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Tina Zickler und Peter Stuiber, 27.9.2021

Festival Memento Mori

„Trauer ist die dunkle Seite der Liebe“

Nächste Woche startet „Memento Mori“, ein neues, interkulturelles Festival zu Tod und Trauer. Initiatorin Tina Zickler will damit die Auseinandersetzung mit einem tabuisierten Thema anregen. Ein Gespräch, illustriert mit Kunstwerken von Karl Wiener aus der Sammlung des Wien Museums.

Peter Stuiber

Sie haben im Alleingang dieses Festival aus dem Boden gestampft, finanziert wurde es teilweise durch eine Crowdfunding-Kampagne. Was sind die Beweggründe dafür? 

Tina Zickler

Man wird nicht jünger. Ich bin Mitte fünfzig, d.h. in einem Alter, in dem viele ihre Eltern verlieren. Mein Vater ist schon 2004 gestorben, meine Mutter leidet an Demenz und lebt in einem Pflegeheim. Da wird man automatisch mit der Sterblichkeit konfrontiert. Mein letztes großes Projekt war 2018 die Outdoor-Ausstellung „Sharing Heritage: Labyrinths in Europe“ am Schwarzenbergplatz. Das Labyrinth wird ja nicht nur im christlichen Sinn als Lebensweg interpretiert. Und wofür steht die Mitte? Für den Tod!

PS

Wie bereitet man ein Festival über den Tod vor?

TZ

Zunächst einmal habe ich auf Anregung eines Freundes einen Trauer- und Sterbebegleitungskurs im Kardinal König Haus gemacht. Der Kurs ist für Menschen gedacht, die Freiwilligenarbeit im Hospizbereich leisten möchten. Man setzt sich dabei mit den unterschiedlichsten Themen auseinander: Was passiert beim Sterben? Welche Art von Medikamentierung gibt es, um die Schmerzen zu lindern? Solche Sachen. Und man macht Übungen, z.B.: Was würde man machen, wenn man nur noch drei Tage zu leben hätte? Wir mussten auch Erinnerungs-Objekte an Verstorbene mitbringen, über die wir dann gesprochen haben. Da wurde mir klar: Viele Menschen tragen Trauergeschichten mit sich herum, die unverarbeitet bleiben, weil Trauer sehr wenig Platz in unserem Leben hat.

PS

War von Anfang an klar, dass es ein Festival sein sollte? Sie hätten ja ebenso ein Buch über das Thema schreiben können.

TZ

Eigentlich wollte ich eine Ausstellung machen, aber es war schwer, einen passenden Partner dafür zu finden. Ein Festival zu machen, war und ist letztlich doch besser. Denn so gibt´s jetzt ein buntes, interdisziplinäres und sehr niederschwelliges Programm, das die Menschen hoffentlich ins Gespräch bringt. Nicht zuletzt deshalb, weil man besser und bewusster lebt, wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt. Dann fragt man sich nämlich: Lebe ich das Leben, das ich will? Oder ist man voller Reue und bedauert, was man nicht gewagt hat?

PS

Das Reden über Tod und Trauer steht also im Zentrum. Daher auch die Podcasts zur Ankündigung des Festivals?

TZ

Ich wollte wertvollen Content für die Zeit der Crowdfunding-Kampagne generieren. Die meisten interviewten Personen haben mir faszinierende und sehr persönliche Dinge erzählt. Ich war erstaunt, wie häufig Familien mit Fehl- oder Totgeburten konfrontiert sind, obwohl öffentlich kaum darüber gesprochen wird. Heute sind viele Menschen sehr befangen, wenn sie jemandem begegnen, der todkrank ist oder der gerade um einen Verstorbenen trauert. Im Dorf wurden die Verstorbenen früher aufgebahrt und alle kamen vorbei, um ihr Beileid auszudrücken. Heute fällt es den Leuten schwer, mit Trauer umzugehen. Wir haben teilweise verlernt, Mitgefühl zu zeigen. Oft werden Angehörige von den anderen nicht in ihrer Trauer wahrgenommen. Früher war es ja auch sichtbar, die Leute haben schwarz getragen. Man hat sich gekennzeichnet, um in seiner Trauer erkannt zu werden, was durchaus Sinn macht. Wenn jemand richtig trauert, dann ist das ein Ausnahmezustand. Trauer ist die dunkle Seite der Liebe.

PS

Auch wenn der Tod heute ein Tabuthema ist: In der Kulturgeschichte ist er omnipräsent. Ein Festivalprogramm könnte daher ausufernd sein. Wie kam es zu der Programmierung?

TZ

Dass sich die Kunst immer intensiv mit Tod und Trauer auseinandergesetzt hat, wird man in der Festivalzentrale im Volkskundemuseum sehen: Da gibt´s eine Dia-Projektion, für die die Fotografin Lisa Rastl 80 Kunstwerke in Museen, aber auch Todessymbole im öffentlichen Raum fotografiert hat. Wo es um Sterblichkeit geht, wurden unsterbliche Werke geschaffen. Bei der Programmierung des Festivals habe ich mich von meinen eigenen Interessen leiten lassen. Mir war es sehr wichtig, relativ viele Lectures anzubieten. So wird etwa Daniela Hammer-Tugendhat über den Tod zu Zeiten Bruegels sprechen, Thomas Macho über Suizid, Danielle Spera über Trauerrituale im Judentum, Zeynep Elibol über Bestattungsrituale im Islam. Ich wollte unbedingt ein Konzert mit György Ligeti’s „Poème symphonique für 100 Metronome“ und konnte die MUK als Partner dafür gewinnen. Und mir war wichtig, dass es Interaktives gibt. In der Festivalzentrale wird es eine große Installation geben, die persönliche Erinnerungsstücke von Verstorbenen zeigt, die mir Menschen aus Wien, Berlin und Zürich anvertraut haben. In Workshops kann man in Erinnerung an geliebte Verstorbene Tränentücher selbst gestalten und das sogenannten Café Tristesse bietet sonntags bei Kaffee und Kuchen Gelegenheit, sich über Trauer auszutauschen.

PS

Jede Gesellschaft hat einen anderen Umgang mit dem Tod. Wir scheinen ihn hauptsächlich zu verdrängen, und das selbst in einer Stadt, deren Verbindung mit dem Tod geradezu legendär ist. 

TZ

Es gibt das berühmte Zitat von Rochefoucauld: Man kann weder der Sonne noch dem Tod ins Gesichts sehen. Ich denke, dass die größte Angst vieler Menschen nicht jene vor dem Tod ist, sondern die Angst vor langem Leiden und Abhängigkeit. Wenn alle Menschen wüssten, es gibt jemand, der sie liebevoll im Sterben begleiten wird, dann würden sie sich weniger Sorgen machen. Leider hat nicht jede/r jemanden, der sich so um sie/ihn kümmert. Gerade in der Anfangsphase der Coronakrise ist man mit den Bewohner*innen von Altersheimen grausam umgegangen ist. Die Leute starben gezwungenermaßen einsam und allein! Und ihre Verwandten konnten sich nicht von ihnen verabschieden!

PS

Ein Festival über den Tod in einer Stadt wie Wien: Das scheint ja aufgelegt zu sein. Warum hat es so etwas bislang nicht gegeben?

TZ

Das Thema ist ungemütlich. Damit muss man sich ernsthaft auseinandersetzen. Das kann man nicht halbherzig machen, sonst wird´s peinlich.

PS

Welches Ziel haben Sie sich für das Festival gesteckt?

TZ

Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen kommen und davon profitieren. Dass das Festival etwas aufmacht, dass ein Dialog in Gang kommt. Dass mehr Solidarität bei dem Thema herrscht. Wir sind alle sterblich, wir trauern alle irgendwann um einen geliebten Menschen. Der Tod ist das einzige, das uns mit allen Menschen verbindet. Es geht bei dem Festival darum, eine Stelle bloßzulegen – unsere Entfremdung vom Tod.

Das Festival „Memento Mori“ findet von 7. bis 17. Oktober 2021 statt und bietet über 50 Veranstaltungen. Festivalzentrale ist im Volkskundemuseum Wien. Im Rahmen des Festivals gibt es am 10. Oktober um 15 Uhr eine Führung in der Schubert Sterbewohnung des Wien Museums. Für die  Folge 17 des Podcasts zum Festival hat Tina Zickler mit Wien Museum-Kuratorin Michalela Lindinger ein Gespräch geführt. Mit ihr gibt es auch im Magazin ein thematisch passendes Interview, und zwar über über die Totenmasken in der Museumssamlung. Von Modehistorikerin Regina Karner stammt ein Magazinbeitrag über Trauermode. Und das künstlerische Werk von Karl Wiener kann man in unserer Online Sammlung entdecken.

Tina Zickler, Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Kulturmanagement für folgende Projekte & Institutionen: Wild Wonders of Europe – BMU Berlin, artnet AG, AGI Congress Berlin 2005, TESLA im Podewilsʼschen Palais, British Council, Art Forum Berlin, 2. berlin biennale, Bayerische Staatsoper München, GEMA, Passionsspiele Oberammergau 2000, Universität der Künste Berlin und ATZE-Musiktheater für Kinder. Lebt seit 2012 in Wien. Initiierte und kuratierte folgende Projekte und Ausstellungen: BRÜDER SCHWADRON call to mind, BRÜDER SCHWADRON neue Orte & Spuren, handWERK – tradiertes Können in der digitalen Welt, Sharing Heritage: Labyrinths in Europe und LABYRINTH-GARTEN Aspern.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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