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Susanne Krejsa MacManus, 28.1.2024

Der Hormonforscher Eugen Steinach

Weltberühmt – aber für das Falsche

„Jung, jung kann ich wieder werden, Jung, jung kann ich wieder sein!“ Dieser Refrain aus dem beschwingten Foxtrott ‚Steinach-Rummel‘ von 1920 beschreibt den weltweiten Hype, der durch die Verjüngungsbehandlungen des Hormon-Forschers Eugen Steinach (1861-1944) ausgelöst wurde.

„Vor kurzem ging durch alle Zeitungen eine Kunde, die aus dem stillen Laboratorium eines berühmten Mediziners hervordrang, und die ganze Kulturwelt dazu brachte, mit gespannter Erwartung aufzuhorchen. Diese Kunde bestand in nichts geringerem als der Mitteilung, es sei dem Professor der Biologie an der Wiener Universität, Eugen Steinach, gelungen, greisen Menschen durch eine ungefährliche Operation ihre längst entschwundene Jugendkraft wiederzugeben. Kein Wunder, daß eine solche Nachricht in aller Welt eine tiefgehende Erregung hervorrief. Denn ein sicheres Mittel zur Verjüngung des altersschwach gewordenen Körpers gehört zu den Sehnsuchtsträumen und den heißesten Wünschen der Menschheit.“ (Paul Bergmann: Praktischer Hausschatz der Heilkunde, Nordhausen: Verlag Heinrich Killinger, ca. 1925, S 672.)

Beim ‚Steinachschen Verfahren‘, kurz ‚steinachen‘ genannt, handelte es sich um eine Vasektomie, also um die Durchtrennung der Samenleiter von Männern. Denn er meinte „daß Jugend, Altern und Tod des Menschen nur ein rein physiologischer Ablauf sind wie das ganze Wachstum. […] Steinach sagte sich nun, wenn es gelänge, die Tätigkeit (der) Pubertätsdrüse wieder zu steigern, daß dann die auftretenden Alterserscheinungen notwendigerweise verschwinden müßten“ (M. O. Schramm et al.: Menschheitsverjüngung. In: Die neue Hausärztin, Verlag Parcus & Co, ca. 1910, München, 278.)

Im Foxtrott von Willy Kaufmann-Ernst klang das so: „Das ganze Blut in meinen Adern tanzt / und eine innre Stimme ruft: „Du kannst“! / Du kannst wie andre fröhlich sein / Kannst wieder Schampus trinken / Und laufen kannst du hinterdrein / Wenn die die süßen Mädels winken!“

Ärzte ließen sich für ihre Steinach-Operationen feiern, Forscherkollegen nützten das allgemeine Interesse um ihre eigenen Theorien bekannt zu machen, prominente Patienten aus aller Welt zeigten ihre neugewonnene Jugendlichkeit, wissenschaftliche Bücher, seriöse und weniger seriöse Zeitungen berichteten, 1922 drehte die UFA einen Lehrfilm für das Fachpublikum, ein Jahr später zeigte der populär-verständliche Film ‚Dodo als Jockey‘ den Wandel eines gesteinachten alten, lahmen Kleppers in ein feuriges Rassepferd.
 

Ohne Irrtümer kein Fortschritt

Wie wir heute wissen, war die vermeintliche Verjüngung durch Hodentransplantation oder Sterilisation nicht nachhaltig. Längere Beobachtungszeiten, genauere statistische Analysen sowie das zunehmende Wissen über Hormone, speziell über die Wirkung von Sexualhormonen, beendeten derartige Experimente.

Dabei war Steinach ein seriöser Wissenschafter – kein Scharlatan oder trickreicher Wunderheiler. Der aus Hohenems in Vorarlberg stammende Sohn einer alteingesessenen jüdischen Arztfamilie studierte 1879/80 Chemie und Zoologie an der Universität Genf, ab 1880 Medizin an den Universitäten Wien und Innsbruck und promovierte schließlich 1886 in Innsbruck zum Dr. med. Ab 1894 arbeitete er an seinem Konzept der ‚Reaktivierung‘ – ein Begriff, den er der vielstrapazierten ‚Verjüngung‘ bei Weitem vorzog, denn er betraf den ganzen Körper. 1903 gründete er in Prag ein Laboratorium für allgemeine und vergleichende Physiologie. 1910 veröffentlichte er das Werk ‚Geschlechtstrieb und echt sekundäre Geschlechtsmerkmale als Folge der innersekretorischen Funktion der Keimdrüsen‘. 1912 wurde er Vorstand der physiologischen Abteilung an der Biologischen Versuchsanstalt der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 1920 veröffentlichte er ‚Verjüngung durch experimentelle Neubelebung der alternden Keimdrüse‘.

Bei Frauen ging es gründlich schief

Bei Männern war das ‚Steinachen‘ wenigstens ‚nur‘ erfolglos, bei Frauen waren die Folgen hingegen katastrophal: „Bei Frauen ist das Steinachsche Operationsverfahren nicht so leicht auszuführen wie beim männlichen Geschlecht, und er hat es daher vorgezogen, bei ihnen von dem chirurgischen Eingriff abzusehen, und die Neubelebung der Pubertätsdrüse im Eierstock durch Röntgenstrahlen zu bewirken. In der Mehrzahl der Fälle war es auf diesem Wege gelungen, den allgemeinen Kräftezustand der behandelnden Frauen zu heben und ihnen ein verjüngtes Aussehen zu verleihen.“ Eine der prominenten Patientinnen war die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Atherton, die ihre Erfahrungen mit der Verjüngungstherapie im Buch ‚Black Oxen‘ (1923) schilderte, das zum Verkaufshit wurde. Sie hatte sich im Alter von 66 Jahren behandeln lassen und fühlte sich um 30 Jahre verjüngt.

Im Gegensatz zu einer Sterilisation handelte es sich hier aber um eine Kastration als Folge der Schädigung durch Röntgenstrahlen: Es wurden nicht Funktionen außer Kraft gesetzt, sondern Organe in ihrer Funktion gestört. Die Zerstörung der Eierstöcke durch Röntgenstrahlen und/oder die Entfernung der Gebärmutter führen zu einem plötzlichen Abfall der Hormonproduktion, der heute durch Hormonersatztherapie aufgefangen wird. Andernfalls kommt es zu einem abrupten und heftigen Einsetzen der Wechseljahre. So wirkt beispielsweise das Hormon Östrogen nicht nur auf die Sexualfunktionen, sondern auch auf die Knochen; eine Verminderung des Östrogenspiegels im Blut kann zu Osteoporose (Knochenschwund) führen. Östrogene haben weiters eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem und erhöhen im Hirn die Sensibilität für das Hören; ein verminderter Östrogenspiegel verschlechtert entsprechend das Hörvermögen. Das Hormon ist auch essentiell für das Speichern von Gedächtnisinhalten, von Geräuschen und Sprache. Erst viele Jahre der Hormonforschung klärten diese Zusammenhänge auf.
 

Er brachte die Hormonforschung voran

Obwohl sich die Verjüngungstheorien von Steinach und anderen Wissenschaftern seiner Zeit als Fehlschlag erwiesen, waren seine Arbeiten für die Hormonforschung wichtig. Ab 1923 arbeitete er mit der deutschen Pharmafirma Schering zusammen, die im Bereich der Hormonpräparate zu den führenden Konzernen zählte. 1928 kam der Ovarienextrakt Progynon in Form von Dragées auf den Markt – das in den Laboratorien von Schering entwickelte Präparat wurde bis vor wenigen Jahren hergestellt und war gegen Wechseljahrbeschwerden, vor allem aber bei Geschlechtskorrekturen in Verwendung. Gemeinsam mit anderen Forschern gelang Steinach bis 1935 die chemische Strukturanalyse der Sexualhormone als Basis zur Synthese, wodurch 1938 das erste synthetische Hormonpräparat hergestellt werden konnte. Durch seine Forschungen lieferte er wesentliche Grundlagen für die spätere Entwicklung der Antibabypille.

Er verfasste mehr als 60 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher; zwischen 1921 und 1938 wurde er nicht weniger als elfmal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Sein Schüler Harry Benjamin (1885-1986) beschrieb ihn folgendermassen: „Steinach war ein kleiner Mann mit einem eindrucksvollen Kopf und einem eindrucksvollen rötlichgrauen Bart. Er war ein brillanter Wissenschaftler, aber gelegentlich erwies er sich als eine widerliche Person. Er konnte arrogant sein, überempfindlich, ein wenig paranoid. Zu Zeiten aber war er ein wunderbarer Freund, Gastgeber und Lehrer, immer voller geistreicher Ideen zur sexualwissenschaftlichen Forschung.“

Steinach starb 1944 im Alter von 84 Jahren in der Schweiz, wo er vor dem NS-Regime Zuflucht gefunden hatte. Was von seinem Vermögen übrig geblieben war, wurde in den ‚Prof. Dr. Eugen Steinach-Fonds‘ eingebracht, der die Ausbildung und Versorgung unbemittelter Mädchen – ohne Unterschied der Nationalität und der Konfession – unterstützte sowie Emigranten in der Schweiz Hilfe leistete.

Heute ist Steinach in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, denn die Hormonforschung bekam durch ihn und seine Schüler wesentliche Impulse. Nur die Steinachgasse erinnert noch an ihn, eine abgelegene kleine Gasse am Rand von Wien-Eßling, doch kein Schild weist auf den Namensgeber hin.

 

Literaturhinweis:

P. Bergmann: Praktischer Hausschatz der Heilkunde, Nordhausen: Verlag Heinrich Killinger, ca. 1925
S. Walch: Triebe, Reize und Signale – Eugens Steinachs Physiologie der Sexualhormone, Böhlau, 2016

http://www.pratercottage.at/2011/07/08/der-mann-der-yeats-verjungte/

https://www.oeaw.ac.at/de/acdh/oebl/biographien-des-monats/2019/mai

Dank an Raphael Einetter (Leiter Archiv und Sammlungen, Jüdisches Museum Hohenems) für die Bereitstellung von Bildmaterial.

 

 

Susanne Krejsa MacManus hat Biologie studiert und ist freie Medizinjournalistin, Autorin und Archivarin. Sie schreibt u.a. für ÄrzteWoche, Wiener Geschichtsblätter, Biographisches Lexikon der ÖAW. Außerdem leitet sie Forschungsprojekte am Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS) in Wien. 

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