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75. Geburtstag von Stefan Weber
Der Sohn des Architekten
Stefan Weber schrieb die meisten „Drahdiwaberl“-Songtexte und inszenierte die Auftritte – oder Happenings, müsste man eher sagen. Weber war jedoch mehr als ein „Berufschaot“ oder der „Saubartel der Nation“, wie ihn Journalisten öfter nannten. Zunächst einmal hatte er „etwas Anständiges“ gelernt: Nach der Matura studierte er Grafik. Die Liebe und die Neigung zum Zeichnen wurde ihm schon in die Wiege gelegt, als er kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges das Licht der Welt erblickte. Sein Vater, ein bedeutender Architekt, unterrichtete auch an der Universität für angewandte Kunst. Dass der Name Fritz Weber heute kaum noch geläufig ist hat nicht zuletzt mit den politischen Anschauungen des ehemaligen Prorektors der Angewandten zu tun. Er betätigte sich aktiv in der Kommunistischen Partei Österreichs und arbeitete mit Wilhelm Schütte in einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Heute ist Schüttes damalige Ehefrau Margarete Schütte-Lihotzky als Architekturpionierin weltweit berühmt. Es war im vierfach besetzten, vom Kalten Krieg bestimmten Wiener Alltag der Nachkriegszeit nicht einfach, als KPÖ-Mitglied öffentliche Aufträge zu erhalten. So baute Fritz Weber hauptsächlich im Auftrag der Kommunistischen Partei – etwa das Gebäude am Höchstädtplatz 3, das heute unter Denkmalschutz steht.
Hier befanden sich die Parteizentrale der KPÖ sowie die Druckerei des Parteiorgans „Volksstimme“ (eingestellt 1991). Einst galt dieses Haus als modernste Druck- und Verlagsanstalt Österreichs. Das Collegium Hungaricum im 20. Wiener Gemeindebezirk trägt ebenso die Handschrift Webers und seiner Kolleg*innen wie die Ende der 1950er-Jahre entstandene Wohnhausanlage Wagramer Straße im 22. Bezirk.
Künstlerische Anfänge
Stefan Weber sprach oft davon, wie ihn das Aufwachsen in einem kommunistisch eingestellten Elternhaus geprägt hatte. Zu revoltieren kam ihm nicht in den Sinn, zumindest nicht innerhalb der Familie. Er sah sich ebenso als Kommunist, vielleicht mit etwas mehr „Anarcho“-Einschlag als in der ziemlich moskautreuen KPÖ unter dem Vorsitzenden Franz Muhri üblich bzw. erlaubt.
Die wenig fortschrittliche offizielle Kultur der 1950er- und 1960er-Jahre forderte ihn jedoch sehr wohl heraus. Der junge Stefan Weber studierte in den 1960er-Jahren an der Akademie der bildenden Künste und beschloss seine grafische Ausbildung mit einer Diplomarbeit zum Thema Jack the Ripper. Einige dieser Blätter, in denen sich bereits „Drahdiwaberl“-Anklänge finden lassen, hat Weber dem Wien Museum zur Verfügung gestellt.
Student Stefan Weber bewunderte die theaterhaften Auftritte von Frank Zappa und seinen „Mothers of Invention“ und versuchte, etwas Ähnliches auch in Wien auf die Beine zu stellen. Beim „Volksstimme“-Fest 1969 konnte man ihn erstmals live erleben, mit einer hippieesken Combo namens „Wabbbs Crew“.
Ein „Mulatschag“
„Vergiss aber die Regenhaut nicht“, sagte mein Freund Norbert Mitte der 1980er-Jahre zu mir. „Regenhaut“ nannte man damals eine Art Plastiküberwurf mit Kapuze, der an regnerischen Schul-Wandertagen oder bei Radausflügen in den ständig verregneten Ferien am Attersee zum Einsatz kam. Also wurde diese Regenhaut in die „Jute statt Plastik“-Tasche gestopft, denn abends waren in Linz „Drahdiwaberl“ angesagt. Wir drängten uns während des Auftritts der Supportband bis in die zweite Reihe vor und noch bevor Mastermind Weber die Bühne betrat war ich froh, die Regenhaut mit- und auch bereits anzuhaben. Es lief noch Musik aus der Konserve, da traf mich schon eine Ladung Ketchup. Während ich mir dieses vom Gesicht zu wischen versuchte, liefen auf der Bühne offenbar mehrere Hühner laut gackernd herum. Erste Akteur*innen wie Stefan Webers Ehefrau Ilse als Nonne ohne Unterwäsche und Jazz Gitti als eine Art Köchin mit Korsett und Schürze bekleidet jagten die Hühner und fingen sie ein. Sie wurden ins Publikum geworfen – was heute natürlich unvorstellbar wäre. Dann kamen einige in „Steirer Tracht“ gekleidete junge Herren – wie ich heute weiß die Rabitsch-Brüder – auf die Bühne und politisierten lautstark. Schließlich erschien Stefan Weber mit einem Klobesen in der einen und einem Colt in der anderen Hand. Eine monströse Penis-Prothese umgeschnallt schoss er in die Luft, griff sich den Mikrofonständer und schrie: „Schluss! Aus! Is da ein Prolo im Champagnertreff??“
Das Publikum begann zu toben. Einige Fans in der ersten Reihe hatten Sektflaschen dabei – ebenso heute undenkbar – und ließen die Korken knallen. Eine halbe Flasche ergoss sich über meinen Kopf. Weber holte ein paar Burschen und Mädchen auf die Bühne. Alle gemeinsam performten nun mit wachsender Begeisterung den „Lodenfreak“. Im Hintergrund der Bühne trug eine einzelne Gestalt ebenso wie viele Zuseher*innen eine Art Regenhaut – es handelte sich dabei um den „Drahdiwaberl“-Bassisten Hans Hölzel, der bereits als Falco bekannt war. Später erfuhr ich, dass Falco begonnen hatte, in Designer-Anzügen etwa von Armani aufzutreten, um sich von den anderen „Drahdiwaberln“ abzuheben. Weber fand dies „abgeschmackt“, wie er mir viel später erzählte und hielt dies auch in seinem „Band-Tagebuch“ fest. Zu Falco sagte er aber nichts, obwohl die Auftritte sehr wohl geprobt und durchchoreografiert waren.
Weber bestimmte schon gern, wie die Show abzulaufen hatte und war gelegentlich sauer, wenn jemand aus der Reihe tanzte und sich nicht an die abgesprochenen Kostümierungen oder Einsätze hielt. Ausufern durfte es erst beim Song „Mulatschag“ – dafür dann aber richtig. Die Nummer wurde meist als letzte Zugabe gegeben und war wohl für den Ruf von „Drahdiwaberl“ hauptverantwortlich. Es konnte vorkommen, dass neben den üblichen 50 Akteur*innen insgesamt über 100 Personen die Bühne geentert hatten. In bester Wiener Aktionisten-Manier gab es dann Live-Sex, manche urinierten auf Erzeugnisse der konservativen Tagespresse, zahlreiche Konzert-Besucher*innen zogen sich und andere vollkommen nackt aus.
„Widerstand!“
Dass Stefan Weber kein Berufsmusiker war, sondern etwas Anderes gelernt hatte, war bei vielen seiner Auftritte unüberhörbar. Doch bei „Drahdiwaberl“ ging es nicht darum, dass jede Note saß und jeder Ton traf. Ein Film über „Drahdiwaberl“ heißt „Weltrevolution“, aus gutem Grund. Weber wollte mit seinen aktionistischen, orgiastischen Auftritten Missstände in Staat und Gesellschaft anprangern, oft auf brachiale Art und Weise. Aber so kapierte es wenigstens jede*r. Dem von Bigotterie und Spießigkeit geprägten katholisch-reaktionären Establishment sagte der „Herr Kapellmeister“ in Musik und Text den Kampf an. Mitarbeiter der rechtsgerichteten Presse überhäuften seine Band mit Beschimpfungen und nicht selten wurde ein Verbot von „Drahdiwaberl“ gefordert. Der Radiosender Ö3 spielte viele Songs nicht. Eine besondere Hass-Figur gab der damalige US-Präsident Ronald Reagan ab, dessen Kriegstreiberei Weber zum Album „Mc Ronalds Massaker“ inspirierte. Auch die NS-Vergangenheit einzelner Politiker und die mangelnde Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen mit österreichischer Beteiligung beschäftigten Stefan Weber, wie man auf dem Album „Werwolfromantik“ hören kann. Demonstrierten Arbeiter*innen gegen Sozialabbau oder Student*innen für mehr Mitbestimmung konnte man mit der tatkräftigen Unterstützung der „Drahdiwaberln“ immer rechnen. Sie traten bei solchen Anlässen für wenig oder gar keine Gage auf. Stefan Weber rief dann von der Bühne herab zu „Widerstand! Widerstand!“ auf, wie etwa im Jahr 2000, als es ein Konzert gegen die schwarz-blaue Koalition unter Wolfgang Schüssel und Jörg Haider gab.
„Noch gilt das Lehrerwort“
Stefan Weber wird bis heute als „Rockprofessor“ bezeichnet. Tatsächlich trat er nach dem abgeschlossenen Grafik-Studium einen Posten als Lehrer für Bildnerische Erziehung am Gymnasium in der Wiener Waltergasse an, wo übrigens auch Ernst Jandl die Schüler*innen unterrichtete. Der Musikjournalist Walter Gröbchen erinnerte sich, dass Weber ein Lehrer war, der die Popmusik-Sozialisation des Schülers wesentlich mitgeprägt hatte. Die „Drahdiwaberl“-Plakate oder Plattencover stammten alle von Weber selbst. Wegen einer rasch fortschreitenden Parkinson-Erkrankung musste Weber seine Tätigkeit als Zeichenlehrer, die er 30 Jahre lang ausgeübt hatte, im Jahr 2000 zurücklegen. Seine Zeit als Kunstpädagoge fasste Professor Weber einmal so zusammen: „Einen Lehrer bringt auf der Bühne nichts in Verlegenheit, er ist aus dem Unterricht peinliche Situationen gewöhnt.“
„Engerl, zieht’s euch warm an“
„Die Kärntnerstraße wird zum Slum“ tönt es mit voller Lautstärke über den Vorplatz der Feuerhalle auf dem Wiener Zentralfriedhof. Die „Pompfüneberer“ sind sich einig, dass es ein solches Begräbnis noch nicht einmal annähernd je gegeben hat. Stefan Weber wird zu Grabe getragen, besser gesagt, man kann sich tatsächlich noch von ihm verabschieden. Der nach allen Regeln der Thanatopraxie konservierte Leichnam des Allround-Talents liegt am 29. Juni 2018 im offenen Sarg, genauso, wie man ihn in Erinnerung hatte, mit Cowboyhut und Colt. So hatte es sich der Liebhaber alter Wildwest-Filme gewünscht. Gestorben war Weber schon am 7. Juni, im Alter von 71 Jahren. Eine Menge bekannter Wiener*innen defilieren vorbei, vom Friseur Er-Ich bis zum „General Guglhupf“ (Marcel Houf), einem unverzichtbaren Mitglied des „Drahdiwaberl“-Universums. Brennende Teelichter rund um den Sarg formen zum letzten Mal den Schriftzug „DRAHDIWABERL“. Rote Rosenblätter überall. Auf der Leinwand läuft ein Musikvideo nach dem anderen – um mit Wolfgang Ambros zu sprechen: „Am Zentralfriedhof is Stimmung!“ Der Musikproduzent Markus Spiegel, Weggefährte Thomas Rabitsch und Stefan Webers Bruder teilen ihre Erinnerungen an den Künstler, der 2005 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Stadt Wien in einer österreichischen Polizeiuniform der 1970er-Jahre in Empfang genommen hatte.
Ein Kondolenzbuch liegt auf, in dem man unter anderem lesen kann: „Engerl, zieht’s euch warm an, der Stefan kommt.“ Stefan Webers Tochter, die Tattoo- und Burlesque-Künstlerin Monika, sagte: „Es war genug. Er hat einfach nicht mehr wollen.“ Wir stehen vor dem Tor der Feuerhalle. Von drinnen hört man „I’m going home“ aus der „Rocky Horror Picture Show“.
Adieu, Stefan.
Wir hätten dich auch heute noch gut brauchen können.
Am 8. November wäre Stefan Weber 75 Jahre alt geworden.
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Als ehemaliger Studienkollege an der Akademie und alsbald seither Freund von Stefan kann ich dem "Nachruf" von Frau Lindinger jedenfalls und gerne zustimmend zuprosten!