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Michael Hammerschmid und Peter Stuiber, 17.4.2024

Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis für Michael Hammerschmid

„Ich sehe Wien jetzt als Stadt der Tiere“

Vor knapp zwei Jahren luden wir Michael Hammerschmid ein, sich lyrisch mit den Tierfiguren im Museum und in der Stadt auseinanderzusetzen. Entstanden ist daraus das Buch „stopptanzstill!“, das nicht nur Kinder und Erwachsene, sondern auch die Kritik begeistert. Nun erhält der Autor dafür den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Ein Interview.

Peter Stuiber:

Wir freuen uns riesig über den Preis, den Du bereits zum zweiten Mal hintereinander erhältst! Wie war Deine erste Reaktion auf die Bekanntgabe? Welche Erwartungen hattest Du, wie das Buch ankommt?

Michael Hammerschmid:

Danke für die Gratulation! Ich freue mich natürlich sehr über diesen Preis. Meine erste Reaktion war ein bisschen ungläubig. Das hatte damit zu tun, dass der offizielle Brief des Ministeriums bei mir noch nicht eingelangt war, als ich ebenfalls vom Ministerium schon eine Email mit der Bitte bekam, einen Text für die Homepage zum Buch zu schreiben. Ich fragte also nach, ob es sich nicht um eine Verwechselung handelt – aber nein, glücklicherweise nicht!

Wie ein Buch ankommt, ist zunächst abstrakt, weil man ja die Leserinnen und Leser nicht beim Lesen sieht. Doch kannte ich die Reaktionen von Euch, von Dir, Sonja Gruber, Andrea Ruscher und Tom Koch, die mich schon während der Entstehung sehr ermutigt haben. Und dann ist man natürlich auch selbst sein erster Leser, man verwandelt sich vom Schreiber in den Leser und umgekehrt, ja eigentlich ist das gar nicht so genau auseinanderzuhalten. Da hilft es mir manchmal, die Gedichte auf Band zu sprechen. Und sich anzuhören. Da ist es dann ein bisschen so, als würde jemand anderer diesen Text lesen und vielleicht auch geschrieben haben. Wenn es dann hält, dann kann man es weitergeben. 

PS

Gehen wir zurück an den Anfang des Projekts. Du wurdest von uns vor rund eineinhalb Jahren kontaktiert mit der Anfrage, ob Du Dir vorstellen könntest, für ein Kinderbuch des Museums Gedichte zu schreiben. War das für Dich eine ungewöhnliche Anfrage? Wie oft kommt es vor, dass Lyrik beauftragt wird?

MH

Das ist absolut außergewöhnlich für einen Dichter, so für ein Buch angefragt zu werden. Es ist aber in diesem konkreten Fall auch deshalb so besonders außergewöhnlich, weil das Team nicht nur einen Auftrag gegeben, sondern sich auch eingebracht hat. So wurde es für mich zu einem gemeinsamen Projekt. In diesem Fall gab es außerdem nur eine Vorgabe: Zu Tierfiguren aus der Stadt und zu Tierfiguren aus dem Museum zu schreiben. Sichtbar zu machen, wie Stadt und Museum zusammenhängen, ineinander übergehen, könnte man vielleicht auch sagen. Lyrikaufträge kommen bei mir durchaus immer wieder vor, da ich seit einigen Jahren mit Museen kooperiere, aber für ein ganzes Buch wurde ich noch nie von einem Museum angefragt, und das ist natürlich auch eine große Verantwortung. Der wichtigste Aspekt um zuzusagen, bestand darin, in mich zu horchen, ob ich diese Gedichte schreiben könnte. Dazu musste ich auch zuerst einmal zwei, drei ausprobieren, um zu sehen, ob ich hier auf eine Spur komme. Die Lust bei der Arbeit und der Vorstellung, diese Arbeit über einen längeren Zeitraum voranzutreiben, war gleich derart groß, dass ich gar keine größere Zweifel hatte. Ich wollte am liebsten gleich loslegen, aber natürlich kam davor noch viel Recherche, Treffen mit Euch, Überlegungen zum Projekt, das Entwickeln von Spuren, das Konzipieren eines ganzen Buches eben mit vielen, vielen Details.

PS

Tiergedichte sind in der Kinderliteratur der Klassiker. Wir wollten bewusst keine „Der Bär ist schwer“-Verse, deshalb ja auch die Anfrage an Dich. Wie stehst Du zu dem Genre?

MS

Tiergedichte sind ein großes Genre, ja, Klassiker wie Du sagst. Von Aesops Fabeln bis zum einfachen Schunkelvers ist das Spektrum sehr groß, und was die Kinderliteratur betrifft auch etwas erschlagend. Hauptsache Tiere, ließe sich vielleicht in manchen Fällen sagen. Deshalb habe ich bislang einen großen Bogen um Tiertexte gemacht. Sie schienen mir fern, die Tiere, weil man sie sosehr für sich gezähmt hatte, dass man keinen Abstand mehr zu sich und ihnen finden konnte. Überspitzt gesagt, ein Gruselkabinett an freundlichen Tieren. So viel nette Tiere, dass mir die Schreibnerven vor Schunkelbären verstopft schienen. Und dann? Der Auftrag. Wie interessant, dachte ich mir, jetzt wirst Du Nichttierdichter zum Tierdichter. Ist das möglich? Genau das wollte ich wissen und dazu kam auch noch, dass es sich bei den Tieren in der Stadt ja um Abbildungen, Interpretationen, Phantasien von Tieren handelte, also eine Ebene zwischen den „echten“ Tieren und mir gewissermaßen schon ästhetisch ausgearbeitet vor mir lag bzw. stand. Auch in der Natur sozusagen, in der Natur der Stadt, nämlich oft in Stein, in Bronze, in anderen Materialien. Eine Kunstwelt an Tieren, die aber vielleicht nicht weniger künstlich als die sogenannte echte Tierwelt ist, von der wir uns ja auch nur einen menschlichen Begriff machen können. Das fand ich unerhört interessant und anregend.

PS

Zwei Drittel der ausgewählten Tierfiguren sind im Stadtraum zu finden, ein Drittel im Wien Museum. Wie können wir uns Deine Herangehensweise vorstellen? Wie beginnt man das Schreiben von Gedichten, wenn man ein Objekt oder das Foto eines Objekts vor sich hat?

MH

Das ist eine delikate Frage. Oft scheint es mir so, dass ich dieses Wissen nicht zu sehr haben darf. Und das sage ich auch als einer, der sich durch Gedichtmoderationen und Unterricht zum Thema Gedicht sehr gründlich und analytisch mit dem Schreiben und mit Gedichten auseinandersetzt. Ich würde es in diesem Fall aber am ehesten übers Wahrnehmen veranschaulichen, soweit das überhaupt gelingen kann. Was ist Wahrnehmung, das ist da die Frage? Als Autor ist diese für mich mit den eigenen und noch zu entdeckenden Sprachformen oder besser -vermögen verbunden, verknüpft. Ich schaue gewissermaßen mit den Augen und Sinnen der Sprache. Und doch laufen die Augen über den Bildschirm, denn meist habe ich ja mit den Fotos der Objekte gearbeitet. Was tun die Augen und Sinne da? Sie schauen hin, aber auch vorbei, ja weg. Sie können in Blitzesschnelle Zusammenhänge sehen, und tasten dann wieder langsam Konturen ab, stoßen auf Fragezeichen. Jedes Tier, jede Tierfiguration hatte eine oder mehrere Eigenheiten, die es für mich ganz besonders und einzigartig erscheinen ließen. Dazu kam, dass es mir sehr wichtig war, nicht nur die Tiere zu zeigen oder gar bloß zu beschreiben, sondern sie in Situationen, in Aktion, in ihrer Stille (wie beim Elefanten) oder im Dialog sprechen zu lassen. Also in ihrer Umgebung auch, oder in ihren Details, ihrem Material. Jedes Objekt erzählt ja auf unglaublich vielen Ebenen von sich und seiner Umgebung, auch von seiner Geschichte als Objekt, man denke nur an die archäologischen Objekte, deren Geheimnisse äußerst suggestiv sind. Was machte man mit diesen Objekten? Wozu waren sie gut, wozu waren sie da? Das Tolle war ja auch, dass ich Objekte aus einer riesigen Geschichte vor mir hatte, bis mehrere Tausend Jahre gehen einige Objekte zurück, beispielsweise der Mammutzahn. Also jedes Objekt war sehr eigenständig und unterschied sich in vielem von fast jedem anderen, was auch an unserer Auswahl lag. Welche Sprache für diese vielen Unterschiede? Das war eine zentrale Frage. Deshalb unterscheiden sich nicht nur die Objekte sehr voneinander, sondern ich glaube auch die Gedichte und und der jeweilige Schreibansatz unterscheiden sich sehr voneinander. Verschiedene Stimmen, Haltungen, Tonarten, wenn man so sagen kann. All das ist eine Frage der Wahrnehmung und des Materials, hier in einem weiten Sinn verstanden. Denn natürlich gehört zu diesem Material auch die Geschichte der Sprache und der Bilder, die wir von den Tieren und diesen Objekten und den verschiedenen Kunstformen, in denen sie geschaffen wurden, haben. Mythologisches, Biologisches usw. kommt dann noch dazu. Ich habe ja auch zu den „echten“ Tieren recherchiert, um eine Ahnung von diesen Tieren zu bekommen. Aber doch immer nur genau soviel, wie notwendig erschien.         

PS

Kann ein Zuviel an Wissen hemmend sein?

MH

Schreiben besteht, glaube ich, immer aus diesen beiden Seiten. Das Nichtwissen ist vielleicht die Seite, die seltener zur Sprache kommt, wenn man über Dinge oder gar Gedichte spricht. Man weiß ja generell unendlich wenig, und andererseits nahezu unendlich viel. Diese beiden Ungeheuerlichkeiten müssen wahrscheinlich bei einem Gedicht zusammenkommen. Eine Spannung zwischen diesen beiden Polen. Über manche Objekte gab es einiges zu lernen, zum Beispiel über die Hauszeichen wie den Lindwurm und die Sagen dahinter, oder bei „allwo die kuh am brette spielt“, das gemalte Hauszeichen in der Bäckerstraße. Bei anderen Objekten wie etwa einigen archäologischen Funden war wiederum wenig Konkretes herauszufinden bzw. das, was zu finden war, war im Duktus und Denken der Wissenschaft vermittelt. Hier pendelte ich tatsächlich zwischen Neugier und Wissbegier und auch einem Abstand zu diesem Wissen, das ja schon viel Sprache gebunden hat. Die Sprache in den Gedichten aber sollte neue Spuren finden, sich – teils in Reaktion – auf diese Diskurse in eine andere Welt bewegen. In eine, die vor allem Kindern, aber auch Erwachsenen offen steht.

PS

Letztlich sind es vierzig Gedichte geworden zu vierzig Objekten. Welche liegen Dir besonders am Herzen? Worüber warst Du speziell überrascht?

MH

Aus den aberhunderten Fotos von Tierfiguren sind natürlich diese vierzig schon meine liebsten aus dieser großen Menge, die Wien ja zu einer Art Tierstadt machen. Aber unter den vierzig gibt es natürlich auch einige, die mir besonders lieb sind. Beispielsweise die rund 3000 Jahre alte Keramikfigur aus Vösendorf, die mit ihren ausgewogenen Rundformen zugleich eine Art Phantasietier ist, bei dem man irgendwie nicht glauben kann, dass es das nicht auch in echt geben soll. Es hat oben und hinten eine Öffnung (und ein kleines Loch vorne), Hörner (oder Ohren?) und eine spitze Schnauze und einen dicken Bauch, darunter zwei Füße, die eher an einen Menschen als an ein Tier denken lassen. Dieses Objekt wurde vielleicht als Fläschchen verwendet. Man weiß es natürlich nicht genau. Und dann gibt es zum Beispiel die drei Schnecken aus Kunststein aus den 60er Jahren von Alfons Loner im 10. Bezirk. Die sind großartig komisch und praktisch zum Spielen. Die Komiker unter den Tieren haben es mir, glaube ich, ziemlich angetan, zum Beispiel auch die Raben, die zum titelgebenden Gedicht „stopptanzstill!“ Anlass gegeben haben, weil sie wirken, als würden sie nur kurz stillstehen, so wie man das bei dem Kinderspiel „Stopptanz“ macht. Wenn die Musik angehalten wird, müssen alle Kinder stillstehen und dürfen erst wieder weiter tanzen, wenn man die Musik wieder aufdreht… Auch der Adler auf dem Funeralhelm ist auf eine berührende Weise komisch. Die Komik ist natürlich noch stärker, weil er ja als Totengabe gedacht war. Auch die Eule ist prächtig komisch oder der wunderbar geformte, ausgewogen gestaltete Pelikan, wo auch das Material, Bronze, so wunderbar zum Objekt passt. Aber hier mache ich stopp...

PS

Du selbst unterscheidest nicht – wie meist üblich – zwischen Kinder- und Erwachsenenlyrik. Kann ein Gedicht, selbst wenn es „schwieriger“ ist, bei jedem etwas auslösen? Oder kann man Kinder auch überfordern?

MH

Die Sache mit einfach und schwierig verhält sich meiner Meinung nach komplexer als die beiden Begriffe als Gegensatzpaar es suggerieren. Sie scheinen mir auch irreführend, denn vieles, was einfach scheint, kann sehr komplex sein und auf seine Weise schwierig, und manches, was schwierig wirkt, sich als einfacher entpuppen, als es auf den ersten Blick wirkt. Die Zuordnung einfach = Kinderlyrik, schwierig = Erwachsenenlyrik greift zu kurz. Auch der Gegensatz Erwachsenenlyrik und Kinderlyrik greift zu kurz. Gedichte sind im Grunde nicht kategorisierbar, sie treten ja an sich gegen Kategorien(denken) an, denke ich. Hinzu kommt, dass ein schwieriges Gedicht nie bloß ein schwieriges Gedicht ist. Das Verstehen eines Textes sucht sich immer einen eigenen Weg, unbewusst auch, und Kinder sind ja stets von Schwierigem umgeben. Das heißt, sie verstehen selten etwas genau so, wie es Erwachsene tun, die selbst wiederum der Illusion verfallen, dass sie untereinander ähnlich verstehen. Kinder machen sich in der Regel ihren eigenen Reim darauf. So sind also auch scheinbar schwierige Gedichte für Kinder nicht unbedingt im selben Sinne schwierig wie für Erwachsene. Überfordern kann man Kinder natürlich auch. Aber eher mit den Erwartungen, die man an sie richtet, als mit den Kunstwerken, die man ihnen anschaut oder hört oder liest. Wenn ihnen etwas nichts sagt, dann sagen sie es oft ja auch unverblümt. Entweder es entsteht dann ein Gespräch, was einem nichts sagt und was vielleicht doch, oder eben nicht. Beides ist gut. Kunst und Literatur sind kein Zwang. Sie sind Ausdruck von Freiheit und von Genauigkeit und sollten einer Notwendigkeit entspringen.

PS

Wie hat die Arbeit an dem Buch Deinen Blick auf die Stadt verändert?

MH

Ich sehe Wien jetzt als Stadt der Tiere. Die Häuser und ihre Fassaden sprechen, die Brunnen, die Plätze, die Gemeindebauten, die Innenhöfe, die Steine, die Bronze, die Mosaike, alles ist ein Stück belebter. Die Tiere machen präsent, dass wir selbst in scheinbar hoch entwickelten Zivilisationsformen diese Wesen als Gegenüber brauchen, mit ihnen im Gespräch sind, architektural, ästhetisch, ethisch, auf so vielen verschiedenen Ebenen. Stadt ist eine großartige Verdichtung von Künstlichem und Natürlichem, jeder Ausschnitt ein Gemälde, Architektur und das alles einerseits menschengemacht, andererseits von den größeren Kräften und nichtmenschlichen Maßen durchwirkt, von Pflanzen, der Dauer der Materialien etc. Es ist großartig, in einer Stadt zu leben, die so viel erzählt und einem ständig Fragen stellt.

Der Lyrikband „stopptanzstill!“ ist im Picus Verlag erschienen und im Shop des Wien Museums sowie im Webshop und im Buchhandel erhältlich (€ 18,–). Das Buch wurde von Tom Koch grafisch gestaltet, Stephan Doleschal hat die Tierfiguren in der Stadt fotografiert.

Michael Hammerschmid, 1972 in Salzburg geboren, ist Autor von Gedichten für Kinder und Erwachsene. Er unterrichtet Lyrik und Schreiben an verschiedenen Universitäten, kuratiert ein Lyrikfestival in der Alten Schmiede in Wien und schreibt Gedichte auch für Ausstellungen in Museen. Michael Hammerschmid hat für seine Lyrik mehrere Preise bekommen, z.B. den Josef Guggenmos-Preis 2018 für Kinderlyrik und für den Kindergedichtband „wer als erster“ den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien 2022 sowie den Österreichischen Kinder-und Jugendbuchpreis 2023. Michael Hammerschmid lebt als freier Autor in Wien. www.michaelhammerschmid.com 

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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