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Michaela Lindinger, 21.5.2020

Die Hermesvilla nach 1918

Im kaputten Schloss der Träume

Mit dem Zusammenbruch der Monarchie verfiel auch die Hermesvilla, bis sie in den 50er Jahren abbruchreif war. Ein Walt Disney-Film und die Jagdleidenschaft des Wiener Bürgermeisters Bruno Marek retteten das Gebäude im Lainzer Tiergarten.

Die Epoche des Verfalls begann für die Hermesvilla nach dem Ende der Monarchie im Jahr 1918. Die junge Republik hatte andere Sorgen, als sich um den Erhalt eines kunsthistorisch nicht sehr bedeutenden Schlösschens in einem abgelegenen Wald zu kümmern. Dass die Hofhaltung ausgedient hatte, freute die meisten und nur wenige weinten dem alten System eine Träne nach. Die Wienerinnen und Wiener hungerten und froren. Es gab viel zu wenige Wohnungen, traumatisierte Soldaten kehrten heim, die Stadt war voller Flüchtlinge. Den Alltag prägten „Kriegszitterer“, Invalide mit Prothesen und auf Stöcken, Bettler, Tuberkulöse. Unzählige Witwen, für immer verlassene Verlobte und Töchter in Trauerkleidung standen täglich Schlange für ein wenig Brot.

Dennoch stellte sich die Frage, was mit den Hinterlassenschaften der 600 Jahre währenden Regentschaft der Habsburger geschehen sollte. Eine Behörde wurde zu diesem Zweck eingerichtet, die Oberste Verwaltung des Hofärars, die seit 1919 auch für die Hermesvilla zuständig war. Die Beamten dieser Instanz hatten sich mit den Vermögenswerten der vergangenen Monarchie zu befassen. Nachdem das in der Folge eingesetzte Bundesministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten seine Tätigkeit aufgenommen hatte, wurde die Hermesvilla 1921 dieser Institution zugeschlagen. Ebenso in diesem Jahr übernahm der bereits 1919 geschaffene Kriegsgeschädigtenfonds die Administration des Lainzer Tiergartens und in der Folge 1922 auch die Verwaltung der Hermesvilla. Der Kriegsgeschädigtenfonds, ein Stiftungsfonds, wurde durch Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg gebildet. Der Reinertrag aus diesem Fonds sollte Witwen und Waisen sowie Kriegsinvaliden des Ersten Weltkrieges zukommen, es waren schließlich die Habsburger gewesen, die den fatalen Krieg begonnen hatten.

Der Lainzer Tiergarten war seit dem Jahr 1919 für die Bevölkerung an Sonntagen geöffnet, man musste allerdings Eintritt bezahlen. Bald kam der Samstagnachmittag hinzu, jedoch gingen in diesen Stunden wohl hauptsächlich Kindermädchen mit ihren Schützlingen im Park spazieren, denn an Samstagen wurde damals noch ganztägig gearbeitet. Das Hauptanliegen des Kriegsgeschädigtenfonds war es, seine Liegenschaften zu Geld zu machen. Teilgebiete des Tiergartens wurden zur Rodung freigegeben (Friedensstadt). Der Wert des heute als Erholungsgebiet von vielen Wienerinnen und Wienern geliebten Lainzer Tiergartens war noch kein Thema; man hielt das Gebiet für kaum interessant und suchte intensiv nach Abnehmern. Ein Golfplatz und eine Kleingartensiedlung wurden errichtet. In Planung waren ein Wald- sowie ein Tierfriedhof und sogar ein Sportplatz für Hunderennen war angedacht. Das Ende des alten Jagdgebiets schien bedenklich nahe, denn der Kriegsgeschädigtenfonds war nicht zuletzt aufgrund der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren bankrott und wurde 1937 aufgelöst.

Vom Bund an die Stadt weitergereicht

Der Bund verabschiedete den Lainzer Tiergarten in diesem Jahr aus seiner Zuständigkeit und im Jänner 1938 kam die Hermesvilla in die Verwaltung der bundesunmittelbaren Stadt Wien. Noch 1937 wurde mit den letzten Mitteln des Kriegsgeschädigtenfonds die Hubertuswarte auf der höchsten Hietzinger Erhebung, dem Kaltbründlberg (508 m), errichtet. Es hatte sich schon seit dem Ersten Weltkrieg ein militärischer Beobachtungsturm auf diesem Hügel befunden, doch der war längst verfallen und die Wanderer im Tiergarten wünschten sich eine Aussichtswarte.

Die 1937 mit der Übergabe an die Stadt Wien verbundene Auflage, dass der Tiergarten nun doch als Naturschutzgebiet zu führen sei, rächte sich im „Dritten Reich“, denn das Gelände wurde unter diesem Vorwand 1941 für die Bevölkerung wieder geschlossen. Es gab Pläne, den Tiergarten für die Jagdgäste des „Reichsmarschalls“ Hermann Göring zur Verfügung zu stellen, was durch den Fortgang des Krieges verhindert wurde. Gleich nach dem „Anschluss“ im März 1938 waren die neuen Verwalter des Tiergartens in das ehemalige Gebäude der kaiserlichen Beamten gegenüber der Hermesvilla eingezogen. Die Spanische Hofreitschule wurde dem Oberkommando der Wehrmacht unterstellt und benützte in der Folge die Stallungen und die Reitschule der Hermesvilla. Infolge der Kriegsereignisse wurde das Haus 1944 für Besucher geschlossen. Im selben Jahr wurden auch die wertvolleren Objekte aus dem Gebäude in Depots ausgelagert.

Die leergeräumte Hermesvilla

Schon in den Jahren der Ersten Republik und des Austrofaschismus war die nach 1918 – geringfügig – verbliebene Einrichtung der Hermesvilla fast zur Gänze in das Hofmobiliendepot (heute Möbelmuseum, noch immer ein Teil des Wirtschaftsministeriums) gelangt. Den Großteil der Objekte von Wert hatten die Habsburger längst in ihre privaten Besitzungen gebracht. Die Hermesvilla stand praktisch leer. Das in den 1880er-Jahren rasch aufgezogene und in der Bausubstanz mangelhafte Gebäude war in Teilen bereits verfallen. Hölzerne Gegenstände wie Türen, Fensterbalken etc. waren von der frierenden Bevölkerung als Brennholz abtransportiert worden. Einige Mitarbeiter des Kriegsgeschädigtenfonds bemühten sich in den 1920er-Jahren, die Hermesvilla mehr in das Bewusstsein der Zuständigen zu rücken, die historische Bedeutung des Hasenauer-Bauwerks zu betonen; nicht zuletzt ging es ja darum, Eintrittsgeld verlangen zu können.

Aber dafür mussten die Räume instand gesetzt und Objekte aus dem Mobiliendepot zurück an ihren Standort gebracht werden. Dies konnte 1923 bewerkstelligt werden, als im ersten Stock der Hermesvilla ein bemühtes, aber wenig gehaltvolles „Museum kaiserlicher Wohnkultur“ seine Pforten öffnete. Ein Begleitbüchlein erschien unter dem Titel „Die Hermes-Villa in Lainz, verfasst von Dr. Wilhelm Beetz“. Die Stallungen waren bereits vermietet, ebenso die Wohnungen in den Nebengebäuden. Ein Café empfing die Spaziergänger. Der „Internationale Country-Club“ betrieb auf den gepachteten Wiesen im Hermesvilla-Park seinen Golfplatz. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Hermesvilla ohne größere Schäden, doch ab 1945 hatte kaum noch jemand Interesse an diesem zwar durch die Kriegsereignisse nicht in Mitleidenschaft gezogenen, aber vernachlässigten Gebäude. Das ausgeräumte Haus war nun Teil der sowjetischen Besatzungszone und wurde nicht vom ansonsten von den Amerikanern besetzten Bezirk Hietzing verwaltet. Das hing mit dem von den Nationalsozialisten im Jahr 1938 geschaffenen Raum „Groß-Wien“ zusammen, als der heutige 23. Bezirk sowie Ortschaften wie etwa Stammersdorf oder Oberlaa an Wien angegliedert worden waren. Diese angeschlossenen Gebiete, zu denen auch der Lainzer Tiergarten gehörte, lagen außerhalb der vier Besatzungssektoren und befanden sich somit in der sowjetischen Zone, die Wien umgab.

Die Hermesvilla verkam mehr und mehr zur Ruine, da das anfängliche Vorhaben der Sowjets, ein Lazarett dort unterzubringen, nicht umgesetzt wurde. Der Wald in der Umgebung der Villa wurde planlos abgeholzt, der Wildbestand in den Hungerwintern beinahe ausgerottet. Mehrere Einbrüche, in deren Folge bewegliche Gegenstände verschwanden, schadeten der Hermesvilla sehr, doch viel verheerender wirkte sich die nicht vorhandene Pflege aus. Erst 1955 wurden die bereits völlig zerstörten Glasfenster aus der Hofglaserei Rudolf Geyling durch Bretter geschützt. Wandmalereien und Tapeten traf es am schlimmsten, sie waren in den 1960er- und 1970er-Jahren kaum mehr zu retten. Die Deckengemälde waren auf den Boden gefallen und in Einzelteile zersprungen. Seidenbespannungen, Vorhänge und Ledermöbel lagen verschlissen und durch die Feuchtigkeit des Waldes zerstört in den schmutzigen Räumen herum. Begehungen führten im Endeffekt dazu, einen Abriss des Gebäudes zu empfehlen. Historistische Gebäude lagen bis weit in die 1980er-Jahre hinein nicht im Fokus der Kunsthistoriker und wurden gemeinhin als wertloser Kitsch abqualifiziert.

Walt Disney sei Dank

Dass die Hermesvilla als Denkmal für Kaiserin Elisabeth und als Beispiel des historistischen Wohnbaus erhalten werden konnte, ist weder der legendären Monarchin noch den im Haus befindlichen Kunstwerken zu verdanken, sondern erst einmal einer Walt-Disney-Filmproduktion mit dem Titel „Flucht der weißen Hengste“ (Originaltitel: „Miracle of the White Stallions“). Dieser in typischer Kalter-Kriegs-Manier gedrehte US-Streifen thematisiert die Rettung der Lipizzaner vor den nach Wien anrückenden Truppen der Roten Armee. Der Schauspieler Robert Taylor verkörpert einen österreichischen Offizier, der sich die Pferdeleidenschaft eines amerikanischen Generals zunutze macht, um die weißen Hengste der Spanischen Hofreitschule in Sicherheit zu bringen. Ein großer Teil der Dreharbeiten fand 1962 in der Hermesvilla und ihren Stallungen statt. Der recht erfolgreiche Film lenkte das Augenmerk der Stadtverwaltung zumindest ein wenig auf das desolate Bauwerk in Lainz, doch für die Finanzierung einer Komplettrestaurierung reichte es noch nicht. Den Ausschlag zur Rettung der Hermesvilla gab schließlich die Jagdbegeisterung des Wiener Bürgermeisters Bruno Marek. Hätte Franz Joseph sein „Geschenk“ woanders errichtet, wäre es mittlerweile wohl dahin …

Doch Marek, der passionierte Redakteur einer Jagdzeitschrift, liebte das Lainzer Revier und trug sich mit dem Gedanken, in der Hermesvilla ein Natur- und Jagdmuseum einzurichten. Zu diesem Zweck wirkte er 1969 an der Konstituierung des „Vereins der Freunde der Hermes-Villa“ im Wiener Rathaus mit. Ziel der Privatinitiative war es, die nach 1945 am Haus entstandenen Schäden zu beheben, die Räume so gut wie möglich wieder instand zu setzen und für die Bevölkerung zugänglich zu machen. Im Jahr 1971 wurde der Verein als Mieter der Hermesvilla eingesetzt und die erste Ausstellung konnte stattfinden. Wie von Bruno Marek gewünscht, handelte es sich um eine „Österreichische Jagdausstellung“, ein Beitrag zur Weltjagdausstellung, die in diesem Jahr in Budapest über die Bühne ging.

Nach weiteren Restaurierungsarbeiten eröffnete 1976 in der Hermesvilla die erste Ausstellung des heutigen Wien Museums, damals noch Historisches Museum der Stadt Wien genannt. Die Schau „200 Jahre Mode in Wien“ zeigte Highlights aus der mehr als 25.000 Objekte umfassenden Modesammlung des Stadtmuseums, einer der bedeutendsten Kollektionen dieser Art in ganz Europa. Seit 1. Mai 1979 gehört die Hermesvilla als deren größte Außenstelle zu den Museen der Stadt Wien. Obwohl einstiger Wohnort einer der berühmtesten Frauen der Welt, ist sie noch immer ein bisschen ein Geheimtipp.

Der Text ist ein Auszug aus Michaela Lindingers neuem Begleitbuch zur Hermesvilla: „Kaiserin Elisabeths Hermesvilla. Refugium einer rastlosen Seele“ (Residenz Verlag) ist direkt in der Hermesvilla und ab 29. Mai in unserem Online Shop erhältlich.

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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