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Bettina Fernsebner-Kokert, 4.11.2019

120 Jahre Gasometer Simmering

Selbstversorgung aus Simmering

Vor 120 Jahren ging das Gaswerk Simmering in Betrieb. Die vier Gasometer, in denen das aus Kohle gewonnene Stadtgas gespeichert wurde, sind bis heute ein weithin sichtbares Baudenkmal für den Beginn der kommunalen Infrastruktur in Wien. 

„Der Bua wird immer fetter, er is‘ schon blad wia a Gasometer“, sang Ludwig Hirsch einst in einem seiner „Dunkelgrauen Lieder“, und zumindest in Wien kann sich angesichts dieser Metapher wohl jeder die Leibesfülle des geplagten Kindes vorstellen. Steigt doch gleich das markante Bild der vier ehemaligen Gasbehälter in Simmering vor dem inneren Auge auf, die fast gleich breit wie hoch sind. In den zylindrischen Ziegelbauten wird schon lange kein Gas mehr gelagert, der Betrieb wurde bereits vor 50 Jahren eingestellt. Seit dem Jahr 2001 sind in den architektonisch beeindruckenden Industriegebäuden aus dem 19. Jahrhundert Wohnungen, ein Einkaufszentrum und eine Konzerthalle untergebracht. 

Doch die Gasometer sind nicht nur eine Landmark im 11. Bezirk, sie stehen auch für den Beginn der Kommunalisierung der Infrastruktur in Wien, denn davor war die Versorgung mit Gas ausschließlich in privater Hand. Die Gaserzeugung hatte sich im 19. Jahrhundert als ein viel versprechendes Geschäftsmodell herausgestellt, das im Zuge der Industrialisierung die Beleuchtung der Fabriken und damit einen Schichtbetrieb ermöglichte.

Bereits 1828 hatte der Apotheker Georg Pfendler in der Rossau das erste Wiener „Gaserzeugungs-Etablissement“ gegründet. Die britische Imperial Continental Gas Association (I.C.G.A.) übernahm 1842 schließlich die „Österreichischen Gesellschaft zur Beleuchtung mit Gas“ und schloss mit der Stadt einen Versorgungsvertrag ab, der noch zwei Mal verlängert werden sollte und auch die Errichtung von Gaswerken (u. a. in Erdberg, Belvedere, Oberdöbling, Währing und Zwischenbrücken-Tabor) durch die I.C.G.A. vorsah.

Trotz wachsender Kritik an den Versorgungsausfällen, der Preisgestaltung und der Quasi-Monopolstellung des britischen Unternehmens kam es 1875 unter Bürgermeister Cajetan Felder gegen den Widerstand der Opposition zu einer weiteren Verlängerung des Vertrages um 25 Jahre. Doch die Rufe nach einer eigenen kommunalen Gasversorgung wurden immer lauter und als die Christlichsoziale Partei bei den Wahlen in Wien die Mehrheit erlangte, beschloss der Gemeinderat 1896 schließlich den Bau des ersten städtischen Gaswerks.

Als das neue Gaswerk Simmering vor 120 Jahren, am 31. Oktober 1899 nach der Einweihung durch Bürgermeister Karl Lueger um Mitternacht, seinen offiziellen Betrieb aufnahm, war es die größte und modernste Anlage in Europa. Tatsächlich in Betrieb genommen worden war sie allerdings bereits lange vorher, da die Vorheizzeit der riesigen Öfen, in denen aus Kohle Gas gewonnen wurde, mehrere Wochen dauerte. In den Glockengasbehältern in Simmering konnten mittels Niederdruck 90.000 Kubikmeter Gas gespeichert werden. Gas, das vor allem dazu benutzt wurde, Versorgungsschwankungen im Netz auszugleichen.

Obwohl die „Gasometer“ genau genommen nur die Füllstands-Anzeigen an der Außenwand der Gasbehälter waren, nannten die Wiener die in nur drei Jahren Bauzeit errichteten 70 Meter hohen Rundbauten umgangssprachlich bald ebenfalls Gasometer. Mit dem städtischen Gas wurden die Straßen in den Bezirken 1. bis 11. und der 20. Bezirk beleuchtet. Für die noch laufenden Verträge für die Beleuchtung der Vororte schloss die Stadt mit der Imperial Continental Gas Association einen außergerichtlichen Vergleich und man einigte sich darauf, dass diese 1910 enden würden.

Schon bald konnte die Gasanlage Simmering die steigende Nachfrage, die bald 500.000 Kubikmeter pro Tag erreichte, nicht mehr abdecken. Wien wuchs in den Jahren 1904/05 um die Flächenbezirke in „Transdanubien" und die kommunale Verwaltung versuchte die Versorgung des gesamten Stadtgebietes mit Gas Wiens voranzutreiben. Hinzu kam, dass die privaten Betreiber angesichts auslaufender Verträge und der Kommunalisierung der Gasinfrastruktur nicht mehr in die eigenen Gaswerke investierten.

Zwischen 1909 und 1911 errichtete die Stadt Wien daher das Gaswerk Leopoldau im damals noch jungen 21. Bezirk. Als die beiden Gaswerke im Jahr 1914 mit einer Hochdruckleitung verbunden wurden, lieferten sie erstmals über eine Million Kubikmeter Gas. Das Rohrnetz hatte damals eine Länge von 1500 Kilometern, im gesamten Versorgungsgebiet gab es 200.000 Gaszähler, um den Verbrauch zu ermitteln.

In Simmering sollte noch bis 1966 Gas aus Kohle erzeugt werden, danach erfolgte die schrittweise Umstellung auf das billigere Erdgas. Als diese abgeschlossen war, war die Zeit der alten Gasometer in Simmering und ihrer ursprünglichen Nutzung vorüber, die modernen Kugelgasbehälter in Leopoldau wurden in den 1980er Jahren die neuen Gasspeicher der Stadt. Doch die Gasometer in Simmering haben die anderen Gasspeicher ihrer Zeit, die allesamt abgerissen wurden, überlebt und stehen noch heute als Denkmal für den Beginn der kommunalen Infrastruktur in Wien weithin sichtbar in Simmering.

Bettina Fernsebner-Kokert ist freie Journalistin und Autorin. Sie hat als Redakteurin bei der Tageszeitung „Der Standard“ viele Jahre über Wien-Themen berichtet.

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Valentin Fischer

Vielen Dank für Ihre gelungene Recherche und Archivsuche der phantastischen alten Aufnahmen.