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Kurt Schmutzer, 18.11.2022

Drei bislang unbekannte Bilder von Johann Natterer

Porträts des Naturforschers als junger Mann

Johann Natterer (1787-1843), Zoologe und Forschungsreisender im Auftrag Kaiser Franz I., gilt als einer der bedeutendsten österreichischen Naturforscher und Sammler des 19. Jahrhunderts. Bis vor kurzem war in der Fachliteratur nur ein einziges Bildnis von Natterer bekannt. Drei weitere aus der Sammlung des Wien Museums werden hier näher vorgestellt. 

18 Jahre lang bereiste Johann Natterer Brasilien, seine naturwissenschaftlichen Sammlungen sind heute wichtige Bestandteile des Naturhistorischen Museums und des Weltmuseums in Wien. Die noch erhaltenen Briefe, Berichte und Tagebuchfragmente erlauben es, seine Reisen im Detail zu rekonstruieren. Bisher war aber nur ein einziges Porträt von Natterer bekannt: ein Stich von Michael Sandler, der ihn in fortgeschrittenem Alter nach seiner Rückkehr aus Brasilien zeigt.

Der Initiative des Wien Museum, seine Sammlungen zu digitalisieren und online verfügbar zu machen, ist es zu verdanken, dass hier mehrere Darstellungen von Natterer vorgestellt werden können, die bisher der Aufmerksamkeit entgangen sind. Eine Abfrage bei in der Online Sammlung des Wien Museums, die seit November 2020 online ist, ergab einen überraschenden Treffer: ein Miniatur-Porträt, das in keiner der Arbeiten über Natterer erwähnt wird.

Das Wien Museum gibt die Entstehungszeit des kleinen Aquarells auf Papier (6,9 x 5,6 cm) mit etwa 1825 an. Möglicherweise wurde das Bild aber einige Jahre früher gemalt. Im Frühjahr 1817 hatte Natterer Wien verlassen, um über Triest nach Rio de Janeiro zu reisen. Er war Mitglied einer Gruppe von Naturforschern, die anlässlich der Heirat der Erzherzogin Leopoldine, einer Tochter Kaiser Franz I., mit Pedro, dem im Exil in Brasilien lebenden Kronprinzen von Portugal, nach Südamerika entsendet wurde. Es wäre naheliegend, dass diese Miniatur vor seiner Abreise als Erinnerungsbild für die Familie angefertigt wurde. Die Ähnlichkeit des abgebildeten Mannes mit dem Porträt von Sandler ist unverkennbar.

Die Miniatur ist weder signiert noch datiert und ohne Benennung des Dargestellten. Mögliche Zweifel an der Zuschreibung können aber durch die Provenienz des Bildes ausgeräumt werden. Nach den Akten des Wien Museum war das Bild 1895 ein Geschenk des K.K. Rittmeisters Erich Schröckinger von Neudenberg. Damit ist die Verbindung zu Natterer bestätigt: Gertrude, die 1832 in Brasilien geborene Tochter Natterers, heiratete am 24. Mai 1851 den Finanzbeamten Julius Schröckinger von Neudenberg (1814-1882), deren jüngster Sohn Erich war ein Enkel des Brasilienreisenden.

Julius Schröckinger von Neudenberg absolvierte ein für k.u.k-Beamte typisches, von großer Mobilität geprägtes Berufsleben. Triest, Temesvár, Brünn und Prag waren einige seiner Stationen als Finanzrat, bevor er 1871 zur niederösterreichischen Finanzlandesdirektion wechselte. Sein Interesse für Naturwissenschaften und sein Engagement in der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft dürften ihn in Kontakt mit der Familie Natterer gebracht haben. Er verfasste auch den ersten biografischen Artikel über seinen Schwiegervater.

Auf das gemeinsame Kind hatte der naturwissenschaftlich geprägte familiäre Hintergrund keine Auswirkung. Erich Schröckinger von Neudenberg machte eine unspektakuläre Karriere als Kavallerie-Offizier. Geboren am 25. September 1853 meldete sich Erich 1872 freiwillig zum Armeedienst, trat ein Jahr später als Kadett in das 3. Dragoner-Regiment in Enns ein und wechselte 1874 als Leutnant nach Klattau/Klatovy (Tschechische Republik) zum 7. Böhmischen Dragoner-Regiment. Es folgten die üblichen Beförderungen in der Armee-Hierarchie. 1892 wechselte Erich, mittlerweile Rittmeister, zum 4. Galizischen Ulanen-Regiment, stationiert im Lemberg/Lwiw (Ukraine).

Wie aber kam Erich in den Besitz des Bildes? Er war nicht das einzige und nicht das älteste der Kinder Gertrudes. Eine Zeitungsrecherche brachte ein Drama zu Tage, welches sich 1894 in der Familie Schröckinger-Neudenberg ereignete.

Am 23. März 1894 verstarb Gertrudes einzige Tochter Hildegard mit nur 25 Jahren an Tuberkulose. Wenige Wochen später erreichte ein Betrugsskandal seinen tragischen Höhepunkt. Gertrudes ältester Sohn Wilfried nahm sich am 17. Mai in einer Umkleidekabine des Theresienbades in Wien-Meidling das Leben, ihr zweiter Sohn Lothar wurde verhaftet. Die Brüder waren in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatten Teppiche, Klaviere und Gemälde auf Kredit gekauft und weiterverkauft, um ihre Zahlungsunfähigkeit zu verschleiern. Ihnen wurde leichtsinniger Lebenswandel, Vergnügungssucht und unverhältnismäßiger Aufwand nachgesagt, sie seien Elegants, die weit über ihre Verhältnisse leben. Lothar kam schließlich vor Gericht und wurde zu zwei Monaten Arrest verurteilt. Der jüngste Sohn Erich hatte mit dieser Affäre wohl nichts zu tun gehabt. In den Berichten über den Betrugsfall wurde sein Name nie erwähnt.

Gegen Ende dieses unglücklichen Jahres 1894 trat der schweizerisch-brasilianische Naturforscher Emílio A. Goeldi auf der Suche nach Informationen über Johann Natterer an dessen Tochter Gertrude heran. Goeldi bat um Porträts, die er in einem Artikel – dem ersten in Brasilien erschienenen biografischen Text über Natterer – publizieren wollte, und Gertrude schickte ein dem Stich von Sandler nachempfundenes Bild. In ihren Briefen an Goeldi bekundete Gertrude große Zuneigung zu ihrem schon 1843 verstorbenen Vater. Leider erlebte sie die Veröffentlichung von Goeldis Würdigung nicht mehr. Gertrude starb am 6. Mai 1895 im Alter von 63 Jahren an einer Lungenentzündung. Es war Erich, der Goeldi die traurige Nachricht überbrachte.

Gertrude hatte noch einige Objekte, die an ihren Vater erinnerten, in Besitz gehabt. Noch zu Lebzeiten hatte sie dem Naturhistorischen Museum die erhaltenen Manuskripte geschenkt. Wenige Tage nach Gertrudes Tod übergab Erich 77 ethnografische Objekte aus dem Nachlass an das Naturhistorische Museum (heute im Weltmuseum Wien). Im Juni ließ Erich weitere 19 Gegenstände abholen, die seine Mutter dem Museum gewidmet hatte, darunter eine gegerbte Schlangenhaut, bemalte Kalebassen und Federschmuck aus Brasilien.

Die Recherche zur Herkunft der Miniatur ergab, dass das Wien Museum ein weiteres Porträt von Natterer in seinen Beständen hat, ebenfalls aus dem Nachlass Gertrudes. Dieses Ölgemälde auf Leinwand (59,5 x 48 cm) zeigt ein halbfiguriges Porträt Natterers als jungen Mann in einem repräsentativen Rahmen. Seine Reise in ein weit entferntes Land und die Möglichkeit, dass er diese Reise nicht überleben könnte, machen es plausibel, dass auch dieses Porträt 1817 als Erinnerung für seine Familie entstanden ist, und so schließlich in die Hände seiner Tochter Gertrude gelangte. 

Zu guter Letzt brachte die Durchsicht der Schröckinger-Schenkung noch eine Abbildung zu Tage, die Natterer zeigt. Dieses Aquarell auf Papier steht offensichtlich in direktem Zusammenhang mit dem Sandler-Stich.

Ob es sich um die Vorlage handelt oder eine Zeichnung nach dem Stich, muss vorerst offenbleiben. Das Inventar des Wien Museums führt „Schrötter“ als Urheber an, mit diesem Namen ist das Bild auch signiert. Das Werk wird vom Museum dem gefragten Porträtisten Bernhard von Schrötter (1772-1842) zugeschrieben, einem Zeitgenossen Natterers.

Im Nachlass von Natterers Tochter Gertrude haben sich somit vier Abbildungen ihres Vaters erhalten. Während die Schenkungen an das Naturhistorische Museum bekannt waren, geriet die Übergabe der Bilder an das damalige Historische Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum) in Vergessenheit. Mit der Aufteilung des Nachlasses seiner Mutter übergab Erich vermutlich die letzten noch in Familienbesitz verbliebenen Objekte, die mit Johann Natterer und seinen Reisen in Brasilien in Verbindung gestanden waren, an die Wiener Museen. Er selbst setzte seine militärische Karriere fort. 1897 wurde Erich Schröckinger-Neudenberg der Remonten-Assent-Kommission, der Pferdebeschaffungsstelle der Armee, in Lwiw zugeteilt. Mit 1. Mai 1903 erfolgte eine Beförderung zum Major, 1906 schließlich die Pensionierung. Natterers Enkel starb am 1. April 1924 in Wien.

Der Autor dankt Kuratorin Elke Doppler (Wien Museum) und der Leiterin des Schriftgutarchivs des Weltmuseum Wien, Ildikó Cazan-Simanyi, für die freundliche Unterstützung bei seinen Recherchen. 

Das Naturhistorische Museum zeigt noch bis 23. April 2023 eine Sonderausstellung über 200 Jahre „Beziehungsgeschichten“ zwischen Brasilien und Österreich. In der Schau sind auch einige Exponate zu sehen, die von Johann Natterer gesammelt wurden. Mehr dazu hier.

 

Literatur

Claudia Augustat (Hg.): Jenseits von Brasilien. Johann Natterer und die ethnographischen Sammlungen der österreichischen Brasilienexpedition 1817 bis 1835. Ausstellungskatalog, Wien 2012

Christian Feest: The Ethnographic Collections of Johann Natterer and the Other Austrian Naturalists in Brazil. A Documentary History. In: Archiv Weltmuseum 63/64 (2014) 61-95

Indigenous Heritage: Johann Natterer, Brazil, and Austria (= Archiv Weltmuseum 63-64, 2014); zuletzt zusammenfassend Natterer. On the Austrian Expedition to Brazil (1817-1835), organized by Cristina Ferrão and José Paulo Monteiro Soares (Petrópolis-Rio de Janeiro 2019).

Österreichisches Biographisches Lexikon1815-1950, Bd. 11, Wien 1998

Kurt Schmutzer: Der Liebe zur Naturgeschichte halber. Johann Natterers Reisen in Brasilien 1817-1836 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin 64), Wien 2011

Julius von Schröckinger-Neudenberg: Zur Erinnerung an einen österreichischen Naturforscher. In: Verhandlungen des zoologisch-botanischen Vereins in Wien 5 (1855) 727-732.

Kurt Schmutzer, Studium der Geschichte und Kunstgeschichte, Ausbildungskurs für Historische Hilfswissenschaften am Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Seit 1992 Archivredakteur (Researcher und Gestalter) im Multimedialen Archiv des Österreichischen Rundfunks. Schwerpunkte der Arbeit als Historiker sind ausgehend von Arbeiten über den Zoologen Johann Natterer und seine Reisen in Brasilien von 1817 bis 1835 Forschungsreisen und wissenschaftlichen Sammlungen im frühen 19. Jahrhundert.

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Kommentare

Redaktion

Liebe Kollegin, danke für das freundliche Feedback!
Der Hinweis ist doch selbstverständlich ;-)
Herzliche Grüße, Peter Stuiber

Irina Kubadinow

Herzlichen Dank für Ihren superinteressanten Beitrag!
Und auch für den Hinweis auf unsere Brasilien-Ausstellung im NHM Wien!