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Verena Pawlowsky und Harald Wendelin, 2.12.2021

Der Wehrmann in Eisen

Nägel für den guten Zweck

Der „Wehrmann in Eisen“ steht heute an der Ecke Rathausstraße/Felderstraße, vor dem Wien Museum MUSA. Seine bewegte Geschichte reicht in den Ersten Weltkrieg zurück und hat mit den dunklen Seiten des Kriegs, mit dessen Opfern und ihrer Versorgung zu tun. Es ist auch eine Geschichte von „Ehre“, „Sieg“ und „Opferbereitschaft“, eine Geschichte der Massenbegeisterung, der Suggestion, der Vereinnahmung – und nicht zuletzt eine Geschichte der Symbole.

Der „Wehrmann in Eisen“, der mitunter mit dem Rathausmann verwechselt wird, war nicht als bleibendes Mahnmal für nachkommende Generationen gedacht, sondern erfüllte im Krieg einen ganz unmittelbaren Zweck. Dass er heute noch existiert, ist einem besonderen Umstand zu verdanken. Er wurde nämlich nicht nur einmal – im Ersten Weltkrieg – sondern knapp 20 Jahre später noch ein zweites Mal aufgestellt. Die ursprüngliche Initiative ging vom sogenannten Militär-Witwen- und Waisenfonds aus, der – auf der Suche nach einer Geldquelle – ein Konzept entwickelte, das eine Zeit lang erfolgreich funktionierte: Er ließ die hölzerne Figur eines Ritters gegen Geld benageln. Vorbild war das bekannte Wiener Wahrzeichen, der Stock im Eisen, jener Nagelbaum aus dem Mittelalter, in den durchreisende Schmiedehandwerker einen Nagel einschlugen. Wie dieser Nagelbaum bekam auch der Wehrmann nach und nach einen eisernen Panzer, denn jeder, der eine Spende für den Witwen- und Waisenfonds leistete, durfte einen Nagel einschlagen.

Private Aktionen wie diese waren angesichts des erst rudimentär entwickelten Wohlfahrtsstaates zu Beginn des 20. Jahrhunderts unabdingbar. Der Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, sollte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg und auch als dessen unmittelbare Folge entwickeln. Der Erste Weltkrieg sprengte alle bis dahin vorhandenen Vorstellungen davon, was Krieg bedeuten kann. Frühere Kriege waren, vor allem was die Größe der Heere betrifft, relativ begrenzt. Nun aber wurden praktisch alle Männer im wehrfähigen Alter eingezogen: 1868 war in der Habsburgermonarchie die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden. Zusätzlich hatte die Waffentechnik eine Entwicklung genommen, die Soldaten einem viel höheren Verwundungsrisiko aussetzte als früher. Die Zahl der Gefallenen und Verletzten war enorm. Darauf war der Staat in keiner Weise vorbereitet. Weder gab es eine annähernd angemessene Unterstützung für Hinterbliebene noch wusste man zu Beginn des Kriegs, wie man mit den Invaliden umgehen sollte.
 

Wenig Geld für Invalide und Hinterbliebene

Getragen von der patriotischen Begeisterung zu Kriegsbeginn, starteten anfangs zahllose Wohltätigkeitsvereine Unterstützungsaktionen, um die benötigten Geldmittel aufzutreiben. Die Wehrmann-Benagelung ist dafür ein Paradebeispiel. In kürzester Zeit wurde aber deutlich, dass die aus solchen Aktionen gewonnenen Mittel nicht ausreichten und auch eine staatliche Budgetierung der Fürsorge notwendig war. Aus der in der Wehrpflicht grundgelegten Verpflichtung des männlichen Staatsbürgers, im Bedarfsfall für den Staat in den Krieg zu ziehen, ergab sich zwangsläufig die Verpflichtung des Staates, dann auch für jene Schäden aufzukommen, die eine solche soldatische Pflichterfüllung nach sich ziehen konnte. So unumstritten diese Zuständigkeit in der Theorie war, so schwierig gestaltete sich die Aufbringung der Mittel in der Praxis. Die Versorgung der Kriegsopfer blieb während des Ersten Weltkriegs ein ungelöstes Problem, und bis zum Ende dieses Kriegs gab es ein Nebeneinander von staatlichen und privaten Maßnahmen – allesamt jedoch unzureichend.

Als die Benagelung des Wehrmannes im achten Kriegsmonat begann, war die Situation noch anders. Die über drei Meter hohe Statue aus Lindenholz – vom Wiener Künstler Josef Müllner angefertigt – wurde am Vorabend des 6. März 1915 in Tücher gehüllt auf dem Schwarzenbergplatz, zwischen Militärkasino und Hotel Imperial, aufgestellt. Dort sollte am nächsten Tag die Aktion mit einer offiziellen Feier ihren Anfang nehmen. Da es am 6. März regnete, wurde die Festveranstaltung in das Innere des Militärkasinos verlegt. Nach mehreren Reden kamen die Festgäste heraus, den Wehrmann schützte ein Baldachin, das Areal war mit Reisig und Fahnen geschmückt; hinter der Statue stand eine Kanone aus den Beständen der Kriegsbeute. Als erste schlugen die Vertreter der im Krieg verbündeten Länder – der österreichische Erzherzog Leopold Salvator, der deutsche und der türkische Botschafter – vergoldete Nägel in den Wehrmann.

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Jeder, der mindestens eine Krone zahlte (dazu stand eine Registrierkasse am Fuß des Baldachins), durfte in der Folge einen der etwa 2 cm langen Nägel in den Holzritter schlagen. 5.000 Nägel zählte man am Abend des ersten Tags, und nach der ersten Woche waren es bereits 11.441. Insgesamt wurden in die hölzerne Statue angeblich rund 500.000 Nägel eingeschlagen, was Einnahmen von über 700.000 Kronen brachte.

Der Militär-Witwen- und Waisenfonds hatte sich wohl nicht ausgemalt, mit welcher Begeisterung seine Initiative aufgenommen werden würde. Nicht nur die Wiener und Wienerinnen wurden von der Idee der Spenden- und Nagelgemeinschaft infiziert. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Einfall der Benagelung noch 1915 von Wien aus über die ganze Monarchie und auch das Deutsche Reich und wurde in zahllosen Orten nachgeahmt.

Den Wiener Holzkrieger überzog langsam eine eiserne Rüstung. So erhöhte jeder, der mitmachte, symbolisch die Wehrkraft des Landes und konnte sich zugleich als Teil des großen Ganzen fühlen. Die Herstellung eines Gefühls der Einigkeit und Zusammengehörigkeit gelang vor allem in der Anfangsphase gut. Es gab aber auch kritische Zeitgenossen, die der Kriegseuphorie distanziert gegenüberstanden und die Implikationen der Wehrmannbenagelung deutlich erkannten, wie etwa Karl Kraus, der sich in seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ über das Ritual des Benagelns lustig machte, wenn er einen Protagonisten sagen lässt: „Lassen Sie mich aus mit solchen Narrischkeiten.“

Nach dem Ende des Kriegs und dem Zerfall des Habsburgerreichs waren die Zeiten der privaten Wohltätigkeit endgültig vorbei. Not und Chaos ließen an eine Fortsetzung der Sozialpolitik durch wohltätige Stiftungen gar nicht erst denken. War vor Kriegsende noch geplant gewesen, den eisernen Ritter an jenen Ort zu übersiedeln, wo er sich heute befindet, war davon nun keine Rede mehr. Die Nische, in der die Statue heute steht, hatte man allerdings bereits hergerichtet: Zwei Sprüche waren angebracht worden: die Zeile „Gut und Blut fürs Vaterland“ aus der bis 1918 gesungenen Kaiserhymne und ein Spruch des deutschnationalen Dichters Ottokar Kernstock – ironischerweise seinerseits Verfasser der österreichischen Bundeshymne von 1929. Wenn aber in den politisch bewegten Nachkriegsjahren von diesen Texten überhaupt Notiz genommen wurde, dürfte ihr Inhalt nicht auf allzu viel Verständnis gestoßen sein. Denn die Frage nach dem Vaterland ließ sich in der jungen Republik nicht so leicht beantworten. Das republikanische Österreich und insbesondere das sozialdemokratische Wien legten jedenfalls keinen besonderen Wert mehr darauf, ein Symbol des eben zu Ende gegangenen Kriegs öffentlich auszustellen. Der hölzerne Pavillon, der den Wehrmann vor Regen und Schnee geschützt hatte, wurde zum Verkauf angeboten, der Wehrmann selbst verschwand in einem städtischen Depot und übersiedelte später in das Museum eines Soldatenvereins. Die Nische neben dem Rathaus blieb leer.

Insbesondere in den frühen Jahren der Ersten Republik versuchte die Regierung, die sozialpolitischen Versäumnisse der Monarchie zu beheben. So wurde etwa noch im November 1918 das Arbeitslosengeld geschaffen, das die zu Tausenden heimkehrenden Soldaten auffangen sollte, und im April 1919 das sogenannte Invalidenentschädigungsgesetz erlassen, das die Versorgung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen neu regelte. Es schien zunehmend selbstverständlicher zu werden, dass der Staat für seine Bürger sorgte. Was ursprünglich nur für die Soldaten galt – die staatliche Verantwortung für deren Wohlergehen –, dehnte sich nun auf immer größere Kreise der Bevölkerung aus.

Die im Verlauf der Ersten Republik schärfer werdenden politischen Gegensätze führten schließlich 1933 zur Ausschaltung des Parlaments durch die Christlichsozialen und 1934 zum Bürgerkrieg und zur Etablierung eines autoritären Regimes, des Austrofaschismus. Und plötzlich wurde der „Wehrmann in Eisen“ für die Politik wieder interessant.

Der benagelte Ritter erlebte ein Comeback. Sechzehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war es offenbar wieder möglich, sich an den Krieg in positiver Weise zu erinnern: Damals, 1934, wurde das Äußere Burgtor am Heldenplatz zum Österreichischen Heldendenkmal umgestaltet. Der Umbau veränderte das Bauwerk äußerlich nicht, aber im Inneren wurden Weiheräume für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs eingerichtet, Ehrentreppen gebaut, Lorbeerkränze aufgehängt, „Heldenbücher“ aufgelegt und ein Grab des unbekannten Soldaten eingerichtet. Dieses Heldendenkmal war nichts anderes als das größte Kriegerdenkmal des Landes. Und es kostete Geld, so verfiel man auf die Idee, den Wehrmann neuerlich hervorzuholen und mit seiner Hilfe wieder Spenden zu sammeln. Da das hölzerne Denkmal schon ganz benagelt war, bat man den Bildhauer, der die Figur 1915 hergestellt hatte, den Sockel noch einmal anzufertigen, damit wenigstens dieser wieder benagelt werden konnte.

Der Beginn der zweiten Benagelungsaktion am 7. Mai 1934 war ähnlich feierlich inszeniert wie 1915. Der Bundespräsident, Regierungsmitglieder und der Wiener Bürgermeister waren anwesend. Bis zur Einweihung des Heldendenkmals im September 1934 gab es mehrere Benagelungsaktionen von verschiedenen Gruppen und Vereinen. Die Zeitungen schrieben darüber, auch die österreichische Wochenschau berichtete, und der Wehrmann trug auf diese Weise – wie man damals schon feststellte – viel zur Popularisierung des Heldendenkmals bei. Es gab allerdings einen entscheidenden Unterschied zur ersten Benagelung: Mit sozialen Anliegen hatte der Wehrmann nun nichts mehr zu tun. Er diente jetzt der Totenehrung und wurde vom neuen Kleinstaat Österreich zu einem fragwürdigen Symbol für einstige militärische Größe und Macht umgedeutet.

Fünf Monate lang stand der Wehrmann wieder auf dem Schwarzenbergplatz. Am 11. Oktober 1934 übersiedelte er in die Nische unter den Arkaden, wo er seither zu sehen ist. Sein erster Ausflug auf den Schwarzenbergplatz im Jahr 1915 diente der Geldbeschaffung für soziale Zwecke, zu einer Zeit, als Sozialfürsorge noch private Angelegenheit war. Sein zweiter Ausflug im Jahr 1934 hatte einen ganz anderen Zweck. Nun sollten Spenden lukriert werden, um den vermeintlichen Helden, tatsächlich aber den Toten des Ersten Weltkriegs ein Denkmal zu setzen.

Obwohl die Statue offiziell den Titel „Wehrmann im Eisen“ trug, wurde sie in der zeitgenössischen Presse meist als „Wehrmann in Eisen“ bezeichnet.

Dieser Text basiert auf einer 2007 anlässlich der Eröffnung des Museums auf Abruf (MUSA; heute Wien Museum MUSA) im Auftrag der WochenKlausur von dem Autor und der Autorin erstellten Bild- und Tonpräsentation; siehe auch www.forschungsbuero.at.

Weiterführende Literatur zur Versorgung der Opfer des Ersten Weltkriegs:

Pawlowsky, Verena/Harald Wendelin: Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914-1938, Wien-Köln-Weimar 2015.

Verena Pawlowsky, Studium der Geschichte und Germanistik in Wien und Berlin; Lehraufträge, Forschungen und Publikationen zur Geschichte der Fürsorge und Illegitimität, zum Austrofaschismus, zur NS-Geschichte von Institutionen und zu Kriegsopfern des Ersten Weltkriegs. Siehe auch: www.forschungsbuero.at

Harald Wendelin, Studium der Geschichte und Germanistik in Wien, Forschungen zu Staatsbürgerschaft und Heimatrecht, Kriegsopfern des Ersten Weltkriegs und zum Vermögensentzug im Nationalsozialismus. Siehe auch: www.forschungsbuero.at

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