinnen und Patienten untergebracht. Es handelte sich um als ansteckend eingestufte, jedoch nicht an der Pest erkrankte Personen. Die meisten von ihnen hatten mit Fieberzuständen zu kämpfen. Bis dahin waren diese Kranken im Bürgerspital betreut worden, das damals die wichtigste städtische Einrichtung der Krankenversorgung darstellte und sich ebenfalls innerhalb der Mauern befand. Nach heutigen Begriffen bildete es einen riesigen Komplex mit vielen Höfen zwischen Hotel Sacher, Albertina, Lobkowitzplatz, Gluckgasse, Neuem Markt und Kärntner Straße. Zur gefehrlichen Zeit, gemeint ist die Pestzeit, waren 1680 – wie es in einer Quelle des Folgejahres heißt – Kranke mit hitzigen und zweifelhafften Khranckheiten in das Ausweichquartier und nicht mehr in das Bürgerspital gebracht worden, damit dieses nicht angestöckht werden möchte. Im April 1681 wurde das Parzmayerische Haus wieder geschlossen, da sich nur mehr fünf Patientinnen und Patienten dort befanden. Diese kamen in das Bürgerspital an einen gahr tauglichen separirten Orth.

Der Arzt Rostmann befürchtete seinen Ausführungen nach, die am Haus vorbeigehenden Passantinnen und Passanten könnten sich aufgrund der wahrscheinlich reparaturbedürftigen Fenster ein „Miasma“ einfangen, das von den „aufsteigenden“ Dämpfen der Fieberkranken herrührte. Die hier von ihm geäußerte Ansicht über Krankheitsübertragung durch Miasmen in der Luft wird heute als Miasmenlehre oder -theorie bezeichnet. Das Wort „Miasma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie Verunreinigung, Befleckung oder übler Dunst. Als Begründer dieser Lehre gilt der antike griechische Arzt Hippokrates, auf den heute noch die Bezeichnung „hippokratischer Eid“ zurückgeht. Nach der Miasmenlehre wurden Krankheiten durch krankheitserregende Ausdünstungen verursacht, die von verunreinigten Böden oder auch von kranken oder verwesenden Lebewesen ausgingen. Sie verbreiten sich in der dadurch entstandenen schlechten Luft über Miasmen weiter. Neben der Betrachtung von Krankheiten als Strafe Gottes für das sündhafte Verhalten der Menschen war dieser Erklärungsansatz in der Frühen Neuzeit sehr verbreitet.

Auch ohne das heutige Wissen über Viren und Bakterien konnten aus dieser Krankheitskonzeption abgeleitete Maßnahmen wie Reinlichkeit oder etwa die Trockenlegung von Sümpfen durchaus schon dazu beitragen, die Verbreitung von Krankheiten zu reduzieren. Der Name der Krankheit „Malaria“, deren Verbreitung aufgrund der trockengelegten Sümpfe zurückging, leitet sich daher nicht ohne Grund aus dem Italienischen für „schlechte Luft“ („mal’aria“) ab. Zur Bekämpfung der Verbreitung von Krankheiten durch schlechte Luft kamen weitere Maßnahmen zum Einsatz. Im Bürgerspital und seinen Filialen wurde beispielsweise darauf geachtet, regelmäßig die Krankenstuben zu lüften und die Luft mittels Räuchern zu reinigen. Dafür kam unter anderem Wacholder zum Einsatz. 

Gleichzeitig hatte die Vorstellung von krankheitserregenden Miasmen in der Luft auch Auswirkungen auf die Entstehung, Lage und Bauweise von Einrichtungen für Kranke. Lange Zeit wurden nicht nur in Wien Kranke gemeinsam mit anderen versorgungsbedürftigen Gruppen wie alten und beeinträchtigen Menschen, Schwangeren und Wöchnerinnen oder Kindern in multifunktionalen Spitälern untergebracht. In Wien war das bereits erwähnte Bürgerspital die größte und wichtigste derartige Einrichtung. Ursprünglich vor dem Kärntnertor im Bereich des heutigen Karlsplatzes gelegen, wurde es im Zug der Ersten Osmanischen Belagerung 1529 zunächst provisorisch und schließlich dauerhaft in die ummauerte Stadt hinein verlegt. Ab der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert erfolgte in mehreren Schritten die Verlagerung der im Bürgerspital untergebrachten Kranken in die weniger dicht bevölkerten Vorstädte. Dazu wurde zum einen das sogenannte Bäckenhäusel in der Währinger Straße gegenüber dem Pestlazarett genützt, an dessen Stelle sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts das Neue Chemische Institut der Universität Wien erhebt. Nach dem Ausbau des Bäckenhäusels 1708/09 erfolgte die endgültige Schließung des Parzmayerischen Hauses, in das bis dahin bei Überfüllung des Bürgerspitals immer wieder Kranke gebracht worden waren. Zum anderen diente dafür das Syphilisspital St. Marx, das 1706 dem Bürgerspital einverleibt wurde. An seinem Standort an der Einmündung des Rennwegs in die Landstraßer Hauptstraße befindet sich seit der Nachkriegszeit ein städtischer Wohnbau. Für diese beiden für Kranke vorgesehenen Filialen des Bürgerspitals tauchte damals die neuartige Bezeichnung „Krankenhaus“ auf.

In Bezug auf die bevorzugte Lage und Bauweise von Einrichtungen für Kranke und auch andere Versorgungsbedürftige spielten die Argumente der Miasmenlehre eine wichtige Rolle. In den 1720er Jahren entwarf beispielsweise Augustin Hierneys, damals Arzt in St. Marx, einen nie umgesetzten Plan für die Umstrukturierung des Bürgerspitals und seiner Filialen. Auch das Bürgerspital selbst, in dem zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der bereits erfolgten Auslagerungen fast nur noch alte und beeinträchtigte Menschen sowie Kinder zu finden waren, sollte vor die Stadt an einen solchen Orth, welcher lüfftig und uneingeschränckt [ist], so denen Armen zu besßerer Gesundheit gereicht, verlegt werden. Das Bürgerspitalgebäude in der Stadt verlor jedoch erst im Zug der Reformen Josephs II. in den 1780er Jahren seine Funktion als Fürsorgeeinrichtung: Es wurde in ein riesiges Mietshaus, das sogenannte Bürgerspitalzinshaus, umgewandelt. Von diesem ist jedoch heute im Stadtbild nichts mehr zu sehen, da es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts komplett abgerissen wurde. Heute ziehen sich die Tegetthoffstraße und die Führichgasse durch das danach völlig neu gestaltete Areal.

Als der bereits angesprochene Reformator Joseph II. Anfang der 1780er Jahre die Gründung eines großen Krankenhauses plante, wurden dafür verschiedene Vorschläge eingereicht. Auch Johann Peter Xaver Fauken, ein Nachfolger von Hierneys als Arzt in St. Marx, lieferte damals einen Entwurf ab. Die neue Einrichtung sollte sich westlich (gegen Abend) oder nördlich (gegen Mitternacht) der Stadt auf einer Anhöhe befinden, weil die Abend- und Nordwinde die vielen Ausdünstungen […] ehender unwirksam machen, und selbe wegen ihrer Heftigkeit leichter zertheilen. Kein Wald und Gebäude, welche dem Umkreis der Luft im Wege stehen, folglich der benöthigten Auslüftung hinderlich seyn könnten, aber auch keine Sümpfe und Friedhöfe dürften in der Umgebung vorhanden sein. Wegen der Luftzirkulation sollte das Gebäude nicht zu verwinkelt und nicht zu hoch sein und zudem über genug Krankenzimmer  verfügen, damit belegte Zimmer alle paar Wochen geleert und danach ausgiebig gesäubert und gelüftet werden können. Fauken bringt seine Ansicht damit auf den Punkt, daß die reine Luft das unentbehrlichste in einem solchen Orte sey. Das 1784 eröffnete Allgemeine Krankenhaus, der heutige Universitätscampus (Altes AKH), stellte angesichts der durch die Miasmenlehre eigentlich gebotenen Lage und Bauweise schließlich eine Kompromisslösung dar: Aus Kostengründen wurde das damals bereits seit beinahe hundert Jahren bestehende und sukzessive ausgebaute Großarmenhaus in der Alser Straße, einer damals schon relativ verbauten Gegend, lediglich baulich adaptiert. Das Bürgerspital verlor durch die Reformen die meisten seiner Aufgaben und war danach nur noch für alte und beeinträchtigte Bürger mit Bürgerrecht bzw. deren Angehörige zuständig. Für diese wurde das Spital St. Marx in ein Bürgerversorgungshaus umgebaut. 

Und was wurde aus den Miasmen? Bereits im Verlauf der Frühen Neuzeit entstand unter Medizinern ein Streit darüber, ob Krankheiten durch Miasmen in der Luft oder durch einen von Mensch zu Mensch übertragenen Krankheitserreger („Kontagium“) verursacht werden. Die „Kontagionisten“ setzten daher vor allem auf die Isolierung der Kranken und Quarantänemaßnahmen. In der Praxis lassen sich die zwei Ansätze nicht immer klar trennen und vermischten sich in verschiedenen Abwandlungen, oft fanden auf beide Konzepte zurückgehende Maßnahmen Anwendung. Dies wird auch in den obigen Schilderungen in Bezug auf das Bürgerspital deutlich, Maßnahmen zur Verbesserung der Luft und die Isolierung von Kranken schlossen sich nicht aus. Zur Klärung der Frage trug schließlich nicht unwesentlich die Erfindung und Weiterentwicklung des Mikroskops in der Frühen Neuzeit bei. Die Entdeckung der Bakterien und Viren sowie des Einflusses derselben auf die Entstehung und Verbreitung von Infektionskrankheiten förderte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich jene Erkenntnisse zutage, auf denen gegenwärtig auch die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus aufbauen. Die moderne Bakteriologie wurde maßgeblich vom deutschen Arzt Robert Koch mitbegründet. Das ihm zu Ehren 1891 gegründete und noch heute bestehende Robert Koch-Institut wird aus gegebenem Anlass momentan immer wieder in den Medien genannt. Die Miasmenlehre wirkte trotzdem noch bis in das beginnende 20. Jahrhundert hinein nach. Heute spielen Miasmen nur noch in der Homöopathie eine Rolle, hier allerdings zur Erklärung chronischer Krankheiten. 

Hinsichtlich der Art und Weise, wie und wo Krankenhäuser gebaut werden, steht die in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschende Errichtung im Pavillonstil an der städtischen Peripherie durchaus noch in der Tradition der Anforderungen, wie sie etwa Fauken ausgehend von der Miasmenlehre schilderte. In Wien wurden neben einigen anderen beispielsweise das ab 1887 erbaute Kaiser-Franz-Josef-Spital (seit diesem Jahr Klinik Favoriten) oder das 1913 in Betrieb genommene Krankenhaus Hietzing (seit diesem Jahr Klinik Hietzing) in dieser Bauweise in dezentraler Lage errichtet. Als in Wien in den 1960er Jahren mit der Errichtung des schließlich 1994 offiziell eröffneten Neuen Allgemeinen Krankenhauses begonnen wurde, war diese Art der Anlage von Krankenhäusern aus medizinischer Sicht, aber unter anderem auch aufgrund der hohen Kosten und der langen Wege längst überholt.
 

Quellenbelege und Literaturhinweis:

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bürgerspital, A1: XXIII/34, 87 und 96.

Johann Peter Xaver Fauken, Entwurf zu einem allgemeinen Krankenhause, Wien 1784.

Sarah Pichlkastner, Eine Stadt in der Stadt. Insassinnen/Insassen und Personal des frühneuzeitlichen Wiener Bürgerspitals – eine Studie anhand exemplarischer Untersuchungszeiträume, Dissertation Universität Wien 2020 (in Begutachtung).

Bürgerspital auf Wien Geschichte Wiki.

Sarah Pichlkastner studierte Geschichte und Archivwissenschaft an den Universitäten Wien und Tours, seit 2020 ist sie Kuratorin im Wien Museum. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Frühen Neuzeit: Stadtgeschichte, Geschichte der institutionellen Fürsorge, Geschichte der Armut und des Bettelns, Ernährungsgeschichte.

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrter Herr Heisler, vielen Dank für Ihre positive Rückmeldung - das freut uns sehr! Wir sind sehr bemüht, komplexe historische Geschichten so zu vermitteln, dass es attraktiv und zugänglich ist... Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Erich Heisler

Sehr interessant, ich lese die Beiträge von Anfang an und finde die Kürze sehr angenehm um in ein Thema "hinein zu schnuppern"

Cheryl

Was ist so antik an dieser Vorstellung? Wie wir heute mit Corona erleben, übertragen sich Krankheiten tatsächlich genauso - nur der Ausdruck "Miasma" ist nicht so modern wie "Partikel." Unsere Ahnen wussten weit mehr als wir ihnen zubilligen. Die Pest-Masken z.B. waren gar nicht so dumm, die Krümmung verhinderte das direkte Einatmen wenn der Arzt angehustet wurde und die Maske war gefüllt mit artemisia, einer Pflanze die antibakterielle Eigenschaften hat.