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Elisabeth Heimann, 17.10.2019

175. Geburtstag von Karl Lueger

Wortgewalt und Bildermacht

Dreizehn Jahre lang leitete Bürgermeister Karl Lueger die Geschicke Wiens. Der antisemitische Populist setzte in dieser Zeit nicht nur kommunale Großprojekte um, sondern war vor allem auch ein Propagandist in eigener Sache. 

Ehrgeizig arbeitete sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Jurist über wechselnde Parteiverhältnisse an die politische Spitze empor. Seine Karriere begann Lueger als Kandidat der Liberalen, auf dem Weg nach oben profilierte er sich als Deutschnationaler, Antisemit und Gegner der Sozialisten. 1893 gründete er eine eigene Bewegung – die Christlichsoziale Partei – die sich auf die bisher vernachlässigte Wählergruppe der Kleinbürger konzentrierte.

Mit Wahlkämpfen neuartiger Prägung gelang es ihm, die Massen zu mobilisieren. Lueger war eine Bühnenerscheinung, ein Politiker von neuem Stil. In einer durch Unsicherheiten und Veränderungen geprägten Zeit konnte er seine Wählerschaft dank seiner volksnahen Rhetorik im Wiener Dialekt für sich begeistern.

In zahlreichen öffentlichen Auftritten wetterte der wortgewaltige Demagoge gegen die vorherrschende Politik sowie gegen das Judentum und förderte damit gezielt ein Klima der Ausgrenzung. Sein strategischer Antisemitismus war Teil seines Erfolgsrezepts und der Grund, warum ihm Kaiser Franz Joseph I. bis 1897 selbst nach gewonnenen Wahlen den Aufstieg ins Bürgermeisteramt verweigerte. Seine Machtposition im Wiener Gemeinderat gründete auf dem Kurienwahlrecht, das weite Teile der Wiener Bevölkerung vom Wahlrecht ausschloss. 

Für die städtische Entwicklung bedeutete Luegers Amtszeit (1897 bis 1910) eine Periode der Expansion. Meilensteine seiner Kommunalpolitik waren sowohl der Ausbau und die Verbesserung der städtischen Infrastruktur, die Kommunalisierung wichtiger Versorgungsbetriebe als auch die Schaffung eines Grüngürtels. Die Energie- und Trinkwasserversorgung wurden durch den Bau des städtischen Gas- und Elektrizitätswerks sowie der Errichtung der Zweiten Wiener Hochquellwasserleitung sichergestellt. 

Geschichtsschreiber in eigener Sache

Dass seine Verdienste nicht in Vergessenheit geraten, war Lueger selbst ein wichtiges Anliegen. Er war Geschichtsschreiber in eigener Sache. Mit seinem Amtsantritt setzte eine für einen Stadtpolitiker neuartige Bildpropanda und Vermarktung ein. Wie keiner seiner Amtskollegen vor oder nach ihm ließ er sich in ungeahnter Vielzahl abbilden – neben dem Kaiser zählte er zu den meistporträtierten Personen seiner Zeit. Mit Lueger nahm auch eine neue Art der Auftragsvergabe ihren Anfang. Anstelle von Wettbewerbsausschreibungen wurden Projekte für Brunnenanlagen, Denkmäler oder Gemälde direkt an ausgewählte Künstler vergeben. 

Bald nach Luegers Ernennung zum Bürgermeister wurde die Ausstattung des Wiener Rathauskellers beauftragt. Die Gaststätte galt dem Bürgermeister als wichtiger Repräsentationsort. Auch ein Porträt des Hausherrn war Teil des Ausstattungsprogramms. Es fand in dem für intimere Runden bestimmten Ratsherrenstüberl (vormals „Rathsstübchen“) seinen Platz und zeigt Lueger vor einem goldfarbenen Hintergrund, ähnlich einer mittelalterlichen Ikone. Stolz präsentiert er die Bürgermeisterkette, die er bei jedem gegebenen Anlass zur Schau stellte sollte.

Sowohl kommunalpolitische Projekte als auch Ereignisse wurden im städtischen Auftrag in monumentalen Gemälden festgehalten. Eines dieser Großprojekte war die Errichtung des städtischen Gaswerks in Simmering. Es wurde 1899 als damals größtes Kraftwerk seiner Art in Europa fertiggestellt. Im selben Jahr entstand ein der neuen Gasbeleuchtung gewidmetes Triptychon. Das Gemälde setzt Vindobona, die Personifikation der Stadt Wien, ins Zentrum, die mit einer Gaslaterne die Dunkelheit erhellt. Das neue Gaswerk wird einer nächtlichen Prozession, eine schummrige Abendszene dem hell erleuchteten Rathausplatz gegenübergestellt. Lueger ist gleich zweimal abgebildet, einerseits als Teilnehmer an der Prozession, andererseits vor der Silhouette des nächtlichen Rathausplatzes. Im Lichte der neuen Gasbeleuchtung zückt er seinen Hut zum Gruß. 

Auch Luegers inszenierte Bürgernähe war Inhalt zahlreicher Darstellungen. Beispielhaft dafür ist ein 1904 vom Stadtrat beim Künstler Wilhelm Gause beauftragtes Ölgemälde, das Lueger inmitten des Trubels während des als Prater- bzw. Blumencorso bekannten Frühlingsfestes festhält.

Bereits zu Lebzeiten wurde Lueger von seiner Anhängerschaft verklärt und romantisiert. Der Kult um seine Person war ungebrochen und führte zur Produktion zahlreicher Devotionalien und Lobeshymnen. Für seine runden Geburtstage wurde kein Aufwand gescheut, um den Politiker in Szene zu setzen. Zu Luegers 50. Geburtstag, der noch in seine Zeit als Oppositionspolitiker fiel, wurde von der Christlichsozialen Partei zu einer „Lueger-Jubelfeier“ eingeladen. Ein Festausschuss organisierte ein ganztägiges Programm, als bleibende Erinnerung wurde eine Festschrift herausgegeben, die Luegers Biografie verbreiten sollte. 

An seinem 60. Geburtstag im Jahr 1904 war er am Höhepunkt seiner Macht angekommen, die Festivitäten wurden mit großem Aufwand begangen. Neben einem Hochamt in der Votivkirche wurde zu einem Bankett ins Rathaus eingeladen. Das Festkomitee bereitete eine in mehreren Größen erhältliche Gedenkmedaille vor. Der Verkaufserlös der Geburtstagsmedaille kam der karitativen „Dr. Karl-Lueger-Stiftung“ zur Unterstützung des Kleingewerbes zu Gute, die der Gemeinderat anlässlich des Jubiläums gegründet hatte. 

Im Auftrag des Festkomitees verfasste Stadtrat Leopold Tomola eine illustrierte Propaganda-Publikation, die vom Stadtschulrat gratis an alle Wiener Schulen verteilt wurde. Deren Titel: „Unser Bürgermeister Dr. Karl Lueger. Festschrift zu seinem 60. Geburtstag, gewidmet allen, die seine Tatkraft schätzen als Vorbild der Nacheiferung“. 

Lueger und die „Lumpen"

Ein prächtiges Geschenk stellt ein von Otto Wagner entworfener Armlehnensessel dar. Er wurde im Auftrag des Rathauskellerwirts Josef Dombacher für Lueger aus kostbaren Materialien angefertigt und wurde im Ratsherrnstübchen aufgestellt. Wie zahlreiche Objekte fand der Stuhl als Teil von Luegers Nachlass nach seinem Tod im Jahr 1910 Eingang in die städtischen Sammlungen. Als der Lederbezug im Frühjahr 2018 nach historischen Fotografien rekonstruiert wurde, trat eine Inschrift unterhalb der Lederbespannung zum Vorschein, die dem Möbelstück eine bisher unbekannte Brisanz verlieh. Es handelt sich um die Notiz eines sozialdemokratischen Handwerkers, der sich darüber empörte, dass Lueger die Arbeiterschaft im Wiener Landtag als „Lumpen“ verunglimpft hatte.

Diese Aussage Luegers führte auch dazu, dass ein Hauptpunkt der Geburtstagsfeierlichkeiten abgesagt werden musste: Der am Vorabend des Geburtstagsfestes geplante Fackelzug entlang der Ringstraße wurde aufgrund eines befürchteten Zusammenstoßes von Lueger-Anhängern und Sozialdemokraten polizeilich verboten. Anstelle der öffentlichen Huldigung kam es zu lautstarken Demonstrationen der Arbeiterschaft vor dem Rathaus. 

Auch im öffentlichen Raum wurden Luegers Jubiläum bleibende Andenken gesetzt. Als Erinnerung an sein Wirken als Reichsratsabgeordneter für den 5. Bezirk initiierte der Bezirk Margareten zur Vollendung seines 60. Lebensjahres eine vom Künstler Richard Kauffungen geschaffene Brunnenanlage. Sie zeigt Vindobona mit dem Stadtwappen in der Hand über einem Porträtrelief des Bürgermeisters. Die Darstellungen auf der Brunnenwand verweisen auf die ehemaligen Vorstädte des 5. Bezirks. 

Während der Margaretener Siebenbrunnen anlässlich der Geburtstagsfeierlichkeiten im Jahr 1904 im Beisein Luegers bereits feierlich enthüllt wurde, fand für eine weitere Brunnenanlage erst die Grundsteinlegung statt. Der zweite zu Ehren Luegers errichtete Brunnen, der schließlich im Jahr 1909 vollendet wurde, befindet sich auf dem Vorplatz des Landstraßer Amtshaues. Im 3. Bezirk liegen die Anfänge von Luegers politischer Karriere, 1875 zog er von hier aus in den Gemeinderat ein. Die von den Künstlern Josef Engelhart und Josef Plečnik gestaltete Brunnenanlage ist dem Heiligen Karl Borromäus gewidmet. In den Brunneninschriften wird Lueger in die Tradition seines Namenspatrons gestellt und als Schutzherr sowie Bewahrer seiner Vaterstadt gewürdigt – eine geradezu sakrale Ehrung.

Die beiden Brunnenanlagen stehen beispielhaft für eine Vielzahl von Bauwerken und Orten, die an die an die Ära des christlichsozialen Politikers erinnern. Vor allem in Form von Denkmälern und Platzbenennungen ist er auch heute noch im Stadtbild präsent. Bis in die späten 1980er Jahre wurde Lueger als verdienter Stadtgestalter gewürdigt.

Erst in den darauffolgenden Jahrzehnten geriet dieses Bild ins Wanken. Die kritische Auseinandersetzung mit seiner Biografie führte schließlich zur Umbenennung des nach ihm benannten Ringstraßenabschnitts vor der Universität und zur Anbringung von erklärenden Zusatztafeln. Anhaltende Diskussionen gibt es auch um das Lueger-Standbild am Stubentor, das wiederholt zum Ausgangspunkt von künstlerischen Initiativen wurde und zuletzt im Frühjahr dieses Jahres einer temporären Installation mit dem Porträt der verstorbenen Flüchtlingshelferin Ute Bock gegenübergestellt wurde.

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Ute Bock-Denkmal, © Klaus Pichler/Wien Museum

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Ute Bock-Denkmal, © Klaus Pichler/Wien Museum

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Ute Bock-Denkmal, © Klaus Pichler/Wien Museum

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Ohne Zweifel hat Lueger Wien in vielerlei Hinsicht geprägt, nicht zuletzt aber auch durch seinen populistischen Antisemitismus. Dem vor allem durch seine Eigenwerbung verklärten Volkstribun steht nach kritischer Betrachtung der kalkulierte Volksverhetzer, dem Modernisierer der Antisemit gegenüber. Nicht ohne Grund galt seine Kunst, die Massen zu mobilisieren, dem jungen Hitler als Vorbild. Während Lueger vor allem als moderner Kommunalpolitiker erinnert werden wollte, steht er heute aufgrund seiner hetzerischen Rhetorik im Zwielicht der Geschichte. 

Elisabeth Heimann, Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien und Siena. Arbeitete als wissenschaftliche Projektassistentin des Internationalen Wissenschaftlichen Beirates des Hauses der Geschichte Österreich. Seit 2009 im Wien Museum zunächst als Kunstvermittlerin und in Inventarisierungsprojekten, seit 2017 als Referentin der Direktion tätig. Forschungsinteressen: österreichische Geschichte und Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

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Kommentare

Christoph

Ich kann auch das Buch von Anna Ehrlich empfehlen: "Karl Lueger - Die zwei Gesichter der Macht."
https://amalthea.at/produkt/karl-lueger/

Redaktion

Hallo Markus, danke für das positive Feedback! Hier das Originalzitat auf der Rückenlehne des Sessels: "Ausgeführt in dieser Zeit wo der Bürgermeister die organisierte Arbeiterschaft von Wien in unfletigster Art beschimpfte, indem er sie im Landtage Lumpen nannte. Koziel Paul Sozialdemokrat (Lump) J. 1904 12. Oktober Anton Robel".
Bezüglich Lektürempfehlung: Zweifellos das Standardwerk ist die umfangreiche "Biografie" von John W. Boyer, die vor einigen Jahren im Böhlau Verlag erschienen ist: Karl Lueger. Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biografie (Studien zu Politik und Verwaltung, Band 93)

Markus

Guter Artikel, danke! Jetzt würde mich der Wortlaut der Inschrift auf dem Otto Wagner Stuhl schon interessieren...

Gibt es ein gutes, umfassendes, kritisches und aktuelles Buch über ihn, dass ihr empfehlen könntet? Habe mich bisher wenig mit ihm beschäftigt...