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QWIEN – queeres Wien erforschen und dokumentieren
„Viele Leute glauben, es gibt Unmengen von Quellen“
Das Zentrum für queere Geschichte QWIEN besteht in dieser Form seit 2007. Sein Herzstück machen Archiv und Bibliothek aus – kann man das so sagen?
Ich würde Forschung und Stadtführungen dem gleichwertig gegenüberstellen. Von Anfang an war die Idee entscheidend, dass wir Wissen über die queere Geschichte Wiens nicht nur sammeln, sondern auch popularisieren möchten.
Ich würde es so formulieren: Das physische Herzstück sind Archiv und Bibliothek. Operativ sind unsere Forschungstätigkeiten, Publikationen und Stadtspaziergänge entscheidend.
Könnt ihr uns von der Entstehung dieses physischen Herzstückes erzählen? Wie seid ihr beim Aufbau der Sammlung vorgegangen?
Get it while you can!
Das war sicher am Anfang das Motto. Wir sammeln seit Anfang der 1990er Jahre und es gab ja damals nichts. Queere Geschichte im Wien der 1990er Jahre hat bedeutet, es gibt nichts. Wir haben jeden Zeitungsauschnitt, den wir gefunden haben, ausgeschnitten und aufbewahrt. Ich habe heute noch ganze Mappen, wo ich mit schwarzer Füllfeder aus alten Zeitungen abgeschrieben habe, weil es zu aufwendig gewesen wäre, Zeitungen zu kopieren.
Nachdem wir uns etabliert hatten, haben wir dann nach und nach auch Schenkungen bekommen, zum Beispiel hat die HOSI Wien ihr Zeitschriftenarchiv aufgelöst und uns übergeben.
Wir übernehmen oft ganze Vereinsarchive wie kürzlich von der Türkis Rosa Lila Villa. Teilweise sind das auch sehr kleine Bestände, aber im Falle des Archivs der Aids Hilfe Wien war es wieder eher raumfüllend. Deshalb platzen wir auch aus allen Nähten.
Auch von Aktivist:innen, die quasi in Pension gegangen sind, haben wir Materialien gekriegt – Waltraud Riegler, Kurt Krickler. Es war auch immer schon der Fall, dass Privatpersonen sich gemeldet haben: „Ich hab‘ eine Sammlung an Têtu“ – das ist ein französisches Schwulen-Magazin – „Ich schmeiß‘ es weg.“ – „Nein, bring’s vorbei.“ Oder Leute entrümpeln ihr Bücherregal und da sind alle möglichen Bücher über Homosexualität darunter, Fachbücher genauso wie lesbische Fantasy-Romane.
Aber wir sind auch schon klüger geworden. Zum Beispiel hat einmal eine Pfarre angerufen und gesagt, sie hätten eine Schenkung für uns und würden sie vorbeibringen. Und ich dacht mir, ja sicher. Und dann haben sie zwei Koffer gebracht und in denen war schmutziges Sexspielzeug…
Und wir haben die Koffer genommen und haben sie weggeschmissen. Aber das war schon ein negatives Highlight. Das habe ich auch als Übergriff empfunden. Wir haben es dann nicht weiter thematisiert, aber im Grunde war es eine Frechheit.
Welche Rolle spielen Archiv und Bibliothek für die queere Community in Wien? Wer nutzt die Quellen?
Die Nutzer:innen sind eigentlich Leute, die sich wissenschaftlich betätigen, Kolleg:innen von mittlerweile überall her, Studis aus Wien, oft geht es um Abschlussarbeiten, jetzt auch zunehmend Schüler und Schülerinnen. Zunächst wollen sie oft ein Beratungsgespräch. Viele Leute glauben, es gibt Unmengen an Quellen zum queeren Leben, die einfach noch nicht gefunden oder gelesen worden sind, aber die gibt es oft gar nicht. Da können wir unsere Erfahrungen teilen und verhindern, dass Leute sich in ein Thema verrennen, das nicht beschreibbar ist.
Wir sind auch international immer besser vernetzt. Im Winter war ein Kollege von einer US-amerikanischen Universität da, der über unseren großen Bestand zum Thema Aids enorm glücklich war. Das ist nämlich gar nicht so einfach zu finden, weil Mainstream-Bibliotheken dieses Material oft nicht gesammelt haben.
Denkt ihr, dass Forschung zu queerer Geschichte mittlerweile im Mainstream angekommen ist?
Auf jeden Fall. Aber nur Teile von ihr würde ich meinen. Es gibt immer Themen, die bevorzugt bearbeitet werden. Aktuell ist Forschung zu Trans-Fragen sehr stark. Aber wir hätten noch hunderte, tausende Themen in den Quellen, die keine Beachtung finden.
Es ist schon festzustellen, dass Quellenforschung – was ja das mühsamste ist – nicht sonderlich beliebt ist.
In unserem Bereich gibt es oft schwierige Quellen, die nur über Methoden wie „queer Reading“ erschließbar sind. Quellen, die eher über Auslassungen erkennbar sind, als über das was beschrieben wird. Sexualität hat man nun mal tabuisiert.
Ihr seid jetzt intensiv in genau diese Quellenforschung eingestiegen und habt das Buch „Homosexualität und Nationalsozialismus in Wien“ herausgebracht. Was erwartet Leser:innen in diesem Buch?
Es ist die erste wissenschaftliche Publikation zum Thema und damit eine klassische Aufarbeitung der Geschichte einer durch Nationalsozialisten verfolgten Gruppe.
Menschen wurden vor der NS-Zeit als homosexuell verfolgt und auch danach – wie hebt sich die Verfolgung durch die Nationalsozialisten ab?
Österreich hat immer zu den Spitzenreitern in der Homosexuellen-Verfolgung überhaupt gezählt – egal in welchem Regime. 1852 wurde der Paragraph 129, der Homosexualität unter Strafe stellte, eingeführt. Ungewöhnlicher Weise waren in Österreich homosexuelle Frauen genauso pönalisiert wie Männer, das ist in europäischen Rechtssystemen sehr selten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert steigt die Zahl der Verfolgungen dann konstant an. Mit der Konstruktion einer homosexuellen Identität durch die Sexualwissenschaft kommt es zu einer Erhöhung der Verfolgungsintensität. Das ist ein relativ kontinuierlicher Prozess bis zum Beginn der NS-Zeit, und ab dann katapultieren sich die Zahlen noch einmal hoch.
Ein wichtiger Punkt ist, dass Frauen viel weniger verfolgt wurden als Männer, die Verurteilungszahlen liegen nur zwischen drei und fünf Prozent, was einfach damit zu tun hat, dass man sie nicht erwischt hat. Weibliche Sexualität wurde zum einen im Patriarchat ohnehin als nicht-existent erklärt – da hat man gar nicht erst nachgeforscht. Zum anderen hat sich lesbische Sexualität und die Kommunikation darüber viel mehr im Privaten bewegt. Wir wissen von ganz, ganz wenigen öffentlichen Räumen, wo angeblich ein Lesben-Zirkel verkehrt haben soll. Im Gegensatz dazu, gab es in allen großen Städten eine sexuelle Infrastruktur von Männern. Diese Struktur war für die Polizei ein gefundenes Fressen. Bis 1938 ist sie den Verfolgern allerdings noch relativ egal, mit 1938 ändert die Kriminalpolizei dann aber ihre Ermittlungsmethoden und geht richtig auf die Jagd: Beamte kannten die homosexuelle Infrastruktur von Wien und gingen in genau die Bäder oder öffentliche Toiletten und Parks, wo sie Männer bei ihren sexuellen Handlungen beobachten und sofort aufgreifen konnten. Die Gestapo ermittelte parallel auch gegen homosexuelle Menschen, aber ganz anders: Sie sitzt am Schreibtisch, geht kaum außer Haus und wartet auf Denunziationen aus der Bevölkerung oder Hinweise von anderen Behörden.
Und da entwickeln sich sogenannte Schneeball-Verfahren. Also es wird einer festgenommen und aus dem werden dann Namen anderer Homosexueller herausgepresst. Diese werden ebenfalls ermittelt und vorgeladen, dem einen kann man nichts nachweisen, der andere leugnet, aber es strahlt aus und ergibt Netzwerke. In der Forschung wird es in solchen Fällen spannend, weil Community-Strukturen sichtbar werden. Ein Treffpunkt war zum Beispiel das Gasthaus Neumann, hier haben sich die ganzen 1930er Jahre hindurch junge, lebenslustige homosexuelle Männer – und höchst wahrscheinlich auch Lesbenrunden – getroffen.
In der NS-Zeit wurden als homosexuell verurteilte Menschen in Konzentrationslagern interniert. Wie äußerte sich Homophobie in den Lagern?
Was die Lager-SS und die Häftlingsgesellschaft letztlich gemeinsam hatte, war der Homosexuellen-Hass – der in der gesamten Bevölkerung präsent war. Das kann man ganz gut mit Antisemitismus vergleichen: So wie die Mehrheit der Bevölkerung antisemitisch war, war sie auch homophob. Aus Wien konnten wir 119 Männer recherchieren, die in Lager gekommen sind. Im Vergleich mit anderen Opfergruppen, sind das keine sehr hohen Zahlen. Aber deren Sterblichkeit war am höchsten unter den nicht-rassisch verfolgten Lagerinsassen. Von unseren 119 kommt kein Drittel wieder zurück. Das ist zweifelsohne auf die besondere Grausamkeit des Lagerpersonals zurückzuführen, aber zustäzlich auch auf fehlende Solidarität der anderen Häftlinge. Ohne die Solidarität von Mithäftlingen war es ganz schwer möglich, ein Konzentrationslager zu überleben. Und die hat homosexuellen Menschen einfach gefehlt.
In eurem Buch ist aber auch zu lesen, dass die Verfolgung Homosexueller einer anderen Logik folgte als die von Jüdinnen und Juden. Wie ist das zu erklären?
Es war niemals das Ziel der Nationalsozialisten, alle Homosexuellen zu ermorden, sondern man wollte die Homosexualität beseitigen, indem man die Menschen bestraft oder umerzieht. Das ist im Gegensatz zur Verfolgung von Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, ein ganz anderes Verfolgungsprinzip. Homosexuelle kamen daher auch nicht in Vernichtungslager, sondern in Konzentrationslager. Nur sehen wir, dort leben sie sehr kurz und kommen auch nicht zurück.
Wie änderte sich die Verfolgung homosexueller Menschen mit dem Ende des NS-Regimes?
Erstmals nicht wirklich: Bis ins Frühjahr 1945 finden wir noch laufende Fälle, zum Beispiel Friedrich Regenfelder – seine Biographie arbeite ich in meinem kürzlich erschienenen Buch „Als homosexuell verfolgt“ auf: Er lebte im 20. Wiener Gemeindebezirk und wurde im März 1945 mit einem französischen Fremdarbeiter gemeinsam festgenommen, es kommt unter den Nationalsozialisten nicht mehr zum Urteil. Aber in der Nachkriegszeit beginnen sie ihn dann wieder zu suchen!
Zuerst sind noch die Bomben über Wien geflogen, man ist durch die Trümmer gegangen. Aber es war den Menschen der Aufwand immer Wert, Homosexuelle weiter zu verfolgen. Da zeigt sich, dass sowohl die gesetzliche als auch die gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität die gleiche geblieben war, weil es geht nahtlos weiter. Jedes Urteil wird als Vorstrafe anerkannt, ob das ein Nazi-Richter gesprochen hat oder nicht. Von den Nazis als homosexuell Verurteilte müssen ihre Strafen in der Nachkriegszeit absitzen. Ganz bruchlos ist es nur insofern nicht, als anfangs die Kapazitäten fehlen, um die Verfolgung am selben Level fortzuführen. In den 1950er Jahren wurden dann aber wieder Verhaftungs- und Verurteilungszahlen wie am Höhepunkt der NS-Zeit erreicht. Man sieht die oft unterschätzte Backlash-Kraft der 1950er Jahre. Gegen Ende der 1950er beginnt sich die Gesellschaft langsam zu ändern. Nicht hier in Österreich, sondern in den USA sehen wir erstes Aufbegehren homosexueller Menschen gegen die eigene Verfolgung.
Wieso habt ihr gerade jetzt den Schwerpunkt eurer Forschung auf die NS-Zeit gelegt?
Teilweise ist es Zufall, teilweise gewollt. Nach einem sehr langen Prozess wird im Resselpark in Wien jetzt das Mahnmal zur Erinnerung an die verfolgten Homosexuellen der NS-Zeit errichtet. Uns war es ein Anliegen, zu diesem Zeitpunkt mit dieser Publikation fertig zu sein und die wissenschaftlichen Grundlagen zu liefern.
Im Mahnmalprozess haben wir eingefordert, dass man wissen sollte, für wen das Mahnmal eigentlich errichtet wird. Wer sind denn die Opfer? Wessen wird gedacht?
Nach diesen umfangreichen Forschungsprojekten geht eure Arbeit aber natürlich weiter – was sind die Zukunftspläne von QWIEN?
Wir haben große Pläne und verhandeln sie gerade mit der Stadt Wien: Mit hoher Sicherheit werden wir in ein viel größeres Objekt umziehen. Vermutlich können wir dann auch einen Ausstellungsbetrieb realisieren. Es werden relativ kleine Ausstellungen sein, aber das heißt nicht, dass sie nicht laut und gut sein können!
Das Buch „Homosexualität und Nationalsozialismus in Wien“, herausgegeben von Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher, ist im Mandelbaum-Verlag erschienen. Es versammelt elf Beiträge von Forscher:innen, die Themen wie Rechtslage, Arbeitsweisen der Kripo und Gestapo, Stereotypisierung oder jüdischer Homosexualität behandeln.
Auf der Website von QWIEN finden sich Informationen zur Nutzung von Archiv und Bibliothek, sowie Updates zu Stadtführungen, Publikationen und Veranstaltungen.
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