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Anna Stoppacher, 5.7.2024

Chronische Erkrankungen und Beschwerden bei Soldaten

Die Schlachten der kranken Männer

Die Schlachten von Aspern und Wagram sind als besonders blutige Ereignisse in die Geschichte eingegangen. Doch über die Krankheiten und Verletzungen, mit denen die Soldaten abseits vom Schlachtfeld zu kämpfen hatten, weiß man wenig: Eine archäologische Spurensuche.

Vor über 200 Jahren kam es zur Schlacht bei Aspern. Am 13. Mai 1809 besetzten die Franzosen nach einer kurzen Beschießung Wien. Wenige Tage später, am 21. und 22. Mai, wurden sie in der Schlacht von Aspern geschlagen. Es war die erste Niederlage, die ein französisches Heer unter der Führung Napoleons erlitten hatte. Sechs Wochen später, am 5. und 6. Juli 1809, gelang es Napoleon, durch eine massive Truppenverstärkung die österreichischen Gruppen in der Schlacht bei Deutsch-Wagram zu schlagen.

Aus der Erde ins Labor

Zweihundert Jahre später sind bei Bauarbeiten im Zuge des Ausbaus der Seestadt Aspern und der Verlängerung der U2 Gräber aufgetaucht, die mit der Schlacht von Aspern in Zusammenhang stehen. Und sie zeigen die ungeschönte Wahrheit über das einstige Soldatenleben- und Sterben. Bis es allerdings möglich ist, die Skelette, die unter der Erde liegen, zu erforschen, ist es ein langer Weg. In den meisten Fällen trägt der Bagger den Oberboden, die sogenannte Humusschicht, ab. Darunter liegt der geologische Untergrund. Wenn sich dort archäologische Befunde, Schichten, Gräber oder Siedlungen befinden, dann zeichnen sie sich als Verfärbungen im Boden ab. Diese werden oberflächlich geputzt und händisch ausgegraben. Das bedeutet, dass man die Sedimente herausnimmt und die Skelette freilegt.

Und dann? Nachdem die Skelette frei liegen, ist es wichtig, diese zu dokumentieren. Die Vorgaben, wie zu fotografieren, zu beschreiben und geodätisch zu vermessen, kommen vom Bundesdenkmalamt. Anschließend werden die Knochen geborgen und in ein Labor wie jenes des auf archäologische Dienstleistungen spezialisierten Unternehmens  Novetus oder in die Akademie der Wissenschaften gebracht. Dort werden die Skelette gereinigt und wissenschaftlich untersucht.

Knochen als Datenspeicher

Michaela Binder ist Bioarchäologin bei Novetus und beschäftigt sich vor allem mit der Rekonstruktion von Krankheiten und Verletzungen am Skelett. So auch bei den Soldaten von Aspern und Wagram. Bei deren Skeletten gibt es zwei Hauptaspekte, die untersucht werden. Erstens beschäftigt man sich mit den Krankheiten zu Lebzeiten, zweitens mit den Todesursachen.

Um eine Krankheit zu erkennen, muss diese zu Lebzeiten mindestens zwei bis drei Wochen bestanden haben, damit Anzeichen am Skelett zu sehen sind. Wenn sich diese Anzeichen gebildet haben, dann bleiben sie auch. Somit stellt das Skelett Binder zufolge eine „Aufzeichnung von all den chronischen Krankheiten, die ein Mensch im Laufe seines Lebens erlitten hat“ dar. Denn Knochen sind im Prinzip ein Organ, das sich fortlaufend erneuert und einem ständigen Wechsel zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau unterworfen ist. Wenn diese Balance von Auf- und Abbau durch eine chronische Krankheit gestört wird, ist dies sichtbar: Etwa (bei Knochenaufbau) anhand von Wucherungen an den Knochen und neue Knochenschichten an der Außenseite oder (bei mehr Abbau) anhand von Löchern.

So konnte Binder erkennen, dass viele der Soldaten von Aspern und Wagram im Kindesalter an Mangelerkrankungen und Infektionskrankheiten gelitten hatten und im Erwachsenenalter an Tuberkulose und chronischen Lungenentzündungen.

Marschfrakturen & Co.

Aber was genau unterscheidet die Skelette der Soldaten von anderen Skeletten um der Zeit? Schließelich waren Infektionskrankheiten ja kein Spezifikum von Soldaten. Was die Funde von Aspern und Wagram zeigen, sind die Überlastungsfrakturen der Soldaten, die sogenannten „Marschfrakturen“. Diese entstehen, wenn man über eine lange Zeit immer einer Überbelastung beim Gehen, Stehen oder Tragen von schweren Lasten ausgesetzt ist. Durch diese Überlastung geben die Mittelfußknochen nach und es entstehen Brüche.

Wenn heutzutage eine Marschfraktur entsteht, bekommen die Soldaten einen Verband oder einen Gips und müssen sechs Wochen lang eine Pause machen. Diese sechs Wochen standen den Soldaten, die bei Aspern und Wagram kämpfen mussten, nicht zur Verfügung. Für sie gab es keine Pause. Das lässt sich auch von den Knochen ablesen, denn die Brüche konnten kaum heilen. Außerdem zeigen die Knochen, dass die Bruchstellen immer und immer wieder aufs Neue gebrochen sind, weshalb sich dort große Entzündungen gebildet haben. Diese führten anschließend zu Knochenneubildungen. Es waren also sehr häufig offene oder unverheilte Brüche, mit denen die Soldaten marschieren und kämpfen mussten.

Neben diesen Verletzungen, die mit starken Schmerzen verbunden waren, kam es auch zu unzähligen Abnutzungserscheinungen. Diese entstanden bei den Soldaten durch die extreme körperliche Aktivität und die schweren Lasten, die sie zu tragen hatten. Sowohl bei den Wirbelsäulen als auch bei den Becken und den Knie- und Schultergelenken der jungen Männer zwischen 20 und 30 Jahren konnten diese Abnutzungserscheinungen an den gefundenen Skeletten festgestellt werden. Typisch für die Soldaten war außerdem, dass sie, trotz ihres jungen Alters, kaum mehr Zähne im Mund hatten, weil sie ihnen ausgefallen waren. Das liegt zum einen an der Ernährung, die oft sehr kohlenhydratreich war, zum anderen aber auch an der schlechten Zahnhygiene.

Auch hierzu gibt es auch Vergleichswerte. In Vilnius (Litauen) sind über tausend Skelette von napoleonischen Soldaten beim Ausbau der U-Bahn gefunden worden, die im Winterlager erfroren waren. Ihre Skelette zeigten sowohl einen allgemeinen schlechten Gesundheitszustand als auch Abnutzungserscheinungen und schlechte Zähne. Viele der Soldaten litten an Karies.

Auch die Bedingungen in den Unterkünften waren für die Gesundheit der Soldaten nicht förderlich, berichtet Michaela Binder: „Man weiß von früheren Kriegen, dass die Lager und Lagerbedingungen der Soldaten meistens für die Gesundheit noch weniger zuträglich waren als die Schlachten an sich, weil sie sich dort gegenseitig mit Ruhr und allen möglichen Infektionskrankheiten angesteckt haben. Vor allem im 18. Jahrhundert hat es Kriege gegeben, bei denen es nicht zu Schlachten gekommen ist, weil sich die Soldaten in den Lagern einfach gegenseitig angesteckt haben und sie dann an einer Infektionskrankheit gestorben sind, bevor sie überhaupt in die Schlacht einrücken konnten.“

Auch offenes Feuer im Lager, durch das die Soldaten ständig Rauch und Ruß ausgesetzt waren, wirkte sich auf die Atemwege aus. Wenn dies über einen längeren Zeitraum passiert ist, wurde die Atemwegserkrankung chronisch, und es entstanden Knochenneubildungen. Das kann man noch heute an den Knochen erkennen, denn die Soldaten hatten nie Zeit, sich auszukurieren oder behandelt zu werden.

Aufgrund der Funde in Aspern verstärkte sich übrigens die Vermutung, dass auch in Wagram archäologische Spuren der Napoleonischen Schlachten zu finden wären. So führten Archäolog:innen im Rahmen der Planungsarbeiten der Marchfeld Schnellstraße im Vorfeld schon Untersuchungen durch. Und tatsächlich hat man hier ein ehemaliges Lager einer österreichischen Einheit gefunden. Es handelt sich dabei um Erdgruben, entweder viereckig oder rund, die einen Meter in den Boden eingetieft worden sind. Sie wurden damals mit Holz, Ästen oder Zweigen überdacht und in diesen Gruben lebten die Soldaten sechs Wochen lang – in der Zeit zwischen der Schlacht bei Aspern und der Schlacht bei Wagram. Später wurden diese dann als Gräber benutzt, denn die Soldaten wurden dort begraben, wo sie gefallen waren, oder wo man Vertiefungen in der Erde vorgefunden hat.


Unser falsches Bild der Realität  

Aber warum ist es eigentlich wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen? Michaela Binder ist sich sicher: „Ich denke, es ist wichtig, die Geschichten von diesen jungen Männern zu erzählen. Wir haben immer, auch wenn man sich im Wien Museum die Bilder von den Schlachten anschaut, die Vorstellung von den heroischen jungen Männern, die in blank geputzter Uniform in die Schlacht ziehen. Wenn man sich die Skelette anschaut, erzählen die einfach eine ganz andere Geschichte. Ich denke, auch in Zeiten von Krieg, ist es wichtig, sich zu erinnern, dass das Zeiten waren, die man niemanden wünscht. Und den jungen Männern ist es ganz, ganz schlecht gegangen. Die waren krank, die waren unterernährt, haben teilweise fürchterliche Schmerzen gelitten, lange bevor sie in die Schlacht gekommen sind, und das ist nichts, was wir in irgendeiner Form wieder zulassen dürfen.“

Die Frage, ob weitere Ausgrabungen angedacht sind, beantwortet die Bioarchäologin so: „In Aspern gibt es im Bereich des Schlachtfeldes ein Stadtentwicklungsgebiet und ständig neue Bauarbeiten. Die Gräber, die wir bisher gefunden haben, sind völlig unregelmäßig über den Schlachtfeld-Bereich verteilte Gruben. In den letzten 100 Jahren sind bei Bauarbeiten immer wieder Gräber aufgetaucht, an Stellen, wo man es nicht vermuten würde, und so lange gebaut wird, kann jederzeit was kommen. Auch in Deutsch-Wagram, solange in diesen Bereich gebaut wird.“
 

Literaturhinweise

Martin Penz / Sławomir Konik / Christine Ranseder: Zwei neue napoleonzeitliche Soldatengräber in Wien-Aspern. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 24, 2021, S. 52–70. https://stadtarchaeologie.at/wp-content/uploads/2023/11/FWien_24-2021_Penz_et-al_Aspern.pdf

Christine Ranseder / Sylvia Sakl-Oberthaler / Martin Penz / Michaela Binder / Sigrid Czeika, Napoleon in Aspern. Archäologische Spuren der Schlacht 1809.Wien Archäologisch 13 (Wien 2017). https://stadtarchaeologie.at/start/publikationen/wien-archaeologisch/wien-archaeologisch-13/

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben. In diesem Fall war es eine AV-Station zu den „Spuren am Körper“ von Soldaten, die in Aspern und Wagram gekämpft haben.

Anna Stoppacher studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. Sie interessiert sich für Ethik, Flugzeuge und die Natur, liebt Skifahren und das Meer.

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Kommentare

Helmut Rauscher

Danke für diesen, sehr interessanten Artikel.