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Die Geschichte des BHs
Eine Frage der Haltung
Rund um 1900 lag Veränderung in der Luft - so auch in der Modewelt. In verschiedenen Ländern entstanden Kleidungsstücke, die dem Korsett den Kampf ansagten. Die Erfindung des BHs stand in den Startlöchern. Seine Geschichte beginnt jedoch bereits im antiken Griechenland, wo Frauen Stoffe aus Wolle oder Leinen um ihre Brust gebunden haben, um diese zu stützen. Einige Jahrhunderte später, ab 1500, etablierte sich das Korsett und wurde für Frauen der Mittel- und Oberschicht bald zum festen und obligatorischen Bestandteil ihrer Garderobe. Das Schönheitsideal der Wespentaille war geboren. Vor allem billige Korsette konnten bei den Trägerinnen enorme körperliche Beschwerden verursachen.
Eine revolutionäre Erfindung
1889 präsentierte die Französin Herminie Cadolle schließlich ihre neue Erfindung: das „Corselet Gorge“. Sie hatte die Idee, ein Korsett in zwei Teile zu schneiden, wobei der obere Teil die Brust und der untere den Unterleib stützen sollte. Mit ihrem „zweigeteilten Korsett” wollte Cadolle mit elastischen Stoffen ein praktisches Kleidungsstück für Frauen entwickeln, die Ästhetik stand dabei im Hintergrund.
Der in der Dauerausstellung des Wien Museums ausgestellte BH namens „Lada“ ist ein Reform-BH aus dem Jahr 1911. Die damaligen Büstenhalter wurden entwickelt, um Frauen die Teilnahme an Sportarten wie Radfahren und Tennis zu ermöglichen. Ein Massenprodukt war der BH zu dieser Zeit jedoch noch nicht. Hauptsächlich vermögende und künstlerisch tätige Frauen, die in der Öffentlichkeit in sogenannten Reformkleidern erschienen, waren die Trägerinnen der frühen BHs. „Eine Frau, die um 1906 ein Reformstück zum Radfahren getragen hat, die hätte dann am Abend, wenn sie ein Abendkleid getragen hat, auch wieder das Korsett angezogen”, erklärt Michaela Lindinger, Kuratorin im Wien Museum und zuständig für die umfangreiche Modesammlung des Hauses.
Ab in den Mainstream
Als Symbolfigur für die Erfindung des BHs wird auch oft Mary Phelps Jacob genannt. Als die Amerikanerin unter ihrem Debütantinnenkleid, das mit besonders wenig Stoff begeisterte, kein Korsett tragen konnte, nähte sie sich kurzerhand einen rückenfreien BH. Für einen Dollar verkaufte sie den „Backless Brassiere” an Frauen der New Yorker Hautevolee. Die Frauenrechtlerin, die ihren Hund übrigens Clytoris nannte, meldete 1914 Patent an, verkaufte dieses jedoch kurz darauf wieder.
Das Tragen von BHs war jedoch nicht für alle selbstverständlich. Nicht nur Männer, sondern auch einige Frauen sahen den BH als unangebracht und anzüglich. Die Wiener Frauenrechtlerin Rosa Mayreder bekam von ihrer Mutter gesagt, ohne Korsett auf die Straße zu gehen sei „unanständig“ und komme deshalb nicht in Frage, erzählt Lindinger. Erst nach 1918 setzte sich der BH schließlich durch. Im Ersten Weltkrieg wurde er für viele Frauen notwendig, da sie nun arbeiten mussten. „Da merkt man dann wirklich, dass man sich mit dem Korsett schlecht bücken kann”, so Lindinger.
Wandelnde Schönheitsideale
In den 1920er Jahren erlebten auch viele Schönheitsideale eine Wandlung. Nun waren Frauen mit besonders schlanken, burschikosen Körpern en vogue. Der BH der widerständigen „Flapper“-Frauen bestand aus einem geraden Stoffstück, das die Brust möglichst flach wirken lassen sollte. In den Jahren von 1918 bis 1929 wurden knapp 200 Patente für verschiedene BH-Designs angemeldet. Langsam war das Unterwäschestück nicht mehr nur Frauen der Oberschicht vorbehalten, sondern verbreitete sich in der ganzen Bevölkerung. Das Korsett sei in den 1920ern nur noch von Frauen über fünfzig getragen worden, so Michaela Lindinger „All diese figurformenden Dinge sind von den Designern, mehrheitlich Männer, vorgegeben worden. Manche Frauen haben das als Befreiung empfunden, manche auch nicht.”
Das Tanzen trug maßgeblich zur Weiterentwicklung des BHs in den 1930ern bei. Das Kleidungsstück musste nun auch bei Lindy Hop, Quick Step und Co. die Brust unterstützen. Elastische Träger und gepolsterte Körbchen sorgten für Bewegungsfreiheit auf der Tanzfläche. 1932 wurde außerdem das bis heute genutzte Größensystem mit A, B, C und D-Körbchen eingeführt.
Der „Bullet Bra”, in der jüngeren Vergangenheit vor allem durch Madonna bekannt, war ein Produkt der 1940er Jahre. Durch die Megastars der 1950er, darunter auch Marilyn Monroe, wurde der BH schließlich zu einem Modeaccessoire.
Feurige Proteste
Mit den feministischen Protesten der 68er-Bewegung wurde der BH, ähnlich wie das Korsett vor ihm, zu einem Symbol der Unterdrückung. Bei einem Protest gegen den Miss-America-Wettbewerb in New York zogen einige Demonstrantinnen ihren BH aus und legten sie in die „Freedom Trash Can”. Gemeinsam mit weiteren Gegenständen, die als Symbol für das Patriarchat galten, sollten sie darin verbrannt werden. Die Polizei stoppte das Anzünden, der Mythos der BH-Verbrennung manifestierte sich jedoch als Symbol für die Frauenbewegung.
Der Miss-America-Protest befeuerte ähnliche Demonstrationen, auch in Wien. Michaela Lindinger erzählt: „Da hat es auch Frauen gegeben, die mit ihren BHs in der Hand demonstrieren gegangen sind für die Frauenbefreiung, wobei der BH ganz einfach ein Symbol dafür war, dass man sich jetzt nicht mehr unterdrücken lässt. Aber natürlich haben sie nicht nur gegen das BH Tragen demonstriert, sondern grundsätzlich dafür, dass Frauen in der Gesellschaft gleichgestellt werden. Darum ist es in Wirklichkeit gegangen. Der BH war ein kleines Symbol für viel wichtigere Dinge.”
Das Bild der BH-Verbrennung sorgte natürlich auch in Medien und Popkultur für reißerische Schlagzeilen. Country-Sängerin Dolly Parton sagte in den 1970ern: „I said that when women’s liberation came out that I was the first person to burn my bra and it took the fire department three days to put the fire out.”
Ein Großteil der Frauen trug zwar immer noch BH, doch standen nun wieder das Komfortable und Praktische im Vordergrund. „Was natürlich schon stimmt, ist, dass die BHs in den 60er, 70er und 80er Jahren ganz einfach viel tragbarere Kleidungsstücke geworden sind. Weil sie nicht mehr so viele Versteifungen hatten, wie die in den 30er Jahren. Und es ist auch nicht mehr der Busen so unnatürlich geformt worden, etwa wie in den 50er Jahren”, schildert Lindinger. 1977 entwarfen Polly Smith, Hinda Miller and Lisa Lindahl den ersten Sport-BH. Der Wonderbra und Victoria’s Secret brachten in den 90ern dem BH wieder seine Sexyness zurück. Mit Push-up-BHs versuchten junge Frauen, ihre Körper nach den Schönheitsidealen Victoria’s-Secret-Engeln zu formen.
Baba, BH
Langsam verschwindet der Push-Up-BH wieder aus den Kleiderschränken. Stattdessen steigt die Nachfrage nach BHs ohne Bügel und Bralettes. Vor allem während der Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Pandemie verzichteten viele ganz darauf. Laut einer französischen Studie des Meinungsforschungsinstituts Ifop trugen während den Lockdowns 20 Prozent der jungen Frauen keinen BH. Auch Stars und Modemarken springen auf den „Braless”-Trend auf. Kaum ein Laufsteg oder roter Teppich geht ohne Brust-Blitzer über die Bühne. Diese sind jedoch meist inszeniert, die Kleider sind meist mit Klebebändern versehen, damit nur gezeigt wird, was gezeigt werden will.
Immer noch erfahren Frauen* Diskriminierung, wenn sie sich gegen das Tragen entscheiden. Angriffe und Sexualisierung stehen an der Tagesordnung. Aus diesem Grund wurde 2012 der Hashtag #freethenipple ins Leben gerufen. Die Kampagne fordert die gleiche Behandlung von männlichen und weiblichen Körpern und wird von vielen prominenten Frauen unterstützt. Auch Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete musste nach ihrer Gerichtsanhörung Anfeindungen der Presse erleben, weil sie keinen BH anhatte. Als Reaktion solidarisierten sich Italienerinnen unter dem Hashtag #freenipplesday.
Doch verschwinden wird der BH wohl nicht so schnell. Für viele ist der BH eine notwendige Stütze der Brust und verhindert Rückenschmerzen. Manche fühlen sich beim Tragen wohler, manche wollen Diskriminierung vermeiden. So wie sich die Rolle und die Form des BHs seit seiner Erfindung gewandelt hat, wird er jedoch wohl auch in Zukunft noch einige Veränderungen durchlaufen.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben. In diesem Fall war es ein BH der Marke „Lada“ im Kapitel zu Wien um 1900.
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