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Alberner Hafen
Ein Relikt des monumentalen NS-Hafens
Am äußersten östlichen Ende Wiens, im 11. Wiener Gemeindebezirk, liegt abgelegen der scheinbar verschlafene Hafen Albern inmitten eines melancholischen Augebietes. Am schmalen Hafenbecken stehen fünf Großspeicher aus der Zeit der NS-Diktatur mit imposanter Industriearchitektur, an die sich neue Bauwerke und moderne Industrie angeschlossen haben. Blickt man von der Alberner Hafenzufahrtsstraße über das Becken Richtung Donau, kann man in der Ferne die Ölspeicher des Hafens Lobau erkennen.
Ein kurzer Spaziergang entlang der 1. Molostraße am südlichen Ufer führt zum Friedhof der Namenlosen, 1840 gegründet und nach den namenlosen Opfern der Donau benannt, die der Fluss dort freigegeben hat. Er befand sich außerhalb des Hochwasser-Schutzdammes und wurde erst im Jahr 1900 an den heutigen Standort umgesiedelt. Das Friedhofareal mit seiner von 1933-1935 errichteten zylinderförmigen Auferstehungskapelle ist neben dem künstlich angelegten, von einem dichten Auwald umgebenen, „Blauen Wasser“ ein Ort der Freizeit.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Hafen neben der kommerziellen Nutzung, durch das Internet und neue Soziale Medien, vom Geheimtipp alternativer Reiseführer zum Anziehungspunkt für Spaziergänger*innen und beliebten Ziel von Fotograf*innen entwickelt. Am Hafenareal fand von 2006 bis 2019 mit dem Hafen Open Air ebenfalls ein mehrtägiges Musikfestival statt.
Diese besondere Konstellation des Nebeneinanders von industrieller Nutzung, Naturerlebnis und Freizeitgestaltung macht dieses Industriegebiet aus, für das seit seiner Entstehung immer wieder neue Pläne entwickelt worden sind und das sich auch heute noch im stetigen Ausbau befindet. Der Hafen Albern ist wichtiger Standort zum Umschlag von Getreide, Mais, Baustoffen und Stahlerzeugnissen, an den ein Logistik- sowie Schwergutzentrum und eine Holzschnitzelanlage für das Kraftwerk Simmering angeschlossen sind. Momentan wird auch ein hochwassersicheres Hafentor errichtet, das die Ansiedlung weiterer Betriebe gewährleisten soll.
Ein Donau-Großhafen für die „Ostmark“
Der Hafen in Albern entstand unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Er ist eines der wenigen verwirklichten Teilstücke des für Wien geplanten Donau-Großhafens, den Hermann Göring der Stadt nach dem „Anschluss“ 1938 neben dem Bau der Reichsautobahn als „Aufbauprogramm für die Ostmark“ versprochen hatte.
Für die ehemalige Monarchiemetropole gab es monumentale Pläne innerhalb der nationalsozialistischen Raumordnung. Ein „entstädtertes“ Groß-Wien war als Knotenpunkt des NS-Reiches mit einer Brückenkopffunktion Richtung Balkan und Osteuropa vorgesehen. Für diese Aufgabe wurden 97 niederösterreichische Gemeinden im Oktober 1938 eingemeindet und damit kurz nach dem Anschluss seit 1920 immer wieder diskutierte Pläne zur Vergrößerung der Hauptstadt adaptiert. Wien wurde von 21 auf insgesamt 26 Bezirke erweitert und damit zur drittgrößten Stadt Nazideutschlands.
Die Donau sollte laut „Vierjahresplan“ durch die Errichtung des Donau-Oder-Kanals bis 1945 zur Reichswasserstraße ausgebaut und damit Teil eines europaweiten Wasserstraßennetzes werden. Dafür nahm die NS-Planung Anleihen an bereits bestehenden Planungen aus dem 19. Jahrhundert, die sich ihrerseits auf die Vision Karls IV. für ein europäisches Wasserkanalnetz stützten. Wien war innerhalb dieses Verkehrsnetzes mittels Binnenhafenkonzept zum „Hamburg des Ostens“ bestimmt.
Die Ausmaße des Donau-Großhafens waren durchaus monumental dimensioniert. Neben dem um 1900 erbauten Schutz- und Winterhafen Freudenau, der zum Stückguthafen ausgebaut werden sollte, und dem Wartehafen Kuchelau, waren zwei weitere Standorte vorgesehen. An der projektierten Einmündung des Donau-Oder-Kanals sollten in der Lobau ein Ölhafen und angeschlossene Tanklager entstehen. Am gegenüberliegenden rechten Donauufer, unweit des Friedhofs der Namenlosen, war im neu gegründeten 23. Bezirk Schwechat in der Gemeinde Albern ein neuer Hafen als Massengüter- und Getreideumschlagplatz für die Versorgung der Stadt Wien geplant.
Erste Pläne des Wiener Strombauamtes sahen für den Standort Albern drei Hafenbecken vor, an denen bis zu 3 Millionen Tonnen Güter im Jahr umgeschlagen werden konnten. Für den Gütertransport waren die Errichtung eines neuen Hafenbahnhofs und eine Anschlussstelle der Reichsautobahn nach Bratislava und Budapest in Kaiserebersdorf geplant. Auch eine Groß-Mühle, nach dem architektonischen Vorbild der Plange’schen Mühle in Düsseldorf, sollte zur Aufwertung des Hafenbildes errichtet werden. Aufgrund der Abgelegenheit des Geländes sollten Wohnbauten die Ansiedlung von Arbeitern im Hafen erleichtern. Ein zweiter Plan des Strombauamtes redimensionierte das Projekt auf zwei Hafenbecken und einen Verbindungskanal, um Platz für wassergebundene Industrie zu schaffen.
Kriegsbedingt wurde jedoch nur das heutige Hafenbecken verwirklicht, dessen Bau am 13. März 1939 aus Mitteln des Reichsverkehrsministeriums begonnen wurde. Ab Kriegsbeginn mussten, bis zur Fertigstellung 1941, Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter*innen Zwangsarbeit für das Projekt leisten. Ihre Geschichte und die der Zwangsarbeiter*innen des Lagers Albern warten noch auf die vollständige Aufarbeitung.
Der Verbindungskanal der Hafenbecken wurde ebenfalls begonnen, aber nicht mehr zur Gänze fertig gestellt. Das sogenannte „Blaue Wasser“ diente als Schiffswendeplatz und Wartehafen. Dessen Aushubmaterial wurde zur Schüttung der Dämme, des Kais und der Bahntrasse verwendet. Durch Selbstbegrünung konnte dadurch der Kern des heutigen Auwaldes geschaffen werden.
In Albern kamen imposante Großspeicher, sogenannte „Reichstypenspeicher“, zur Ausführung. Sie waren ab 1936 vom „Reichsnährstand“ in ganz Deutschland zur autarken Versorgung der Bevölkerung errichtet worden und allesamt mit Luftschutzkellern ausgestattet. Von den acht Ansuchen, die im Juli 1939 vorlagen, sind nur fünf verwirklicht worden: zwei Lagerhäuser der Stadt Wien nach Plänen des Stadtbauamtes mit je 20.000 t, ein Speicher der Fa. Hansa Kurt Kampffmeyer aus Berlin mit 20.000 t als Ersatz für den Ausfall eines Speichers im „Altreich“, ein Speicher mit 5.000 t der Fa. M. Friesacher & Söhne und ein Speicher der Fa. Rhenus.
Nach der offiziellen Übergabe des Hafens Albern von der Reichswasserstraßenverwaltung an die Stadt Wien im Jahr 1942, wurde die Wiener Hafen- und Lagerhaus A. G. für den Betrieb und die Verwaltung eingesetzt und der Güterumschlag begonnen. Die Pläne für den weiteren Ausbau des Großhafens waren zu diesem Zeitpunkt aber bereits redimensioniert worden. Die Lobau hatte „Reichsjägermeister“ Göring persönlich zur Schutzzone bestimmt. Sie fiel somit für den weiteren Ausbau weg. Zusätzlich wurden die Lagerkapazitäten des Hafens Albern aufgrund der geringen Auslastung durch den kriegsbedingten Zusammenbruch des Handels verstärkt von Wehrmachtsstellen genutzt. Außerdem gestand sich die Gemeinde Wien ein, dass eine leistungsfähige Hafenwirtschaft erst im Wettbewerb mit Budapest, Bratislava und Linz entwickelt werden musste.
Das gesamte Wiener Großhafen-Projekt blieb durch den Kriegsausbruch und ständige Umplanungen bis zum Fall der NS-Diktatur 1945 Stückwerk. Auch vom Donau-Oder-Kanal waren bis Kriegsende nur vier voneinander getrennte Teilstücke, darunter der Ölhafen Lobau und ein Bogenstück in der Lobau, verwirklicht worden. Zudem waren die Kriegsschäden an den Wiener Hafenanlagen enorm.
Im April 1945, nach dem Rückzug der nationalsozialistischen Hafenleitung, konnte durch eine Widerstandsgruppe die Sprengung des Areals verhindert und rund 60.000t Lebensmittel an die Rote Armee übergeben werden.
Die nach Kriegsende 1946 beschlossene Auflösung Groß-Wiens und die Rücknahme des Stadtgebietes auf die Stadtgrenzen von 1937 mittels Gebietsänderungsgesetz nahm der Wiener Landtag unter Protest zur Kenntnis, da die Gebiete für die weitere Entwicklung Wiens reklamiert wurden.
Das neu gegründete Wiener Stadtbauamt konnte sich, im unter seiner planerischen Oberhoheit durchgeführten Wiederaufbau, nicht von der Weiterführung des unter NS-Planung begonnenen Großprojektes trennen. Es wurde eine Fortsetzung des „Wiener Hafenprojektes“ geplant, da man die Strategie die Donau als Handelsstraße auszubauen als richtig erachtete und auf die Wiederaufnahme der transeuropäischen Kanalprojekte, insbesondere des Donau-Oder-Kanals, des Rhein-Main-Donau-Kanals und auf die Donau-Adria-Verbindung, hoffte. Anders als in der NS-Zeit wurden diese Projekte nicht nur mit der Steigerung des Warenverkehrs innerhalb Europas gerechtfertigt, sondern auch mit der Vision des Zusammenrückens der europäischen Länder in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum verknüpft.
Der Startschuss für die Wiederherstellung, den weiteren Ausbau und die Zentralisierung der Wiener Hafenanlagen erfolgte 1948 mit einem Generalplan unter den demokratischen Vorzeichen der Zweiten Republik. Die Gemeinde Albern mitsamt Getreidehafen konnte erst 1954 mit 16 weiteren niederösterreichischen Gemeinden endgültig in die Bundeshauptstadt eingemeindet werden. Nach wechselvoller Geschichte wurde sie unter sowjetischer Verwaltung erst dem 2. Bezirk zugeschlagen und kam nach dem Staatsvertrag ab 1956 schlussendlich zum 11. Bezirk. Dann erst konnte der als Teil des nationalsozialistischen Donau-Großhafens begonnene Alberner Hafen in die demokratische Entwicklung der Zweiten Republik eingebunden und für die weiteren Interessen der Stadt Wien entwickelt werden.
Literatur:
Robert Bouchal, Johannes Sachslehner, Angriff auf Wien. Das Kriegsende 1945, Wien – Graz – Klagenfurt, 2015.
Otto Broschek, Grundlagen zum Gauwirtschaftsplan von Wien – Teilausarbeitung I, Ausbau der Wiener Hafenanlagen, Wien, 1942.
Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Reichsstatthalter in Wien - Staatliche Verwaltung des Reichsgaues Wien (1940-1945), Z-RO (Generalreferat für Raumordnung), Mappen: „Getreidesilos“, „Hafen Wien (Albern)“, „Donau Oder Kanal Planung Teil I + Teil II“.
Raimund Hinkel, Wien an der Donau. Der große Strom, seine Beziehungen zur Stadt und die Entwicklung der Schiffahrt im Wandel der Zeiten, Wien, 1995.
Marcello La Speranza, Begegnungen. NS- und Kriegsspuren in Wien, Wien, 2015.
Siegfried Mattl, Gottfried Pirhofer, Franz J. Gangelmayer, Wien in der nationalsozialistischen Ordnung des Raums. Lücken in der Wien-Erzählung, Wien, 2018.
Matthias Sailer, Der Hafen Wien, Wien, 1959.
Helmut Weihsmann, Bauen unterm Hakenkreuz – Architektur des Untergangs, Wien, 1998.
Wiener Stadtbauamt (Hg.), Die Tätigkeit des Wiener Stadtbauamts und der städtischen Unternehmungen technischer Richtung in der Zeit von 1935 bis 1965 – ein Bericht in zwei Bänden, Bd. 1, Wien, 1974.
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