Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

Redaktion, 26.4.2023

Wiener Biografien aus der NS-Zeit

Schuldig wegen „Unzuchtshandlungen“

Andreas Brunner, Co-Leiter von QWIEN – Zentrum für queere Geschichte, hat ein Buch über die Verfolgung von Homosexuellen in Wien zur NS-Zeit geschrieben. Erzählt werden darin die Schicksale von über 60 Menschen. Meist sind es sogenannte „kleine“ Menschen, die in einem von Armut und Erwerbsdruck gezeichneten Alltag ihre Sexualität zu leben versuchten. Die folgenden zwei Fallgeschichten geben Einblick in das Projekt.

In Sachsenhausen ermordet – Friedrich Guzmann (30. 8. 1905 – 18. 4. 1940). Wohnort: 16., Grundsteingasse 39

„‚Damenimitator‘ plündert einen Kaufmann“, „Die ‚seidene‘ Dame, die ein Mann war“, „Fräulein Friedrich Guzmanns Doppelleben“: So lauteten Ende September 1935 in Wiener Tageszeitungen die Überschriften zu Berichten über die Verhaftung und den Prozess von Friedrich Guzmann. Gemeinsam mit einem Komplizen hätte er einen Geschäftsmann verführen und bestehlen wollen, so die reißerische Geschichte: „Der ehemalige Bankbeamte Friedrich Guzmann führt ein merkwürdiges Doppelleben: Bei Tag ist er Herr, bei Nacht Dame“ weiß das Neue Wiener Journal. „Er schlüpft jeden Abend in Damenkleider, geht auf dem Korso spazieren, kokettiert mit älteren Herren […] und führt einen in vorgerückter Morgenstunde in seine, nein ihre, Wohnung.“ Die Presse kostete den Fall sensationslüstern aus.

Mit acht Monaten schwerem Kerker fiel das Urteil streng aus, doch hatte Guzmann zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Vorstrafen, zwei wegen Unzucht wider die Natur, weitere wegen Diebstahls, Körperverletzung und Angriffs auf einen Polizeibeamten. Nach wenigen Monaten in Freiheit fiel Guzmann im November 1937 einem Polizisten auf, „der im Zuge einer Streifung nach gemeinschädlichen Personen in der Wollzeile von einer Frauensperson angesprochen und aufgefordert [wurde,] ihre Wohnung aufzusuchen.“ Zur Ausweisleistung aufgefordert, stellte sie sich als Rosa Goldmann vor. Da sie keinen Ausweis bei sich hatte, wollte sie der Polizist in ihre Wohnung begleiten, im dunklen Hausflur gelang ihr aber die Flucht in eine Wohnung. Nach weiteren Ermittlungen geriet Friedrich Guzmann in Verdacht, Rosa Goldmann zu sein, und wurde daher weiter polizeilich überwacht.

Friedrich Guzmann, der aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammte und ursprünglich Bankbeamter war, wohnte in der Wollzeile 21 in einem Kabinett zur Untermiete. Er hatte schon längst seine bürgerliche Existenz verloren und ging keinem geregelten Beruf mehr nach. Es war der Vermieterin bekannt, dass Guzmann, der tagsüber Männerkleidung trug, abends in Frauenkleidern ausging, weil er ihr erzählt hatte, dass er „als Tänzerin auftrete“. In anderen Dokumenten wurde er als „Artist“ oder „Damenimitator“ bezeichnet. Zur Verhaftung war es gekommen, weil Guzmann einen Kaufmann in seine Wohnung eingeladen hatte und dabei beobachtet worden war. Als der Gast das Haus verließ, wurden beide festgenommen.

Erst nach Aufklärung erkannte der Kaufmann, dass die Frau, von der er sich, wie er offenherzig gestand, gegen Entgelt oral befriedigen ließ, ein Mann war. Friedrich Guzmann bestritt jede sexuelle Handlung, die 20 Schilling habe er bekommen, weil er dem Mann „Gesellschaft geleistet habe“. Über ihn wurde sogleich Untersuchungshaft verhängt, der auch nach Meinung der Polizei hinters Licht geführte Kaufmann wurde freigelassen. Da Guzmanns Verteidiger zur Hauptverhandlung am 18. März 1938 (also unmittelbar nach dem „Anschluss“) nicht erschienen war, wurde die Verhandlung zwecks Zuweisung eines Armenvertreters, da Guzmann mittelos war, auf den 22. April 1938 vertagt.

In seinem ersten Verhör gab er an: „Ich gehe sehr häufig in Frauenkleidern, weil ich mich darin sehr wohl fühle.“ An anderer Stelle bestätigte er: „Schon seit meiner Jugend gehe ich gerne in Frauenkleidern und bin ich in letzter Zeit fast immer in Frauenkleidern gegangen.“ Zu seiner sexuellen Orientierung wollte er aber keine Auskunft geben: „Die Frage, ob ich geschlechtlich normal veranlagt bin, will ich nicht beantworten.“ Unsittliche Handlungen mit Männern, die er angesprochen hatte, bestritt er.

Vor Gericht gestand er: „Ich bekenne mich schuldig.“ Und er gab nun auch zu: „Ich bin schon seit meiner frühesten Kindheit homosexuell veranlagt.“ Immer wieder hatte er seine Vorliebe für Frauenkleider betont, er gab sich wechselnde Frauennamen: „Rosa Goldmann“, „Susi“ oder „Johanna“. Die Illustrierte Kronen Zeitung berichtete bereits im Oktober 1928 von einem Prozess wegen schwerer Körperverletzung, in den der Bankbeamte Friedrich Guzmann und ein Artist verwickelt waren. Zusammen mit einem Marktfahrer waren sie im März auf einem Ball, bei dem „Männer mit Männern getanzt haben Alle drei hatten den Ball in Frauenkleidern besucht. Sie tanzten dort mit einem jungen Mann und eiferten seinetwegen“. Guzmann wurde zu zwei Wochen Arrest auf Bewährung verurteilt. Aber welche Folgen hatte das Urteil? Hat er nach diesem Vorfall seine Anstellung bei der Bank verloren? Ganz offensichtlich war sein Auftreten in der Öffentlichkeit immer wieder nicht geschlechtskonform. Aber verstand er sich deswegen als homosexuell, wie er in seinem Geständnis aussagte? Oder war ihm diese Selbstdefinition in den Mund gelegt worden? Vom Richter wurde er im Urteil auch als „Transvestit“ bezeichnet, eine damals gängige Bezeichnung für Trans*Personen. Es ist aber keine Äußerung Guzmanns dahingehend bekannt, dass er einen Geschlechtswechsel anstrebte.

Der Richter fällte ein strenges Urteil von zehn Monaten schwerem Kerker und begründete es damit, dass der „Angeklagte […] homosexuell veranlagt [ist] und ein Transvestit, der sich mit Vorliebe in Frauenkleidern herumtreibt, Männer zum Zwecke des Geschlechtsverkehrs anspricht und sich für Unzuchtshandlungen bezahlen lässt“. Außerdem war er nicht gut beleumundet, „so beweist sein Vorleben eine eingewurzelte Abneigung gegen einen rechtschaffenen und arbeitsamen Lebenswandel“. Die zusätzliche Verurteilung zur Unterbringung in einem Arbeitshaus setzte der Richter jedoch mit einer dreijährigen Frist auf Bewährung aus.

Friedrich Guzmann wurde zunächst im Landesgericht im achten Bezirk inhaftiert, später in die Haftanstalt Stein an der Donau überführt und von dort am 29. November 1938 nach Verbüßung seiner Haftstrafe auf freien Fuß gesetzt. Danach verliert sich seine Spur. Als 1941 die Bewährungsauflagen überprüft wurden, teilte die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft Wien mit, dass Friedrich Guzmann „am 18.4.1940 in Sachsenhausen gestorben“ ist. Als Todesursache wurde im Sterbebuch des Konzentrationslagers „Kreislaufschwäche“ angegeben, eine klassische Scheineintragung, die in den nationalsozialistischen KZs einen natürlichen Tod vortäuschen sollte. Wie es dazu kam, dass Guzmann nach Sachsenhausen deportiert wurde, konnte nicht geklärt werden. Er ist am 11. April 1940 erstmals in Sachsenhausen nachweisbar. Eine Woche später war er tot. Er wurde nur 34 Jahre alt.

 

Langjährige Beziehung – Hermine Woytek (2. 12. 1909 – ?) und Wilhelmine Burdak (1. 12. 1909 – 27. 5. 1982). Wohnort: 11., Hasenleitengasse 8

„Am 25. Mai 1942, um 8 Uhr 30 Minuten, wurde die hiesige Kripodienststelle von einem unbekannten Manne fernmündlich angerufen:“ Mit einer Denunziation begann an einem Pfingstmontag das Verfahren gegen die Weberin Hermine Woytek und die Krankenpflegerin Wilhelmine Burdak. Der Denunziant gab an, dass „die Burdak […] fast zweimal wöchentlich bei der Woytek nächtigen [soll]. Die Beiden sollen gemeinsam in einem Bette schlafen und bei dieser Gelegenheit den Geschlechtsakt durch wechselseitige Onanie durchführen.“ Da der Anrufer auch mitteilte, dass Wilhelmine Burdak gerade wieder bei Hermine Woytek erschienen sei, wurden die Kripobeamten sofort aktiv. Eine halbe Stunde nach dem anonymen Anruf waren beide Frauen verhaftet, in die Kriminalpolizeiliche Dienststelle beim Polizeiamt Simmering überstellt und zum Verhör gebracht worden.

Beide gestanden sofort, doch unterschieden sich die Formulierungen deutlich. Hermine Woytek, die in den Akten auch Woitek oder Wojtek geschrieben wurde, sagte aus: „Ich gebe zu, dass ich mit der Wilhelmine Burdak gegenseitige Wechselonanie betrieben habe.“ Im Gegensatz dazu gab Wilhelmine Burdak zu Protokoll: „Ich gebe zu, dass ich mit der Hermine Woitek […] ein Liebesverhältnis gehabt habe.“ Bezieht sich das eine Geständnis auf eine sexuelle Handlung, spricht die Beschuldigte im zweiten von einem Gefühl. Da es in der Verhörsituation darum ging, als widernatürlich definierte gleichgeschlechtliche Handlungen zu beweisen, ist es nicht verwunderlich, dass Woytek diese nennt, zumal davon auszugehen ist, dass diese auch vom verhörenden Beamten angesprochen wurden.

Umso ungewöhnlicher ist es daher, dass Wilhelmine Burdak auch in der weiteren Folge des Verhörs lange die emotionalen und zärtlichen Aspekte der Beziehung in den Vordergrund rückte. Die beiden Frauen hatten sich 1933 an einem gemeinsamen Arbeitsplatz kennengelernt. Sie hätten sich angefreundet, erzählte Burdak, und seien sich nähergekommen: „Wir küssten uns gegenseitig auf den Mund, Wange und in die Ohren“, sie schmiegten ihre Körper aneinander, wobei Burdak ihre „Hand um den Hals um den Oberkörper der Woytek geschlagen“ hatte. Nur „gelegentlich“ sei es dabei auch zur Onanie gekommen.

Strafe auf Bewährung

Beide Frauen bemerkten, dass sie „keineswegs lesbisch veranlagt“ sind und auch keine Beziehungen zu anderen Frauen hatten. Am nächsten Tag wurden beide Frauen in der Kriminalpolizeileitstelle noch einmal verhört und blieben grundsätzlich bei ihren Aussagen, die sie vor dem Beamten in Simmering getätigt hatten. Wenige Punkte ergänzten sie, und auch bei diesen zeigte sich eine unterschiedliche Auffassung ihrer Beziehung. In den letzten Jahren sei es „nur sehr selten zu einer widernatürlichen Betätigung“ gekommen, betonte Hermine Woytek. Sie hätte „vom Frühjahr 1939 bis Mai 1940 eine Männerbekanntschaft gehabt und [habe] mit ihm auch geschlechtlich verkehrt.“ Wilhelmine Burdak, die schon in der ersten Einvernahme ausgesagt hatte, dass ihr „Verhältnis immer mehr erkaltet“ sei, gab nun an, dass sie „noch nie mit einem Manne einen Geschlechtsverkehr durchgeführt“ hätte. Und noch einmal blitzen Emotionen durch die technokratische Sprache der Protokolle: „Ich habe mich, um das Verhältnis mit der Woytek zu lösen, zum Einsatz für die Krankenpflege auf einem Lazarettschiff gemeldet.“ Sie hatte im August 1941, etwa zehn Monate vor dem Verhör, ihren Beruf als Federnschmückerin aufgegeben und sich beim Roten Kreuz gemeldet, um Abstand zu ihrer Beziehung zu Hermine Woytek zu gewinnen.

Beide Frauen wurden aus der Haft entlassen und auf freiem Fuß angezeigt. Das Gericht verurteilte sie zu je vier Monaten strengem Arrest, der Strafvollzug wurde mit einer Bewährungsfrist von drei Jahren ausgesetzt. Am 2. August 1945 erteilte das Landesgericht Wien den endgültigen Strafnachlass.

Buchtipp:

Als homosexuell verfolgt. Wiener Biografien aus der NS-Zeit. 

Seit einigen Jahren gibt es verstärkt Bemühungen, das Schicksal von Männern und Frauen, die in Wien in der NS‐Zeit wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen verfolgt wurden, zu erforschen. Quellen sind fast ausschließlich Strafakten. Um Lebensgeschichten und biografische Zusammenhänge zu rekonstruieren, muss man diese oft gegen den Strich oder zwischen den Zeilen lesen, da die Sprache der Dokumente abwertend ist, die Verfolgten nicht dem „gesunden Volksempfinden“ entsprachen und aus der Gesellschaft ausgestoßen waren.

Bis dato konnten über 1 400 männliche und rund 80 weibliche Beschuldigte nachgewiesen werden. Die Geschichten von etwa 50 Verfolgten werden in diesem Band erzählt, meist sind es sogenannte „kleine“ Menschen, die in einem von Armut und Erwerbsdruck gezeichneten Alltag ihre Sexualität zu leben versuchten. Viele waren an Politik desinteressiert, manche aber auch Mitglieder in nationalsozialistischen Organisationen oder rassistischen Verbänden. Einzelne waren jüdischer Herkunft. 

Andreas Brunner: Als homosexuell verfolgt. Wiener Biografien aus der NS-Zeit.
Mandelbaum Verlag, 25.00 €/ 224 Seiten, Format: 20x26, Schweizer Broschur, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Grafik: Bureau Smejkal. 

Erhältlich im Buchhandel und über magazin@wienmuseum.at 

Das Buch wird am 8. Mai um 18.30 Uhr im Schauspielhaus Wien präsentiert. Informationen und Anmeldung hier.

Quellen:

Zu Friedrich Guzmann:

WStLA, Landesgericht für Strafsachen, A11: LG I Vr 733/38;
Illustrierte Kronen Zeitung, 15. April 1935;
Der Montag, 29. Juli 1935;
Neues Wiener Journal, 28. September 1935;
Karteikarte des Amts für die Erfassung von Kriegsopfern, in: Archiv des Internationalen Zentrums für NS-Opfer/Arolsen Archives, Berlin, Signatur 23120001, Dokument 130602919

Zu Hermine Woytek und Wilhelmine Burdak:

Quelle: WStLA, Landesgericht für Strafsachen, A11: LG I Vr 1142/42

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Keine Kommentare