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Alexander Juraske, 10.6.2021

100 Jahre Stadion Hohe Warte

Hohe Erwartungen

Am 19. Juni 2021 feiert die „Naturarena Hohe Warte“ ihren 100. Geburtstag. Die Spielstätte des First Vienna Football Club 1894 war einst das größte Fußballstadion Kontinentaleuropas – und erste Heimstätte des legendären Wunderteams.

Auf dem Hügel Hohe Warte, in der Beschaulichkeit der Peripherie, entstand vor 100 Jahren ein Sportplatz von außergewöhnlichen Dimensionen. Am 19. Juni 1921 feierte er seine Einweihung:

„Aus den Lehmgruben auf dem Boden der Kreindlschen Gründe in Döbling ist ein Sportplatz entstanden, den man, was den Aufbau, den Fassungsinhalt und die Einrichtung betrifft, zu den größten und imposantesten des Kontinents zählen darf…“

berichtete das Wiener Sporttagblatt tags darauf auf seiner Titelseite über die neue Sportanlage im 19. Wiener Gemeindebezirk.

1919 hatte die Vienna ihre frühere Spielstätte aufgeben müssen. Nach Plänen von Eduard Schönecker, der bereits die „Pfarrwiese“ für Rapid gebaut hatte, schuf sich Österreichs ältester Fußballverein nun in unmittelbarer Nähe zum alten Platz eine neue Wettkampfstätte. Auf den „Kreindl Gründen“, einem ehemaligen Ziegelwerk, entstand ein Sportplatz, der alle bisherigen Fußballplätze in Wien in den Schatten stellen sollte: Seine Fläche von 90.000 m², davon 18.000 m² Baufläche, umfasste die imposante, weitausgedehnte Böschung der ehemaligen Ziegelgrube, auf deren Rampe der Großteil der Zuschauer Platz bzw. seinen Stehplatz mit bester Sicht auf das sportliche Geschehen fand. Bei der Einweihung des Stadions betrug das Fassungsvermögen 50.000 Personen, wurde aber in der Folge auf 85.000 erhöht. Damit war das Stadion Hohe Warte zum Zeitpunkt seiner Eröffnung das größte Fußballstadion außerhalb der britischen Inseln.

Die Nationalmannschaft auf der Hohen Warte

Neben der Vienna fand auch das österreichische Nationalteam auf der Hohen Warte seinen ersten festen Spielort, spielte man zuvor doch auf unterschiedlichen Plätzen in Wien. 1923, beim ersten Antreten der italienischen Nationalmannschaft nach dem 1. Weltkrieg, strömten 85.000 Zuschauer nach Döbling und bescherten der Naturarena ihren Rekordbesuch. Dieser österreichische Zuschauerrekord sollte 37 Jahre Bestand haben und erst 1960 beim Länderspiel Österreich-Spanien im Wiener Praterstadion übertroffen werden. Dabei waren damals wahrscheinlich noch mehr Besucher anwesend: Obwohl das Spiel schon lange vor dem Anpfiff restlos ausverkauft war, strömten die Massen am Spieltag weiter zur Anlage und versuchten in unmittelbarer Nähe noch einen Platz zu finden. Nach Schlusspfiff kam es fast zur Katastrophe. Durch Regenfälle war die Böschung aufgeweicht und beim Abgang der vielen Besucher rutschte der Hang. Wie durch ein Wunder kam es nur zu glimpflichen Verletzungen kam.

Geburtsort „Wunderteam“

Das Stadion Hohe Warte ist untrennbar mit einer Sternstunde der rot-weiß-roten Fußballhistorie verbunden. Am 16. Mai 1931 beim 5:0 über Schottland erblickte hier das „Wunderteam“ unter Verbandskapitän Hugo Meisl das Licht der Welt. Elf Monate später deklassierte Österreich den Erzrivalen Ungarn in Döbling mit 8:2.

Neben dem Nationalteam und der Hausherrin Vienna nutzten auch andere Wiener Vereine das Stadion Hohe Warte, um ihre wichtigsten Spiele vor großer Kulisse auszutragen. Neben den fußballerischen Großereignissen fanden aber auch Opernveranstaltungen und Boxkämpfe in Döbling statt. 1928 jubeln die begeisterten Zuschauer dem finnische Ausnahmeläufer Paavo Nurmi zu, der bei einem Nachtrennen in Döbling seine Bahnen zog.

Kampfplatz Hohe Warte

Mit der Eröffnung des Wiener Praterstadions – heute Ernst-Happel-Stadion – 1931 verlor das Stadion Hohe Warte allmählich an Bedeutung. Die Zahl der Veranstaltungen ging zurück und der Sportplatz verfiel zusehends. Auch die Vienna trug immer weniger Heimspiele auf ihrer eigenen Anlage aus. 1936 gastierte die österreichische Nationalmannschaft zum 35. und letzten Mal in Döbling. Zuvor war die Hohe Warte Schauplatz von Kampfhandlungen geworden. Im Februar-Aufstand 1934 wurde der nahe gelegene Karl-Marx-Hof von Stellungen auf der Hohen Warte, unter anderem vom Stadiongelände, aus beschossen.

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 verkam die Spielstätte immer mehr. 1939 beschädigte eine „Kraftgeländefahrt“ mit schweren Motorrädern der N.S.K.K. Motorstandarte 93 den Sportplatz massiv. Drei Jahre wurde das Stadion schließlich behördlich gesperrt. In der Endphase des Krieges verunmöglichte die Errichtung einer Flakanlage auf der Anlage eine sportliche Betätigung.

Bei den Kämpfen um Wien im April 1945 eroberte die Rote Armee den Hügel Hohe Warte samt Sportplatz. Dabei wurde das Areal durch die Kampfhandlungen devastiert. Zu diesem Zeitpunkt war die 1921 errichtete Holztribüne schon abgetragen und von den Anrainern als Brennholz verwendet worden. Mit Beginn der Besatzungszeit konfiszierten die „United States Forces in Austria“ die Spielstätte. Auf dem Hauptfeld dem „Viking Field“ spielten nun US-amerikanische Militärmannschaften American Football und Baseball. Der Vienna blieb nur die Rolle der Untermieterin. 1953, nach umfangreichen Instandsetzungsarbeiten kehrte der First Vienna Football Club auf das Hauptfeld zurück. Die sanierte Anlage mit neuer Holztribüne hatte nun ein Fassungsvermögen von 32.000 Besuchern, das 1963 behördlich auf 24.000 verringert wurde.

Wiener Premiere und Multifunktionalität

Um wieder internationale Spiele ins Stadion Hohe Warte zu holen, installierte die Vienna 1956 die erste Flutlichtanlage in Wien. Dabei lieferte sich die Hohe Warte einen Wettlauf mit dem Praterstadion und hatte schlussendlich die Nase vorne. Am 3. November 1956, elf Tage vor der Konkurrenz, feierte die Döblinger Spielstätte ihre Flutlichtpremiere. Die lukrativen internationalen Begegnungen wie die Spiele des neuen UEFA-Europacups fanden aber weiter im Prater statt. Die hohe Investition amortisierten sich nicht. Die Vienna saßen nun auf einem Schuldenberg. In der Folge geriet die sechsmalige österreichische Meisterin sportlich ins Hintertreffen und musste 1968 aus der obersten Spielklasse absteigen.

1974 ersetzte eine massive Betontribüne die Nachkriegs-Holztribüne. Allerdings war bei der Planung auf den Einbau einer Kantine vergessen worden, die dann nachträglich gegenüber der Toilettenanlage eingebaut werden musste. Neben Fußball fanden auch andere Veranstaltungen wie Speedway oder Boxen-Meetings, wenn auch in kleinerem Rahmen als in der Zwischenkriegszeit, statt. In den 1990er Jahren tummelten sich Musikbegeisterte bei Konzerten von James Brown, Rod Stewart und INXS auf der Anlage. Seit 1992 spielen die Vienna Vikings in Döbling American Football. Auf ihrer „heiligen Warte“ als ihrer neuen Heimstätte feierten sie speziell Mitte der 2000er Jahre große sportliche Erfolge.

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Verlängertes Wohnzimmer

Nichtsdestotrotz nagte und nagt der Zahn der Zeit an der Anlage. Die Fußballspiele der Vienna lockten immer weniger Besucher an. Im Schatten des Wetterradarturms der benachbarten Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik wurde die grasbewachsene Böschung zunehmend zum Paradies für Insektenforscher und zur Hölle für Pollenallergiker. 2005 führte der desolate Zustand der Anlage zu einer Generalsanierung. Das Fassungsvermögen beträgt seitdem rund 4.500 Besucher. Seit 2017 trägt die Anlage den Namen „Naturarena Hohe Warte“.

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Nach überstandener Insolvenz und einem zwischenzeitlichen Fall in Liga 5 ist der First Vienna FC 1894 aktuell zurück auf dem Weg der Konsolidierung und strebt die Rückkehr in die Regionalliga Ost an. Zum 125. Geburtstag im Jahr 2019 erinnerte das Gastspiel des 1. FC Union Berlin an die Tradition vergangener Zeiten. Die Vienna-Fans, bekannt für ihren humorvollen und mitunter subversiven Fansupport, lieben ihre Naturarena mit ruralem Flair am Rande der Stadt. Sie können es nicht erwarten ihre „HoWa“ zu besuchen und ihrem verlängerten Wohnzimmer in diesen Tagen zum 100.Geburtstag zu gratulieren.

Literatur:

Alexander Juraske: „Mekka des Wiener Sports“. Die Geschichte des Stadions Hohe Warte, in: ders., „Blau-Gelb ist mein Herz“. Die Geschichte des First Vienna Football Club, Wien ²2019, S. 201-220.

Andreas Tröscher: Hohe Warte in Hanglange. Antike Arena einer längst versunkenen Fußballwelt, in: Peter Eppel u.a. (Hgg.), Wo die Wuchtel fliegt. Legendäre Orte des Wiener Fußballs, Ausstellungskatalog Wien-Museum, Wien 2008, S. 18-25.

Alexander Juraske, freier Historiker, Studium der Geschichte und Alter Geschichte in Wien und Athen. Forschungsschwerpunkte: Sport- und Fußballgeschichte sowie Wiener Stadtgeschichte. Zuletzt (zusammen mit Agnes Meisinger und Peter Menasse) Hans Menasse – The Austrian Boy. Ein jüdisch-österreichisches Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien 2019. Aktuelles wissenschaftliches Projekt „Der First Vienna Football Club in der Zeit des Nationalsozialismus“ (Arbeitstitel).

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