
Kuvert von Adolf Mechners versiegeltem Schreiben vom 6. Juni 1936 (Ausschnitt), Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
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Der Arzt Adolf Mechner und sein „Viperin“
Schlangen gegen Schnupfen
„1936 war ein gutes Jahr für mich“, schrieb Adolf Mechner in seinen Memoiren, „zum einen, weil ich Vater eines zweiten Kindes (Franz) wurde, zum anderen, weil ich eine wichtige medizinische Erfindung gemacht hatte, die in ganz Europa und sogar darüber hinaus großen Eindruck hinterlassen hat. […] Seit längerer Zeit habe ich der Bienen- und Schlangengifttherapie mein besonderes Augenmerk zugewendet.“ Als Ergebnis seiner Versuche entwickelte er eine Salbe aus Schlangengift für die Behandlung verschiedener Formen von Schnupfen, Heuschnupfen, Entzündungen der Nasennebenhöhlen und der Nasenschleimhaut.
Adolf Mechner wurde 1897 in Czernowitz in eine wohlhabende und sehr künstlerische jüdische Familie geboren. Sein Vater war wenige Tage vor der Geburt bei einem Unfall gestorben und seine 25-jährige Mutter musste die drei Kinder alleine aufziehen, bis sie neuerlich heiratete. Von 1915 bis 1918 absolvierte Mechner seinen Kriegsdienst. Danach startete er eine Schauspiel-Ausbildung, spielte nebenbei am (deutschsprachigen) Stadttheater von Czernowitz und begann gleichzeitig an der dortigen Universität ein Biologie-Studium. 1919 konnte er sich einem Heimkehrer-Transport nach Wien anschließen, obwohl er zu dieser Zeit noch kein österreichischer Staatsbürger war. Von 1920 bis März 1925 studierte er Medizin an der Universität Wien u.a. bei Prof. Julius Tandler und wohnte anfangs in der Servitengasse 13 im 9. Wiener Gemeindebezirk. Seine Spitalsausbildung absolvierte er bei berühmten Professoren wie dem Chirurgen Julius Schnitzler, Bruder von Arthur Schnitzler, dem Pathologen Carl Sternberg und dem Gynäkologen Josef Halban. Ab 1928 fungierte Mechner im Sommer als Hausarzt am Wiener Sanatorium Löw. Am 1. Jänner 1930 eröffnete er seine eigene Ordination im 2. Wiener Gemeindebezirk, Taborstraße 64, und war Vertragsarzt für die Arbeiter-Krankenkasse.

Auf die Idee zu seiner Schlangengiftsalbe war er durch Salben aus Bienengift gekommen, die mit gutem Erfolg gegen rheumatische Beschwerden eingesetzt wurden. „Da Bienengift schwer zu bekommen und daher sehr teuer ist, versuchte ich es mit Schlangengift. […] Alles in allem glaube ich, dass ich eine neue, ausserordentlich einfache, ungefährliche und wirtschaftliche Behandlungsmethode für eine Reihe von Krankheiten der Nase, die bisher entweder gar nicht oder nur auf sehr komplizierter Weise gebessert werden konnten, gefunden habe, die mir sehr aussichtsreich erscheint.“
Am 6. Juni 1936 deponierte er die Erstbeschreibung seiner Erfindung in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und am 19. Juli 1936 präsentierte er sie vor der Gesellschaft der Ärzte in Wien, nachdem er zuvor einen Vertrag mit dem Serotherapeutischen Institut abgeschlossen hatte. „Am nächsten Tag berichteten alle Zeitungen in großen Überschriften auf Seite Eins. Die Associated Press und andere Medien schickten mir Fotografen. An den folgenden Tagen und Wochen läutete das Telefon ununterbrochen und ich bekam jede Menge Zuschriften aus ganz Europa.“
Mit dieser „medialen Explosion“ waren die beiden Direktoren des Serotherapeutischen Institutes allerdings unzufrieden. Tatsächlich hatten sie die genaue Dosierung vor ihm geheim gehalten, um den Ruhm als „Erfinder“ für sich zu beanspruchen. Auch bei den HNO-Ärzten stieß seine Erfindung anfangs auf Widerstand und wurde lächerlich gemacht, bis sie sich schließlich durch eigene Erfahrungen vom Erfolg überzeugten.
Die Salbe aus dem Gift der Sandviper (Vipera ammodytes) wurde in vielen Ländern unter dem Namen „Viperin“ vermarktet, in Deutschland und in der Tschechoslowakei kam sie als „Serpin“ in den Handel, in Frankreich als „Viperol“, und sie brachte Mechner nach eigener Aussage „nice royalties“ (ordentlich Tantiemen).
Am 27. Juli 1938 wurde Adolf Mechner aufgrund seiner jüdischen Abstammung aus dem Vertrag mit der Krankenkasse fristlos entlassen und verlor auch alle sonstigen medizinischen Tätigkeiten. Bald war ihm und seiner Familie klar, dass sie Österreich verlassen mussten. Am 30. September 1938, zwei Tage nachdem SS-Männer versucht hatten ihn abzuholen, gelang ihm die Flucht nach Kuba. Da sein Geburtsort Czernowitz in Rumänien lag und die USA pro Jahr nur 375 Einwanderer aus Rumänien aufnahm, war die geplante Weiterreise in die USA nicht möglich. Sein Aufenthalt auf Kuba dauerte schließlich fünf Jahre.
Glücklicherweise hatte er vor seiner Flucht mit einem verständnisvollen Mitarbeiter des Serotherapeutischen Institutes ein Abkommen bezüglich der Überweisung der Tantiemen treffen können. Von ihm bekam er auch eine 10 Zentimeter hohe Metallbox mit weißem Pulver. 1 Gramm davon, in destilliertem Wasser aufgelöst, enthielt die erforderliche Menge Schlangengift für eine 5-Gramm-Tube Viperin. Aber genauere Informationen hatte er nicht bekommen.
Auf Kuba war er innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ärztlich tätig, obwohl das den Flüchtlingen verboten war, um keine Konkurrenz für die einheimische Ärzteschaft zu bilden. Sehr bald traf er den Pharmakologen Angel Vieta Barahona, der gemeinsam José R. Plasencia die Laboratorios Vieta-Plasencia SA führte, das viertgrößte Labor in Kuba. Das renommierte Unternehmen stellte pharmazeutische, diätetische und biologische Spezialitäten her und gehörte zu den so genannten „Spezialitätenlaboratorien“, d.h. zu denjenigen, die Rezepturen herstellten und die gängigsten Linien vertrieben.
Vieta und Plasencia waren vom internationalen Erfolg des Viperin beeindruckt und schlossen mit Mechner einen Vertrag ab. Zuerst musste er die genaue Dosierung des „weißen Pulvers“ überprüfen, das er von Wien mitgebracht hatte. Als Zweites musste eine Giftschlange als Ersatz für die europäische Sandviper identifiziert und standardisiert werden, da der Inhalt der Box nur für kurze Zeit reichte. Geeignete Salbentuben mussten ausgewählt und mit dem Namen Viperin bedruckt werden, Verpackungen entwickelt, Patientenbroschüren verfasst und Werbematerial vorbereitet werden. Es dauerte einige Monate, bis Produktion und Verkauf beginnen konnten, doch dann war der wirtschaftliche und wissenschaftliche Erfolg durchschlagend.
Eines Tages stand in den Zeitungen, dass die USA als Kriegsfolge unter Ärztemangel litten und die Zulassung für ausländische Ärzte erleichtern würden. Mit Hilfe seiner Frau Hedy, die aufgrund ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft mit der Tochter Johanna bereits nach einem Jahr voller Ängste und Drohungen aus Wien nach Amerika emigrieren konnte, bewarb sich Adolf Mechner und wurde gemeinsam mit seinem Sohn Franz angenommen. Die Vorbereitungen für die Übersiedlung waren umfangreich, soviel hatte sich in den fast fünf Jahren Aufenthalt auf Kuba angesammelt. Beispielsweise „zwei große Vitrinen voller Schmetterlinge und anderer Insekten“. Den Laboratorios Vieta–Plasencia hinterließ er einen großen Salbenvorrat, verriet ihnen aber nicht die genaue Zusammensetzung und wurde auch gar nicht danach gefragt.
Am 12. Jänner 1944 erfolgte die Weiterfahrt nach Amerika. Während seiner Jahre auf Kuba hatte er fleißig an seinen Englisch-Sprachkenntnissen gearbeitet, sodass er bereits im Mai 1944 in New York die Sprachprüfung ablegen konnte. Ein halbes Jahr später konnte er auf Anhieb auch die Zulassungsprüfung als Arzt absolvieren und fand Arbeit in einem Spital. Aufgrund seiner guten Spanisch-Kenntnisse fanden auch Spanisch sprechende Patient:innen den Weg in seine Privatpraxis, die er jeden Nachmittag betreiben konnte. Auch in den USA wollte er seine Schnupfensalbe vermarkten und forschte im Labor der Firma Hofmann-La Roche in Jersey/USA zwei Jahre lang nach geeigneten Schlangengiften und der entsprechenden Dosierung, jedoch entschied sich das Unternehmen schließlich gegen die Vermarktung von Viperin und stattdessen für die neu entwickelten Antihistaminika. Ob es damit wirklich vorbei ist, wird die Zukunft zeigen: Das therapeutische Potential von Schlangengift ist aktuell ein weltweites Forschungsthema.

Adolf Mechner war bis ins hohe Alter aktiv, mit 80 Jahren begann er, eine umfassende Familienautobiografie aus Interviews und Recherchen zusammenzustellen. Er starb 1988 im Alter von 91 Jahren in Manhattan. Zeit seines Lebens wurde er für seine Vielseitigkeit, seine Begabungen und seine Engagements geschätzt und bewundert. Aus seinem Sohn Francis wurde ein angesehener Forschungspsychologe, sein Enkel Jordan ist ein vielfach ausgezeichneter US-amerikanischer Computerspieleentwickler und Drehbuchautor.
Quellen
The Memoir of Adolph Mechner: From the years 1897 to 1947, Claims Conference Holocaust Survivor Memoir Collection.
Adolf Mechner: Schlangengiftsalbe gegen Rhinitis vasomotoria und Schnupfen. Vorläufige Mitteilung. Wiener Medizinische Wochenschrift 1936, 38, 1065-7.
Forapin® der Firma Heinrich Mack Nachf., https://phenixxenia.org/wiki/Forapin, abg. 2025 03 18.
Österreichische Akademie der Wissenschaften: "Versiegeltes Schreiben" Nr. 1285 v. 6. Juni 1936.
Laboratorios Vieta – Plasencia, Historia de Cuba, https://historiacuba.wordpress.com/2016/07/15/laboratorios-vieta-plasencia/ abg. 2025 03 19
Adolph Mechner: Chapter 43 The Viperin-Dream, https://www.mechnerzieglerfamily.com/chapter-43-the-viperin-dream, abg. 2025 03 20
https://proloewe.de/de/aktuelles/nachrichten/wissenschaftlerinnen-und-wissenschaftler-um-dr-tim-lueddecke-von-loewe-tbg-erforschen-den-giftcocktail-der-in-griechenland-heimischen-milosviper/ abg. 2025 03 21
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