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Peter Stuiber, 3.3.2020

Das römische Stadtrecht von Vindobona

Kleines Fragment, große Erkenntnis

Bei seinen Recherchen für eine Dissertation über das römische Stadtrecht stieß der junge Historiker Niklas Rafetseder auf ein Bronzefragment einer Inschrift, das sich in der Sammlung des Wien Museums befindet und bislang Rätsel aufgab. Rafetseder identifizierte es als Teil einer Tafel mit dem römischen Stadtrecht – eine kleine Sensation, weil daraus geschlossen werden kann, dass Vindobona ein eigenständiges Munizipium war. Ein Gespräch.

Peter Stuiber:

Wie erklären Sie einem Laien, was es mit dem Textfragment auf sich hat?

Niklas Rafetseder:

Ich beschäftige mich in meiner Dissertation mit den römischen Stadtgesetzen. Rom hat einen bestimmten institutionellen Rahmen für die Verwaltung der Gemeinden des Reiches festgelegt. Jede Stadt hat dieses Stadtrecht erhalten und hatte auch die Pflicht, es öffentlich zu zeigen. Im Westen des römischen Reiches wurde es auf Bronze gezeigt, ein sehr beständiges, schönes Material. Das Problem ist nur, dass man Bronze später oft eingeschmolzen hat, weshalb nur zufällig Fragmente erhalten geblieben sind. Die meisten davon wurden in Spanien gefunden. Durch den Fund mehrerer Tafeln des Stadtgesetzes der römischen Gemeinde Irni in Südspanien in den 1980er Jahren sind uns nun etwa 70% des Textes dieses Typus des Stadtgesetzes bekannt.

PS:

Und was hat das mit dem Bronzestück aus Vindobona zu tun?

NR:

Beim römischen Stadtrecht hat sich eine Vorlage herausgebildet, das heißt, man kann die Texte der verschiedenen Stadtrechtstafeln miteinander vergleichen. Und da ich viel mit Inschriften-Datenbanken arbeite, bin ich auf das Textfragment einer Bronzetafel aus Vindobona gestoßen, bei der nur die beiden Wörter „edicta“ und „Galba“ eindeutig entziffert werden konnten. Man dachte aus Mangel an Paralleltexten früher, es handelt sich um ein Edikt des Kaisers Galba, hatte aber keine schlüssige Erklärung dafür. Da ich aber die Formulierungen der Bronzetafel mit anderen Stadtrechtstexten vergleichen konnte, war mir klar: Es handelt sich hier um das Fragment eines Stadtrechts, das in Vindobona gefunden wurde.

PS:

Und das Bronzefragment beweist nun, dass Vindobona das Stadtrecht hatte… 

NR:

Als Historiker bin ich vorsichtig mit dem Begriff „Beweis“. Das Fragment wurde bei Bauarbeiten Am Hof 4 im 1. Wiener Bezirk, also innerhalb des einstigen Legionslagers, gefunden. Es bezieht sich höchstwahrscheinlich auf die Zivil- oder die Lagervorstadt des Legionsstandortes Vindobona, deren Status als Munizipium zwischen 120 bis 250 n.Chr. nun mit hoher Sicherheit festzustellen ist.  

PS:

Warum ist es denn so schwierig, andere Hinweise auf das Stadtrecht Vindobonas zu finden?

NR:

Weil die Stadt so stark überbaut wurde. In Enns – lateinisch Lauriacum – gibt´s etwa eine Handvoll Fragmente. In Carnuntum kennt man aufgrund von Grabsteinen mehrere Ratsherren und Amtsträger. Könnte also gut sein, dass man auch in Wien irgendwann mal doch auch auf den Grabstein eines Bürgermeisters stößt.

PS:

Die jetzige Entdeckung ist eine kleine Sensation. Das Fragment wurde 1913 gefunden und war seitdem relativ unbemerkt in der Sammlung der Stadt Wien…

NR:

Natürlich freue ich mich riesig über diese Entdeckung, aber ich bin ja nicht gescheiter als alle anderen. Im Unterschied zu früher habe ich die Möglichkeit, in Internet-Datenbanken zu recherchieren – und ich hatte das Glück, auf dieses Textfragment zu stoßen. Geholfen hat, dass es im deutschsprachigen Raum nicht so viele Menschen gibt, die sich mit dem römischen Stadtrecht beschäftigen. In Spanien, wo viele Fragmente gefunden wurden, ist das anders.

PS:

Erinnern Sie sich noch an den Moment, wo Ihnen klar geworden ist, was Sie da herausgefunden haben?

NR:

Sehr genau sogar. Die Datenbank hatte u.a. dieses Textfragment angezeigt und ich habe damit gerechnet, dass beim Fundort Spanien verzeichnet ist. Doch da stand plötzlich ´Vindobona`! Da stockt einem der Atem. Und dann begann der Mechanismus, wie ich ihn gelernt habe: Was ist das für eine Quelle? Wo ist sie publiziert? Was wissen wir dazu? Ich habe alle Hinweise gesammelt und meine Erkenntnis dann Prof. Mitthof vom Institut für Alte Geschichte geschickt, der mein Dissertationsbetreuer ist. Er hat sofort zurückgeschrieben: Bitte rufen Sie mich an! Mir war die Tragweite bis dahin gar nicht bewusst, weil ich mich mit Vindobona nicht so beschäftigt hatte. Ich wusste gar nicht, dass das Munizipium von Vindobona noch nicht bestätigt war. Darauf hat mich erst Prof. Mitthof aufmerksam gemacht.

PS:

Was waren dann die nächsten Schritte?

NR:

Dann bin ich wochenlang jedem Hinweis nachgegangen. Und ich habe Michaela Kronberger, die zuständige Kuratorin am Wien Museum, kontaktiert und sie gebeten, ob ich das Textfragment im Depot des Wien Museums besichtigen dürfe. Dann habe ich einen Vortrag am Institut gehalten und die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift TYCHE, die vom Institut für Alte Geschichte im Holzhausen Verlag herausgegeben wird und peer-reviewed wird, formuliert, was richtig harte Arbeit war. Aber man wird dafür mit Anerkennung belohnt. Normalerweise wird ja solche Art von Forschung in einer breiteren Öffentlichkeit nicht publik.

PS:

Sie haben Geschichte und Latein studiert. Waren Sie eigentlich schon immer am Altertum interessiert?

NR:

Ich war schon als Kind sehr an Geschichte interessiert, aber nicht im Speziellen ausschließlich an römischer Geschichte. Ich war auch z.B. nicht der beste Latein-Schüler der Klasse. Letztlich hat mir die Kombination von Latein und Geschichte zu diesem Fokus verholfen. Aber während des Studiums habe ich mich genauso gern mit zeithistorischen Themen beschäftigt. Zum Thema römisches Stadtrecht kam ich anlässlich eines Seminars von Prof. Mitthof. Dabei bin ich draufgekommen, wie cool eigentlich diese Quellen sind. Und dass wir davon lernen könnten, wie ein riesiges und viele Völker umfassendes Imperium organisiert war. Das ist mein Zugang: Wir lernen für heute.

PS:

Apropos lernen. Sie arbeiten jetzt als Lehrer und forschen zugleich weiter. Werden Sie sich in die eine oder in die andere Richtung entscheiden?

NR:

Mir taugt es extrem, Lehrer zu sein. Zugleich ist auch eine wissenschaftliche Karriere keineswegs abwegig. Was mich allerdings etwas abschreckt, ist die oftmals herrschende prekäre Situation im Wissenschaftsbetrieb. Dieser will ich mich eigentlich entziehen. Daher möchte ich zumindest Teilzeit an einer Schule tätig sein, mich aber daneben auch der Forschung widmen. Genau festgelegt habe ich das aber noch nicht. Ich mag jedenfalls diesen Dualismus sehr: Abends vor Professoren einen Fachvortrag halten und am nächsten Tag einer zweiten Klasse erklären, wer Cäsar war.  

 

Das Fragment der Stadtrechtstafel von Vindobona ist ab 6. März im Römermuseum zu sehen.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Redaktion

Vielen Dank für die Rückmeldung! Hier findet man Quellenverweise und auch Literaturhinweise, wo eine deutschsprachige Übersetzung zu finden ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Irnitana

WINart

Sehr interessant und Bravo!
Es wäre auch interessant wenn man auf Grund des Fragmentes mit anderen bekannten vergleichbaren Teilen aus Spanien den "möglichen" Stadtrechtstext rekonstruieren könnte, zumindestens die "Normteile" und so das Fragment Vindobona Stadtrecht noch ansehnlicher im Kontext sehen. Übersetzung in eine deutsche Fassung wäre ebenso für die BesucherInnen interessant ....