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Peter Stuiber, 29.9.2022

Zur Wiedereröffnung des Josephinums

Geschichte geht durch den Magen

Nach vierjähriger Schließzeit präsentiert sich das Josephinum nicht nur baulich runderneuert, sondern mit einer Dauerausstellung, die Medizingeschichte unter unterschiedlichsten gesellschaftlichen Aspekten beleuchtet. 

Das Josephinum als Geheimtipp zu bezeichnen, wäre übertrieben: Die von Joseph II. als militärmedizinische Ausbildungsstätte gedachte Institution sorgte schon bei der Eröffnung 1785 für internationales Aufsehen: Neben dem AKH und dem „Narrenturm“ war es ein weiteres, weithin sichtbares Zeichen jener Reformen, mit denen der aufgeklärte Kaiser seine Ideale der Vernunft und der Wissenschaft in die Praxis umzusetzen gedachte. Nicht ganz nur zum Wohle der Menschheit, wie man weiß: Denn gesunde Menschen sind wertvolle Untertanen, und Soldaten, die medizinisch – vor allem chirurgisch – versorgt werden, kann der Staat vielleicht auch noch gut brauchen.

Lange währte das ursprüngliche Konzept nicht, das Josephinum, das eher wie ein herrschaftliches Palais denn wie eine Forschungs- und Lehrstätte aussieht, erlebte unterschiedliche Nutzungsformen (und auch Schließzeiten), ehe es 1920 als eines der ersten medizinhistorischen Museen eröffnet wurde. Die herausragende Rolle Wiens in der Geschichte der Medizin sollte damit eine entsprechende Würdigung erhalten – vom Beginn des klinischen Unterrichts unter Gerard van Swieten und Anton de Haen bis zu Sigmund Freud, von dem sich in der Sammlung ein berückendes Zeugnis erhalten hat: Er wurde vom ersten Museumsdirektor des Josephinums, dem Medizinhistoriker Max Neuburger, um einen Lebenslauf gebeten – und hat prompt geliefert!

Wachsmodelle der Weltklasse

Apropos Sammlung: Ihr Herzstück bilden zweifellos die berühmten knapp 1200 Wachsmodelle, die Joseph II. um teures Geld in Florenz ankaufen ließ, um anatomisches Anschauungs- und Unterrichtsmaterial auf der Höhe der Zeit auch in Wien zu haben. Ihre Kühnheit und Raffinesse, ihre Detailliertheit und Kunstfertigkeit faszinieren bis heute, vor allem die lebensgroße schwangere „Mediceische Venus“ hat es zur Berühmtheit gebracht (und ziert nicht zufällig das Cover von Gerhard Roths Wien-Essayband „Die Stadt“ aus dem Jahr 2009).

Neben den Wachsmodellen, die auch heute wieder in mehreren Räumen in ihren historischen Vitrinen ausgestellt werden, kann die medizinhistorische Sammlung noch mit unzähligen weiteren Highlights aufwarten, darunter die Sammlung von chirurgischen Instrumenten des ersten Direktors, Giovanni Allesandro Brambilla, kostbare Prototypen wie das weltweit erste Endoskop, das 1806 vom deutschen Arzt Philipp Bozzini entwickelt wurde, oder das ebenso große wie großartige Modell der Entwicklung des menschlichen Auges, das vom Wiener Anatomen Ferdinand Hochstetter in Auftrag gegeben wurde (und von der Bedeutung Wiens auf dem Gebiet der Augenheilkunde erzählt).

Mit so einer Sammlung lässt sich eindrucksvoll naturwissenschaftlich-technischer Fortschritt dokumentieren. Doch das kuratorische Team – bestehend aus Niko Wahl, Daniela Hahn und Jakob Lehne – wusste um die Gefahr einer affirmativen Geschichtserzählung männlicher Glanztaten (Semmelweis! Billroth! etc.) und hat in die Dauerausstellung geschickt vormals vernachlässigte Themen eingeflochten. So wird der Blick geschärft auf das Verhältnis von Staatsmacht und Medizin oder auf die Bedeutung von Körperbildern, in denen die Kategorisierungen von Menschen zutage treten. So sehen wir in Ferdinand Hebras „Atlas der Hautkrankheiten“ (1856-1876), einem Grundlagenwerk der Dermatologie, neben erschreckend verstellten Menschen auch die Abbildung des tätowierten Captains George Costentenus (demnach hätte heute mehr als ein Drittel der Bevölkerung eine dauerhafte Hautkrankheit). Anhand eines Zeichenblocks mit 49 Porträts „schwer erziehbarer Kinder“ wird ersichtlich, wie die Wiener Heilpädagogik in den 1920er Jahren versuchte, unerwünschtes Verhalten in objektive Kategorien zu packen – die entsprechenden Behandlungen will man sich gar nicht ausmalen. Da passt gut der berühmte „Gall´sche“ Schädel dazu, von dem ein Exemplar auch in der Sammlung des Josephinums erhalten ist: Den von ihm ausgemachten 27 Gehirnregionen ordnete der deutsche Arzt Franz Joseph Gall charakterliche Eigenschaften zu, je nach Ausprägung waren demnach die Menschen gewalttätig oder gutmütig, triebhaft oder witzig. Goethe war begeistert von der Systemik, andere weniger – allen voran die Geistlichkeit: Denn was zählt noch der freie Wille, wenn die Sünde quasi unverrückbar (um nicht zu sagen: gottgegeben) im Hirn verankert ist?

Neben dem Gall´schen Schädel gibt es übrigens in der gesamten Ausstellung nur noch ein zweites Präparat menschlicher Herkunft: den „Billroth-Magen“, der von einer der frühesten Magenresektionen (Entfernung eines Teiles des Magens) erzählt, im Jahr 1881 durchgeführt von Theodor Billroth: Damals eine medizinische Sensation, wie so viele Meilensteine, von denen hier auch erzählt wird.

Billroth war allerdings nicht nur ein bedeutender Arzt, sondern vor allem einer der prononciertesten Vertreter eines rassischen Antisemitismus, dessen Folgen in der Ausstellung ebenfalls ihren Widerhall finden: In einem Raum sind jene Gläser zu sehen, in denen einst der berüchtigte Arzt Heinrich Gross am Spiegelgrund die Gehirnpräparate von hunderten ermordeten Kindern aufbewahrte. Sie wurden bis weit in die Zweite Republik zu Forschungen verwendet und erst vor rund 20 Jahren bestattet.

Es kann schon passieren, dass einem beim Besuch des Josephinums fallweise anders zumute wird ob der dunkeln Seiten der Medizingeschichte (oder wegen des drastischen Realismus der ausgestellten Modelle oder Abbildungen). Da tut dann die Kameraaufnahme einer Endoskopie möglicherweise noch ihr Übriges. Wie scheinbar sachlich-banal hingegen jene Feile in der Vitrine wirkt, mit der Kaiserin Elisabeth in Genf ermordet wurde. Es sind aber oft die unscheinbaren (und pekuniär „wertlosen“) Objekte, die am eindrucksvollsten Geschichte begreifbar machen. So auch in dieser ebenso differenzierten wie detailreichen Ausstellung: Ein kleines gerichtsmedizinisches Präparat stammt aus dem Magen einer Person, die 1945 erfroren und verhungert aufgefunden wurde. Deren letzte Mahlzeit war – ein Bündel Stroh.

Das Josephinum ist ab sofort von Mittwoch bis Samstag (auch am Feiertag) von 10 bis 18 Uhr und am Donnerstag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. 

Im Oktober startet im Josephinum eine Veranstaltungsreihe zum Thema Kunst und Medizin. Den Beginn macht am 12. Oktober (18 Uhr) Katrin Pilz (Ludwig Boltzmann Institute for Digital History, Wien) mit einem Vortrag: Vom „orthopädischen Filmzirkus“ zur belebten anatomischen Präparation:Wieder-bewegte und wieder-belebte Körper in Wiener medizinischen Filmen des 20. Jahrhunderts

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Kurt spurey

Vielen Dankf für den Beitrag, welcher richtig "Lust" gemacht hat das Josephium zu besuchen.
Ein Hinweis zu den Öffnungzeiten wäre dankenswert!