
Helmut Braunsteiner, um 1950, (Foto: Nachlass Helmut Braunsteiner)
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Helmut Franz „Brownie“ Braunsteiner
Kennedys Deutsch-Coach
Helmut Braunsteiner wird am 20. März 1927 in Wien geboren. Er ist ein aufgewecktes und lebhaftes Kind. In einer E-Mail vom 9. Mai 2000 an seinen Sohn Ronald erinnert er sich, dass er 1936 von seiner Mutter zum Vortanzen an die Staatsoper gebracht worden sei: „Obwohl ich wie ein Würstel herumtanzte, nahm mich eine Frau Krausenecker zu den Proben an die Staatsoper mit.“ Doch leider habe er „aufgrund der körperlichen Voraussetzungen die ärztliche Untersuchung nicht geschafft“. Helmut liebt das Kino und besucht es oft mit seinem Bruder Erich, um Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy, Rudolf Valentino und Hans Albers zu sehen. Die Familie wohnt im 19. Wiener Gemeindebezirk, in der Geistingergasse 1. Seine Mutter Charlotte Braunsteiner, geborene Amster, ist Jüdin und war 1934 in die römisch-katholische Kirche eingetreten. Der Vater Johann Braunsteiner, ein bekennender Sozialdemokrat und in Wien Bankdirektor bei der Creditanstalt-Bankverein gilt nach dem „Anschluss“ als „Arier-Mischling ersten Grades“. Er arbeitet nach seiner Flucht in die USA zuerst als Tellerwäscher, dann als Pedikeur.
Zunächst wird Helmut Braunsteiner noch mit 11 Jahren zur Hitlerjugend eingezogen. Doch dann wird er gezwungen, seine alte Schule (und die Hitlerjugend) zu verlassen und in die „Judenschule“ zu gehen. „The same Hitler Youth I used to be part of were now waiting for my brother and me after school every day and beat us up with belts.” Die Lehrer an der neuen Schule sind hauptsächlich Deutsche, sie hassen alle Juden, so wird Helmut Braunsteiner in einem Nachruf im Northwest Guardian vom 18. Mai 2001 zitiert. Nachdem Helmuts Vater von der Einberufung zur Wehrmacht erfahren hat, flieht die Familie im Herbst 1939 nach Neapel und reist von dort aus mit „Conte di Savoia“ in die USA. Das Hotel, in dem sie in Neapel untergekommen sind, beschreibt Helmut Braunsteiner als schäbig, er behält jedoch nach der Abreise den Schlüssel zum Zimmer, wirft diesen aber beim Verlassen des Hafens ins Meer. Helmut bezeichnet die Handlung als sein ganz persönliches Freiheitssymbol.
Die Reise muss ein Abenteuer gewesen sein, das Schiff wird vor Gibraltar von einem britischen U-Boot angehalten, junge Männer werden vom Schiff weg angeblich zwangsrekrutiert. Bis 1940 war das Schiff für die Italia Flotte Reunite in Betrieb. Es wird später von Deutschen als Truppenschiff zwangsrequiriert und 1943 mit 400 Menschen an Bord von einem britischen U-Boot versenkt.
In der dem Autor aus dem Nachlass vorliegenden Kopie des Reisepasses von Helmut Braunsteiner wird dieser als „Schüler von kleiner Gestalt, ovalen Gesicht, blonden Haaren und blauen Augen beschrieben.“ Familie Braunsteiner kommt in der Gemeinde der Quäker in Cleveland an, später übersiedelt Helmut mit der Familie nach Santa Monica, Kalifornien. Schließlich lässt er sich in Tacoma im US-Bundesstaat Washington nieder. Nach der Migration in die USA tritt Helmut als Komiker in privaten Clubs auf und verdient sein erstes Geld damit.
1944 meldet er sich freiwillig in die US-Armee und auch dort hat er die Kameraden mit seinen Scherzen unterhalten. Im Juni 1944 landet er mit den Invasionstruppen in Le Havre in Frankreich. Am 23. Februar 1945 erhält Helmut Braunsteiner die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen. 1945 wird er beigezogen, um die in Offenbach, Deutschland, gefundenen SS-Unterlagen zu übersetzen und für die Nürnberger Prozesse vorzubereiten. Diese Arbeiten dauern über 9 Monate. Er wird als Nachrichten-Unteroffizier, als „Interpreter“ und Übersetzer, als Befrager und Nachrichten-Spezialist in Zusammenhang mit der Suche nach Kriegsverbrecher:innen in Deutschland und Österreich eingesetzt.
Er befragt Inhaftierte unter der Leitung von Brigadegeneral Sibert im geheimnisumwitterten Camp King in Oberursel, Deutschland, in Vorbereitung für die Nürnberger Prozesse 1945-1946 und bereitet Übersetzungen der aufgefundenen SS-Unterlagen aus Offenbach vor. Camp King ist auch der Aufenthaltsort von Wernher von Braun, bevor dieser in die USA verbracht wird.
In der Zwischenzeit verbringt Helmut einen kurzen Urlaub in Wien. Am 27. Juni 1947 heiratet er am Standesamt Wien-Margareten die in Wien geborene 19-jährige Ingeborg Kratochwil, seine erste Frau. Sein Standesbeamter ist der damalige Vizekonsul der Vereinigten Staaten in Wien, Joseph R. Jacyno. Zur dieser Zeit dient Helmut Braunsteiner im damaligen Hauptquartier der US Armee in Wien, in der Nationalbank, als Dolmetscher in Verhören zur Entnazifizierung ehemaliger Nationalsozialisten. Als Hochzeitsauto dient ihm ein ehemaliger Dienstwagen von Adolf Hitler, ein Mercedes-Benz 770K Cabriolet. Ein ähnliches Modell kann heute im Technikmuseum Sinsheim besichtigt werden (ob es dasselbe wie auf dem Foto ist, ist auch im Museum Sinsheim unbekannt).
Helmut wird dem Hauptquartier von General Mark Wayne Clark, dem Oberkommandierenden der US Streitkräfte in Österreich, und später dessen Nachfolger Geoffrey Keyes direkt unterstellt. Er wird nach Hallein in Salzburg versetzt und ist dort in der Kaserne der Gebirgsjäger untergebracht. 1946 und 1947 holt er das Gymnasium während seiner Stationierung in Österreich nach und schließt es erfolgreich ab. Zusätzlich erhält er kontinuierliche Weiterbildung im nachrichtendienstlichen Bereich. Als Angehöriger der Militärpolizei hat er die Erlaubnis, ausgestellt am 28. November 1950 im USFA Headquarter am Mozartplatz, bekommen, alle militärischen Einrichtungen in der besetzten Zone betreten zu dürfen. Als Mitglied der Displaced Persons Commission ist er maßgeblich an der Befragung von Vertriebenen beteiligt, hier helfen ihm seine Deutschkenntnisse.

Helmut Braunsteiner nimmt zwischen 1950 und 1953 aktiv am Koreakrieg teil. Aus dieser Zeit liegen zu seinem militärischen Werdegang keine weiteren Unterlagen hinsichtlich der Einsatzorte vor. Lediglich Fotos künden von seiner Beteiligung.
1963 begleitet Helmut Braunsteiner in seiner Funktion als Militärpolizist und NCO für Nachrichtendienstliche Angelegenheiten John F. Kennedys anlässlich seines Berlin-Besuches. Der offizielle Dolmetscher Robert H. Lochner selbst gibt in seinen Memoiren an, an diesem Tag nicht für Kennedy gedolmetscht zu haben, diese Aufgabe habe Adenauers Dolmetscher Heinz Weber in der Öffentlichkeit übernommen. In Vorbereitung zu seiner berühmten Rede mit dem Satz „Ich bin ein Berliner“ vor dem Schöneberger Rathaus wird Kennedy von Helmut Braunsteiner in Deutsch gecoacht. Kennedy selbst wird am selben Abend noch in der Botschaft verlautbaren, dass er „dem Dolmetscher dankbar (ist), dass er mein Deutsch noch besser übersetzt hat.“ Dieser Umstand wird 38 Jahre später durch den Kongress des Staates Washington in der Resolution 4645 am 9. April 2001 zum Anlass genommen, Braunsteiner die Ehrenmedaille des Kongresses des Staates Washington zu verleihen.
Ein Jahr später, 1964, fungiert er als Militärpolizist in der Begleitung von Robert F. Kennedy. Im damaligen Gefolge von Willy Brandt ist auf den Dias aus dem Nachlass von Helmut Brownie Braunsteiner auch Günter Guillaume zu sehen. Guillaume wird später als DDR-Agent des Ministeriums für Staatssicherheit entlarvt, was maßgeblich dazu beiträgt, Willy Brandt politisch zu Sturz zu bringen.
Aus Braunsteiners Zeit in Vietnam sind sieben Filmrollen im Nachlass vorhanden, die von 1966 und bis 1967 Einsätze in Dau Tieng und das Alltagsleben der Soldaten zeigen. Er ist einer der Chefs für die Dechiffrierung der Meldungen der Vietkongs und führt in Vietnam bewaffnete Patrouillen an und wird zweimal schwer verwundet. Privaten Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass Helmut den Krieg als etwas Abscheuliches verachtet.
1971 scheidet Braunsteiner nach über 27 Jahren aus der US-Armee aus. Im Ruhestand fungiert er als Veteranenvertreter. Er erkrankt 1974 an Diabetes, der Krankheit, die ihn bis zum Lebensende begleiten wird. Er ist Mitglied in wohltätigen Vereinen, 1987 Mitbegründer des Veterans Independent Enterprises of Washington in Fife – eine Foundation, die drogen- oder alkoholkranke Veteranen der US-Armee unterstützt. Außerdem arbeitet er freiwillig in einer Diabetes-Hilfseinrichtung mit. Trotz der schweren Erkrankungen scheint er das aufgeweckte und lebhafte „Kind“ geblieben zu sein, das einst an der Staatsoper vorgetanzt hat. Er ist 42 Jahre glücklich in zweiter Ehe mit seiner Frau Beryl verheiratet, bekommt vier Kinder und fünf Enkelkinder.
Am 29. Dezember 2002 stirbt Helmut Brownie Braunsteiner 75-jährig an Lungenkrebs in Tacoma, Pierce County, Washington, USA.
Hinweis:
Einige der Textpassagen wurden 2024 vom Autor persönlichen Aufzeichnungen entnommen, die Helmut Braunsteiner anlässlich eines Besuches am 20. Oktober 2001 auf einer Serviette seiner Enkelin Julia Braunsteiner hinterlassen hat. Dem Autor liegen weitere Urkunden und Korrespondenzen sowie Zeitungsartikel aus dem Nachlass Helmut Braunsteiner vor. Auf Anfrage beim National Personnel Records Center im Juli 2024 wurde die Auskunft erteilt, dass die meisten der Aufzeichnungen vor dem 12. Juli 1973 durch ein Feuer zerstört worden sind. Nur wenige Unterlagen sind daher Helmut Braunsteiner betreffend vor dieser Zeit vorhanden, die dem Autor übermittelten Kopien sind schlecht leserlich.
Literaturverzeichnis
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