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Carl Molls Beitrag zum „Mythos“ Klimt
„Klimts rabiatester theoretischer Verfechter“
Die Secession war der Auftakt der später durch die Wiener Werkstätte, die Galerie Miethke und die beiden Kunstschauen 1908 und 1909 fortgesetzten Serie von Initiativen zur Kanonisierung des bis heute geläufigen Narrativs des Wiener Fin-de-siècle, das Klimt, Moll und Künstlerkollegen gemeinsam mit Freund:innen und Mäzen:innen aus einem Kreis der fortschrittlich gesinnten, liberalen, meist jüdischen Bourgeoisie formten. Sein in den späten 1890er Jahren einsetzender, kontinuierlicher Dialog mit Berta Zuckerkandl, Ludwig Hevesi und Fritz Waerndorfer begründet seinen Anteil an der Erneuerungsbewegung um Klimt, dessen Status als Künstler von internationalem Format er maßgeblich förderte, sodass Franz Servaes von ihm 1904 behauptete, er sei „vielleicht Klimts rabiatester theoretischer Verfechter.“ Hevesi charakterisierte Klimts Position nach dem öffentlichen Skandal der Fakultätsbilder: „Sein Name war sozusagen ein Schlachtruf; für viele wurde er zur bête noire – und ist es geblieben. Seine drei großen Fakultätsbilder für die Aula der Universität – Philosophie, Medizin, Jurisprudenz – repräsentieren drei Jahre ästhetischen Krieg und Bürgerkrieg.“
Secession
Hevesi begrüßte 1897 die Gründung der Secession und sah darin „eine Stadterweiterung auf dem Gebiete der bildenden Künste. […] [D]ie Kunststadt Wien, diese ungeheure Kleinstadt, soll endlich ein Groß-Wien, ein wirkliches Neu-Wien werden.“ Nach seinem Bericht ist die Idee in Berta Zuckerkandls Salon entstanden, die Kontakte zur Pariser Kunstszene herstellte. Als bildende Künstler waren Moll, Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann – neben dem Literatenkreis Jung Wien, Hugo von Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr und Felix Salten – gern gesehene Gäste, wobei Moll auch mit den Hauseigentümern, der Familie des Textilfabrikanten und späteren Mäzens der Salzburger Festspiele, Paul Hellmann, dessen Schwester Lili von Fritz Waerndorfer 1895 geehelicht worden war, freundschaftlich verkehrte. Die programmatische Präsentation der westlichen Moderne, der französischen Impressionisten, Postimpressionisten, belgischer Jugendstil und Symbolismus sollte Wien als internationale Kunstmetropole auszeichnen. Molls Agenda mit Zuckerkandl war die Verteidigung Klimts.
Molls Agitation gegen reaktionäre Kräfte zeigte anlässlich der ersten Ausstellung im März 1898 sein Beitrag Osterstimmung im Wiener Kunstleben in der Osterbeilage der Wiener Allgemeinen Zeitung. Darin erklärte er die Symbolik des auf die Kunst der Antike referierenden Klimt-Plakats aus aktuellem Anlass als Theseus, die Jugendschaft, hat den Indifferentismus besiegt! – dies sei der „wahre Sinn des Bildes am Placate der Wiener Secession“.
Nikolaus Dumba beauftragte Klimt mit der Ausstattung seines Musiksalons. Dieser erzielte bei der IV. Secessionsausstellung von März bis Mai 1899 mit dem Supraportengemälde Schubert am Klavier(1899)seinen Durchbruch. Im pointillistischen Farbauftrag verlieh Klimt dem Komponisten durch mehrere Lichtquellen malerisch eine Aura und transferierte das Alt-Wiener Sujet, das nach der erfolgreichen Schubertausstellung im Künstlerhaus 1894 in Erinnerung geblieben war, durch die moderne Malweise in das Wiener Fin-de Siècle.
Bahr schätzte Klimts Schubert als „das schönste Bild, das jemals ein Österreicher gemalt hat“, und erkannte darin „unser österreichisches Wesen“. Damit wurde Klimt von seinen Anhängern in den Kontext des in Wien verbreiteten Geniekults gerückt und Moll zeigte im ebenfalls ausgestellten, gemalten Interieur Vor dem Diner (1899), welches er bei der Familie des jüdischen Bankiers Wilhelm Zierer gemalt hatte, die hohe Geschmackkultur der maßgeblichen Freunde der Secession aus der Wiener Bourgeoisie. Zu ihnen zählte auch die Familie Henneberg, wobei der Fotograf und Naturwissenschaftler Hugo Henneberg Klimt 1901 mit dem Porträt seiner Frau beauftragte.
1899 unternahmen die Familien Moll und Henneberg gemeinsam eine Italienreise, wobei Klimt sie ab Florenz begleitete. Im gleichen Jahr nahmen die Secessionskünstler an der Biennale teil und sahen in Venedig wegweisende Werke internationaler Künstler, darunter die beiden Bilder von James Abbott McNeill Whistler, sein nahezu abstraktes, nur aus immateriellen Farbschleiern bestehendes, atmosphärisches Nachtbild Nocturne in Black and Gold: The falling Rocket (1875), Inspirationsquelle für Klimts Fakultätsbild Die Philosophie, und Rose and Silver: Princess from the Land of Porcelain(1877). Das Damenbildnis Whistlers war auch im Hinblick auf die Thematisierung ostasiatischer Sammelleidenschaft für Klimt und auch für Moll prägend.
Bei der VII. Secessionsausstellung im Frühjahr 1900, bei der auch Werke der belgischen Symbolisten Jan Toorop, Fernand Khnopff und des französischen Pointillisten Paul Signac gezeigt wurden, rief Klimts Fakultätsbild Die Philosophie (1900) den größten Kunstskandal der Jahrhundertwende hervor. Seine Interpretation der Philosophie in der modernen Malweise der Neoimpressionisten als nicht greifbares Welträtsel der Sphinx, dem der willenlose Menschenstrom ausgeliefert ist, diese von Pessimismus und Zweifel geprägte Weltsicht, rief nicht nur bei den Professoren nachhaltige Irritation hervor. Eine protestierende Menschenmenge versammelte sich vor der Secession. In Zeitungsrezensionen wurde das Gemälde vernichtend kritisiert, wobei Klimts schonungslos realistische Aktdarstellungen von Menschen jeden Lebensalters besonders empörten.
Am 19. März wurde das Heft Ver Sacrum mit Klimts Aktstudien unter Anklage der Pornografie konfisziert. Die Autonomie der Kunst wurde daraufhin im Beitrag Die Philosophie von Klimt und der Protest der Professoren verteidigt: „Denn Kunst zu schaffen, kann dem Künstler niemand helfen. KUNST entstehen zu lassen ist aber eben die vorwiegende, die Hauptabsicht des Bestellers, des Staates.“ Darin abgebildet war Molls Gemälde Dämmerung(1900), das ebenfalls ausgestellt war. Als Statement der künstlerischen Übereinstimmung mit Klimt im pointilistischen Farbauftrag und der nächtlichen, transitorischen Atmosphäre war das Bild zugleich ein Plädoyer für die Moderne im Vergleich zum Monumentalgemälde ähnlichen Inhalts von Adolf Hirémy-Hirschl, Die Seelen am Acheron (1898), das vom Künstlerhaus bei der Weltausstellung in Paris ab April 1900 und davor in Wien gezeigt wurde.
In Molls Natur- und Lichtstudie, welche sich mit der reduzierten Farbsicht vor Eintreten der Dunkelheit auseinandersetzte, interpretierte er die transparente, von kaum sichtbaren Nebelschwaden überzogene Wasseroberfläche, welche ein ambivalentes und zugleich profundes Spiegelbild zeigt, als ein sekundäres Seherlebnis aus der Sphäre des Unbewussten. Im Publikationsjahr von Freuds Traumdeutung gemalt, erscheinen Assoziationen mit dem Fluss Lethe und dem Kahn Charons naheliegend, der im Gemälde Hirémy-Hirschls als winzige Szene im Hintergrund erscheint, und bei Moll zum zentralen Motiv wurde, ohne die mythologische Figur Charons darzustellen. Molls Bild Vor dem Diner befand sich unter den Kunstwerken der Secession bei Weltausstellung 1900 in Paris, wo Klimts Philosophie mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde.
Raumkunst
Von Juni 1900 bis Juni 1901 Präsident die Wiener Secession, leitete Moll den Paradigmenwechsel zur Stilkunst ein. Die Aufwertung des Kunstgewerbes prägte die von Hoffmann gestaltete, spektakuläre VIII. Secessionsausstellung von Oktober bis Dezember 1900. Charles Rennie Mackintosh, Margaret Macdonald Macintosh, James Herbert MacNair und Frances Macdonald McNair aus Glasgow zeigten die Einrichtung eines Teezimmers mit einem dekorativen Fries von Margaret Macdonald, der Klimt tief beeindruckte. Mackintosh und seine Frau verkehrten mit Waerndorfer in Wien auch privat. Ihr spezieller Dank für die Einladung in die Secession galt Moll. Waerndorfer sammelte bereits vor 1900 in großem Umfang Werke des britischen Illustrators Aubrey Beardsley. Klimt, mit Moll häufiger Gast bei Waerndorfer, übernahm von Bearsdley die Verbindung des Erotischen mit dem Grotesken. Im Beethovenfries, 1902 war die Verkörperung der „Unmäßigkeit“ innerhalb der feindlichen Gewalten durch Beardsleys Zeichnung Ali Baba, 1897, angeregt.
Die gigantische Schlange im Gemälde Die Hoffnung I, 1903/04 (National Gallery of Canada, Otawa), das Waerndorfer 1905 erwarb, war durch Beardsley´s Third Tableau aus dem Zyklus Das Rheingold, 1896, inspiriert. Waerndorfer schätzte Klimts Neigung zur düsteren Romantik und besaß etliche Werke. Waerndorfers Einladung zu einer „Klimt-Feier“ 1902 an Bahr mit Moser, Hoffmann, Klimt, Kurzweil und Moll zeigte eine kultische Verehrung Klimts: „Hoffmann hat einen Thronsessel für Klimt gebaut, Moser das Tischtuch Menü etc. hergerichtet“. Unter den Exponaten der VIII. Ausstellung befand sich von der Pariser Kunsthandlung La Maison Moderne von Julius Meier-Graefe eine Kollektion von Arbeiten Georg Minnes, darunter als Hauptwerk Jünglingsbrunnen. Die Kombination von geometrischer Strenge und Ausdrucksstreben in überdehnten Proportionen hatte eine bahnbrechende Wirkung in Wien.
Beispielsweise wurde wenig später ihr Einfluss in der Figurensprache von Klimts Beethovenfries bemerkbar. Minnes Arbeit wurde von der Kritik abgelehnt, sogar Hevesi mokierte sich über die „Illustration einer neuen Entfettungsmethode“. Berta Zuckerkandl hingegen empfand vor dem Brunnen einen „mystisch-rätselhaften Eindruck“ und ein „scheues Gefühl, das aus Befremden und Bewunderung besteht“. In seiner emphatischen Identifikation mit der Moderne platzierte Moll 1906 im Selbstporträt Mein Atelier(1906) Minnes Knienden Jünglingrepräsentativ neben Vincent van Goghs Porträt der Mutter im Vordergrund, während er selbst sich hinter einem Vorhang im Mittelgrund am Schreibtisch arbeitend malte.
In den von Hoffmann 1902 adaptierten Räumen der Villa Waerndorfer waren mehrere Figuren von Minne – darunter auch der Kniende Jüngling durch Verspiegelung allansichtig in das architektonische Gesamtkonzept integriert. Das Ensemble löste bei den Besuchern Moll, Klimt und Hevesi, die sich ebenfalls darin widergespiegelt fanden, Bewunderung aus. Hevesi überlieferte den Ausspruch Klimts: „Ja, was bleibt denn da noch für uns Maler übrig?“ Im Unterschied zu Klimt lag Molls Fokus auf ebensolchen Einblicken in moderne Interieurs und er entwickelte Themen mit spezifischer Symbolkraft, beispielsweise die beiden 1901 entstandenen Gemälde Beim Mittagstisch, (1901). und Verschneites Atelier in der Theresianumgasse/Wintersonne, (1901) und wiederholte sie als sein persönliches Markenzeichen. Mit dieser Ikonografie einer „zukunftsorientierten Nostalgie“ in der Verbindung mit der Intimität Pariser Interieurszenen der Künstlergruppe Nabis übertragen auf moderne Wiener Interieurs weckte Moll das Interesse von Sammler*innen und Freund*innen der Secession, darunter auch Moriz und Hermine Gallia, die sich 1904 von Klimt porträtieren ließ. Durch eine Aufhellung der Palette zu strahlender Leuchtkraft in neoimpressionistischer Feinmalerei interpretierte Moll, ähnlich wie die französischen Impressionisten, insbesondere wie Claude Monet, speziell in seinen Winterbildern Wintersonne(1901), Wertheimsteinpark im Winter(1907) Naturmotive als optische Studien über den immensen Farbenreichtum der Reflexionen des Lichts auf Schnee sowie dessen witterungsbedingte unterschiedliche Konsistenz. Die Ansicht vom Wertheimsteinpark gehörte Paul und Irene Hellmann, die auch Klimt sammelten.
Klimt als Leitfigur
Klimt galt als stärkste Künstlerpersönlichkeit der Secession. Anlässlich der Fertigstellung seines Fakultätsbildes Die Medizin (1900) veranstaltete Waerndorfer die private Präsentation bei einem Festessen mit Moll, Bahr, Berta und ihrem Mann, dem Anatom Emil Zuckerkandl, Hoffmann und Roller u. a.; als es von den Professoren der Universität abgelehnt wurde, sprach Moll ihnen öffentlich die Befähigung, Kunst zu beurteilen ab: „ […] Der Künstler schaffe, der Laie genieße, wenn er dazu befähigt ist. Das Urtheil spricht die Nachwelt.“ Klimts Werk wurde in der X. Secessionsausstellung vom 15. März bis 12. Mai 1901 gezeigt, wo es einen Sturm der Entrüstung auslöste.
Die Präsentation wurde medienwirksam inszeniert. Als Hauptbild der Schau beherrschte es die sehr reduzierte, durch die vorgeneigte Hängung eindrucksvolle, moderne Raumgestaltung von Koloman Moser. Der Kunstkritiker und Maler Adalbert Franz Seligmann berichtete: „[…] Wir glaubten mit unserem Rundgang fertig zu sein, da kam noch als letzte Sendung ein großes, eng zusammengerolltes Bild an. Es wurde in den Hauptsaal gebracht und vorsichtig auf der Erde ausgebreitet. Pergamentpapier verdeckte noch das Gemälde. Aber schon sah man Farben, Roth und Gold und Blau, und die bewegten Formen nackter Menschenleiber geheimnißvoll durchleuchten […] und so enthüllte sich vor uns nach und nach der bedeutsame Clou und […] – der Zankapfel dieser Ausstellung, Gustav Klimt’s neues Deckengemälde, Die Medicin‘.“ Er schloss den Artikel mit der Bemerkung: „Muß es nicht eigentümlich berühren, wenn man bedenkt, daß Österreich noch immer an der Spitze der Kultur marschieren würde, wenn die Herren Moll und Stöhr ihre Artikel nicht geschrieben hätten?“
Beethovenausstellung
Die Idee einer Synergie aller Gattungen sollte um Max Klingers Beethoven Monument in der XIV. Secessionsausstellung (April–Juni 1902): Beethovenausstellung verwirklicht werden. Klimts bahnbrechendes, geometrisierendes, flächenbezogenes Monumentalwerk, der Beethovenfries (1901) befand sich im linken Seitensaal. Obwohl er das eigentliche Thema, die Visualisierung der 9. Sinfonie im Gegensatz zu Klingers figuralem Klassizismus auf eine vollkommen neue und moderne Weise umgesetzt hatte, löste vor allem seine Interpretation der Feindlichen Gewalten als drastisch überzeichnete weibliche Aktfiguren, einen Sturm der Entrüstung aus. Das Groteske in Beardsleys Grafik war von Klimt in das monumentale Format und seine epische Erzählweise übertragen worden.
Bei einer Vorbesichtigung hatte der prominente Wiener Kunstsammler Karl Graf Lanckoroński beim Anblick von Klimts Fries die Secession entsetzt verlassen. Allen negativen Vorverurteilungen zum Trotz, die durch Hevesis wohlmeinende Berichterstattung nicht entschärft wurden, gelang Moll bei der feierlichen Preview für ausgewählte Gäste durch die Einladung des Hofoperndirektors ein performativer Höhepunkt bei der Inszenierung der Schau als Gesamtkunstwerk: Sein Schwiegersohn Gustav Mahler dirigierte vor Ort Teile von Beethovens 9. Sinfonie durch ein Bläserensemble. Anlässlich der Eröffnung gab Karl Wittgenstein im Grand Hotel ein Bankett zu Ehren Klingers in Anwesenheit des Unterrichtsministers Wilhelm Ritter von Hartel, an dem Künstler und Stifter der Secession, Dr. Anton Loew und Regierungsrat Moriz Gallia teilnahmen. Die anwesenden Minister lobten die Secession. Unter den Vortragenden befand sich neben Freiherr von Myrbach auch Moll. Trotz weiterer heftiger Kritik an Klimt in den Tageszeitungen anlässlich der ihm gewidmeten XVIII. Ausstellung der Secession im November und Dezember 1903 mit den drei Fakultätsbildern wurde unter der Aufsicht Molls danach der Beethovenfries, der als temporäres Werk entstanden war, von den Wänden der Secession gelöst, an Carl Reininghaus verkauft und vor der Zerstörung gerettet.
Künstlerkolonie und Reformgärten
Molls gemalte Interieurs von der Hohen Warte und auch die Gartenansichten (Tulpen, 1903) spiegelten den Gedanken der Lebensreform wider (Frühstück,1903, Speisezimmer, 1903), der in den Wohnungseinrichtungen der 1903 von Waerndorfer gegründeten Wiener Werkstätte zum Ausdruck kam. Waerndorfers Überzeugung, dass ein Kranker, der durch die Beethovenausstellung geht, geheilt würde, vermittelte eine Vorstellung der Bedeutung dieser Idee der Schönheit, die alle Lebensbereiche durchdringen sollte.
Klimt und Moll reagierten in ihrer Malerei auf die Idee der modernen Reformgärten. Während Klimt Blumen mit Damenporträts assoziierte (Die Sonnenblume, 1907), verwendete Moll wie Monet die Blüten als leuchtende Farbakzente und räumliche Koordinaten im Bild (Terrasse der Villa auf der Hohen Warte, 1903).
Moll vermittelte zudem 1903 den Großauftrag des belgischen Industriellen Adolphe Stoclet für dessen Luxus Palais an der Brüsseler Nobeladresse Avenue de Tervueren an die Wiener Werkstätte. Die überaus reiche Kunstsammlung Stoclets und die ägyptologischen Forschungen des Brüsseler Royal Art Museum, die Jean Capart in seinem Buch, das auch Klimt besaß, L´art egyptien (1909) zusammenfasste – der Autor war zudem persönlicher Berater Stoclets - bewirkten Klimts Entscheidung, den Stocletfries (1911) im Stil ägyptischer Mastabas zu konzipieren. Diese Symbolik prägte das als mystischen Garten konzipierte Hauptwerk der Goldenen Periode. Moll charakterisierte das Palais Stoclet rückblickend als „Denkmal einer Wiener Kulturepoche“. Er arbeitete ab November 1904 als künstlerischer Leiter der Galerie Miethke, wo er die westliche Moderne in den Kontext der exklusiven und kontinuierlichen Präsentation Klimts stellte. Nach seinem Austritt aus der Secession mit der Klimt Gruppe 1905 bildete das Engagement für den internationalen Ruhm Klimts als Star der Wiener Moderne weiterhin neben der Malerei sein Hauptinteresse.
Während Moll im Herbst 1936 als Kurator der Ausstellung der Museumsfreunde in der Secession, bei der er erneut das Werk von Klimt ins Zentrum gestellt hatte, sich noch bei den Sammlern Oskar Bondy, Ferdinand Bloch-Bauer und insbesondere bei August Lederer, der die Universitätsbilder „vor dem Untergang bewahrt“ hätte, für ihre Widmungen bedankte, befürwortete er, verblendet vom Reichsgedanken, nur zwei Jahre später 1938 den sogenannten „Anschluss“ und brach mit einstmaligen Freunden und Mäzenen. In einer grotesken Fehleinschätzung kollaborierte der 77-Jährige mit den Nazibehörden in der handschriftlichen Liste „Kunstwerke deren Abwanderung einen Verlust für unseren Kulturbesitz bedeuten würde“, in der er Sammler:innen denunzierte und sie höchstwahrscheinlich der mörderischen Raubpolitik auslieferte. Darunter befanden sich auch die bedeutenden Klimt Sammlungen, Ferdinand Bloch-Bauer, August Lederer und Gertha Felsövanyi mit ihrer letzten Adresse vor der erzwungenen Abreise, Freyung 6. Carl Moll schied am 13. April 1945 gemeinsam mit seiner Tochter und ihrem Gatten, die bereits vor 1938 illegale NSDAP-Mitglieder gewesen waren, freiwillig aus dem Leben.
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Kommentare
Ein großartiger Überblick!!!
Danke
Wilfried Seipel
Endlich taucht der Name Berta Zuckerkandl in der Geschichte der Sezession auf! Weitere Informationen auf Französisch: A. Weirich, "Berta Zuckerkandl. De Klimt à Rodin, une salonnière et critique d'art entre Vienne et Paris", Rennes, PUR, 2023.