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Therese Muxeneder, 9.9.2024

Arnold Schönberg als bildender Künstler

„Musizieren in Farben und Formen“

Im Malen und Zeichnen sei er ein „absoluter Amateur“, meinte Arnold Schönberg. Dennoch hatte diese Form des künstlerischen Ausdrucks eine zentrale Bedeutung im Leben des Komponisten. Die eigenen bildnerischen Werke schmückten nicht nur seine Wohn- und Arbeitsräume, sondern wurden auch öffentlich ausgestellt.

Das bildnerische Œuvre Arnold Schönbergs umfasst 347 Werknummern. Eine Mehrzahl der Gemälde, Zeichnungen und Designs entstand in den Jahren 1906 bis 1911. In einem Brief an Wassily Kandinsky vom 8. März 1912 betonte Schönberg, die Malerei nehme keineswegs einen seiner Musik vergleichbaren Stellenwert ein, er sei darin „ein Outsider, ein Amateur, ein Dilettant“ (Catalogue raisonné 2005, II, 123). Dennoch ließen sich die künstlerischen Intentionen in beiden Sparten vergleichen, wie er 1949 in einem Museumsgespräch über Malerei aus historischer Distanz einräumte: „I planned to tell you what painting meant – means – to me. In fact, it was to me the same as making music. It was to me a way of expressing myself, of presenting emotions, ideas, and other feelings; and this is perhaps the way to understand these paintings – or not to understand them“ (ebenda, 14).

Seine Malerei charakterisierte er zuweilen als „Musizieren in Farben und Formen“ (Brief an Otto Kallir, 5.6.1945; ebenda, 80). Schönbergs bildnerische Kenntnisse beschränkten sich auf Schulbildung, eigenständige Aneignung eines allgemein verbindlichen Bildungskanons sowie Gespräche mit Künstlerzeitgenossen. „As a painter I was absolutely an amateur; I had no theoretical training and only a little esthetic training, and this only from general education, but not from an education which pertained to painting“ (Museumsgespräch über Malerei; ebenda, 14).

Wenngleich seine Interessen an bildender Kunst vor 1906 kaum dokumentiert sind, dürften eine Reihe von Ereignissen und Konstellationen und deren Resonanz im Feuilleton vermutlich einen Bildungshintergrund geschaffen haben, auf dem sich Schönbergs Kenntnisse über Malerei entfalten konnte. Er besuchte nicht nur die Ausstellungen der Wiener Secession, sondern frequentierte darüber hinaus die Galerien Miethke und Pisko, den Hagenbund und die legendären Wiener Kunstschauen von 1908 und 1909, in denen zentrale Tendenzen der Wiener Moderne aufgegriffen und neue Funktionszusammenhänge der Künste thematisiert wurden.

 

Kontakte zu Josef Heu, Carl Moll, Oskar Kokoschka, Max Oppenheimer, Wassily Kandinsky, Egon Schiele, Gustav Klimt und Max Liebermann weisen den Komponisten als einen an den bildenden Künsten interessierten Gesprächspartner aus. Im Januar 1906 konnte sich Schönberg in der Galerie Miethke, die er 1910 für seine erste eigene Ausstellung in Betracht zog, bei einer Kollektivausstellung mit 45 Werken Vincent van Goghs vertraut machen. Ein Rezensent von Schönbergs erster Ausstellung wird später eine visuelle Verwandtschaft feststellen: „Schönberg hat viel Gauguin und van Gogh gesehen und an ihnen Gefallen gefunden“ (Wiener Abendpost, 8.10.1910).

Im Frühjahr 1906 lernte Schönberg den Maler Richard Gerstl, einen Studenten an der Akademie der bildenden Künste Wien, kennen. Über Art und Inhalt der Gespräche zwischen den beiden Künstlern lässt sich nichts ermitteln, gewiss wurde „Handwerkliches angeraten, Malmaterial zur Verfügung gestellt“ (Breicha 2002, 69). Schönberg nutzte seine Verbindungen, um im Ansorge-Verein auf die Bilder Gerstls aufmerksam zu machen, vermittelte diesem an seiner Wiener Wohnadresse (Liechtensteinstraße 68/70, Wien IX.) ein Atelier und verbrachte mit ihm sowie Schülern und Familie die Sommerferien 1907 und 1908 am Traunsee, wo der Komponist von dem Studenten der „Systematisierten Specialschule für Landschaftsmalerei“ Heinrich Leflers ‚en plein air‘ in der Malerei instruiert wurde.

Im August 1908 wurde eine Affäre Gerstls mit Schönbergs Frau Mathilde aufgedeckt. Nach Flucht der beiden aus dem Urlaubsdomizil nach Wien folgte die äußerliche Konsolidierung der Ehe aus Rücksichtnahme auf die beiden 6- und 2-jährigen Kinder Trudi und Georg. Gerstl übersiedelte sein Atelier in die Liechtensteinstraße 20, wo er am 4. November 1908 im Alter von 25 Jahren Selbstmord beging. Die biographisch einschneidenden Wochen und Monate nach der Tragödie markieren den Startzeitpunkt für Schönbergs kurze Hochphase als bildender Künstler. Er beginnt erstmals seine Selbstportraits zu signieren und zu datieren, wendet sich mit der Gestaltung von Spielkarten auch der angewandten Kunst zu und erwägt schließlich, mit Portraitmalerei eine weitere Einkommensquelle zu erschließen. Im Januar 1910 erfolgt ein Wohnsitzwechsel. In der Hietzinger Hauptstraße 113, Wien XIII., entsteht in den kommenden Monaten die überwiegende Anzahl seiner Gemälde, die Schönberg im selben Jahr mit einer Ausstellung im Kunstsalon Heller erstmals der Wiener Öffentlichkeit präsentiert.

Schönbergs Bildwerke aus dem Nachlass werden seit 1998 als Dauerleihgabe der Erbengemeinschaft (Los Angeles und Venedig) am Arnold Schönberg Center in Wien bewahrt. Einige Gemälde aus Privatsammlungen (Carl Moll, Helene Berg, Heinrich Jalowetz, Georg Schönberg) wurden vom Wien Museum erworben, nur wenige befinden sich darüber hinaus noch in privater und öffentlicher Hand (USA, Österreich). Rund 30 Werke sind verschollen.

Selbstportraits

Mit 75 Katalognummern dominiert die Gruppe der Selbstportraits das bildnerische Schaffen Schönbergs. „I am willing to sit for myself and always am available when I want to paint“ (Hayward 1949, 13). An den zwischen 1905 und 1944 entstandenen Darstellungen der eigenen Physiognomie spiegeln sich Wahrnehmungen des Ich, seelische Gestimmtheiten, aber auch geschichtliche bzw. autobiographische Momente. Sie „dienten ihm dazu, sein Befinden in einem gewissen Moment seines Lebens zu dokumentieren“ (Schoenberg Nono 2002, 90). Die Selbstportraits sind Spiegelbilder, sie überschreiten zuweilen die Grenzen zu den Eindrücken und Fantasien, können detailreicher ausgearbeitet sein oder schematisch ausfallen, finden sich in einem Skizzenbuch ebenso wie auf der Leinwand. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Gattungen seines Bildœuvres liefert die höhere Anzahl an Datierungen, welche zuweilen Rückschlüsse auf Kontexte erlauben. Es zeigt sich, dass die Selbstportraits oft in persönlich angespannten und krisenhaften Momenten entstanden.

Das Jahr 1908 markiert in künstlerischer wie biographischer Hinsicht den Beginn einer einschneidenden Lebensphase des Komponisten. In die schwierige Aufarbeitungszeit nach Richard Gerstls Tod, welche von Schönbergs Sorge begleitet wurde, er könne aufgrund seiner „Stellung in der Oeffentlichkeit“ Gegenstand der „Sensationslust“ durch die Presse werden (Brief an Alois Gerstl, November 1908; Wipplinger/Haldemann 2019, 51), fiel ein Konzertereignis: Am 21. Dezember 1908 fand in Wien die Uraufführung seines II. Streichquartetts op. 10 statt, welche zu einem in der Geschichte des Konzertlebens in Schönbergs Geburtsstadt zuvor noch nie dagewesenen Skandal führte. Über Tage waren auf den Kulturseiten in- und ausländischer Zeitungen Berichte über die Ereignisse im Bösendorfer-Saal zu lesen.

In dieser Phase zeichnete Schönberg ein in seiner Perspektive singuläres Selbstportrait. Der Blick wendet sich in dem Schulterstück vom Betrachter (i. e. imaginären Hörer) ab.

In der letzten Januarwoche 1910 übersiedelt der Komponist nach Hietzing. In der neuen Wohnung eröffnet das mit 13. Februar 1910 datierte Blaue Selbstportrait die Gemäldeserie. Das fehlende linke Ohr öffnet einerseits den Assoziationsspielraum zu van Gogh, verweist andererseits jedoch auf eine kurz zuvor veröffentlichte Uraufführungskritik von Julius Korngold nach einem Schönberg-Abend: In dem vom Verein für Kunst und Kultur organisierten Konzert im Ehrbar-Saal (Wien IV) wurden am 14. Januar 1910 u. a. die Opera 11 und 15 erstmals zu Gehör gebracht. Korngolds Rezension kreist um das Thema Hören: Die Wirkungen von Schönbergs Musik auf das sensible Organ („Die Auflehnungen des Künstlers weckten grausame Auflehnungen des Hörers“), die Loslösung von allen Gesetzmäßigkeiten der Aufnahmefähigkeit, die Substitution musikalischer Fasslichkeit durch ein „Stammeln und Lallen, wie eine Grimasse für das Ohr“. Schließlich wird dem Wunsch Ausdruck verliehen, dass Schönbergs „überreiztes Ohr gesundete, daß sein Tondenken zur Natur zurückfände, dem Mißklang als Religion absagte“ (Neue Freie Presse, 26.1.1910). Die Emotion des Komponisten/Malers findet in der Farbe Blau eine Entsprechung, ähnlich zum Farbenspiel der Gesichtspartie in „Hass“, das zusammen mit dem Blauen Selbstportrait auf einer ursprünglich zusammenhängenden Sperrholzplatte gemalt wurde.

Die Portraitmalerei Schönbergs deutet in ihren Anfängen auf eine Präsenz Richard Gerstls hin, der in der Forschung generell als „Schlüssel für Schönbergs [...] Beschäftigung mit der Malerei“ angesehen wird (Freitag 1973, 11). Diese Präsenz ist augenscheinlich am Portrait von Schönbergs Tochter Gertrude (Trudi) aus dem Wien Museum.

Mit Ausnahme der in Skizzenbüchern und -heften überlieferten Portraits aus dem Familienkreis entstanden alle personenbezogenen Gemälde mehrheitlich erst nach Gerstls Tod. Die portraitierten Personen entstammen dem persönlichen Umfeld Schönbergs: Familie: Mathilde, Trudi und Georg Schönberg, Clara und Alexander Zemlinsky; Freunde, Schüler, Interpreten: Helene Nahowski und Alban Berg, Karl und Marietta Werndorff; Personen des Wiener Kulturlebens: Musikwissenschaftler Hugo Botstiber, Verleger Emil Hertzka und Galerist Hugo Heller. Die Mehrzahl der Gemälde sind Brustbilder, nur gelegentlich wagt sich Schönberg auch an abweichende Formate und malt ganzfigurige Darstellungen, so im Falle des im Wien Museum bewahrten Portraits von Alban Berg. In späteren Jahren erinnerte sich Schönberg an die erste Begegnung mit dem „großen Jüngling“: „When Alban Berg in 1904 came to me, he was a very tall youngster and extremely timid.“ Das „in Komposition und Malweise im Wien von 1910 durchaus nicht revolutionär[e]“ Portrait (Werkner 2002, 494) nahm in Schönbergs Selbsteinschätzung einen nicht unerheblichen Stellenwert ein. Für die im September 1924 veranstaltete Musik- und Theaterausstellung, die mit Anton Bruckner (100.) und Schönberg (50. Geburtstag) zwei musiksprachlich sehr gegensätzliche Jubilare der jüngeren österreichischen Musikgeschichte würdigte, wurde das hochformatige Bild aus Bergs Wohnung in Hietzing in die Räumlichkeiten des Wiener Rathauses gebracht. Das Gemälde wurde mit dem im Frühjahr 1924 entstandenen Schönberg-Portrait von Oskar Kokoschka und einer Reihe von Manuskripten neuerer Kompositionen ausgestellt.

Das ebenso im Wien Museum bewahrte Portrait von Helene Nahowski (ab 1911 mit Alban Berg verheiratet), entstand in Schönbergs Wohnung – erkennbar an Selbstzitaten: den an der sichtbaren Wand hängenden Gemälden „Fleisch“ sowie „Blick“ vom März 1910.

Über seine Portraits offenbart Schönberg: „Ich habe niemals Gesichter gesehen, sondern, da ich den Menschen ins Auge gesehen habe, nur ihre Blicke. Daher kommt es auch, dass ich den Blick eines Menschen nachmachen kann. Ein Maler aber erfasst mit einem Blick den ganzen Menschen – ich nur seine Seele“ (Malerische Einflüsse; Catalogue raisonné 2005, II, 12).

Eindrücke und Fantasien

Man hat in Schönbergs bildnerischem Schaffen nicht zuletzt aufgrund von dessen Nähe zum österreichischen Frühexpressionismus – Gerstl, Oppenheimer, Kokoschka – und dessen geistiger Nachbarschaft zu den Seelenforschungen seines Zeitgenossen Sigmund Freud ein „sehr österreichisches Element“ (Ronte 2003, 17) ausgemacht. In den 1910 entstandenen Eindrücken und Fantasien werden Horizonte des Innenlebens ausgemalt. Werke Edvard Munchs, die in diesem Zusammenhang zum Vergleich einladen, waren dem an der nordischen Moderne interessierten Schönberg spätestens seit der Kunstschau 1909 und den dort ausgestellten Skizzen zu Henrik Ibsens Theaterstück „Gespenster“ bekannt. Die Werkgruppe von Schönbergs Eindrücke und Fantasien hat vielfach Würdigung erfahren, allen voran durch Wassily Kandinsky, der in den „Visionen“ Schönbergs 1912 „Gemütsbewegungen, die keine musikalische Form finden“, zu erkennen vermeinte (Catalogue raisonné 2005, II, 54). Schönberg wollte die Serie jedoch als „Blicke“ verstanden wissen: „Ich kann den Blick der meisten Menschen nachahmen! Und das kommt daher, dass ich den Menschen nur in die Augen sehe [...]. Darum auch wurden meine Zeichnungen nach den ersten paar Strichen immer schlechter; wenn ich Details hinzufügen wollte. Daher kommt es wahrscheinlich auch, dass meine sogenannten ´Visionen` immer Blicke sind.“ (Blicke; ebenda, 10)

Naturstücke

Die Naturstücke setzen sich aus vermischten Skizzen und Aquarellen, der in Richard Gerstls Anwesenheit am Traunsee entstandenen Pleinair-Malerei sowie den im Hietzinger Atelier gemalten Landschaften und Außenräumen zusammen. Mit einigen im Jahr 1907 entstandenen Gemälden Gerstls verbindet Schönbergs mimetische Naturmalerei ein pointillistischer Farbauftrag, erkennbar am Gemälde Garten.

Das letzte Ölgemälde aus der Hauptschaffensphase ist ein Trauerbild. Am 18. Mai 1911 verstarb Schönbergs Mentor und künstlerisches Vorbild Gustav Mahler im Beisein seines Schwiegervaters Carl Moll im Sanatorium Loew. Mahlers Begräbnis fand vier Tage später auf dem Friedhof Grinzing statt. Zu den Worten des Pfarrers, der mit einer Bibelstelle an die christliche Hoffnung der Auferstehung erinnerte, wurde der Sarg in die Erde hinabgesenkt. Strömender Regen wich einem Aufhellen des Himmels. 
Nach dem Abschiednehmen in Grinzing entstand eines der letzten Gemälde Schönbergs: Begräbnis Gustav Mahler. In der Mitte des Bildes ist ein dunkler Grabschacht positioniert, um den sich nur schemenhaft umrissene Personen gruppieren, eine Naturszenerie, welche die Stimmung am Friedhof einfängt. Die hünenhaft überdimensionierte, alle anderen Trauernden überragende und am linken Rand des Grabschachtes kniende Gestalt mag Schönberg selbst darstellen. Die in einen Metallsarg gebettete irdische Hülle Mahlers ist unsichtbar. Die Bedeutungsüberlagerung von Christus und Mahler entspricht seiner Aussage „Gustav Mahler war ein Heiliger“, der auf Erden in der „höchsten Region der Reinheit“ wandelte (Der Merker, 1912). Das Wien Museum konnte das Gemälde dank der Unterstützung des Vereins der Freunde des Wien Museums aus amerikanischem Privatbesitz erwerben.

Geschenke

Wenige Monate vor Schönbergs Emigration in die USA übersandte Carl Moll in Erinnerung an alte gemeinsame Tage in Wien seine (heute verschollene) Studie „Wiener Atmosphäre“ an Schönberg nach Berlin. In seinem Begleitschreiben vom 21. Dezember 1932 nimmt Moll Bezug auf zwei Gemälde, die er von Schönberg (vermutlich nach einer Einzelausstellung in der Galerie Heller im Hebrst 1910) als Geschenk erhalten hatte: „Lieber Meister Schönberg. Alma erzä[h]lte mir, dass Sie meiner Arbeiten noch mit Sympathie und Anerkennung gedenken. Sie glauben nicht wie wo[h]l das einem einsamen Überbleibsel von Gestern thut. [...] Frage ich mich was meiner Arbeit Ihre Sympathie verschaffen kann – so glaube ich eine Antwort in der Innerlichkeit der beiden Bildnisse, welche mich von der Wand meines Ateliers grüßen, zu finden“ (Catalogue raisonné 2005, II, 78). Es handelte sich bei den erwähnten Bildnissen um ein Selbstportrait sowie ein Portrait von Mathilde Schönberg, die nach Molls Tod in die Sammlung des Wien Museums übergingen. Schönberg hatte die Gemälde möglicherweise nach seiner Einzelausstellung in der Galerie Heller im Herbst 1910 verschenkt.

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Technische Aspekte

Der Catalogue raisonné der Bildwerke Schönbergs verzeichnet mehr als 50 Techniken bzw. Materialkombinationen (Graf 2005). Bei den Trägern seiner Bildwerke vertraute Schönberg auf gängige Materialien, die im Künstlerbedarf zu erwerben waren. In der Ölmalerei zeigt sich eine Bevorzugung von Kartons und Pappen, die günstiger als Leinwände und einfacher bzw. spontaner zu bearbeiten waren. Sechs Gemälde aus dem Nachlass sind auf dreilagigem Sperrholz gemalt, einem um 1910 neuartigen Holzwerkstoff. Bei den Zeichnungen dominiert ein pragmatisches Nebeneinander von Materialien. 
Schönberg verwendete industriell hergestellte Farben. Einige Zeichnungen zeigen typische Merkmale wachshaltiger Zeichenmittel. Das Nebeneinander von Bunt- und Wachsstift sowie Farbkreide ist möglich, schwarze Kohle oder Kreide finden selten Verwendung. Schönberg kombinierte mehrfach Aquarell- mit Deckfarben und bevorzugte eine wässrige Maltechnik (Graf 2005, 144). Mit wenigen Ausnahmen wurde die Malerei in Öl auf Sperrholz sowie Öl, Öltempera und Tempera auf Pappe bzw. Malpappe nicht grundiert. 

Leben mit Bildern

Schilderungen von Zeitgenossen und historische Fotografien bezeugen Schönbergs Usus, sich an seinen Wohnsitzen mit eigenen Gemälden und Zeichnungen zu umgeben. Ein Journalist berichtet im Januar 1909 nach einem Besuch in der Liechtensteinstraße – bereits vor Entstehung der Gemäldeserie 1910 – von der Zweitbegabung des Komponisten: „Ein paar Bilder, die die Wände zieren, verraten mir, dass der Künstler auch den Pinsel führt. Und zwar mit einer merkwürdigen Begabung, in einer breiten, impressionistischen Manier, mit starker Wirkung der Fläche“ (Wilhelm 1909). Besucher der Bernhardgasse 6 in Mödling (Wohnsitz zwischen 1918 und 1925) konnten sich von den rätselhaften Blicken und Visionen des Hausherrn einen Eindruck verschaffen. Darius Milhaud, der Schönberg 1922 zusammen mit Francis Poulenc besuchte, erinnert sich an die gemalten Blicke: „We had coffee in a dining-room, the walls of which were hung about with Schoenberg’s paintings. Faces and eyes, eyes, eyes everywhere!“ (Milhaud 1944, 383). Helene Wolfsohn, eine Besucherin der Berliner Wohnung am Nürnberger Platz (Anfang 1930er Jahre), beschreibt ein Ping-Pong-Zimmer, dessen Wände ausschließlich Selbstportraits des Hausherrn zierten (Arnold Schönberg Center, Wien, SatCollG14).

Eine über die wenigen Kernjahre der Malerei hinausgehende, andauernde Wertschätzung der Bildwerke in häuslichem Kontext ist durch historische Fotografien von Schönbergs Wohnungen in Wien, Berlin, Mödling und Los Angeles dokumentiert. Gemälde und Zeichnungen sind mitunter thematisch gehängt: eine Gruppe von Bildnissen Gustav Mahlers ist mit Fotografien über Schönbergs Schreibtisch in Mahlers Todesjahr 1911 kombiniert (ebenda; PH2926); eine Serie von Eindrücken und Fantasien in Wohn- und Esszimmer sowie im Musikzimmer deutet auf die Vorliebe für die Werkgruppe hin. Der Künstler gab zuweilen Einblicke in seine Lebenswelt für Publikationszwecke frei, versandte Fotoabzüge, die ein Leben in Bildern dokumentieren, an Freunde oder adjustierte die Privatgalerie bei Bedarf auch anlassbezogen. 

Unvollkommenheit des Könnens

Schönberg führte sein bildnerisches Vermögen auf einen ebenso zum Komponieren befähigenden Sinn für Proportionen, Maße, innere Logik und formale Ausgewogenheit zurück: „It is necessary to express form with the same purpose as one composes music“ (Rivkin 1948, 65). Differenzierung erfährt diese Parallele durch eine auf musikalischem Terrain zielgerichtete Selbstbildung mit Fortschrittsanspruch, indes auf dem Gebiet der Malerei technische Könnerschaft keine Rolle spielte und der schöpferische Gegenstand im Schaffensprozess bedingungslosem Ausdruck – ohne Rückversicherung im Handwerklichen – unterworfen wurde: „Das ist etwas, was nur ich getan haben konnte, denn es ist aus meiner Natur heraus und ist der Natur eines wirklichen Malers vollkommen entgegengesetzt“ (Malerische Einflüsse; Catalogue raisonné 2005, II, 11).

Der Amateurmaler fand mit seinen Bildern bei Zeitgenossen wenig Fürsprecher, „weil er auf alle dekorativen Mittel der Stilisierung verzichtete und – einerseits Paul Cézanne, andererseits Edvard Munch folgend –, einen objektiven Weg in die moderne expressive Flächenkunst fand“ (Oberhuber 2004, 95). Die Preisgabe perspektivischer Regeln musste Fachautoritäten verstören. Nach einem Atelierbesuch von Carl Moll in Hietzing replizierte Schönberg in einem Brief an den Maler vom 16. Juni 1910: „Ich bin ganz sicher, Sie haben recht, wenn Sie die Unvollkommenheit meines Könnens in den Naturstücken gleich Null setzen. Ich finde das alles selbst schlecht. Aber nicht etwa, weils mir zu wenig originell vorkommt, wie Sie zu glauben scheinen. Nein, ich finde es in ganz demselben Sinn schlecht, wie Sie; und habe es immer auch schlecht gefunden. Weil ich nie das mir wo[h]lbekannte Gefühl der Befriedigung dabei empfunden habe, das ich von meinem musikalischen Schaffen her, als das kenne, was mir sagt: es ist gut! Dagegen habe ich dieses Gefühl bei fast allen den anderen (Phantasiestücken) empfunden und deswegen muss ich glauben: das ist etwas“ (Catalogue raisonné 2005, II, 122).

Dieser Text ist die bearbeitete und stark gekürzte Fassung eines Beitrags aus dem Schönberg-Handbuch (Hg. Andreas Meyer, Therese Muxeneder, Ullrich Scheideler), das 2023 im Bärenreiter Verlag erschienen ist. 

 

Literatur

Arnold Schönberg. Catalogue raisonné. Hg. von Christian Meyer und Therese Muxeneder. 2 Bde. Wien 2005.

Breicha, Otto: Von starken Emotionen getrieben. Die Anfänge der Malerei bei Arnold Schönberg. In: Max Hollein/Blaženka Perica (Hg.): Die Visionen des Arnold Schönberg – Jahre der Malerei. Ostfildern-Ruit 2002, 67–72.

Freitag, Eberhard: Schönberg als Maler. Phil. Diss. Westfälische Wilhelms Universität zu Münster 1973.

Graf, Verena: Anmerkungen zu Arnold Schönbergs Maltechnik. In: Arnold Schönberg. Catalogue raisonné. Hg. von Christian Meyer und Therese Muxeneder. Wien 2005, II, 142–145.

Hayward, Katherine: A Personal Interview with Arnold Schoenberg. In: The Southwestern Musician 16/1 (1949), 4–5, 13, 18–19, 30, 35.

Milhaud, Darius: To Arnold Schoenberg on His Seventieth Birthday: Personal Recollections. In: Musical Quarterly 30/4 (1944), 379–384.

Oberhuber, Konrad: Schönberg und der Raum. In: Der Maler Arnold Schonberg | the Painter. Bericht zum Symposium | Report of the Symposium 11.–13. September 2003. Wien 2004 (Journal of the Arnold Schonberg Center 6/2004), 95–101.

Ronte, Dieter: Arnold Schönberg – eine Doppelbegabung. In: Kunstmuseum Bonn (Hg.): Arnold Schönberg – Blicke. Gemälde und Zeichnungen. Bonn 2003, 11–17.

Rivkin, Ruth K.: Five More Tones Than Most. In: The Californian (October 1948), 42–43, 65.

Schoenberg Nono, Nuria: „... Emotionen, Ideen und Gefühle ...“. In: Max Hollein/Blaženka Perica (Hg.): Die Visionen des Arnold Schönberg – Jahre der Malerei. Ostfildern-Ruit 2002, 89–91.

Werkner, Patrick: Schönberg als Maler. In: Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke. Hg. von Gerold Gruber. Band 2. Laaber 2002, 494–512.

Wipplinger, Hans-Peter/Haldemann, Matthias (Hg.): Richard Gerstl. Inspiration – Vermächtnis. Köln 2019.

Therese Muxeneder, Studium Konzertfach Violine an der Universität für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg, Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Salzburg; 1993 bis 1997 Bibliothekarin der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg; seit 1997 Leitung der Sammlung am Arnold Schönberg Center in Wien; Lehrbeauftragte der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien; Autorin, Herausgeberin, Ausstellungskuratorin.

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Kommentare

Erni Cech

Danke, Frau Muxeneder für den tollen Artikel, die Fotos, - man bekommt sofort Lust, weiter zu schauen - "Wahnsinns Liebe" muss ich gleich noch einmal lesen.
Freu mich auf morgen, -"Wiener Vorlesungen" und die Begegnung mit eurem schönen Haus, - einfach eine Freude, - es wieder betreten zu können!
Alles Liebe
Erni Cech