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Ruth Horak, 23.2.2024

Abschied von analog

Was haben die 2000er Jahre mit der Fotografie gemacht?

Das Ende der analogen Fotografie führte zu unterschiedlichsten künstlerischen Reaktionen: Von Liebeserklärungen an die Fotografien über klassische Bildreportagen bis zum Reenactment von Bildikonen. Ein Rückblick.

2000–2010: Fotografie vor dem Smartphone

Es ist das letzte Jahrzehnt, bevor alle ständig fotografieren, bevor die Fotografie immateriell wird, vor WhatsApp (2009), vor Instagram (2010) und lange vor einer AI-Fotografie (2020), die noch einiges ins Wanken bringen wird. Man hat sich mit der Erkenntnis der 1990er Jahre arrangiert, dass die Digitalisierung nicht nur das Ende von gedruckten Lexika und per Post verschickten Briefen bedeuten würde, sondern auch das Ende der analogen Fotografie. Schließlich waren die Vorteile evident: Der Fotografie stehe nun eine Zeit ohne Chemie bevor, sie würde einfacher zu verbreiten sein, und die meisten Anwendungen benötigten ohnehin keine Ausdrucke, weil sie als kleine Erinnerungen oder bloße Nachrichten besser immateriell bleiben. Aber das Bewusstsein um das Ende der analogen Fotografie, das heißt der Qualität von Filmen, Papieren und Verfahren, die das Aussehen wesentlich beeinflussen, veranlasste Künstler:innen, über ihr Medium zu reflektieren, einen Tribut an die Fotografie zu inszenieren, Das letzte Labor einzurichten (Petignat + Scholz) oder die Last Prints (Horakova + Maurer) in Auftrag zu geben.

In den 2000er Jahren verstand man unter Fotografien noch Papierbilder mit definierten Formaten und einer Materialität. Damals noch als unendlich reproduzierbare Bilder eingestuft, haben analoge Prints heute einen Unikat-Charakter, insbesondere, wenn es sich um einen Handabzug der Künstler:in handelt. Auffällig präsent waren in den 2000er Jahren abstrakte Fotografien: Kurator:innen und Publizist:innen veröffentlichten nackte Fotografien, die nichts anderes zum Thema hatten als sich selbst. Sie nahmen das Ende der analogen Fotografie zum Anlass, die Fotografie selbst zum Thema zu machen. Und so abstrakt sie für Laien waren, so narrativ waren sie für das medienaffine Publikum, das den Erzählungen über das Analoge aufmerksam folgte in einer Zeit, in der sich die fotografischen Bedingungen gravierend änderten.

2k oder das Jahr 2000

Für die Fotografie in Österreich begann das neue Jahrtausend schwarz. Mit einer schwarzen Ausgabe der Camera Austria (nach einer Idee von Jörg Schlick) und einem überwiegend schwarzen Cover des Nachrichtenmagazins profil vom 7. Februar 2000 bzw. seines Remakes von Hans-Peter Feldmann, für das er sämtliche Texte und Schriften eliminierte: Ein profil ohne Worte entstand für das museum in progress. Verantwortlich dafür war die erstmals schwarz-blaue Regierung oder vielmehr ihr blauer Anteil bzw. die Figur, die der FPÖ vorstand und zum damaligen Zeitpunkt die Medien gekonnt für seine Popularität einzusetzen wusste.

In der darauf folgenden Ausgabe der Camera Austria nahm Rolf Sachsse in einem Aufsatz dann vorweg, was 2008 eintrat: Solche Medienpräsenzen würden erst mit dem Tod enden, erst dann würde eine Figur wie Jörg Haider wieder aus den Medien verschwinden, wie Rolf Sachsse lakonisch in der Camera Austria 70/2000 bemerkt. Die schwarz-blaue Regierung löste international heftige Reaktionen aus. In Wien erinnert man sich an die unzähligen Demonstrationen und die Proteste der Kulturszene gegenüber einer als fremdenfeindlich und kulturfern wahrgenommenen Regierung. Die Donnerstags- und Samstagsdemos boten Künstler:innen Gelegenheit, sich aktiv „von der Regierungskoalition mit einer rechtsradikalen, rassistischen Partei zu distanzieren“ – unter dieser Prämisse veröffentlichte die Initiative TransAct (initiiert von Cathrin Pichler) Solidaritätsbekundungen von prominenten Intellektuellen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen.

Lisl Ponger produzierte und verschickte Ansichtskarten mit Motiven, die sie während der Anti-Regierungs-Demonstrationen aufgenommen hatte. Die provokante Aktion Ausländer raus!, mit der Christoph Schlingensief im Rahmen der Wiener Festwochen 2000 die Fremdenfeindlichkeit westlicher Kulturen aufzeigte, erhitzte die Gemüter der Passanten ungleich mehr – der Fotograf Reinhard Mandl dokumentierte auf seinem Weg durch Wien die zweigeschossigen Container vor der Wiener Oper. Seine Aufnahme verrät wenig über die Drastik der Aktion, warteten in den Containern doch zwölf Flüchtlinge auf ihre Abschiebung, und Herr und Frau Österreicher waren dazu aufgerufen, per Telefon die Abschiebeverfahren zu beschleunigen. Mit der Brisanz der Themen bzw. den Turbulenzen, die sie auslösten, besann sich die Fotografie wieder ihrer traditionellen Rolle, das Zeitgeschehen zu dokumentieren. Die Fotografierenden nützten die Bildmacht des klassischen Reportagemediums, um überzeugend darzustellen, was man Worten vielleicht absprechen würde. Die Fotografie wurde zum Werkzeug der Ankläger.

Reenactment

Eine künstlerische Methode, die aus den Sammlungsbeständen repräsentativ für die 2000er Jahre ausgewählt wurde, ist das Reenactment: Dafür werden Werke von oft dominanten Übervätern und -müttern reinszeniert und dabei kritisch weiter- oder neu geschrieben. Das 20. Jahrhundert hat Genies und Hero:innen hervorgebracht, ikonische Bilder, dogmatische Haltungen und einzigartige Kunstrichtungen, deren Autoritäten bis heute nachwirken, Einflüsse ausüben und Reibungsflächen bieten.

Wiener Blut heißt etwa eine Serie der Künstlergruppe G.R.A.M. – sie bezieht sich weniger auf die Operette von Johann Strauss als auf die blutigen Inszenierungen des Wiener Aktionismus, der weit über die 1960er Jahre hinaus den internationalen Ruf der österreichischen Kunst mitbestimmt hat, sodass sich jüngere Künstler aus dessen Umarmung zu lösen versuchten, zum Beispiel indem sie signifikante Aktionen parodierten. Wer die historischen Fotografien, auf die G.R.A.M. zugreift, einmal gesehen hat, erkennt Posen und Motive der ehemals schockierenden „Versumpfungen“ oder „Ferkeleien“ auch in den teils ganz unblutigen Remakes wieder. Das Reenactment verharmlost die „Panierung eines weiblichen Gesäßes“ (Andrea Winklbauer) und entzieht dem Vorbild seine Exzessivität, als sei dessen Zeit nun endlich vorbei. (1964 wurde nicht nur ein Ei aufgeschlagen, sondern das Gesäß hemmungslos mit Mehl und Brösel weiterpaniert.) Beide Aktionen – das ikonische Vorbild und das Reenactment – waren unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur für Film- und Fotokameras inszeniert worden und sind nur über das Bildmaterial überliefert.

Auch Irene Andessner ist in ihren Serien I.M. (I am) in die Körper anderer geschlüpft. In dem Fotoprojekt für den öffentlichen Raum Citylights [Wiener Frauen] (2008) etwa erzählt sie die Geschichten von (vergessenen) „Wiener Frauen, die für das Wahlrecht oder den Hochschulzugang kämpften oder den Nobelpreis hätten bekommen können, wie die Kernphysikerin Lise Meitner (Michaela Knapp). Ein Jahr lang war Andessner Marlene Dietrich. Sie studierte die Biografie, die Filme und die Bewegungen der Dietrich, kleidete sich in Hosenanzügen nach originalen Schnitten, trug Krawatten und sang in Berliner Travestiebars. Insgesamt zehn Fotografen und Kameraleute begleiteten die „Verwandlung“, die sich an einer Fotografie von Eugene Robert Richee aus dem Jahr 1932 orientierte.

Sie zog jedoch nicht wie G.R.A.M. eine absichtsvolle Distanz ein, sondern ging im Gegenteil so weit, einen Herrn Dietrich zu heiraten und seinen Namen anzunehmen, um ganz offiziell ihre Fotografien mit Dietrich signieren zu können. Ein zutiefst fotografisches Thema wird hier ausgereizt: das Porträt inklusive Rollenspiel für die Kamera und die Geschichte der (Selbst-)Inszenierung.

Dieses oft opulente Spiel mit der Inszenierung machte auch die Kunsthalle Wien zum Thema, als sie sich, kurz nachdem sie 2001 ins neu eröffnete Museumsquartier übersiedelt war, mit der Ausstellung Tableaux Vivants (2002) der Suggestionskraft dieser „gleichsam körperlichen Aneignungen der Kunstgeschichte“ hingab.

Das Ende der analogen Fotografie

Die Chemiearbeiterin auf dem Sockel vor dem Fabriksgelände, von Isa Rosenberger 2004 am Set für einen dokumentarischen Film über Schrumpfende Städte fotografiert, stand stellvertretend für die vielen Frauen, die im einst größten Frauenbetrieb der DDR, der Chemiefabrik ORWO (ursprünglich Agfa, gegründet 1909) in Wolfen, gearbeitet hatten und mit dem Ende der Ära von ORWO – vor allem, weil die Herstellung von Farbfilmen nicht die erwünschte Qualität brachte – arbeitslos geworden waren. Als Isa Rosenberger ein Jahr später zurückkehrte, war der Sockel leer. Dafür konnte sie die Frau, die 1964 dem Bildhauer Gerhard Markwald für die lebensgroße Bronzeskulptur der Chemiearbeiterin Modell gestanden hatte, ausfindig machen. Sie bat Magdalena Brandl, den Sockel vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der ORWO-Filmfabrik zu erklimmen. Von dort blickt sie auf die Geschichte der Arbeitslosigkeit, auf den Abbruch des einst größten europäischen Filmwerks sowie auf das Ende der analogen Fotografie.

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Die Fotografie im Zeitalter ihrer Digitalität

Mit der Implosion der Fotoindustrie, der Sprengung und Demontage ihrer Gebäude oder dem Schließen von Großlaboren (2004 etwa Kodak in Wien Auhof) übernahm die digitale Fotografie die Agenden und schloss ans Informationszeitalter auf. Hubert Blanz fliegt mit uns 2001 wie in einem Helikopter über CPU-Platinen und erklärt ihre elektronischen Bauteile, die wie Städte organisiert sind, zu unseren neuen „Digital Surroundings“. In den folgenden Jahren montiert er zunächst eigene Fotografien, bald jedoch Screenshots von Satellitenbildern zu dichten Geweben aus zum Teil hunderten Layern. Ihre Intensität ist außergewöhnlich, und doch können sie nur ansatzweise die Masse der Bilder andeuten, die heute zur Verfügung steht. Was der Science-Fiction-Autor der österreichischen Fotografie schnell erkannte: In dieser digitalen Welt liegt uns die Welt zu Füßen, und der neue Blick ist der Blick von oben.

Bereits 1984 hatte Peter Weibel im Supplement zum Katalog der ARS ELECTRONICA ’84 prophezeit, dass die digitale Bildrevolution „wahrscheinlich das wichtigste Ereignis seit der Erfindung des Bildes selbst“ sei. In den 1990er Jahren war man noch skeptisch, ob sie wirklich stattfinden würde, in den 2000ern jedoch war die Qualität der digitalen Aufnahme- und Ausgabetechniken bereits so überzeugend, dass es kein Zurück gab.

2010 waren gut über die Hälfte der angekauften Fotografien digital aufgenommen bzw. „Computerfotografien“, wie es informell in der Sammlungsabteilung heißt. Erstmals wurden mit den Prints die Druckdaten auf CD-Roms, externen Festplatten und Sticks mitgeschickt – aus anfänglich berechtigter Vorsicht, da niemand wusste, wie haltbar digitale Prints im Vergleich zu analogen Belichtungen sein würden. Dieser produktionstechnische Aspekt mag nebensächlich sein, solange nur der Bildinhalt betrachtet wird. Sobald es jedoch darüber hinaus um das (Ausstellungs-)Objekt Fotografie geht, das bis zu seiner Fertigstellung eine ganze Reihe von künstlerischen Entscheidungen, Materialproben und oft aufwendigen Produktionsabläufe durchschritten hat, wird die Frage danach, wie etwas gemacht ist, virulent.

Wer in den 2000er Jahren mit Fotografie arbeitete, sah sich mit den Veränderungen, die die Fotobranche umstürzten, mittelbar oder unmittelbar konfrontiert: Weltmarken wie Kodak, die die Fotografie des gesamten 20. Jahrhunderts bestimmt hatten, schlitterten auf den Konkurs zu, und zahlreiche andere Hersteller ließen zumindest die Produktion vieler Spezialfilme und Fotopapiere auslaufen, rüsteten um oder kapitulierten. Für Florian Kaps hingegen begann ein Abenteuer: Nachdem auch Polaroid 2008 sein Werk in Enschede endgültig geschlossen hatte, machte er sich auf den steinigen Weg, das Sofortbild zu retten, und rief An Impossible Project ins Leben.

Wieder andere wie Arno Geiger, Tatiana Lecomte oder das Orthochrome-Archiv schenkten ihre Aufmerksamkeit den privaten oder sogenannten „Knipser-Fotografien“, die bestenfalls auf Flohmärkten, meistens jedoch im Müll landeten. Aus heutiger Sicht zählen sie zur vorletzten Generation von Privatfotografien, die in „verschiedenen Papiersorten und Formaten“ (Arno Geiger) in Schuhschachteln liegen und nicht in der Cloud oder im Gerätespeicher.

Die Generation, die in den 2000er Jahren mit der Fotografie arbeitete, ist eine privilegierte: Sie ist mit dem Zauber des analogen Mediums aufgewachsen und konnte aus der ersten Reihe beobachten, was die Digitalisierung der Fotografie für sie bereithalten würde.

 

Dieser Beitrag stammt aus der Begleitpublikation zur Ausstellung über die 2000er Jahre mit dem Titel „Bye-bye Zuversicht“, die noch bis 17. März im Wien Museum MUSA zu sehen ist. 

Ruth Horak ist Kuratorin und Autorin und hat vielfach über den künstlerisch-experimentellen Umgang mit den Eigenschaften der Fotografie sowie über das Analoge als Motiv publiziert und zuletzt (gem. mit Heider/Rastl/Rohrauer) die FOTOTECHNIK gegendert. Ausstellungen und Symposien hat sie u.a. für die Foto Wien, den Fotohof Salzburg oder das Photoforum Pasquart Biel realisiert. https://www.photography-she-said.com

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