
Ismail Yasin und Maryam Tahon beim Donnerbrunnen in der Halle des Wien Museums, Foto: Victoria Nazarova
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Wien Museum auf Arabisch
Die vielen Stufen der Freundschaft
„An dem Tag, an dem ich in Wien erstmals ankam, bin ich ins Wien Museum gekommen – damals war es noch das alte, nicht-renovierte Museum. Mein Deutschlehrer hat uns hierhergebracht. Er zeigte uns Objekte und fasste die Geschichte Wiens so zusammen.“ – Für Ismail Yasin war seine Mitarbeit im digitalen Guide nicht die erste Begegnung mit dem Wien Museum. Er kommt seit vielen Jahren immer wieder in die Ausstellung. Als Kaligraph und Forscher brennt er für Geschichte. Es hat also nicht viel Überzeugungsarbeit gebraucht, um ihn als einen der drei Sprecher:innen für die arabische Übersetzung der Audio-Stories zu gewinnen.

Den Prozess der Übersetzung hat Zeinab Abdelhamed begleitet. Sie lebt in Kairo, war zum Studium in Wien und arbeitete für ein Jahr als Fellow am Wien Museum: „Der erste Schritt bestand darin, in den Originaltext einzutauchen, seine expliziten und impliziten Ebenen zu verstehen. Das bedeutete, Wortwahl, Tonfall und Subtext zu analysieren, um am Ende keine oberflächlichen Übersetzungen zu produzieren. Damit die Geschichten nachvollziehbar bleiben, fügte ich bei Bedarf Kleinigkeiten ein oder formulierte auf subtile Weise um. So kann beispielsweise eine Wiener Redewendung zu einem bekannten arabischen Sprichwort werden. Die ursprüngliche Botschaft bleibt erhalten, ohne dabei befremdlich auf die Hörer:innen zu wirken. Das Projekt hat mir deutlich gezeigt, dass Übersetzen ein Akt der Vermittlung ist – nicht nur zwischen Worten, sondern zwischen Welten. Es erfordert Offenheit dafür, dass sich einige Bedeutungen unweigerlich verschieben werden, aber auch Kreativität, um sicherzustellen, dass das Herz der Geschichte intakt bleibt.“
Durch ihre Arbeit als Vermittlerin, war Zeinab Abdelhamed immer auch im direkten Austausch mit Besucher:innen – aus Wien wie aus dem arabischen Raum, mit arabischer oder deutscher Muttersprache. „Ich habe zu schätzen gelernt, wie sich Kairo und Wien trotz ihrer geografischen Entfernung auf faszinierende und oft unerwartete Weise ähneln. Beide Städte haben eine komplexe Geschichte, deren Ebenen sich immer wieder überschneiden. Ganz prominent ist da natürlich die Zeit der osmanischen Belagerung. Aber ich war zum Beispiel überrascht, in der Geschichte Wiens auch Hinweise auf Ägypten zu finden, die bis in die Römerzeit zurückreichen. Auch die Besucher:innen wiesen mich oft auf Parallelen hin, die mir zuvor nicht aufgefallen waren: Am besten hat mir der Vergleich der Wiener Kaffeehauskultur mit der Atmosphäre im a'hwa (ägyptisches Kaffeehaus) in Kairo gefallen! Es sind diese kleinen Momente der Identifikation, die Geschichte lebendig und nahbar machen. Ich wurde immer wieder an Gemeinsamkeiten erinnert.“

Ah'wa in Kairo, Fotos: Youssef Anwar




Aber es sind nicht nur Gemeinsamkeiten, die sich durch die arabische Übersetzung der Museumsinhalte zeigen. Die Faszination liegt gerade auch im Unterschied. Im Arabischen gibt es nicht selten eine Vielzahl an Begriffen für Konzepte, die die deutsche Sprache mit einem Wort oder wenigen Synonymen benennt. Ein typisches Beispiel ist die Freundschaft: Da gibt es al-Tirb, was am ehesten ein Kumpan im selben Alter wäre, al-Ṣāḥib, eine Person, die man schon recht regelmäßig sieht, al-Ṣadīq, jemand, dem man mehr Vertrauen schenkt, oder al-Qarīn als eine unzertrennliche Verbindung – und viele Ebenen dazwischen. Die Geschichte einer Glückwunschkarte für Freunde vom Deutschen ins Arabische zu übersetzen, kann da schon mal zu einer Angelegenheit werden, die sich komplexer als angenommen gestaltet.

Adam Shadid – er hat die Stimme der Kuratoren eingesprochen – bestätigt, dass 1:1-Übersetzungen vom Deutschen ins Arabische nicht einfach sind. Er relativiert aber auch. „Es gibt mehr Details im Arabischen. Wie bei Freundschaft gibt es genauso beim Wort Liebe viele Abstufungen. Man kann die ganze Bandbreite an Begriffen zum Beispiel in alten arabischen Filmen hören, aber im Alltag benutzen wir sie nicht. Regelmäßig verwenden wir vielleicht drei davon.“ Adam Shadid ist Palästinenser, in Syrien geboren, und lebt seit zehn Jahren in Wien. Er hat die deutsche und englische Version der Hörgeschichten schon als Tontechniker betreut. Nachdem Aufnehmen und Mixen dieser zwei Sprachen, wechselte er für die arabische Version nun die Seiten im Tonstudio und wurde selbst zum Sprecher. „Ich habe die Texte auf Arabisch zum Einstudieren bekommen. Natürlich habe ich zuvor auf Deutsch und English auch alles verstanden. Aber wenn es dann in Arabisch, in die eigene Muttersprache, übersetzt ist, bringt das eine neue Perspektive: Ich konnte Wien noch einmal anders sehen.“

„Viele Kinder aus arabisch-sprachigen Familien kommen mit der Schule hier her. Wenn die Kinder nach Hause kommen, sagen sie: Hey, wir waren im Museum, wollen wir das nicht auch mal gemeinsam besuchen?! Ich glaube, die arabische Übersetzung des digitalen Guides ist ein Faktor, der mehr Eltern dazu bringt, wirklich in die Ausstellung zu gehen.“ Maryam Tahon studiert Operngesang in Wien und hat die Stimme der Kuratorinnen auf Arabisch übernommen. Auf der Bühne singt sie vor allem Italienisch, Französisch, Deutsch, oder Englisch. Sie erklärt, dass sie für das Arabische ganz andere Worte im Mund bilden muss. Die Sprachmelodie unterscheidet sich grundlegend von romanischen oder indogermanischen Sprachfamilien. „Im Arabischen haben wir feine Abstufungen unterschiedlicher K-Laute, H-Laute oder Kehllaute. Ägyptisches Arabisch ist meine Muttersprache, aber um Hocharabisch so exakt einzusprechen und ein Level zu erreichen, das etwa Ismail spricht, musste ich schon üben.“

Alle drei Sprecher:innen verwenden im Alltag ihren regionalen Dialekt des Arabischen, Hocharabisch – auch Fus’ha oder Modernes Standardarabisch genannt – wird nur in offiziellen Kontexten verwendet. „Maryam spricht ägyptisches und ich syrisches Arabisch, aber wir verstehen uns trotzdem. Ich habe seit meiner Kindheit ägyptische Lieder gehört und es gibt viele ägyptische Filme, die im gesamten arabischen Raum berühmt sind. Aus Syrien wiederum kommen viele TV-Serien, die überall geschaut werden.“, erklärt Adam Shadid. Auch Ismail Yasin spricht syrisches Arabisch, „den Damaskus Dialekt, aber für den Guide habe ich natürlich Fus’ha gesprochen. Diese Standardversion verstehen Menschen von Mauretanien, über Algerien, Libyen, Tunesien, bis hin zum Irak oder den Emiraten.“ Maryam Tahon wollte den Texten aber trotzdem ihre persönliche sprachliche Note verleihen: „Ich habe ja die Rolle der Kuratorinnen gesprochen. Da war es mir ein Anliegen, Leben in den Text zu bringen. Ich wollte die Texte nicht platt runterlesen, sondern sie sollten echt klingen. Deshalb habe ich dem Hocharabisch etwas Farbe mit meinem ägyptischen Dialekt gegeben. Das waren Kleinigkeiten in der Aussprache, zum Beispiel spreche ich den Buchstaben Ǧīm als Gīm aus.“

Evi Scheller betreut den Digitalen Guide seit seiner Entstehung im Wien Museum. Mehrsprachigkeit ist eines ihrer erklärten Ziele. Der Guide soll möglichst viele Menschen in ihrer Muttersprache abholen und lokale Geschichte in spannenden Hörgeschichten erzählen. Künstliche Intelligenz wird da zunehmend verlockend, weil sie mittlerweile viele Möglichkeiten bietet, Texte schnell zu übersetzen und von computergenerierten Stimmen einsprechen zu lassen. Die Variante, mit realen Menschen in deren Muttersprache zu arbeiten, hat allerdings den Vorteil, mehr Emotion und Austausch bei allen Beteiligten – und hoffentlich auch bei den Hörer:innen – auszulösen. Welche Sprache als nächste an der Reihe ist, bleibt aktuell noch offen. Adam Shadid ist jedenfalls bereit, wieder ans Mischpult zu wechseln, um koreanische, spanische, rumänische oder weitere Audios zu produzieren.
Hinweis
Zu den arabischen Hörgeschichten, die im Artikel vorkommen, geht es hier: Turmuhr Rauchfangkehrerkirche, Glückwunschkarte, Dame in Gelb, und Donnerbrunnen.
Und alle 101 gibt es hier.
Der digitale Guide zur Dauerausstellung „Wien. Meine Geschichte“ ist aktuell in Deutsch, Einfacher Sprache, Österreichsicher Gebärdensprache, Englisch, Türkisch, BKS, Französisch und Arabisch verfügbar.
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