
Victor Gruen, 1975, Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
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Victor Gruen zwischen Einkaufszentren und nachhaltiger Stadtplanung
„Amerika nicht kopieren, sondern kapieren“
Wer war Victor Gruen? Ein genialer Architekt? Ein visionärer Stadtplaner? Ein zeitkritischer Kabarettist? Ein überzeugter Atomkraftgegner und Umweltschützer? Wohl all dies in Personalunion, was es spannend macht, vom Lebensweg dieses Mannes zu erzählen. Geschichte schrieb Gruen als sogenannter Erfinder der Shopping Mall, des Inbegriffs US-amerikanischer Suburbanisierung. Ihn allein auf dieses, in den 1950er Jahren bahnbrechende neue Stadtentwicklungskonzept festzumachen, wäre aber viel zu eindimensional gedacht.
Gruens Bezug zur Welt war von Anfang an von übergreifenden humanistischen Idealen geprägt. Im Zentrum stand, wie er immer wieder betonte, die Vision eines friedfertigen Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt. Seine vielseitigen Begabungen und Interessen sah er nicht allein als Bereicherung für sein eigenes Leben an, sondern auch als Motivation, sich wirkungsvoll für die allgemeinen Interessen der Menschheit einzusetzen. Kurzum: Gruen war mit seinen ganzheitlich gedachten städtebaulichen Visionen seiner Zeit oft einen Schritt voraus, was zur Folge hatte, dass seine Konzepte oft nur ansatzweise oder in Etappen realisiert wurden.
Gruens Lebensweg ist aber auch die Geschichte eines jüdischen Emigranten, der nur knapp dem Holocaust entkam, sich in den USA eine neue Existenz aufbaute und dennoch mit seiner Heimatstadt Wien stets verbunden blieb.

Kindheit und Jugend in Wien
Geboren wurde Viktor David Grünbaum, wie sein ursprünglicher Name lautete, am 18. Juli 1903 in der elterlichen Wohnung in der Marc-Aurel-Straße 3. Sein Vater, Adolf Grünbaum, war Anwalt und wusste seinen Beruf mit seiner Liebe zu Kunst und Kultur zu verbinden. Als Rechtsvertreter des zur damaligen Zeit florierenden Carltheaters zählten zu seinem Klientel auch viele Komponisten, Schauspieler und Kabarettisten – u. a. Franz Lehár, Emmerich Kálmán sowie der Kabarettist Fritz Grünbaum, mit dem er gut befreundet, aber nicht verwandt war. Man war, wie Gruen in seiner Autobiographie reflektiert „eine typisch wienerische Familie des höheren Mittelstandes. Die Verwandtschaft väterlicherseits stammte aus Mähren, die jüdische Patriarchen-Familie mütterlicherseits aus Hamburg.“
Hinsichtlich seiner Berufswahl ließ Adolf Grünbaum seinem Sohn bis auf eine Einschränkung Entscheidungsfreiheit: Er wollte nicht, dass er ebenfalls Rechtsanwalt wird, zumal er nichts davon hielt, „wenn Söhne in die Fußstapfen ihrer Väter treten.“
Der erste Anstoß zur Architektur erfolgte im Realgymnasium, als Freihandzeichnen am Programm stand und Victor eine ziemlich wilde, abstrakte Komposition aquarellierte. Das Urteil seines Zeichenlehrers Ludwig Rainer: „Junger Mann, Sie haben Phantasie, Sie haben Talent, Sie sollten Architekt werden“. Professor Rainer sollte übrigens nicht nur mit dieser Zukunftsprognose recht behalten, auch sein Sohn, der um sieben Jahre jüngere Roland Rainer, schrieb später bekanntlich österreichische Architekturgeschichte.
Wechsel an Höhere Staatsgewerbeschule
Erste große Zäsur in Victors Leben war der plötzliche Tod seines Vaters im Jahr 1918. Ebenso wie Egon Schiele und tausende andere Menschen wurde er Opfer der damals in Wien kursierenden Spanischen Grippe. Bevor er starb, betraute er einen Freund, den Baumeister Edmund Melcher mit der Vormundschaft, um der Familie existenzielle Sicherheit zu verschaffen. Ein Plan, der nur teilweise aufging, denn wie sich letztlich herausstellte, verfügte Melcher nur über sehr begrenzte finanzielle Mittel. Primär unterstütze er die Familie dahingehend, dass er Victor nach Absolvierung einer vierjährigen Fachschule eine Anstellung in seinem Betrieb in Aussicht stellte.
Im Klartext hieß dies für den damals 16-Jährigen, im Herbst 1919 vom Realgymnasium an die Höhere Staatsgewerbeschule, Abteilung Hochbau zu wechseln. Ein Schritt, der Gruen ebenso missfiel, wie die damit verbundene Berufsperspektive: Anstelle einer Laufbahn als Architekt schien der Weg vorgezeichnet als Bauzeichner, Bautechniker oder Baumeister. In seinen Erinnerungen schreibt Gruen: „Wie sehr ich doch diese Staatsgewerbeschule gehasst habe. Wie oft ich gewünscht habe, sie würde niederbrennen oder ein schrecklicher Schneesturm würde den Schulweg unmöglich machen.“
Da nichts von diesen apokalyptischen Szenarien eintrat, kanalisierte er seine kreative Energie in der Freizeit in andere Bereiche: Er schrieb Gedichte, befasste sich mit Theater und Literatur und verfolgte auf kritische Weise den aufkeimenden Antisemitismus, den er auch vonseiten seiner Klassenkameraden heftig zu spüren bekam.
Nach Abschluss der Staatsgewerbeschule hielt Eduard Melcher sein Versprechen und stellte Victor in seinem Betrieb in der Porzellangasse an. Da die Firma sehr klein war, brachte dies den Vorteil mit sich, dass Gruen im Laufe der nächsten neun Jahre jede Facette des Baugewerbes kennenlernte – so erhielt er auch Einblicke in das Wohnungselend, das sich hinter vielen Zinskasernen der Gründerzeit verbarg, was sein Verständnis für soziale Probleme bereits in jungen Jahren schärfte.

Politisches Kabarett
Lichtblicke in dieser Zeit waren eine bestandene Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste sowie die Gründung und Leitung des „Politischen Kabaretts“, das in der Zeit zwischen 1926 bis 1934 im Mittelpunkt seines schöpferischen Lebens stand. In diesen acht Jahren wurden 14 verschiedene Programme produziert, die in über 400 ausverkauften Vorstellungen rund 200.000 Zuschauer erreichten. Mitwirkende des „Politischen Kabaretts“ waren u. a. Jura Soyfer, Robert Ehrenzweig, der später in England unter dem Namen Robert Lucas schriftstellerisch tätig war, Fritz Jahoda, später Dirigent in New York und Felix Slavik, der ab 1957 zwölf Jahre lang das Amt des Finanzstadtrats und Vizebürgermeisters und von 1970-1973 das Amt des Bürgermeisters von Wiens bekleidete.
Schritt in die Selbstständigkeit
Nach absolvierter Baumeisterprüfung wagte er als „Architekt und Stadtbaumeister“ den Schritt in die Selbstständigkeit. Zu Beginn stand vor allem die Neugestaltung von Geschäftsportalen und Geschäftsinnenräumen im Vordergrund. Bereits eines seiner ersten Projekte erregte Aussehen und wurde in in- und ausländischen Architekturzeitschriften diskutiert. Es galt eine innovative architektonische Lösung für einen winzigen Parfümerieladen mit einer Front von zweieinhalb Metern zu finden. Durch Verspiegelung von Decke und Rückwand konnte eine optische Verdoppelung des kleinen Innenraums erzielt werden. Dieser „Bühnentrick“ brachte ihm jede Menge Neuaufträge ein, u. a. die Gestaltung der Geschäftsräume des Stoffausstatters Singer in der Rotenturmstraße, für die er einen öffentlich zugänglichen Arkadenraum schuf, gerahmt von großflächigen Schaufenstern – was sich ebenfalls als Eyecatcher und Kundenmagnet erwies.
Emigration in die USA
Das Konzept des Schaufensters als Bühnenraum verschaffte Gruen auch in New York erste Aufträge. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gelang ihm 1938 mithilfe eines als SA-Mann verkleideten Freundes im letzten Moment die Flucht – zunächst in die Schweiz, dann in die USA. „Mit einem Architekturabschluss, 8 Dollar in der Tasche und null Englischkenntnissen“ galt es sich nun eine neue Existenz aufzubauen. In dieser schwierigen Anfangszeit wurde er vom ebenfalls aus Wien emigrierten Geschäftsmann Ludwig Lederer damit beauftragt, eine Boutique auf der Fifth Avenue zu gestalten. Abermals griff Victor D. Gruen, wie er sich nach seiner Einbürgerung nannte, das bewährte Konzept der Inszenierung einer theatralisch beleuchteten Kulisse auf und sorgte mit der Lederer-Boutique für Furore: Architekturzeitschriften und Tageszeitungen berichteten euphorisch von der inspirativen neuen Geschäftsarchitektur, das New Yorker Museum of Modern Art integrierte Abbildungen des Lederer-Geschäfts in seinem Führer der Modernen Architektur.

Erfinder des Einkaufszentrums
15 Jahre nach der erfolgreichen Eröffnung dieser Boutique und zahlreichen weiteren Folgeaufträgen gelang es Gruen, seine Vision eines schützenden Arkadenraumes in die verstreuten Siedlungsgebiete der boomenden US-amerikanischen Vorstadtlandschaft zu übersetzen. Er vergrößerte den in Wien und New York erprobten Maßstab um ein Tausendfaches und führte in Northland das erste regionale Einkaufszentrum und zugleich ein Stadtexperiment in bis dahin unbekannter Dimension ein. Zentrum des 44.000 Quadratmeter großen Areals markierte die außerhalb von Detroid gelegene Blockformation des Kaufhauses J. L. Hudson. Die Idee der Arkade erweiterte Gruen im Einkaufszentrum durch einen mit Brunnen, Bänken, Skulpturen und bunten Mosaiken versetzen, weitläufigen Hof, der nach außen hin die großflächigen Schaufenster jener Geschäfte rahmte, die nun in fünf u-förmig um den Hof arrangierten Gebäudekomplexen untergebracht waren. 1952 begann die Umsetzung dieses Pionierprojektes, der ersten Shopping Mall, in der die Besucher nicht nur bloß einkaufen sollten. Das Einkaufszentrum sollte der Isolation der Vorstadt entgegenwirken, es sollte den Menschen – vorrangig den Frauen – das Leben erleichtern, ihnen einen Ort bieten, der nicht nur kommerziellen, sondern auch sozialen und kulturellen Aktivitäten gewidmet war. Wobei Gruen das Konzept der „Shopping Town“ bereits 1943 erstmals präsentiert hatte, konkret im Rahmen eines Ideenwettbewerbs der Zeitschrift Architectual Forum. Den Ausschreibungskriterien zufolge sollte eine innovative Modellstadt für das Jahr 194X entworfen werden, also für jenes unbekannte Jahr X, in dem der Zweite Weltkrieg zu Ende geht. Sein Entwurf brachte ihm noch während des Krieges die Bezeichnung „Vater des Einkaufszentrums“ ein.

Bericht über Victor Gruens Entwurf einer Shopping Mall in der Zeitschrift „Der Aufbau“, März 1952, ANNO / ÖNB

Gruens Design des zentralen Geschäfts der J. L. Hudson Co. für eine Mall, die 1957 Nahe Detroit eröffnen sollte, um 1950, Victor Gruen papers, Collection No. 5809, Box 57, American Heritage Center, University of Wyoming
Als Gruen ab Mitte der 1950er Jahre in der Lage war, seine Vision von Einkaufszentren nicht nur in Northland, sondern u. a. auch in Southdale, südlich von Minneapolis zu realisieren, war sein Name bereits Programm: Marktforscher stellten fest, dass in Shopping Malls aufgrund der verlockenden Angebotsvielfalt die Hälfte aller Einkäufe ungeplant, also spontan erfolgen. Dieses Phänomen wird von Kaufhäusern bewusst genutzt und als Gruen-Effekt bezeichnet.

Erste Fußgängerzone in den USA
Im Laufe der Zeit musste Gruen erkennen, dass seine Erfindung, die in den Folgejahren von zahlreichen anderen Architekten aufgegriffen wurde, auch negative Effekte nach sich zog – allen voran die allgemeine Abhängigkeit vom Individualverkehr sowie eine strukturelle Vernachlässigung und Verödung der innerstädtischen Zentren. Als er 1957 von Geschäftsleuten aus Kalamazoo, der größten Stadt in der südwestlichen Region des US-Bundesstaates Michigan, eingeladen wurde, ein Revitalisierungskonzept für die Innenstadt zu entwickeln, markiert dies den Beginn seiner nachhaltigen und ökologischen Stadtentwicklungskonzepte. Um dem Kaufkraftabfluss in die Vorstädte entgegenzuwirken, entwarf Gruen in einem Abschnitt der Burdick Street die erste outdoor pedestrian shopping mall, die erste Fußgängerzone der USA, die knapp zwei Jahre später eröffnet wurde.
Diese Pionierleistung spiegelt sich auch in einer bis heute gebräuchlichen Wortschöpfung: Revitalisierungsprogramme für Stadtkerne werden als Gruenisierung der City bezeichnet. Sein Einfluss zeigt sich auch in Zahlen: Ende der 1960er Jahre zählte die „Victor Gruen Associates“ mit 300 Angestellten (neben Architekten und Planern umfasste das Team auch Künstler und Soziologen) zu den 20 größten Architekturorganisationen der USA. Auch geografisch dehnte sich der Wirkungsradius auf Kanada, Südamerika, Australien und Europa aus.
Schrittweise Rückkehr Wien
Wenngleich Victor Gruen über 30 Jahre seines Lebens in den USA verbrachte, blieb er seiner Heimatstadt stets innerlich verbunden. Wien, die Stadt seiner Kindheit und Jugend, war für ihn lebenslang der Inbegriff von Urbanität. Im Gegensatz zu vielen seiner emigrierten Freunde, die ihr Vaterland nie mehr betreten wollten, reiste Gruen bereits 1948 erstmals wieder für einige Tage nach Wien, um sich ein Bild vom Grad der Zerstörung zu machen: „Schon die Ankunft an jener Stelle, wo einst der Wiener Westbahnhof stand, war ein Schock. Vom Gebäude war nichts als Schutt übrig geblieben. Man stieg einfach auf der Straße aus.“ Tief betroffen von den Ruinen der Ringstraße und Bergen von Schutt, die über die ganze Stadt verteilt waren, beendete er damals „in tiefer Trauer um diese Stadt und ihre Bewohner“ seinen ersten Besuch.

Zerstörung und Wiederaufbau in Wien, 1945-46, Fotos: unbekannt, Wien Museum, Inv.-Nr. 224195/4 und 224802

Ab Mitte der 1950er Jahre war Gruen beruflich regelmäßig in Europa unterwegs. In dieser Zeit manifestierte sich immer mehr der Wunsch, gerade in ökologischen Fragen Europa vor dem amerikanischen Beispiel zu warnen, damit sich Stadtplanungsfehler nicht wiederholen. Seine Devise lautete: „Amerika darf man nicht kopieren, man muss es kapieren.“
Spätestens mit der Gründung der „Victor Gruen Foundation for Environmental Planning“ 1968 in Los Angeles blieb sein ökologisches Engagement auch der Presse nicht verborgen. Die Los Angeles Times schrieb: „Lange bevor irgendjemand sich mit Umweltproblemen beschäftigt hat, gab es einen Mann namens Victor Gruen, der Umweltplanung predigte.“
Revitalisierungskonzept für die Wiener Innenstadt
Anfang der 1970er Jahre erhielt Gruen von der Wiener Stadtverwaltung, namentlich von Bürgermeister Felix Slavik, den er bereits aus Kabarettzeiten kannte, den Auftrag, eine Studie zur Neugestaltung der Wiener Innenstadt zu verfassen. Ziel war es, die Innenstadt „lebenswerter“ zu gestalten. Gruen ließ seinen ganzen Erfahrungsschatz in diese Studie einfließen und zeigte Möglichkeiten auf, wie die Innenstadt in eine Umweltoase verwandelt werden könnte. Durch Ausbau des öffentlichen Verkehrs sollte der Stadtkern besser erreichbar und störender Individualverkehr durch konzentrische Umfahrungsringe eingedämmt werden. Lärm sollte verringert und durch zusätzliche Begrünung die Umweltbedingungen derart verbessert werden, dass die Innenstadt sowohl als Wohn- als auch als Besuchsort wieder größere Anziehungskraft ausübt. Auf den Punkt gebracht lauteten Gruens wichtigste Vorschläge: Erschließung der Innenstadt durch neue U-Bahn-Linien, Etablierung von Fußgängerzonen, völliger Ausschluss des benzinbetriebenen Fahrzeugverkehrs sowie Umstieg auf Fernheizmethoden.
Rückblickend hält Gruen in seinen Erinnerungen fest: „Die Aufgabe, meine Vaterstadt lebenswerter zu gestalten, war mir natürlich ein Herzensanliegen, für das ich viel Energie, meinen gesamten Erfahrungsschatz und beträchtliche Geldmittel (ungefähr doppelt so viel, wie ich als Honorar erhielt) einsetzte. Ich hatte diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den hierfür zuständigen Magistratsabteilungen der Stadtverwaltung durchzuführen. Diese Bedingung erwies sich unglücklicherweise nicht als Hilfe, sondern als Hindernis. Es zeigte sich, dass auch hier, wie in den meisten Städten der Welt, die Planungs-Bürokratie aus Spezialisten bestand, die unfähig waren, universell zu denken oder zu planen. [...] Alle Maßnahmen, die ich vorschlug und die darauf hinausliefen, die Stadt menschengerecht zu gestalten, stießen nicht nur auf völliges Unverständnis der Planungsbürokratie, sondern auf offenen Widerstand. [...] Unter diesen Umständen ist es immerhin bemerkenswert, dass zumindest Teile des Gesamtplanes schrittweise zur Ausführung gelangten.“
Dazu zählen u. a. der Ausbau des innerstädtischen U-Bahn- und Citybus-Netzes, die Nutzung des öffentlichen Raumes für Feste und Veranstaltungen, der Bau von Tiefgaragen sowie die Etablierung einiger autofreier Zonen: So sind die heute bestehenden Fußgängerzonen am Stephansplatz, in der Kärntnerstraße, am Graben und Kohlmarkt auf Gruens Planungen zurückzuführen.

U-Bahn-Bau am Stephansplatz, ..., Foto: ..., Wien Museum, Inv.-Nr. 248522

Kärtner Straße als Fußgängerzone, 1976, Foto: ..., Wien Museum, Inv.-Nr. 243557
Gründung des Zentrums für Umweltplanung
In seinen letzten Lebensjahren wurde das „Zentrum für Umweltplanung“ (ZUP), das sich unweit entfernt von seiner Wohnung am Schwarzenbergplatz befand, zum Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Gemeinsam mit Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen wurden Strategien für eine umweltgerechte Planung und Stadtentwicklung erarbeitet. Auch Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie der Energiepolitik standen im Fokus. Gruen verstand Umweltplanung als einen interdisziplinären Vorgang, der dazu dienen sollte, ein „optimales Umweltbeziehungsmuster“ zu schaffen. Die immer deutlicher werdende Belastung der Umwelt sollte seiner Ansicht nach „durch konstruktive anstatt durch rein defensive Maßnahmen“ bewältigt werden.
Aus diesem Grund versuchte er – trotz der erzielten Teilerfolge – die Magistratsabteilung immer wieder von seinem innerstädtischen Gesamtkonzept zu überzeugen, was einen leitenden Beamten zu folgender Replik bewog: „Wir wissen, Herr Architekt, dass das, was Sie vorgeschlagen haben, in seiner Ganzheit notwendig sein wird, aber wir fürchten uns davor, die Wähler zu erschrecken und gehen daher nach der Salami-Taktik vor.“
Ungeachtet der bürokratischen Hürden erhielt Gruen in Zusammenhang mit seinem Stadtentwicklungskonzept den Architekturpreis (1972) sowie das Goldene Ehrenzeichen (1978) der Stadt Wien verliehen. Wirklich in seiner ganzen Dimension erkannt und in Fachkreisen gewürdigt, wurde der visionäre Charakter seiner städtebaulichen Überlegungen erst Jahre später, konkret im Rahmen eines Symposiums anlässlich Gruens 100. Geburtstags im Jahr 2003.
Am 14. Februar 1980 starb Victor Gruen im Alter von 77 Jahren in Wien, zwei Monate nachdem er seine Autobiographie fertiggestellt hatte. 1981 wurde im 10. Wiener Gemeindebezirk die Victor-Gruen-Gasse nach dem vielseitigen Architekten benannt, der trotz vieler Widerstände, mit denen er im Laufe seines Lebens konfrontiert war, zeitlebens einer optimistischen Lebenseinstellung treu blieb und Wissen als wirkmächtigste Kraft ansah. Er war überzeugt davon, „dass auch die Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind, durch eine kurze, unangenehme Zeitspanne des Katzenjammers hindurch, zu konstruktiver Arbeit führen werden. Wenn wir unser Wissen zielbewusst für die Erhaltung der Menschheit einsetzen, dann besitzen wir auch die Macht, dieses Ziel zu erreichen.“
Anette Baldauf/Dorit Margreiter: Der Gruen-Effekt. Die Stadt als Bühne, Detroit/Los Angeles/New York/Rochester/Wien 2006.
Ernst Grabovszki: Innere Stadt, Wien, 1. Bezirk, Erfurt 2002.
Victor Gruen: Shopping Town. Memoiren eines Stadtplaners (1903–1980), Herausgegeben von Anette Baldauf, Wien 2014.
Otto Kapfinger, Victor Gruen, Rudi Baumfeld: Traumkarriere einer Partnerschaft. In: Matthias Boeckl (Hg.), Visionäre und Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur, Wien/Berlin1995.
Barbara Mautner: Dem Wiener seine Stadt zurückgeben. Victor Gruen (1903–1980) und die Wiener Stadtplanung: Städtebauliche Planungspraxis im ausgehenden 20. Jahrhundert. Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien 2012.
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Als Ergänzung zur Literaturliste:
Victor Gruen- Das Überleben der Städte-Wege aus der Umweltkrise: Zentren als urbane Brennpunkte - Verlag Fritz Molden, 1973 - ISBN 3-217-00491-4
(amerikanische Originalausgabe: Centers of the Urban Environment)
Danke für diesen höchst interessanten Artikel!