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Judith Hohl, 16.10.2024

Das Kolaric-Plakat

Eine Aktion mit Langzeitwirkung

Mit Rassismus und Ausgrenzung waren „Gastarbeiter:innen“ von Beginn an konfrontiert. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, wurde 1973 die Plakataktion „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogns` zu dir Tschusch?“ gestartet. Auch fünfzig Jahre später ist sie noch für Awareness-Kampagnen inspirierend.  

In den frühen 1960er-Jahren boomte die Wirtschaft in Österreich. Um dem akuten Arbeitskräftemangel etwas entgegenzusetzen, wurden mittels sogenannter Anwerbeabkommen Gastarbeiter:innen nach Österreich geholt. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden allerdings nicht wie Gäste behandelt, wie der Ausdruck Gastarbeiter vielleicht vermuten lässt. Arbeit und Bezahlung waren schlecht, Unterkünfte eng und überfüllt. In vielen Lokalen galten Arbeitsmigrant:innen als unerwünscht. Grund für die Ablehnung waren nicht zuletzt fehlende Deutschkenntnisse. Und man nahm an, dass die Arbeitskräfte lediglich vorübergehend in Österreich bleiben würden – was jedoch schließlich oft nicht der Fall war. Nach und nach ließen sich Arbeitsmigrant:innen längerfristig mit ihren Familien in Österreich nieder, wie etwa der Migrationsexperte August Gächter im „Standard“ erklärt.

Rund um die Energiekrise 1973 und dem damit verbundenen Einbruch der Konjunktur stieg auch die Abneigung gegen ausländische Arbeitskräfte seitens der österreichischen Bevölkerung. Abfällige Bemerkungen, Beleidigungen und Beschimpfungen wie „Tschusch“ gehörten zum Alltag (der Begriff „Tschusch“ beschreibt umgangssprachlich eine Person, die aus dem Balkan stammt). Und die steigende Arbeitslosigkeit betraf die Gastarbeiter:innen als erste, denn die ausländischen Beschäftigungsverhältnisse mussten vor den inländischen gelöst werden.

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Robert Komarek: „Gastarbeiter:innen“ am Wiener Südbahnhof, 1973, Wien Museum, Inv.-Nr. 306356/4

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Robert Komarek: „Gastarbeiter:innen“ am Wiener Südbahnhof, 1973, Wien Museum, Inv.-Nr. 306356/7

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Robert Komarek: „Gastarbeiter:innen“ am Wiener Südbahnhof, 1973, Wien Museum, Inv.-Nr. 306356/10

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Robert Komarek: „Gastarbeiter:innen“ am Wiener Südbahnhof, 1973, Wien Museum, Inv.-Nr. 306356/45

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Genau zu dieser Zeit, im Jahr 1973, erschien ein Plakat, das einen kleinen Jungen in Lederhosen zeigt, der zu einem Mann im Anzug, der eine Kappe trägt, hinaufschaut. Darunter ist folgender Text zu sehen: “I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogn’s zu dir Tschusch?“ Der Mann auf dem Plakat hieß tatsächlich Kolaric. Er war ein Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Initiative zu dem Plakat kam von der Österreichischen Werbewirtschaft, die ihre Mitglieder beauftragte, im Rahmen der Aktion Mitmensch für ein besseres Image der Werbung zu sorgen. Das konkrete Motiv war eine Arbeit bzw. Einreichung der Agentur Lintas.

Das Plakat war zwar das erste seiner Art, blieb jedoch nicht das einzige. Zahlreiche weitere Plakate folgten – und wurden von der Initiative Minderheiten gesammelt und 1994 im Rahmen einer Plakatausstellung mit dem Titel „Am Anfang war der Kolaric“ gezeigt, zu der auch eine eigene Publikation erschien. Auslöser dafür war übrigens ein Plakat des Künstlers Patricio Handl, der explizit auf die Kolaric-Kampagne Bezug nahm.

Die Kolaric-Aktion hatte also tatsächlich zur Horizonterweiterung einiger Menschen beigetragen – und ist bis heute einer der wichtigsten und bekanntesten optischen Beiträge zum Thema Rassismus geblieben. Das Plakat wurde nicht nur in Schulbüchern abgedruckt, sondern wurde 30 Jahre nach Entstehen vom Künstler Marko Lulić mit einer Plakatausstellung im Rahmen von museum in progress aufgegriffen.

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Marko Lulić: KOLARIĆ, vor den Gebäuden der Wiener Arbeiterkammer in der Prinz Eugenstraße 20–22 und Plößlgasse 13, (c) museum in progress

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Marko Lulić: KOLARIĆ, vor den Gebäuden der Wiener Arbeiterkammer in der Prinz Eugenstraße 20–22 und Plößlgasse 13, (c) museum in progress

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Marko Lulić: KOLARIĆ, vor den Gebäuden der Wiener Arbeiterkammer in der Prinz Eugenstraße 20–22 und Plößlgasse 13, (c) museum in progress

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Marko Lulić: KOLARIĆ, vor den Gebäuden der Wiener Arbeiterkammer in der Prinz Eugenstraße 20–22 und Plößlgasse 13, (c) museum in progress

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Außerdem inspirierte „der Kolaric“ auch über die Jahrtausendwende hinaus weitere Awareness-Kampagnen. Eine davon nannte sich „Faces for Refugees“, lanciert im Jahr 2013. Dabei machten Schauspieler:innen mit dem Slogan „Ich möchte leben. Mit – Menschen – Recht“ auf die Situation der Flüchtlinge in Österreich aufmerksam. Initiiert wurde die Wiener Kampagne von der österreichischen Schauspielerin Cornelia Ivancan, die unter anderem aus der ORF-Serie „Cop Stories“ bekannt ist. Um ein Zeichen zu setzen, dass es so nicht weitergehen kann, stellten 19 Kolleg:innen von Ivancan ihren Namen, ihr Gesicht und ihre Zeit zur Verfügung, darunter Ursula Strauß, Dirk Stermann, Fahri Yardim und Kristina Bangert. „Wir erklären uns solidarisch mit den Forderungen der Flüchtlinge und unterstützen ihren Mut, trotz großem Widerstand auf die akuten Missstände der österreichischen Asylpolitik aufmerksam zu machen“, so Ivancans zentrale Botschaft der Aktion, die an das 1973 erschienene Kolaric-Plakat erinnert. Die Aktion wurde aus Spendengeldern finanziert. Ursprünglich war eine Plakatierung in der gesamten Stadt vorgesehen, doch aus finanziellen Gründen waren die Sujets auf Infoscreens zu sehen.

Zusätzlich zur Plakataktion wurde mit Hilfe der Initiative der Schauspielerin Kristina Bangert ein kurzes Video gedreht. Um Aufmerksamkeit auf die damals schwierige Wohnungssuche zu lenken, standen Schauspieler:innen gemeinsam mit Flüchtlingen vor der Kamera. In 50 Sekunden prägten sie den Zuschauer:innen fünf Grundbedürfnisse, darunter auch das Recht auf ein Zuhause, eine Familie oder Sicherheit ein. Das Video zeigte tatsächlich Erfolg. Dank der Verbreitung in den sozialen Medien konnten Kontakte zu Makler: innen hergestellt werden.

Doch nicht nur Kampagnen, in deren Zentrum Antirassismus standen, ließen sich vom Kolaric inspirieren.Während der Corona-Pandemie war das Ziel der Initiative „Jetzt miteinander!“, welche an das Kolaric-Plakat angelehnt war, die Impfbereitschaft in Wien weiter zu erhöhen und zugleich den Zusammenhalt zu stärken. Mit dem Slogan „I bin a Wiener, du bist a Wiener. Zusammen gemma impfen“, wollte man die Wiener:innen mit und ohne Migrationshintergrund zum Impfen bewegen.

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Zweifelsfrei hatte das Kolaric-Plakat damals eine hohe Brisanz und gilt heute als Pionierleistung im Kampf gegen Rassismus. An Aktualität hat es allerdings nichts eingebüßt. Ausgrenzung und Rassismus sind nach wie vor brennende Themen in unserer Gesellschaft. Als viele Menschen in den 2010er-Jahren in Europa um Asyl ansuchten, stieg der Hass gegenüber ihnen an. 1302 Meldungen von Rassismus dokumentierte die Anti-Rassismus-Initiative ZARA im Jahr 2023 in Österreich. Das sind fast doppelt so viele wie 10 Jahre zuvor. Im Jahr 2013 lag die Anzahl der dokumentierten rassistischen Vorfälle noch bei 731. Und das sind nur nackte Zahlen, die die aufgeheizte Stimmung bestenfalls andeuten können.

Im 12. Kapitel der neuen Dauerausstellung des Wien Museum spielt das Kolaric-Plakat eine zentrale Rolle beim Thema „Gastarbeiter:innen“. Gezeigt wird hier übrigens jene hochformatige Version, die die Initiative Minderheiten für die Wanderausstellung 1994 hatte gestalten lassen. In Nachbarschaft zum Kolaric-Plakat sind weitere Schlüsselobjekte zur Migration zu sehen, unter anderem eine jener gelben Kronen Zeitung-Kolporteursjacken, die einst das Stadtbild geprägt haben – ein Objekt, das von prekären Arbeitsverhältnissen und Ausbeutung erzählt.

Judith Hohl wurde 2005 in Feldbach geboren. Seit Oktober 2023 studiert sie Journalismus und PR an der FH JOANNEUM Graz. Ihre Interessensgebiete umfassen Musik und gesellschaftlich relevante Themen wie z.B. Klimaschutz und Feminismus.

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