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Anton Füster und die 1848er
Die Republik im Exil
Um der Ermordung und jahrelangen Repressionen zu entgehen, flüchteten viele 1848er aus Österreich. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch fast alle linken, also radikal-demokratischen, republikanischen und soziale Umwälzungen fordernden Abgeordneten zum Reichstag von Kremsier. Ins Exil gingen der Bauernbefreier Hans Kudlich, der Sozialrevolutionär Ernst Ritter von Violand, der Doktor der Medizin und Chirurgie Josef Goldmark, Bruder des Komponisten Karl Goldmark, und der revolutionäre Professor der Religion an der philosophischen Fakultät und katholische Priester Anton Füster. Um 1856 wurden in Österreich fast alle prominenten Flüchtlinge schließlich in einem „Contumacialverfahren“, also in Abwesenheit, zum Tode verurteilt.
Ziel der Flucht waren die USA. Wenn die Republik schon nicht in der Alten Welt Wirklichkeit werden durfte, so konnte in der inzwischen 72 Jahre alten Republik ein neues Leben beginnen, Träume in Erfüllung gehen.
Mit den „Forty-Eighters“, wie in den USA die Revolutionäre aus Deutschland, Österreich und Ungarn genannt wurden, erfuhr die US-amerikanische Demokratie ihrerseits neue Impulse. Etliche radikal-demokratische Republikaner aus Wien haben die politische Entwicklung der USA mitgestaltet, vor allem, weil sie Abraham Lincoln in seinem Kampf gegen die Sklaverei nicht nur unterstützt, sondern vor allem an seinem Wahlerfolg beteiligt waren. Viele kämpften auch in den Reihen der Unions-Armee während des Sezessionskrieges. Einer von ihnen war Heinrich Börnstein. Er kommandierte das aus Deutschen, Österreichern, Ungarn zusammengesetzte Zweite Missouri-Regiment, welches maßgeblich an der Eroberung St. Louis beteiligt war. 1862 wurde er als Dank für seine Verdienste von Präsident Abraham Lincoln persönlich zum US-amerikanischen Konsul in Bremen ernannt. Bremen war zu diesem Zeitpunkt einer der wichtigsten Häfen für die europäischen Auswanderer:innen in Richtung USA, was im Bürgerkrieg von großer Bedeutung war, da die US-Armee dringend Rekruten brauchte. 1870 sollte Heinrich Börnstein nach Wien kommen und die Direktion des „Theaters in der Josefstadt“ übernehmen.
Einer der bekanntesten Wiener „Forty-Eighter“ in New York war Anton Füster, der als Feldkaplan der „Akademischen Legion“, als exotische Erscheinung eines revolutionären katholischen Priesters berühmt wurde. In der „Akademische Legion“ der Wiener Nationalgarde engagierten sich Studierende und Akademiker. Die Offiziere wurden gewählt und man maß politischer Bildung eine ebenso große Bedeutung zu, wie der militärischen Ausbildung. Neben den Arbeiter:innen und Einheiten der Nationalgarde aus den demokratisch gesinnten Vorstädten Wiens gehörte die „Akademische Legion“ zu jenen militärischen Verbänden, die bis in die letzten Oktobertage des Jahre 1848 gegen die kaiserlichen Truppen kämpften.
Gleich zu Beginn der Revolution hatte Anton Füster schon einen ungewöhnlichen, bis dahin einzigartigen Schritt gesetzt, als er am 17. März 1848, gemeinsam mit dem Prediger der israelitischen Kultusgemeinde Isak Noa Mannheimer und einem evangelischen Pastor für die Märzgefallenen eine „ökumenische Leichenfeier“ auf dem Schmelzer Friedhof organisierte. 40.000 Menschen kamen, um jenen 35 Demonstranten aller Konfessionen das letzte Geleit zu bieten, die am 13. März von den Soldaten niedergemetzelt wurden.
Wie die demokratischen Abgeordneten im Reichstag von Kremsier, Ernst Violand und Anastasius Grün (Anton Alexander von Auersperg), kam auch Anton Füster aus der Krain, dem heutigen Slowenien. Füsters politische und, was für einen Priester natürlich ungewöhnlich ist, religiöse Einstellungen standen, was Toleranz und Demokratie betraf, ganz im Gegensatz zu jenen der katholischen Kirche, die auf der Seite der Unterdrücker stand. Als Ende Oktober 1848 die Revolution in Wien niedergeschlagen wurde, kam Anton Füster kurz in Haft, wurde jedoch bald wieder freigelassen, weil er Abgeordneter war. Er nahm seinen Sitz im Reichstag von Kremsier ein und ging, als dieser aufgelöst wurde, ins Exil.
Anton Füster kam 1853 in New York an und lebte zuerst im Gasthaus „Zum Wiener Legionär“ in der Grand-Street in Manhattan, welches der ehemalige Hauptmann des Juristen-Corps der „Akademischen Legion“, Franz Wutschel, betrieb. Im Gasthaus traf man viele Exilösterreicher, einer der Stammgäste war Josef Goldmark. Wutschel betätigte sich auch im Exil politisch und rief Anfang 1852, gemeinsam mit dem ebenfalls exilierten Budapester Schriftsteller Adolf Gyurmán, wie man in der Wiener Presse kritischen Auges beobachtete, die Zeitung „Demokratischer Völkerbund“ ins Leben. Im Editorial der ersten Ausgabe vom 1. Jänner 1852 konnte man lesen:
„We are Europeans–we came as fugitives to America, because the whole of the united princess suppressed the exertions for freedom of the isolated struggling people. But do not give up Europa as lost. We are fully convinced that the people of Europe will have a democratic future [...] Europe cannot become Cossack; it must become republican.“ (The Republic, 1852)
Franz Wutschel zählte knapp zehn Jahre später, 1861, zu jenen 5.000 New Yorker „Forty-Eighter“, die sich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten. Er war Offizier des „8. New York Volunteer Infantry Regiment“ und der „First German Rifles“. Nach dem Krieg war er bei den „German democrats“ tätig, deren „geistiger Führer“ der ehemalige Philosophiestudent aus Wien, Leutnant der Wiener Nationalgarde Oswald Ottendorfer war. Dieser sollte von 1859 bis zu seinem Tod 1900 Herausgeber und Inhaber der ältesten und größten deutschsprachigen Zeitung der Stadt sein, der „New Yorker Staats-Zeitung“. Zugleich spendete Ottendorfer große Summen für den Aufbau von Volksbibliotheken in New York, aber auch 300.000 Gulden, was 2023 eine Kaufkraft fast fünf Millionen Euro ausmacht, für ein Spital in seiner Heimatstadt Zwittau, heute Svitavy, in Mähren. In der Ausgabe vom 30. Oktober 1900 der „Neuen Freie Presse“ liefert deren New York-Korrespondent, der Wiener Schriftsteller und Theatermacher Maurice Baumfeld folgende markante Beschreibung des wohltätigen Exilösterreichers:
„Sein interessanter Kopf mit dem sorgfältig gepflegten Kaiserbarte ist durchaus unamerikanisch, er erinnert weit eher an einen österreichischen Aristokraten. Sein Denken und Fühlen aber gehört der Republik, deren Kämpfe er seit einem Menschenalter mitgemacht.“ (Baumfeld, 1900)
Anton Füster konnte bald nach seiner Ankunft in den USA neue Aufgaben übernehmen. Er leitete ab 1858 eine von der „Gesellschaft zur Förderung der sittlichen Erziehung der Jugend“ gegründete Sonntagsschule. Der Unterricht bestand aus der Auseinandersetzung mit „Biographien ausgezeichneter Menschen“ und mit einer „Vernunft-Moral“, die auf den Prinzipien der Aufklärung basierte. Die Kinder wurden mit einem mit der Taufe oder Konfirmation vergleichbaren, jedoch laizistischen Ritual in die Schule aufgenommen. Die Sonntagsschule gilt als Vorläufer der Anfang 1859 gegründeten „Freien deutschen Schule“ in New York, die von Anton Füster und Gustav Struve, dem berühmten Anführer der Badischen Revolution, geleitet wurde. Dieser hatte am 21. April 1848, an der Schweizer Grenze auf den Weg ins Exil, noch die „Deutsche Republik“ ausgerufen, und zwar nicht, wie sonst vielerorts üblich, im Zeichen einer deutschen Trikolore, sondern im Zeichen der roten Fahne. Das Motto der Republik war „Wohlstand, Bildung, Freiheit für alle!“
Neben Bildungsvereinen, Theatergruppen, Zeitschriften und Zeitungen, Turnvereinen, Kindergärten, Spitälern gehörten in den ganzen USA die „Freien deutschen Schulen“ zu den wichtigsten Institutionen der „Forty-Eighter“. Den Kindern der Einwanderer und Flüchtlinge sollte ein regelmäßiger Schulunterricht geboten werden, in dem neben Englischkursen und sonstigen nützlichen Lehrfächern, wie Literatur, Mathematik, Buchhaltung, Naturwissenschaften, auch die demokratisch-republikanischen Werte der 1848er-Revolution, die mit jenen der US-amerikanischen Gesellschaft quasi ident waren, vermittelt wurden. Auch galt es, die Kinder von jeder religiösen Indoktrinierung fernzuhalten. „Frei“ hatte jedoch auch die Bedeutung, dass die Schule Kindern mittelloser Familien frei von Gebühren offen stand.
1876 kehrte der fast 70-jährige Anton Füster nach Österreich zurück. Zuerst wohnte er in Graz, wo er für die liberale, antiklerikale Tageszeitung „Grazer Tagespost“ Berichte über Amerika verfasste. Der Chefredakteur war der Prager Journalist, Freidenker und erste Förderer Peter Roseggers, Adalbert Svoboda. Im Sommer 1877 zog Füster nach Wien, wo ihn Studenten und alte Weggefährten finanziell unterstützten und er sich sonst als Englischlehrer durchschlug. Auch hielt er regelmäßig Vorträge über Amerika. Er schrieb an seinen Memoiren, die jedoch nie zur Gänze publiziert wurden. 1881 starb er in Wien an einem Nierenleiden. Sein Begräbnis ging, von Friedrich Schlögl beschrieben, in die Literatur ein:
„Sie hatten sich wieder einmal eingefunden. Fast vollzählig kamen sie und stellten sich auf die gemeinsamen Sammelplätze. Sie folgten keinem namentlichen Aufruf, keiner allgemeinen Verabredung – in spontaner Herzensregung trieb es sie nach den Orten, wo man sich selbstverständlich treffen mußte, wo man sich nach Jahren wieder sah und sich stumm begrüßte und bewegt die Hände reichte. Ohne Kommando erschienen sie, aber trotzdem pünktlich und gewissenhaft: Sonntags auf dem Schmelzer Friedhof vor dem Grabe der Märzopfer, und montags am Sarge Füsters. Ein sehenswerter Anblick, diese Zivilveteranen, die letzten lebenden Überbleibsel aus der glorreichen Sturm- und Drangperiode! ...“ (Schlögl, 1997)
Bei seinem Begräbnis am Zentralfriedhof war u.a. Viktor Adler zugegen und auf dem 1882 aufgestellten Grabstein, der eher einem Denkmal gleicht, steht:
„Feldkaplan der akademischen Legion, Mitglied des ersten österreichischen Reichstages, Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika.“ (Häusler, 2020)
Literatur und Quellen:
Asai, Ben: Eine interessante Episode aus dem Jahr 1848. In: Jüdische Volksstimme vom 8. August 1912, 1.
Aus New-York, im Jänner. In: Wiener Zeitung vom 11. Februar 1852, 13.
Begrüßung in der Heimat. In: Mährisches Tagblatt vom 27. August 1887, 4.
BfD, M [Moritz Baumfeld]: Oswald Ottendorfer über die Wahlcampagne in den Vereinigten Staaten. In: Neue Freie Presse vom 30. Oktober 1900, 9.
Emanuely, Alexander: Das Beispiel Colbert. Fin de siècle und Republik. Ein dokumentarischer Essay. Epiloge von Lydia Mischkulnig und Gerhard Scheit. Wien 2020, 111.
Häusler, Wolfgang: Schubumkehr. Von der Tradition der demokratischen Revolution 1848 zu Deutschnationalismus und Antisemitismus. In: ÖGL. Österreich Geschichte Literatur Geographie. 64 Jg. 1/2020, 5.
Historischer Währungsrechner. Eurologisch. Finanzbildung durch die Oesterreichische Nationalbank. Auf: www.eurologisch.at (1.1.2023).
Martin, François: Gedenkblatt an die deutsche Revolution. In: Süd-Dakota Nachrichten vom 6. April 1899, 4. Auf: chroniclingamerica.loc.gov (1.2.2023).
Morgen-Post vom 20. April 1856, 2.
Reiss, Ansgar: Radikalismus und Exil. Gustav Struve und die Demokratie in Deutschland und Amerika. Stuttgart 2004, 313.
Schlögl, Friedrich: Alte „Achtundvierziger“. In: Friedrich Schlögl: Wiener Blut und Wiener Luft. Skizzen aus dem alten Wien. Hg. v. Karlheinz Rossbacher und Ulrike Tanzer. Salzburg 1997, 38.
Stankovič, Janez: Anton Füster - a Slovene forty-eighter. In: Acta neophilologica, Band 31, 1998, 89.
The Republic vom 8. Jänner 1952, 2. Auf: chroniclingamerica.loc.gov (1.6.2023)
Twenty-Second Ward Jacob Cohen Association. In: The New York Herold vom 25. September 1869, 7. Auf: chroniclingamerica.loc.gov (1.2.2023).
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Kommentare
Lieber Walter, vielen Dank für den Hinweis - im Magazin schon korrigiert, in der Online Sammlung in Kürze! Liebe Grüße, Peter
Äußerst interessanter Beitrag!
Bei der Beschriftung des letzten Fotos ist eine kleiner Fehler passiert: Das abgebildete Grab Füsters befindet am Zentralfriedhof, nicht am Evangelischen Friedhof Matzleinsdorf. Es befand sich auch nie in Matzleinsdorf, da Füster, wie im Text richtig vermerkt, am Zentralfriedhof begraben und nicht etwa später dorthin überführt wurde. Bitte auch in der Online-Sammlung korrigieren.
Walter Öhlinger