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Tobias Jaritz und Sophie Insulander, 6.8.2024

Die Völkerwanderung in der Dauerausstellung des Wien Museums

Eine Zeit im Halbschatten

Die Migrationsbewegungen in der Zeit der Völkerwanderung sind ein heißes Thema in der Forschung: Wann kamen welche Gruppen in den Wiener Raum? Wie war ihr Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung? Und was davon kann man in der neuen Dauerausstellung des Wien Museums überhaupt darstellen? Ein Interview mit der Kuratorin Sophie Insulander.

Tobias Jaritz

Wir sind ja gerade gemeinsam durch den Teil der Dauerausstellung gegangen, den du mit Michaela Kronberger kuratiert hast. Welche Gedanken stehen hinter dem Aufbau und der Gestaltung der Kapitel 1 und 2?

Sophie Insulander

Grundsätzlich ist die Dauerausstellung chronologisch gegliedert. Dahinter steckt der Gedanke, dass Chronologie einfach ein gutes Grundgerüst ist, damit man sich in der Ausstellung gut zurechtfindet. Das erste Kapitel umfasst den Naturraum und die frühen Gesellschaften. Es war uns ganz wichtig, mit dem Naturraum anzufangen, weil wir der Meinung sind, dass man Siedlungsgeschichte nicht wirklich gut verstehen kann, wenn man die natürlichen Gegebenheiten nicht kennt. Das zentrale Objekt ist das Naturraummodell, worauf ein Film abgespielt wird, der von ganz am Anfang, also vor 15 Millionen Jahren, bis in die heutige Zeit reicht.
Dann schließen sich mehrere Vitrinen an, die die frühen Gesellschaften repräsentieren sollen. Jede Vitrine spiegelt eine Epoche wider. Das Kapitel ist zweigeteilt, weil man zunächst den Bereich hat, der vom Naturraum bis zur keltischen Zeit, bis zur späten Eisenzeit reicht. Dann geht man ins zweite Kapitel, das die römische Zeit und die Völkerwanderung behandelt. Wir wollen darin zeigen, dass das Gesellschaften sind, die auf unterschiedliche Weise mit ihrer Umgebung umgehen. Dabei stechen die Römer heraus, weil sie die erste urbane Gesellschaft im Wiener Raum waren.

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TJ

Ist deswegen die Ausstellungsfläche der römischen Zeit auch größer als die der anderen? Man hätte ja auch nur eine gleich große Vitrine zur Römerzeit machen können wie zum Beispiel zur Langobardenzeit.

SI

Ja, das stimmt. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir aus der Römerzeit natürlich einfach viel mehr Funde haben. Es gibt ja auch das Römermuseum am Hohen Markt, das ist einer unserer Standorte. Die Römerzeit ist sehr wichtig für Wien, weil das eben das erste Mal ist, dass Wien zur Stadt wird.

TJ

Nach den Römern kam eben die Zeit der Völkerwanderung. Was ist damals in Europa passiert und wie kam es dazu?

SI

Als Auslöser wird in der Forschung die Migrationsbewegung der Hunnen gesehen, die ab dem 4. Jahrhundert, aber vor allem im 5. Jahrhundert unter Attila eine große Expansionsbewegung hatten und auch in Konflikt mit dem Römischen Reich gekommen sind. Generell kann diese Zeit als eine Zeit von großen Wanderungsbewegungen gesehen werden. Man kann sich das so vorstellen, dass in Zentralasien verschiedene Steppenvölker in Konflikt miteinander gekommen sind. Dabei wurden Gruppen verdrängt, die dann nach Westen gegangen sind. Dann wurde die siegreiche Gruppe von einer anderen Gruppe besiegt und diese ist dann selbst weitergewandert. Es ist also einfach ein sehr dynamischer Prozess von Wanderungsbewegungen.

TJ

Welche Spuren hat diese Zeit in Wien hinterlassen und worauf lassen diese schließen?

SI

Grundsätzlich eine Problematik aus archäologischer Sicht ist, dass wir kaum Siedlungsfunde aus dieser Zeit haben, sondern fast nur Grabfunde. Man kann aber aus diesen Grabfunden sehr viel herauslesen. Erstens hat man oft sehr viele Grabbeigaben. Zweitens finden wir von den Awaren vor allem Körperbestattungen. Das heißt, man kann auch an Skeletten Untersuchungen vornehmen und gerade jetzt wird auch enorm viel zu dieser Zeit geforscht.
Wenn man sich anschaut, wo diese Gräberfelder liegen, kann man daraus auch auf die Lage der Siedlungen schließen und da zeigen sich total spannende Erkenntnisse: Erstens, dass die Awaren eben nicht im Bereich des ehemaligen römischen Legionslagers und der Lagervorstadt gesiedelt haben. Zweitens, dass sie aber sehr wohl noch vorhandene römische Infrastrukturen genutzt haben. Das sieht man daran, dass sie zum Beispiel nahe der römischen Wasserleitung oder auch an Straßen gesiedelt haben. Das heißt, man kann durchaus auch zur Siedlungsgeschichte einiges aus diesen Funden herausfinden.
An dieser Stelle möchte ich mich noch bei Bendeguz Tobias von der Akademie der Wissenschaften bedanken. Da Michaela Kronberger und ich nicht aus diesem Bereich der Forschung kommen, war er unser fachlicher Ansprechpartner für diesen Teil der Ausstellung.

TJ

Wie kann man die Zeit der Völkerwanderung zeitlich abgrenzen und auch einteilen? Also welche Völker waren wann in Wien?

SI

Der Beginn wird normalerweise mit den Hunnen, also ab 375 nach Christus, angesetzt. Das Ende der Völkerwanderung in unserem Raum lässt sich zirka mit Karl dem Großen, am Anfang des 9. Jahrhunderts fassen. In diesem halben Jahrtausend waren verschiedene Völker zu verschiedenen Zeitpunkten im Raum Wien. Es ist aufgrund der archäologischen Fundsituation nicht immer ganz einfach zu sagen, wer wann wo war. Wir wissen zum Teil aus historischen Quellen, dass die Langobarden ab etwa 500 in Wien nachweisbar sind und um 568 nach Italien weitergezogen sind. Ab diesem Zeitpunkt haben die Awaren das Wiener Becken in ihren Herrschaftsbereich übernommen.

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TJ

Wie ist es zu diesem Wechsel von Langobarden zu Awaren gekommen?

SI

Grundsätzlich gab es verschiedene Gruppen, die in dem Bereich gesiedelt haben und die immer wieder in Konflikt miteinander gekommen sind. Diese haben sich zum Teil miteinander gegen andere Gruppen verbündet. Die Langobarden und die Awaren haben sich gegen eine dritte Gruppe, das waren die Gepiden, zusammengeschlossen und eine Art Vertrag abgeschlossen, mit der Vereinbarung, dass, wenn ein Sieg gegen die Gepiden gelingt, die Langobarden weiterziehen in Richtung Italien und die Awaren diese Bereiche im Wiener Becken übernehmen. Genau das ist auch der Fall gewesen. Die Langobarden haben in Italien ein großes Reich errichtet, das zwei Jahrhunderte lang Bestand hatte, daher kommt auch der Name Lombardei.
Momentan wird sehr intensiv an diesen Migrationsbewegungen geforscht, und zum Verhältnis der neu ankommenden Gruppen zur lokalen Bevölkerung. Spannend ist auch die Frage, wer die Awaren tatsächlich waren. Man weiß, dass sie ursprünglich wahrscheinlich aus Zentralasien gekommen sind. Man muss aber damit rechnen, dass sich ihnen im Laufe ihrer Wanderungsbewegungen auch verschiedene Menschen aus anderen Regionen angeschlossen haben.
Es ist also ein sehr komplexes Thema in der Forschung. Man kann nicht sagen, es war genau die eine Gruppe da, die war dann wieder weg und dann waren wieder komplett neue Menschen da. Es hat schon eine Bevölkerung gegeben, die vor den Römern da war und dann mit den Römern gab es wieder eine neue Bevölkerung. Man kann schon in etwa sagen, wann die Awaren gekommen sind und wann sie von Karl dem Großen besiegt wurden (791–796). Man kann aber nicht alles im Detail erfassen.

TJ

Wie war es nach der Völkerwanderung? Also was ist passiert, nachdem Karl der Große die Awaren besiegt hat?

SI

Generell lässt sich ab dem 9. Jahrhundert wieder eine Stadtwerdung in Wien nachweisen. Man weiß, dass ehemalige römische Machtzentren entlang der Donau wieder besiedelt wurden. Nicht nur Wien, sondern auch andere. Man weiß auch, dass im 11. Jahrhundert aus Bayern Menschen nach Wien gekommen sind und sich innerhalb der römischen Stadtmauern angesiedelt haben. Zu dieser Zeit ist ein Teil der römischen Ruinen auch noch gestanden. Man weiß auch durch Künettengrabungen der letzten Jahre, dass der Lagergraben von Vindobona erst im späten Mittelalter endgültig zugeschüttet wurde. Das heißt, sie sind auf jeden Fall mit der römischen Baustruktur umgegangen und das war sicher auch eine bewusste Entscheidung.
Vor zwei Jahren gab es Ausgrabungen am Petersplatz im 1. Bezirk. Bei diesen Ausgrabungen konnte ein Gräberfeld festgestellt werden, das vom 9. bis ins 11. Jahrhundert reicht. Das Spannende daran ist, dass das genau diese Phase der Wiederbesiedlung ist. Man weiß auch, dass es im Zuge der Christianisierung üblich wurde, Bestattungen nur mehr um Kirchen herum vorzunehmen. Möglicherweise weist das also auch darauf hin, dass die Peterskirche schon sehr früh errichtet wurde

TJ

Gibt es ein persönliches Lieblingsstück für dich in der Sammlung?

SI

In einem Forschungsprojekt mit der Akademie der Wissenschaften ging es um awarische Reflexbögen. Im Zuge dessen habe ich in unserem Depot die Reflexbögen, also die Bogenbeschläge aus Knochen bzw. Geweih, die wir noch haben, rausgesucht und vorbereitet. Das fand ich tatsächlich sehr spannend, weil das einfach sowas ist, dass man ein Objekt hat, bei dem man sich am Anfang denkt: „Was um alles in der Welt könnte das sein?“ Und dann verstehst du langsam, wie es funktioniert hat. Als ich das erste Mal eine Rekonstruktion gesehen habe, wie diese Bögen mit den Knochenbeschlägen tatsächlich ausgesehen haben, war ich komplett beeindruckt. Ich glaube, diese Reflexbögen sind so ein bisschen meine Lieblingsteile.

TJ

Zum Abschluss: Welche Funde würdest du dir für die Zukunft wünschen?

SI

Das ist eine sehr gute Frage. Grundsätzlich ist es ein riesiger Unterschied, in Wien archäologisch tätig zu sein, im Vergleich zu ländlichen Gebieten wie Carnuntum. In Wien hat man leider nicht die Möglichkeit, Forschungsgrabungen oder Prospektionen in einer großen Fläche vorzunehmen. Wir haben so kleine Puzzlestücke. Es wird dauernd in der Stadt gegraben. Ich habe bereits Künettengrabungen angesprochen. Künetten sind Gräben für Leitungsrohre. Diese Grabungen werden auf kleinstem Raum durchgeführt und man würde eigentlich meinen, dass da gar nichts dabei rauskommt. Im Gegenteil ist es ganz erstaunlich, was da alles gefunden wird. In den letzten Jahren waren gerade diese Künettengrabungen total produktiv und erfolgreich und ich würde mir einfach wünschen, dass es in dem Sinne weitergeht. Dass man einfach immer wieder weitere Puzzlestücke hat, aus denen sich ein vollständigeres Bild ergibt.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben. 

Tobias Jaritz studiert Journalismus und PR an der FH JOANNEUM in Graz. Er interessiert sich für Geschichte, Politik und Fußball.

Sophie Insulander hat Klassische Archäologie an der Universität Wien studiert. Von 2014 bis 2020 war sie als studentische Mitarbeiterin in zwei archäologischen FWF-Projekten an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Seit 2020 ist sie kuratorische Assistenz für Archäologie und Geschichte bis 1500 am Wien Museum.

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