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Section N im Wien Museum
„Warenhandlung für Umweltgestaltung“
Was längst zur urbanen Selbstverständlichkeit zählt, nämlich durch einen vielseitigen, wohlsortierten Designladen mit internationalen Produkten zu schlendern, war Anfang der 1970er etwas Neues. Das Wort „Design“ sickerte erst langsam in den österreichischen Wortschatz, löste den spröden Begriff der „Formgebung“ ab. Die österreichische Kaufkraft hatte in den 1960er bereits kräftig angezogen, es fehlten jedoch Einrichtungshäuser mit einem Fenster zur internationalen Warenwelt. Gegen diese altertümelnde Haltung in der Gesellschaft machte sich die österreichische Avantgarde stark. Es gab genug zu tun, zur Erinnerung: Erst 1976 wurde die nach dem Krieg gestartete Möbelaktion „Soziale Wohnkultur“ der Gemeinde Wien eingestellt. Die Zeit war reif für moderne Umweltgestaltung auf internationalem Niveau.
Wiens erster Concept Store
Die „Section N“ wurde von Peter und Katarina Noever gegründet und war eine „Warenhandlung für Umweltgestaltung“. Hans Hollein, der sich in den 1960ern „zum ersten österreichischen Design- und Architektur-Popstar inszenierte“ (M. Welzig) und damals vor allem im Ausland großes Ansehen genoss, machte die Geschäftsgestaltung und Logo. In der Schulerstraße 16, in einem Alt-Wiener Gebäude im Herzen Wiens, modernisierte Hollein ein zweigeschossiges Lokal, das zuvor eine Bäckerei gewesen war. Durch diese neue Erschließung gelang die Umwandlung in ein Aufsehen erregendes Lokal mit kleiner Passage zum Window-Shopping. Das Ineinanderwürfeln verschieden großer Räume bewirkte im Inneren interessante Durch –und Einblicke. Das Einrichtungsstudio hatte seine Ziele: die Avantgarde präsentieren und den Wert von Design erfahrbar machen.
1971 sicherte man sich die Generalvertretung einiger englischen und vor allem italienischer Firmen und brachte so „einen Hauch der großen weiten Welt des guten Geschmacks in die Wiener Innenstadt“, wie die damalige Presse berichtete. Das Sortiment war nicht auf eine bestimmte Produktgruppe, sondern auf Grundlage einer bestimmten Haltung und einer besonderen architektonischen Qualität ausgesucht; es war auf einen gewissen Menschenkreis ausgerichtet. In einem überraschenden Nebeneinander vermischtes sich Unbekanntes mit Einheimischen zu einem anregenden modernen Lifestyle: Möbel, Leuchten, Bilder, Architekturliteratur aber auch Bekleidung, Alltagsgegenstände und Geschenkartikel. Das Angbot reichte von Klassikern wie Marcel Breuers „Wassily“ bis zum irischen Tweedhut aus Connemara, von LeCorbusiers und Charlotte Perriands Möbel bis zu Loos-Gläsern von Lobmeyr. Katarina Noever spürte hohe Qualität auf und wählte stilsicher aus. „Es gibt in Wien viele gute Produkte. Um sie jedoch zu finden, muß man viel herumlaufen. Das wollen wir den Leuten ersparen, indem wir solche Dinge bei uns konzentrieren.“
Jährlich wurden Ausstellungen zu anregenden Themen veranstaltet. Die international rezipierte Schau „Originale und Plagiate“ 1974 wies auf die Schwächen missverstandener Nachahmung genialer Gestaltungen hin. 1984 war Achille Castiglioni wieder zu Gast in Wien und präsentierte in „Primavisione – Anonymes Design“ seine inspirierende Sammlung zeitloser Gegenstände. Durch Veranstaltungen, Vorträge und Produktpräsentation wurde die Section N zu einem neuen Treffpunkt in Wien. Hier fand ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum zusammen, war eine Anlaufstelle für innovative Talente, ein Diskussionsort für Gestaltungsfragen.
Große Aufträge
1977 war die Ausstellung „Neue Büromöbel“ zu sehen, 1979 folgte eine Personale über Architekt und Industriedesigner Mario Bellini. Seine Büromöbel-Line „Il Planeta Ufficio“ für Marcatré Italien war ein System integrierter Arbeitsplätze (Schreibtische mit eingebauten Apparaten, Arbeitsleuchten etc.) und akustischen und optischen Abschirmungen. Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten machten das Möbelsystem nutzbar für Großraumbüros wie auch den privaten Arbeitsbereich der Wohnung. Mit diesem Möbelprogramm führte Noever eine Reihe von Einrichtungsplanungen und -gestaltungen aus: für die OPEC, die Kronen-Zeitung, Nixdorf oder den Residenz Verlag in Salzburg und belieferte etliche Filialen der Zentralsparkasse in Wien mit Möbel für die Kassenhallen.
Redesign
Katarina Noever spürte in Vergessenheit geratenes auf und nahm sich der Wiederbelebung zeitloser Dinge an. Im Haus ihrer Großeltern z. B. fand sie einen weiß lackierten Leiter-Sessel vor, den sie neu gestaltet in Serie auflegte und den Namen „Ottakringer“ gab. Sie ließ eigene Entwürfe bei Wiener Firmen und Handwerksbetriebe herstellen - wie Papier- und Schreibwaren, Lederarbeiten oder Alpacatücher von der Strickwarenerzeugung Lemmermayer. Von Messebesuchen in Paris, Frankfurt oder Mailand brachte sie Geschenkartikel und Gebrauchsgegenstände mit, die den jährlichen Weihnachtsbazar ebenso beliebt wie interessant machten.
Modernes Marketing
Die Geschäftsidee war von innovativem Marketing und einer perfekten PR begleitet. Die hochpreisigen Designer-Möbel konnten gegen eine monatliche Rate geleast werden. Studierenden und für temporäre Atelier- und Büroeinrichtungen sollte damit gedient, ebenso dem raschen Wandel der Einrichtungsvorstellungen entgegengekommen werden. Die Veranstaltungen wurden von Anbeginn professionell fotografisch begleitet. Franz Hubmann und Michael Horowitz dokumentierten im Dezember 1971 die Eröffnung. Mode-, Werbe- und PorträtfotografInnen nahmen das Geschäft und seine Kundinnen vor die Linse u. a. Peter Strobl, Barbara Pflaum, Gabriele Brandenstein oder Elfie Semotan. Für die Auslagengestaltung zeichnete häufig der Künstler Ed Schulz verantwortlich, der zum zehnjährigen Jubiläum 1981 die Geschäftsfassade verkleidete.
Im Jahr 1981 wurde die Postkartenserie „Neue Architektur aus Wien“ mit Gebäuden von u.a. von Hermann Czech, Günther Domenig, Johann Georg Gsteu, Hans Hollein, Wilhelm Holzmeister und Fritz Wotruba aufgelegt. Die Edition war ein Verweis auf die hervorragende zeitgenössische Architektur, die in der Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung fand – ein Beitrag zur Belebung der Architekturszene. Die „Neue Architektur aus Wien“ wurde über Trafiken, Buchhandlungen und Galerien vertrieben; ein durchdachtes Remake, denn schon zur Jahrhundertwende hat die moderne Architektur mit dem Medium der Postkarte für sich geworben!
Mitstreiter auf der Wiener Bühne
Dass die Mission der Section N wichtig und notwendig war, zeigte sich sehr schnell. Bald folgten ihr zwei weitere Designläden nach, die aus der frühen Wiener Design-Szene nicht wegzudenken sind. Peter Teichgräber gründete 1973 sein Einrichtungshaus Prodomo, das ab 1985 unter der künstlerischen Leitung von Loys Egg eine bedeutende Ausstellungsreihe startete, die zeitgenössische Positionen und Verschränkungen von Architektur, Kunst und Design ins Blickfeld nahm. Wenig später, Ende 1974 eröffnete Hartmann Henn sein Einrichtungsgeschäft in der Naglergasse, das in der Zwischenzeit von Prodomo geführt wird.
Zufall oder nicht, ausgerechnet zum 50. Jubiläum übernahm das Wien Museum das gesamte Archiv der „Section N“ (1971- 1987) mit rund 8000 Fotografien von Ausstellungen, Präsentationen, Warensortiment und Porträts. Es umfasst weiters Plakate, Bücher, Produktkataloge und nicht zuletzt Gegenstände wie Lampen, Wiener Lederwaren, Geschenkartikel und Spielzeug, die das einstige Sortiment der „Section N“ abstecken. Der Ankauf spiegelt eine Atmosphäre der 1970er und 1980er Jahre, in der Tradition und (internationale) Avantgarde aufeinandertrafen und gliedert sich in seiner Vielfalt in das reiche Sammlungsspektrum des Wien Museums.
Literatur:
Tulga Beyerle, Karin Hirschberger: Designlandschaft Österreich 1900-2005, Basel/Boston/Berlin 2006
Katarina Noever: Section N. Design-Archiv 1971-1987. Ausstellungen, Programm, Personen, Echo, Köln 2005
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Kommentare
Hatte Gelegenheit , den Anfang von "Section N" hautnah mit zu erleben. Haben damals als Studenten im selben Haus, Grünangergasse 1, gewohnt. War eine spannende Zeit!