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Susanne Krejsa MacManus, 9.4.2024

HNO-Spezialist Markus Hajek

„Einer der besten Köpfe der Wiener medizinischen Schule“

Zu seinen prominenten Patienten zählten Franz Kafka und Sigmund Freud, und seine Klinik am Wiener Allgemeinen Krankenhaus genoss internationalen Ruf. Doch nach seiner Pensionierung wurde der Laryngologe Markus Hajek weitgehend vergessen – bis heute.

Schwer zu sagen, wessen Einschätzung des prominenten HNO-Professors Markus Hajek (1861-1941) gerecht war: Die seiner unzählig vielen Schüler aus aller Welt, die ihn zutiefst verehrten und oftmals zu lebenslangen Freunden wurden, oder die des sterbenskranken Franz Kafka, der bereits nach neun Tagen aus der berühmten Klinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus in ein privates Sanatorium in Kierling (NÖ) floh.

Für Kafka war der Aufenthalt in einer „der wohl schönsten und modernsten laryngologischen Kliniken“ unerträglich. Er war zum ersten Mal ein Spitalspatient (Station B im 1. Stock des westöstlichen Traktes) und musste das Zimmer mit mehreren fremden Personen teilen, darunter dem Waldviertler Schuhmachermeister Josef Schrammel, dessen Todeskampf er hautnah miterlebte. Es setzte ihm so zu, dass er es kaum aushielt. Daraufhin suchten seine Freunde Max Brod und Franz Werfel den Kontakt zum Klinikchef Hajek, der die Bitte um ein Einzelzimmer allerdings brüsk ablehnte. Gegen den Rat und Willen des Professors verließ Kafka die Klinik. Einen Monat später war er tot – wobei auch Hajek ihm wohl nicht mehr wirklich hätte helfen können: Die diagnostizierte Kehlkopftuberkulose war schon zu weit fortgeschritten. 

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Auch Hajeks Schwiegervater und akademischer Lehrer Johann Schnitzler – Arthur Schnitzlers Vater – urteilte kritisch über den berühmten Kollegen: Er sah im sehr selbstbewussten und tüchtigen Ehemann seiner Tochter Gisela einen ungehobelten Typen, dem er nie das Du-Wort anbot. Da spielten wohl auch Standesdünkel mit, denn die Familie Schnitzler hatte sich schon früher in gehobenen Wiener Kreisen etabliert und fütterte anfangs den zugezogenen „ungarischen Judenbub“ (Zitat aus Arthur Schnitzlers „Jugend in Wien“)  Markus Hajek freundlicherweise durch.

Vielleicht hat die Biografin Rotraut Hackermüller recht, wenn sie Hajeks Ablehnung von Werfels Intervention als Versuch interpretiert, „der feinen literatursinnigen Familie [Schnitzler] … einmal seine Überlegenheit zu beweisen.“ Dennoch blieb zumindest Arthur Schnitzler mit seiner Schwester und dem Schwager in freundschaftlichem Kontakt, wie seine Tagebuch-Eintragungen zeigen. Trotz möglicher Ressentiments scheint diese Verbindung aber Hajeks Karriere gefördert zu haben. Hajeks Schüler und Freunde erlebten ihn wiederum als „begeisterten und begeisternden klinischen Lehrer“. Sie widmeten ihm zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 1921 eine Festschrift von nicht weniger als 640 Seiten. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ließen sie ihn nicht im Stich.

Sohn eines Hausierers

Markus (Markusz) Hajek stammte aus der Kleinstadt Werschetz im damaligen Ungarn und heutigen Serbien, 80 km nordöstlich von Belgrad unmittelbar an der Grenze zu Rumänien gelegen. Er kam aus kleinsten Verhältnissen, sein Vater war ein verarmter Hausierer. Dennoch konnte er das Gymnasium in Temesvár besuchen. „Seine eiserne Energie, sein Fleiß und seine Klugheit ermöglichten es ihm, nach Wien zu gelangen und an der hiesigen Universität zu studieren, obwohl er die deutsche Sprache erst im Verlaufe seiner Hochschulstudien erlernte.“ 1885 promovierte er zum Dr. med. univ. und spezialisierte sich auf Rhinologie (Nasenheilkunde), damals kein sehr begehrtes Fach. Seine Fachausbildung erfolgte an der Krankenanstalt Rudolfstiftung unter Leopold Schrötter von Kristelli sowie in der Allgemeinen Poliklinik unter Johann Schnitzler.

1897 habilitierte sich Hajek für das Fach Laryngologie (Erkrankungen des Kehlkopfes) an der Universität Wien und wurde zu einem äußerst populären Lehrer. Von 1900 bis 1918 fungierte er als Abteilungsvorstand am Kaiser-Franz-Joseph-Ambulatorium im 6. Wiener Gemeindebezirk. 1912 wurde er zum außerordentlichen und 1919 zum ordentlichen Professor der Universität Wien ernannt. Im selben Jahr übernahm er die Leitung der 1871 errichteten und 1911 neu erbauten laryngologischen Klinik in der Lazarettgasse. Patienten aus aller Welt strömten nach Wien.

1899 verfasste Hajek sein grundlegendes Werk zur ‚Pathologie und Therapie der entzündlichen Erkrankungen der Nebenhöhlen und der Nasen‘ (1926 auch in englischer Übersetzung). Damit hatte Hajek (fußend auf dem pathologisch-anatomischen Lokalbefund) den Grundstein zur Entwicklung der endonasalen Chirurgie geschaffen. Besondere Verdienste erwarb er sich um die Erschließung des endonasalen Operationszugangs zur Hypophyse (Hirnanhangdrüse).

Hajeks prominente Patienten: Kafka und Freud

Zurück zu Kafkas Aufenthalt in Hajeks Klinik: Kafka litt an sekundärer Kehlkopftuberkulose, eine der häufigsten und qualvollsten Folgen der Lungentuberkulose. Der bazillenhaltige Auswurf kommt beim Aushusten in Kontakt mit dem Kehlkopf, wo sich die Tuberkelbazillen festsetzen und das Gewebe zerstören. Zu Atemnot, Husten, Heiserkeit und Stimmstörungen kommen starke Schmerzen während des Schluckens, wenn sich der geschwollene Kehldeckel schließt.

Die kalte Atmosphäre, über die sich Franz Kafka beklagte, war aber offenbar nicht die Schuld des Professors. Denn die medizinischen Schulen wurden damals geradezu militärisch geführt, die Professoren agierten wie „Diktatoren“. Das erlebten nicht nur die jungen Ärzte, sondern noch stärker die Patienten. Sie und ihre Familien hatten nicht viel zu sagen, niemand hatte die Behandlung in Frage zu stellen, die medizinische Autorität galt alles. Hajeks Klinik war da keine Ausnahme.

Ein weiterer seiner prominenten Patienten war Sigmund Freud. ‚Freunde‘ wurden sie jedoch nicht, wie die NYT bei Hajeks Tod irrtümlich berichtete. „Freud war Hajek gegenüber skeptisch eingestellt, obwohl dieser den Ruf als bester HNO-Arzt in Wien hatte. Er hatte das Gefühl, dass Hajek seinen Patienten gegenüber eher ambivalent war, eine Intuition, die sich bald bestätigte. Bezüglich Hajeks chirurgischen Fähigkeiten vermerkte Max Schur in Freuds Memoiren ‚Freud: Leben und Sterben‘, dass Hajek nur ein mittelmäßiger Chirurg war.“ (Nicholas Lazaridis). Die Operation erfolgte im April 1923. Bei der Visite am nächsten Morgen schenkte Hajek Freuds schlechtem Zustand wenig Aufmerksamkeit, sondern erläuterte die Details den Studenten, die ihn begleiteten. Freuds eigene Schilderung der Operation und der Nachbehandlung liest sich allerdings nicht ganz so dramatisch. Seine weitere Behandlung übernahm Hans Pichler (1877-1949), Begründer der Kieferchirurgie.

Doch vielleicht waren Kafka und Freud nur ‚zart besaitet‘? Bei der Feier von Hajeks Siebzigstem im Jahr 1931 „konnte der Hörsaal die große Zahl der Gäste nicht fassen, und auch viele Kranke des hervorragenden Arztes waren aus Dankbarkeit erschienen“, wie die „Kleine Volks-Zeitung“ berichtete. Anfang 1932 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt. 1933 trat er nach Absolvierung seines Ehrenjahres in den Ruhestand und erhielt das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Dann wurde es still um ihn. „Der Ruhestand bekam ihm nicht gut. Wohl pflegte er seine Privatpraxis weiter, betätigte sich auch wissenschaftlich, aber es fehlte ihm die gewohnte klinische Arbeit; er begann zu kränkeln, fühlte angina-pectoris-artige Beschwerden und alterte zusehends.“ (Camillo Wiethe)

1936 gab es noch eine lobende Erwähnung in der Wiener Medizinischen Wochenschrift zu seinem 75. Geburtstag, im Mai 1937 sprach er bei den Ärztlichen Festwochen in Wien über Errungenschaften und weitere Ziele der Laryngo-Rhinologie. 1938 entzog ihm die Universität Wien die Lehrbefugnis.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im März 1938 nützte Hajek seine internationalen Freundschaften, um jüdische Kollegen bei ihrer Flucht aus Österreich zu unterstützen. Doch für ihn selbst und seine Frau sah es schlecht aus, denn sie hatten keine Verwandten im Ausland. Es scheiterte auch ihr Plan, Geld aufzutreiben. Im November 1938 berichtete die „Steirische Alpenpost“ über einen 18-jährigen Betrüger, dem es „sogar“ gelungen war, „einen Juden zu begaunern, nämlich den Professor Markus Hajek.“ Dieser hatte versucht, einen Käufer für seine Villa in Altaussee zu finden, und dem Schwindler 1.200 Reichsmark als vorgeschriebene Gebühr für den Verkauf jüdischen Eigentums ausgehändigt. Sie wurde ein Jahr später um RM 2.000 statt der veranschlagten RM 12.000 verkauft.

Erst im Mai 1939 – nur wenige Monate vor dem Kriegseintritt Großbritanniens - konnte eine Gruppe britischer und amerikanischer Freunde und Kollegen durch gemeinsame Anstrengungen Markus und Gisela Hajek nach England holen und ihr künftiges Leben finanzieren. Sie fanden Aufnahme bei prominenten Fachkollegen. In der Schilderung der „New York Times“ einige Jahre später wird sich das dann geschönt folgendermaßen lesen: Sie verließen Wien wegen ihrer Gegnerschaft zu Hitlers Regime. Sie wurden von der Londoner HNO-Gesellschaft wegen finanzieller Schwierigkeiten unterstützt.

Das Ehepaar musste tatsächlich nicht nur sein Hab und Gut, sondern auch die gesamte wissenschaftliche Bibliothek in Wien zurücklassen; einiges davon befindet sich heute in den Beständen der Bibliothek der 1. Chirurgischen Klinik. Zahlreiche Bücher tragen Widmungen von Kollegen und beweisen damit die engen persönlichen Beziehungen. Die wenigen anatomischen Objekte, die Hajek nach England mitnehmen konnte und aus Dankbarkeit dem Museum of the Royal College of Surgeons übergab, wurden bei einem Bombenangriff im Mai 1941 zerstört.

Zu seinem 70. Geburtstag „überschlug“ sich der „Wiener Tag“ geradezu in Lobpreisungen: „Professor Hajek […] ist von einer Impulsivität, wie sie in wissenschaftlichen Diskussionen immer wieder Gegenstand der Bewunderung ist. Auf reicher Erfahrung basierend, mit kritischem Verstand und sprühendem Witz ausgezeichnet, vermag Hajek mit wenigen Worten den Kern eines Problems meisterhaft zu erfassen. […] ein durchaus origineller und erfolgreicher Forscher, ein ausgezeichneter Arzt, […], einer der besten Köpfe der Wiener medizinischen Schule.“

Seine Frau Gisela – die „New York Times“ erwähnt, dass sie die Schwester des berühmten Dramatikers und Autors Arthur Schnitzler sei – starb 1953 in Cambridge. Ihrer beider Adoptivtochter Margarite Barré war 1938 nach Brasilien ausgewandert.

Literaturhinweise und Quellen (Auswahl):

Herman Diamant: Franz Kafka, Sigmund Freud und Markus Hajek, Wiener Klinische Wochenschrift (1998) 110/15: 542-545.

Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört. Eine Dokumentation zu Kafkas letzten Jahren 1917-1924, Wien–Berlin, 1984

Nicholas Lazaridis: Sigmund Freud’s oral cancer, British Journal of Oral and Maxillofacial Surgery (2003) 41, 78–83.

Walter Mentzel: NS-Raubgut an der Medizinischen Universität Wien – am Beispiel der vertriebenen Mediziner Otto Fürth, Markus Hajek, Egon Ranzi, Carl J. Rothberger, Maximilian Weinberger und des Fotografen Max Schneider. In: Bruno Bauer, Christina Köstner-Pensel und Markus Stumpf: NS-Provenienzforschung an Österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit, 2011, S. 198 f.

Phillip R. Seitz: Markus Hajek, his students and friends (1907-1941), Otolaryngology-Head and Neck Surgery Vol 116, 1997, Nr 3, 279-284.

Camillo Wiethe: Dem Andenken Markus Hajeks, Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 1946, Heft 1, 7-10.

ANNO - AustriaN Newspapers Online | ANNO - AustriaN Newspapers Online (onb.ac.at)

ONB Korrespondenz Freud, Sigmund, 1856-1939 [Verfasser]; Ferenczi, Sándor, 1873-1933 [Adressat], Wien; 10. 5. 1923

Markus Hajek – Wien Geschichte Wiki

Meldezettel für Dr. Markus Hajek, Wr. Stadt- und Landesarchiv

New York Times v. 23. 4. 1941

 

Susanne Krejsa MacManus hat Biologie studiert und ist freie Medizinjournalistin, Autorin und Archivarin. Sie schreibt u.a. für ÄrzteWoche, Wiener Geschichtsblätter, Biographisches Lexikon der ÖAW. Außerdem leitet sie Forschungsprojekte am Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS) in Wien. 

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