Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

Anton Tantner, 9.3.2020

250 Jahre Hausnummern in Wien

Ordnung und Chaos in der Stadt

Selbst aus unserem digitalen Alltag sind sie nicht wegzudenken: Die Wiener Hausnummern feiern Geburtstag! So selbstverständlich sind sie geworden, dass man kaum glauben kann, dass auch sie eine Geschichte haben und dass an ihrem Ursprung nicht zuletzt militärische Beweggründe standen.   

Die Geburtsurkunde, mit der erstmals in Wien und in den westlichen Provinzen der Habsburgermonarchie flächendeckend Hausnummern eingeführt wurden, trägt das Datum des 10. März 1770. Es handelt sich dabei um ein Patent mit dem leicht kryptischen Titel „Seelen = Zugviehes = und Häuser - allgemeine Beschreibung“. Eingeführt wurde damit ein neues Rekrutierungssystem, zu dessen Vorbereitung eine so genannte „Seelenkonskription“, also eine Volkszählung durchgeführt werden sollte; nicht länger sollten die Männer gewaltsam „zu dem Soldatenstande hinweggenommen“ werden, niemand sollte mehr „gedrückt, und gekränkt“ werden, die Rekrutierung sollte auf „unschädliche, ja heilsame“ Art vor sich gehen. Mit derlei Worten – „honigsüß“ hat sie der Historiker  Peter Dickson genannt – wurde der Bevölkerung ihre Verzeichnung in Tabellen durch kreisämtliche Kommissare und Militäroffiziere schmackhaft gemacht, und, es wurden noch weitere Neuerungen angekündigt: Nämlich eine Beschreibung des Zugviehs sowie schließlich „die Numerirung der Häuser“.

Zugriff auf das Innere der Häuser

Es war somit nicht die Sorge der Obrigkeit um eine bessere Orientierung der Bevölkerung, oder das Bestreben, Reisenden das Auffinden von gesuchten Adressen zu erleichtern, die die Einführung der Hausnummern in der Habsburgermonarchie und in Wien motivierten, es waren vorwiegend militärische Gründe: Hausnummern sollten fortan den staatlichen Zugriff auf die in den Häusern lebenden wehrfähigen Männer garantieren. Den Behörden war dabei durchaus bewusst, dass die Nummern auch anderen staatlichen Zwecken dienen konnten, der leichteren Einhebung von Steuern etwa, der besseren Orientierung der Polizei, oder aber – dies war der Grund für die Einführung von Hausnummern in Preußen und Frankreich gewesen – die einfachere Einquartierung von Soldaten. Dass sich in der Folge auch die Bevölkerung das neue Adressierungssystem aneignete und für eigene Zwecke verwendete, war demgegenüber eher ein Kollateralnutzen.

Testfall Simmering

Bis allerdings nun tatsächlich in Wien die Nummern auf die Häuser gemalt wurden – und sie sollten explizit gemalt werden, keineswegs waren Tafeln oder Schilder dafür zu verwenden – sollten noch einige Monate vergehen. Eine erste Probe wurde in der Vorortgemeinde Simmering vorgenommen, dies dauerte von 5. bis 11. Oktober 1770, am selben Tag nahm eine eigens für die Stadt Wien – den heutigen Ersten Bezirk – zusammengestellte Kommission ihre Tätigkeit auf und benötigte etwas mehr als ein halbes Jahr für ihre Tätigkeit, im April 1771 war sie fertig. Insgesamt wurden in der Stadt damals 1340 Häuser mit Nummern versehen, in den Vorstädten waren es 3615. Die Methode, mit der diese so genannten „Konskriptionsnummern“ vergeben wurden, war dabei die ortschaftsweise Durchnummerierung der Häuser, das heißt, die Gebäude wurden nicht – wie heute – straßenweise nummeriert, es wurden die Häuser der gesamten Stadt von Eins an – diese Nummer bekam die Hofburg – durchnummeriert, bis es sogar vierstellige „Konskriptionsnummern“ gab. In den jeweiligen Vorstädten und Vororten wurde wieder mit Eins begonnen.

Manche der im 18. Jahrhundert vergebenen „Konskriptionsnummern“ sind heute noch an Wiener Häusern sichtbar; aus diesen Fragmenten geht hervor, dass sie in roter Farbe ausgeführt waren, und den Zahlen zumeist die Abkürzung für „Numero“ vorangestellt war. An dem heute mit Ballgasse 8 adressierbaren Haus etwa hat sich die Nummer 1343 erhalten; sie wurde ihm 1772 verpasst und war einige Zeit lang die höchste Konskriptionsnummer Wiens.

Sicherheitskopien

Nachdem die Aktion der Nummerierung schon im Laufen war, wurde nachträglich bestimmt, die Nummer zur Sicherheit auch im Inneren der Häuser anzubringen; solche Konskriptionsnummern auf rechteckigen Schildern sind heute noch relativ oft in Wiener Häusern zu finden, stammen aber zumeist aus dem 19. Jahrhundert. In seltenen Fällen – etwa im Eingangsbereich des Hauses Kurrentgasse 6 – hat sich eine in der ersten Phase der Konskriptionsnummerierung vergebene Nummer erhalten, in diesem Fall die Nummer 248.

Der Zahn der Zeit

Das 1770 gewählte System der Durchnummerierung der Häuser stieß bald an seine Grenzen, Neubauten, Hauszusammenlegungen und Abrisse zerstörten die durchgehende Kette der Nummern, weswegen es im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer wieder zu Umnummerierungen kam, die die neuen baulichen Gegebenheiten berücksichtigen sollten. Eine erste solche Umnummerierung fand in Wien 1795 statt, eine zweite folgte 1820; in manchen Vorstädten kam es noch häufiger zu Umnummerierungen, das rasante Stadtwachstum trug das seine dazu bei, dass sich im 19. Jahrhundert die Beschwerden über das Chaos mit den Wiener Adressen häuften.

Bis es zu einer Verbesserung dieser Situation kam, sollten etliche Jahrzehnte vergehen; endgültig soweit war es dann 1861, als der Wiener Gemeinderat den Beschluss zur Einführung der so genannten Orientierungsnummern fällte: Dieses in Philadelphia schon 1790, in Paris 1805 eingeführte System ist bis heute in Wien in Verwendung, die Häuser sind straßenweise nummeriert, gerade Nummern auf der einen, ungerade Nummern auf der anderen Seite. Zugleich mit 12.012 Nummerntafeln wurden auch neue Straßenschilder angebracht, alle produziert in der Fabrik des Unternehmers Michael Winkler (1822–1893), der in den Jahren zuvor ein als „Schilder-Oeldruck“ bezeichnetes Verfahren zum Erstellen maschinell beschrifteter Schilder entwickelt hatte. Der Rand dieser Schilder war je nach Bezirk farblich unterschiedlich gestaltet, Nummer und Straßenname wurden mit schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund angebracht. Die heute üblichen blauen Hausnummernschilder wurden 1958 eingeführt, die Straßenschilder wurden bereits ab 1923 Jahren in der aktuellen Form angebracht.

Die Einführung der Orientierungsnummern bedeutete keineswegs das Ende der Konskriptionsnummern: Zwar sollten sie ab sofort von den Außenmauern der Häuser entfernt werden, im Inneren blieben sie aber weiter angebracht, da sie nunmehr als „Grundbuchseinlagezahlen“ (EZ bzw. GEZ) für die Identifizierung der Gebäude im Grundbuch Verwendung fanden. Einmal noch kam es zu einer Umnummerierung, und im Jahr 1884 wurde beschlossen, die nun auch wieder als „Conscriptionsnummern“ bezeichneten Einlagezahlen bzw. -nummern auf einheitlichen rechteckigen Schildern im Inneren der Häuser anzubringen. Diese Schilder sind heute noch relativ häufig in Wiener Häusern aufzufinden; seltener demgegenüber sind Konskriptionsnummern in Form aktueller Orientierungsnummern, mit weißer Zahl auf blauem Hintergrund.

Literatur:

Anton Tantner: Die Hausnummern von Wien. Der Ordnung getreue Zahlen (=Enzyklopädie des Wiener Wissens; XXIV), Weitra: Bibliothek der Provinz, 2016.

Anton Tantner: Michael Winkler, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, im Erscheinen 2020.

Wien Geschichte Wiki: Häusernummerierung auf Wien Geschichte Wiki.

Veranstaltungshinweis:

Ein Symposion mit dem Titel „Hausnummerierung und urbane Moderne. 250 Jahre Hausnummerierung in der Habsburgermonarchie“ findet vom 16. bis 18. September 2020 statt. Es startet am Abend des 16. September mit einer Key Note Lecture im Wien Museum MUSA, die Vorträge am 17. und 18. September finden im Vortragssaal des Wiener Stadt- und Landesarchiv im Gasometer statt.

Anton Tantner, Studium von Geschichte und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, Dissertation zur Geschichte der Seelenkonkription und Hausnummerierung in der Habsburgermonarchie, Habilitation zu den Adressbüros im Europa der Frühen Neuzeit. Im Erscheinen: Von Straßenlaternen und Wanderdünen. Miniaturen aus dem abseitigen Wien. Mandelbaum 2020. Homepage: tantner.net

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Keine Kommentare