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Gerhard Roth über Bienen
Wie ein Astronaut auf einem fremden Planeten
„Vor ungefähr 20 Jahren ist ein Imker mit seinem Lastwagen vors Haus [Roths Haus in der Südsteiermark] gefahren. Er hat begonnen, etwa 10 Meter vom Haus entfernt insgesamt 40 Bienen-Magazine aufzustellen. Das Haus hatte ich nur gemietet, also dachte ich, dass mein Hausbesitzer möglicherweise eine Erlaubnis dazu erteilt hat. Ich hatte keine Erfahrungen mit Bienen. Ich bin an den Imker mit großer Vorsicht herangetreten, denn als Stadtmensch verbindet man mit Bienen immer als erstes den Stachel. Ich habe den Imker gefragt, wieviel Bienen in einem Stock sind. Er meinte, es ist Schwarmzeit, da sind 40.000 bis 50.000 Bienen drinnen. Das sind also 2 Millionen Bienen in 40 Stöcken – mehr als Einwohner in Wien! Ich habe keine Glücksgefühle dabei empfunden.
Ich bin mit einem Traktor, der grad vorbeigefahren ist, zum nahegelegenen Gasthaus gefahren, weil ich selber kein Telefon hatte. Im Gasthaus habe ich meine Frau angerufen und sie gebeten, dass sie mir ein Buch über Bienen mitbringt, das der Imker empfohlen hatte: Karl von Frischs „Aus dem Leben der Bienen“. Meine Frau Senta hat mir dieses Buch am Abend mitgebracht, und ich habe es von 19 Uhr weg bis um 4 Uhr in der Früh ausgelesen. Ich konnte nicht aufhören, es hat mich derart fasziniert. Darin habe ich erfahren, dass ein Pfarrer namens Gerstung Ende des 19. Jahrhunderts das Wort „Der Bien“ dafür verwendet hat, dass ein Bienenschwarm ein Organismus ist. Der Bien ist ein Zwitter, er besteht aus fliegenden Zellen. Das war es, was am meisten auf mich gewirkt hat. Erst alle einzelnen Zellen zusammen können das, was wir Denken nennen. Bienen denken, sie sind nicht Instinktwesen.
Ich war so begeistert davon, dass ich den Imker gefragt habe, ob ich mitkommen darf, wenn er zu seinen Stöcken fährt. Dort hat er mir im Lauf der nächsten drei Wochen vieles erklärt. Das hat mein Leben und meinen Blick auf die Natur komplett verändert. Ich war ja mit der Naturwissenschaft groß geworden, die gesagt hat: Tiere sind Instinktwesen, man kann sie essen und ihre Milch trinken, sie sind nur Nahrungsmittel. Ich habe schließlich drei eigene Bienenstöcke aufgestellt, und der Imker hat mich betreut. Jedes Mal, wenn ich mir den Bienenhut aufgesetzt und den weißen Bienenmantel und die Lederhandschuhe angezogen habe, bin ich mir vorgekommen wie ein Astronaut auf einem fremden Planeten. In dem Moment, wo ich den Deckel und das Papier weggenommen habe und hineingeschaut habe auf die Rahmen und Rähmchen, war ich in einer eigenen Welt: Ich habe die Königin gesucht und geschaut, wieviel Honig da ist, bin gestanden vor dem Wunderwerk der Innenbauten aus sechseckigen Zellen.
Die Bienenwelt hat tausend Facetten. Ich habe zirka 200 Bienenbücher, und ich lerne noch immer bei jedem dazu. Es ist unwahrscheinlich, wie die Bienen ihre Beute finden, wie sie ausfliegen und zurückfinden, wie sie dort mit dem Schwänzeltanz die anderen informieren, wo die Wiese liegt. Leider gibt es auch Krankheiten, die böseste ist momentan die seit vielen Jahren bestehende Varroa-Milbe, die aus Russland eingeschleppt wurde. Deutsche Zoologen sind hingefahren, um eine Kreuzung der Carnica [Kärntner Biene: Apis mellifera carnica] mit der russischen oder asiatischen Biene zu machen, um sie noch fleißiger und friedlicher zu machen. Dabei sind sie entkommen und alle waren von der Varroa-Milbe befallen. Die Gier des Menschen und die Neugier haben zu dieser Katastrophe geführt. Und der Gedanke, dass man die Natur beherrschen kann wie eine Maschine. Dieser wissenschaftliche Fortschritt hat nur Unglück gebracht. Ich glaube, dass der Mensch ethisch dem nicht gewachsen ist, was er erfindet, zum Beispiel auch in der Atomkraft oder bei den Düngemitteln auf den Äckern.
Es gibt Höhlenmalereien in Spanien, die vor ungefähr sechs bis acht Millionen Jahren entstanden sind und Bienen zeigen: Da sieht man eine Frau auf einem Seil, die einen Bienenschwarm mit Wachs in der Hand hält. Die Ägypter haben in Tongefäßen Bienenzucht betrieben, ungefähr 3000 bis 4000 Jahre v. Chr. Auch in Italien und Griechenland gab es Bienenzucht recht früh. Dann haben die Menschen angefangen zu wandern. Die reichsten Bienengebiete wurden von den Menschen verlegt. Somit hat die Bienenwanderung begonnen, die wurde später zum Verhängnis.
Wir stehen vor einer neuen Situation, nämlich dass die Bienen derartig ausgebeutet werden, dass man z.B. nicht mehr die Bienen ausfliegen lässt, zum Hochzeitsflug der Bienenkönigin. Sondern dass man die Bienenkönigin mit Drohnensamen künstlich befruchtet, weshalb die Bienen nicht mehr so stark werden wie früher. Früher sind die Drohnen von den verschiedensten Stöcken beim Hochzeitsflug zusammengekommen, bis in eine Höhe von ungefähr 1000 Metern. Nur die stärksten Drohnen sind hinaufgekommen. Diese Mischung geht jetzt verloren. Es gibt daher eine Diskussion darüber, dass diese Ausbeutung der Bienen nicht mehr fortgesetzt werden sollte.
Wenn man bedenkt, dass der Mensch jeden Wein hundertmal abkostet, wonach etwas schmeckt. Aber dass es keine Spezialisten gibt, die Rapshonig von Kastanienhonig oder Blütenhonig von anderen Sorten unterscheiden! Das wäre ein weites Feld und würde dem Honig sehr nützlich sein. Die Bienenhuldigungen kommen vom Menschen. Für den Menschen ist Honig eine Kostbarkeit gewesen, als es fast überhaupt keinen Süßstoff gegeben hat. In Europa haben die Adeligen die Rechte auf die Bienen in den Wäldern und auf den Wiesen in Anspruch genommen und Steuern dafür verlangt. Mit der Entdeckung von Amerika ist dann das Zuckerrohr und die Zuckerrübe gekommen und danach gab es bis ins 18. Jahrhundert im Wesentlichen nur noch das private Imkerwesen.
Der fliegende Organismus, der Bien, ist natürlich großartig. Und es ist auch großartig, was wir von Karl von Frisch erfahren haben über die Sprache der Bienen. Doch die Leute merken sich ja nur die Klischees, z.B. dass die Drohnen am Ende des Sommers aus dem Stock geworfen werden. Alle diese Prozesse im Leben der Bienen bringen Erstaunliches hervor: Früher hat man die Bienen mit dem Idealstaat verglichen, heute weiß man, dass das ein faschistischer Staat wäre.
Die Religion hat auch eine große Rolle gespielt: Für die katholische Kirche war die Bienenkönigin lange Zeit das lebende Beispiel für die Heilige Maria, denn man hat gedacht, dass die Biene die Eier aus sich selbst heraus legt, wie eine unschuldige Empfängnis. Es gibt berühmte Gemälde, auf denen sieht man Maria im Vordergrund, im Hintergrund Bienenstöcke. Imker haben dann bewiesen, dass sich die Königin mit den Drohnen vereinigt, und zwar in einer Orgie.
1984 habe ich das Buch ´Landläufiger Tod` geschrieben. In diesem Buch ist die Hauptfigur ein Imker. Und da war ich so ganz in der Imker-Geschichte drinnen, das ist schon vierzig Jahre her. Das Buch hat fast 1000 Seiten mit vielen Beschreibungen davon, was Bienen tun. Als ich dann etwa fünf Jahre später meine eigenen Stöcke hatte, habe ich sie genau beobachtet und dann noch – gemeinsam mit dem Fotografen Franz Killmeyer – ein kleines Buch gemacht, das heißt ´Über Bienen`. Darin habe ich sowohl Bienenzüchter als auch die Vorgänge in den Magazinen beschrieben. Das Buch wurde sogar ins Japanische übersetzt! Danach habe ich mich anderen Dingen zugewandt. Erst beim Buch ´Grundriss eines Rätsels` [2014 erschienen] habe ich wieder mit den Bienen begonnen. Die Hauptfigur ist ein Schriftsteller, ich habe meine Situation hier [in der Südsteiermark] beschrieben. Und zwar in der Zeit, in der ich damals hier gelebt habe, also im Frühling, Sommer, Herbst. Das restliche Jahr bin ich nach Wien gegangen.
Nach dem ´Grundriss eines Rätsels` ist die Biene als Tier in mir wieder aufgetaucht. Ich habe wieder mit der alten Leidenschaft begonnen, neue Bücher gekauft, wollte weiter alles wissen. In der Zeit, als ich Venedig beschrieben habe, in dem Buch ´Die Irrfahrt des Michael Aldrian` [2017 erschienen], habe ich die Bienen wieder hineingenommen. Und jetzt kommt ein neues Buch, das heißt ´Die Imker` [im Mai 2022 posthum erschienen] und hat damit zu tun, dass die Welt plötzlich untergeht. Ich habe lange gebraucht, bis ich gefunden habe, wie ich das beschreiben kann. Ich habe zuerst geschwankt von einem Atomkraftwerk, das einen Schaden hat, über Atomkrieg bis hin zu Seuchen, bin also schon vor der Corona-Seuche mit der Spanischen Grippe vertraut gewesen. Das hat mich aber nicht im Letzten befriedigt. Warum sollte dann die ganze Welt zugrunde gehen? Daher habe ich die Ursache offengelassen: Es senkt sich ein gelber Nebel herunter, und mit diesem Nebel sind die Menschen verschwunden. Es gibt auch keine Leichen. Die einzigen, die überlebt haben, sind die Gugginger Künstler aus der Anstalt in Niederösterreich. Die leben im ´Haus der Künstler`. Und da ist auch Franz Lindner, die Hauptfigur aus dem Landläufigen Tod. Er ist schon ein alter Mann und er überlebt die Katastrophe mit den Bienen. An diesem Punkt setzt die Geschichte ein.“
Hinweis: Das gesamte Gespräch, das Othmar Behr für eine Sendung der Radiofabrik Salzburg geführt hat, ist hier nachzuhören.
Mehr zu Gerhard Roth im Magazin:
Zu Gerhard Roth (wienmuseum.at)
Gerhard Roths Bibliothek (wienmuseum.at)
Zum Tod von Gerhard Roth (wienmuseum.at)
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