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Anna Ransmayr und Andrea Ruscher, 16.5.2024

Osmanische Händler in Wien

„Ein Grieche konnte ein Türke sein“

Sie wurden „Griechen“ genannt, „griechische Handelsleute“ oder auch „Türken“. Dass diese Bezeichnungen wenig mit unseren heutigen nationalen Kategorien zu tun haben, weiß die Wissenschaftlerin Anna Ransmayr. Im Interview erzählt sie, wie die aufstrebende Textilindustrie zum entscheidenden Pull-Faktor für osmanische Händler wurde, warum sie unter Verdacht standen, revolutionäre Pläne in Kaffeehäusern zu schmieden, und welche Spuren die Kaufleute bis heute in Wien hinterlassen haben.

Andrea Ruscher

In der Dauerausstellung des Wien Museums sind zwei Ölgemälde mit dem Titel „Türken und Griechen in einem Wiener Kaffeehaus“ aus dem Jahr 1824 zu sehen. Können Sie mir erklären, warum diese Szene gleich mehrmals festgehalten wurde?

Anna Ransmayr

Auf den Bildern sehen wir Kaufleute aus dem Osmanischen Reich, die zum Handel nach Wien gekommen sind. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert waren besonders viele dieser sogenannten Griechen und Türken vor Ort. Im Griechenviertel in der Wiener Innenstadt war eine derartige Szene also keine Seltenheit.

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Andrea Ruscher

Wie kam es zur Präsenz dieser Gruppe?

Anna Ransmayr

Die Grundlage dafür war der Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich, der im Zuge des Friedensvertrags von Passarowitz 1718 vereinbart wurde. Man einigte sich auf privilegierte Zollregelungen und Handelsfreiheit im jeweils anderen Territorium. Die osmanischen Händler waren wohl geschickter als ihre habsburgischen Gegenüber, sie setzten sich im Handel zwischen den beiden Reichen durch und wurden zu wichtigen Wirtschaftstreibenden in Wien.

Andrea Ruscher

In Ihrer Dissertation schreiben Sie „ein Grieche konnte ein Türke sein“. Warum verschwimmen die Begrifflichkeiten in der Benennung der Händler?

Anna Ransmayr

Mit unseren heutigen nationalen Definitionen kommen wir nicht weit, um die Gruppe der Kaufleute zu fassen. Der Begriff Türke konnte sich entweder auf die osmanische Staatsangehörigkeit beziehen oder auf eine Person muslimischen Glaubens. Der Ausdruck Grieche meinte die Zugehörigkeit zur griechisch nicht-unierten Religion, das heißt sie waren orthodoxe Christen. Beide Begriffe – sowohl Grieche, als auch Türke – wurden aber teilweise auch in ihrer rein ökonomischen Bedeutung verwendet, um Händler mit orientalischen Waren zu bezeichnen. Und noch einmal komplizierter wird es, weil es unter den Händlern auch einen Anteil von sefardischen Juden gab, die manchmal ebenfalls als Griechen bezeichnet wurden. Zeitgenössische Quellen geben nur wenig Auskunft über das, was wir heute unter „ethnischer Zugehörigkeit“ verstehen.

Andrea Ruscher

In Ihrer Forschung konzentrieren sie sich auf die Gruppe der Griechen, definiert als Händler, die aus dem Osmanischen Reich kamen und der griechisch nicht-unierten Kirche angehörten. Können Sie diese Gruppe noch etwas näher beschreiben?

Anna Ransmayr

Fast alle kamen aus Makedonien, Thessalien und Epirus – also dem europäischen Teil des Osmanischen Reiches. Das Griechische war ihre gemeinsame Bildungs- und Verkehrssprache, sie konnten aber durchaus eine andere Muttersprache wie Serbisch, Bulgarisch, Albanisch oder auch Aromunisch haben.

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Andrea Ruscher

Welche Waren haben die Griechen nach Wien gebracht?

Anna Ransmayr

Sie haben Rohstoffe von Produzent:innen im Osmanischen Reich bezogen und importiert. Das konnte zum Beispiel Leder oder Schafwolle sein, das allerwichtigste Produkt war aber die Baumwolle. Sie ist der Grund, warum die Griechen im späten 18. Jahrhundert so bedeutend geworden sind. Rund um Wien entwickelte sich zu dieser Zeit die Textilindustrie und der Bedarf an makedonischer Baumwolle, die in Österreich hauptsächlich verarbeitet wurde, stieg steil an. Die Blütezeit des Baumwollhandels der Wiener Griechen erstreckte sich von zirka 1770 bis 1815. Danach ging ihre Bedeutung aufgrund geänderter Rahmenbedingungen im Baumwollhandel zurück.

Andrea Ruscher

Wie groß war die Präsenz der Gruppe in der Blütezeit?

Anna Ransmayr

Wir sprechen von etwa einem Prozent der Wiener Bevölkerung im Jahr 1814. Da sie sich aber vor allem im Handelsviertel rund um den Fleischmarkt niederließen, gab es hier schon eine relevante Dichte an Griechen. Sie waren in jedem Fall sichtbar.

Andrea Ruscher

Wie wurden sie von der übrigen Wiener Gesellschaft wahrgenommen? Kommen wir vielleicht nochmal zu den Ölgemälden zurück: Haben wir es mit einem orientalisierenden Blick auf Zuwanderer zu tun?

Anna Ransmayr

Die Darstellung ist schon teilweise stereotyp, sie kann in der Tradition der Wiener Typen gesehen werden. Aber ich denke, dass die Bilder auch viele realistische Elemente enthalten. Die Händler haben sich im Kaffeehaus „Zum Weißen Ochsen“ getroffen, geraucht, Kaffee getrunken, gespielt. Sie tragen – je nach Vorliebe – osmanische oder westliche Tracht, gehören aber alle zur Gruppe der Orienthändler.

Andrea Ruscher

Das Kaffeehaus war ein so zentraler Treffpunkt für die Gruppe, dass die Griechen sogar unter Verdacht standen, hier Revolutionen zu planen oder für feindliche Mächte zu spionieren. Was war an diesem Vorwurf dran?

Anna Ransmayr

Metternich ließ die Griechen im Kaffeehaus überwachen, da er befürchtete, sie könnten in revolutionäre Aktivitäten verstrickt sein. Er verdächtigte vor allem Gelehrte und Herausgeber von Zeitungen, dass sie die Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich unterstützen würden. In Wien wurden nämlich die ersten griechischen Zeitungen gedruckt!

Andrea Ruscher

Warum wurden sie in Wien und nicht in griechischen Städten gedruckt?

Anna Ransmayr

Der Druck des Korans – in arabischer Schrift – war den muslimischen Untertanen des Osmanischen Reichs lange Zeit verboten, deshalb entwickelte sich auch der eigentlich nicht verbotene, griechische Buchdruck deutlich verzögert. Griechische Bücher, vor allem liturgische Schriften, wurden lange Zeit hauptsächlich in Venedig gedruckt. Nach einer kurzen Verlagerung des Gewerbes nach Leipzig um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist es um 1770 nach Wien gekommen. Wiener Buchdruckereien statteten sich mit griechischen Lettern aus und produzierten vor allem Werke der Aufklärung – und eben auch Zeitungen und Zeitschriften. Diese Erzeugnisse wurden zu einem wichtigen Handelsgut, das die Griechen ins Osmanische Reich exportierten. Der Wirtschaftszweig entwickelte sich zur Zeit der gelockerten Zensur unter Joseph II., aber auch als die Zensur im Habsburger Reich wieder voll griff, wurden griechische Zeitungen nicht unterdrückt. Man wollte die reichen Griechen nicht verärgern, weil sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor waren!

Andrea Ruscher

Waren die Wiener Griechen also doch nicht nur Händler, sondern verfolgten sie auch eine politische Agenda?

Anna Ransmayr

In dem Zusammenhang ist ein Ereignis zentral: Im Jahr 1797 gab es großes Aufsehen um einen Griechen namens Rigas Velestinlis. Er war nach Wien gekommen, um Schriften im Geiste der französischen Revolution zu drucken, und wollte diese heimlich ins Osmanische Reich bringen. Er wurde jedoch in Triest verraten und von der österreichischen Polizei gefasst, an das Osmanische Reich ausgeliefert und dort hingerichtet. Der Schock saß tief unter den Wiener Griechen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten finden wir in Wien wenig politische Äußerungen und direkte Unterstützungserklärungen für die griechische Unabhängigkeitsbewegung. Vor allem unter den Händlern gibt es dazu kaum Quellen – wenn, waren es Gelehrte. Es lässt sich spekulieren, dass ein Zusammenhang bestand zwischen Rigas‘ Auslieferung und der politischen Zurückhaltung der Wiener Griechen.

Andrea Ruscher

Wir sprechen jetzt durchgehend von Griechen in der männlichen Form. Waren es nur Männer?

Anna Ransmayr

Zunächst waren es meist ledige, junge Männer, die viel unterwegs waren. Hatten sie Familie, waren Ehefrauen und Kinder im Osmanischen Reich, während die Händler reisten. Im Laufe der Zeit wurden aber immer mehr von ihnen zu k.k. Untertanen und ließen sich mit ihren Familien in Wien nieder. Es gibt einzelne Beispiele von Frauen, die im Handelsgeschäft tätig wurden. Das waren dann Ehefrauen oder Witwen von Händlern.

Andrea Ruscher

Warum wurden einige Griechen zu Untertanen des Habsburgerreiches?

Anna Ransmayr

Das Kaiserhaus befürwortete es, die griechischen Händler zu seinen eigenen Untertanen zu machen, um deren Wirtschaftskraft für den eigenen Staat nutzbar zu machen. Die Griechen zogen daraus auch ihre Vorteile, zum Beispiel war es ihnen dadurch erlaubt, Immobilien in Wien zu erwerben. In vielen Handelsfamilien waren in der Folge beide Staatsangehörigkeiten vertreten. Teilten sich k.k. Untertanen und osmanische Untertanen nämlich ein Unternehmen, konnten natürlich rechtliche Vorteile beider Seiten genutzt werden.

Andrea Ruscher

Wann und warum endete die Präsenz der Griechen in Wien?

Anna Ransmayr

Um 1815 endete die Blütezeit des Baumwollhandels der Wiener Griechen, es wurde zwar auch in den folgenden Jahrzehnten noch makedonische Baumwolle nach Wien gebracht, die Zahl der Händler ging aber schon deutlich zurück. Als 1861 infolge des Amerikanischen Bürgerkriegs die cisleithanische Baumwollindustrie fast vollständig zusammenbrach, fand der bereits stark zurückgegangene Handel der Griechen mit Wien ein abruptes Ende. Eine weitere Zäsur für die griechischen Gemeinden in Wien stellte der Zusammenbruch des Osmanischen und des Habsburger Reiches dar. Die Gemeinden blieben zwar weiter bestehen und beriefen sich auch noch in der Zwischenkriegszeit auf ihre habsburgischen Privilegien, sie hatten aber kaum mehr Mitglieder, auch weil viele der Nachkommen zum Kahtolizismus konvertierten. Die wenigsten der Griech:innen, die heute in Wien leben, haben eine direkte familiäre Verbindung zu den damaligen Gemeinden, sondern ihre Geschichte geht auf spätere Migrationen zurück.

Andrea Ruscher

Welche Spuren der damaligen Griechen sehen wir noch heute im Wiener Stadtbild?

Anna Ransmayr

Am auffälligsten ist wahrscheinlich die Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit am Fleischmarkt. Sie durfte als einzige nicht-katholische Kirche in Wien am Ende des 18. Jahrhunderts einen Turm mit Glocken haben. Das ist schon sehr besonders und verdeutlicht die wirtschaftliche Relevanz der Griechen, die k.k. Untertanen geworden sind. Im Vergleich zur griechischen Kirche der osmanischen Untertanen, der Georgskirche am Hafnersteig, wird das nochmal deutlicher: Diese war ein typisches Toleranzbethaus, das von außen nicht als Kirche erkennbar war. Beide Kirchen sehen heute allerdings nicht mehr so aus wie zu Anfang des 19. Jahrhunderts, die Dreifaltigkeitskirche wurde 1858–59 vom berühmten Architekten Theophil Hansen vollkommen umgestaltet, die Georgskirche wurde 1898 renoviert und hat nun eine neoklassizistische Fassade und einen kleinen Kirchturm.

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Anna Ransmayr studierte Byzantinistik und Neogräzistik, Klassische Philologie (Altgriechisch) sowie Library and Information Studies an der Universität Wien. Seit 2008 leitet sie die Fachbereichsbibliothek Byzantinistik und Neogräzistik der Universitätsbibliothek Wien. In ihrer Dissertation „Untertanen des Sultans oder des Kaisers“ (erschienen 2018 bei Vienna University Press) beschäftigt sie sich mit der Geschichte der beiden Wiener griechischen Gemeinden.

Andrea Ruscher ist Teil der Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum. Sie studierte Globalgeschichte und war zuvor am Österreichischen Kulturforum Kairo und in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik tätig. 

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Kommentare

Barbara Redweik-Hauskrecht

Danke für diesen höchst interessanten Artikel! Ich habe wieder etwas dazugelernt und freue mich auf meinen nächsten Besuch in Wien.
Liebe Grüße aus München,
Barbara Redweik-Hauskrecht