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Drucktechnik und Produktion der Postkarten der Wiener Werkstätte
Die Kunst der Drucktechnik
Die Wiener Werkstätte (WW) gab zwischen 1907 und 1919/1920 Bildpostkarten (Einzelkarten und Serien) heraus, die als Künstlergraphik und Kleinkunst beworben und verkauft wurden. Die Produktion, also der Druck dieser Postkarten fand in ausgelagerten Druckanstalten in Wien statt, die vor allem auf lithographische Vervielfältigungstechniken spezialisiert waren. Eng kooperierte die Wiener Werkstätte beispielsweise mit „Chwala's Druck“, der „Graphischen Kunstanstalt Brüder Rosenbaum“ sowie der „Lithographie und Steindruckerei Albert Berger“.
Zumal vereinzelt Künstler:innen der Wiener Werkstätte, wie Richard Teschner, Urban Janke, József Divéky und Karl Schwetz auch für manche der genannten Betrieb arbeiteten (wie beispielsweise Richard Teschner als Leiter der Lithographieabteilung bei den Brüdern Rosenbaum) ist davon auszugehen, dass manche Künstler:innen von Postkartenmotiven der WW um technische Details und den Produktionsablauf des lithographischen Druckverfahrens Bescheid wussten – inwieweit Künstler:innen der WW in den konkreten Druckprozess miteingebunden waren, kann heute nurmehr schwer nachvollzogen werden. Dahingehende Forschung muss meist den Umweg über noch vorhandene Skizzen und Entwurfszeichnungen sowie Druckerzeugnisse gehen, wobei diesbezüglich unter anderem das Wien Museum und das Museum für angewandte Kunst (MAK) wichtige Anlaufstellen sind.
Eine Sonderstellung innerhalb der soeben genannten Wiener Druck-Betriebe um 1900 kommt der Offizin Albert Bergers zu, da dort der Großteil der Postkarten der Wiener Werkstätte gedruckt wurde. Die Druckanstalt Berger wurde 1894 gegründet und war in der Tigergasse 8/17-19 im 8. Bezirk situiert. Neben den Aufträgen der WW war die Offizin auch die Hausdruckerei der Secession, an die Albert Berger seine Druckerei schließlich 1919 verkaufte (Namensänderung: „Graphische Kunstanstalt Secession Ges. m. b. H.“). Im Vergleich mit den anderen genannten Druckanstalten ist erwähnenswert, dass Bergers Werkstatt als verhältnismäßig kleine Offizin anzusehen ist und personell mit circa 15 bis 20 Mitarbeiter:innen (zw. 1907 und 1914) knapp hinter Chwala (1913: 24 Mitarbeiter:innen) und deutlich hinter den Brüdern Rosenbaum (1902: 140 Mitarbeiter:innen) lag.
Der Nachlass der Druckerei Berger kam 1928 in den Besitz des heutigen Wien Museums, wobei besonders Belegexemplare, An- und Probedrucke – kurz: alles außerhalb der regulären Druckauflage – für die Forschung rund um Fragen zur Herstellung der Postkarten der Wiener Werkstätte von großer Relevanz sind.
Betrachtet man die verwendeten Drucktechniken der Bildpostkarten der WW fällt auf, dass der überwiegende Teil der Postkarten lithographisch (re)produziert wurde, wobei es Ausnahmen in Richtung Hochdruck und Koloration gibt. Hochdruckelemente in Form von Letterndruck sind beispielsweise bei Textzusätzen erkennbar, nachträgliche Koloration per Hand wiederum findet sich nur bei winzigen Details in sehr vereinzelten Fällen wieder, wie bei den Wangen von Maria mit Kind in der Grußkarten Richard Teschners. Dass es sich bei den Wangenpartien nicht um gedruckte Flächen handelt, zeigt der Vergleich mehrerer Postkarten dieses Motives auf. Spannend ist, dass bei diesem Sujet ein zusätzlicher Überarbeitungsschritt eingefügt wurde, was wiederum erahnen lässt, wie viel Wert die Wiener Werkstätte auf die Qualität der Postkarten legte.
Hinzu kommt, dass die Wiener Werkstätte von einem Entwurf oft mehrere Varianten produzierte, die sich farblich und teilweise auch in der Anlage des Formates (Hoch-, Querformat) unterschieden. So gibt es die abgebildete Postkarte Nr. 327 auch mit gelbem Hintergrund anstelle der hier in Gold realisierten Variante. Besonders spannend sind auch die farblich differenten Varianten von Modekarten, wie es beispielsweise bei den beiden abgebildeten Postkarten Nr. 127 von Urban Janke der Fall ist.
Die teilweise bewusst mitgedachte Motivvarianz der Postkarten, die vermehrt bei Anlasskarten feststellbar ist, sowie auch die sorgfältige Realisierung nachträglicher Details per Hand verdeutlichen, wie die WW versuchte, einen möglichst großen Distributionsradius zu erzielen und einen vielfältigen Anwendungsbereich aufzuspannen, wobei gleichzeitig der künstlerische sowie qualitative Anspruch nicht vernachlässigt werden sollte. So ist erwähnenswert, dass die Postkarten nicht nur als Werbemittel und neue Einnahmequelle der Wiener Werkstätte zu verstehen sind, sondern auch eine neue Käufer:innenschicht ansprechen sollten, die sich diese sogenannten Künstlerpostkarten auch leisten konnten. Ziel war somit auch, die Postkarten nicht als Gebrauchsgraphik zu etablieren, sondern als Kleinkunstwerk zu vermarkten und zur Wandgraphik zu erheben.
Ein interessantes Phänomen stellen Postkarten mit sogenanntem auswechselbarem Zudruck dar, wie es beispielsweise bei Postkarte Nr. 153 von Valerie Petter-Zeis der Fall ist. Diese Strategie ermöglichte, Sujets für verschiedene Anlässe zu verwenden (hier: Ostern) beziehungsweise auch Karten von Anlässen zu entkoppeln.
Dass der Großteil der Postkarten lithographisch hergestellt wurde, hat künstlerisch-ästhetische, aber wohl auch überwiegend ökonomische Gründe. Ein großer technischer Vorteil der Lithographie (=Flachdruck) ist auf der einen Seite, dass das Motiv nicht mehr mechanisch in den Druckstock geritzt oder herausgeschnitten werden musste und andererseits, dass es aufgrund diverser Umdruckverfahren auch nicht mehr zwingend nötig war, direkt auf die Druckplatte zu zeichnen bzw. zu malen. Künstler:innen konnten dementsprechend ortsungebunden ihre Motive mittels Lithographiekreide oder Lithographietusche auf Umdruckpapier bringen, die anschließend in den Druckereien auf den Druckstock umgedruckt wurden. Das lithographische Arbeiten war somit teilweise sehr nah an den künstlerischen Techniken, die die Künstler:innen auch abseits der Druckgraphik nutzen, wie die Zeichnung oder die Malerei.
Ebenfalls (ökonomisch) relevant ist die Erfindung der lithographischen Schnellpresse 1851/1852 in Wien und Berlin (G. Sigl), was zu weitreichender maschineller Professionalisierung (und Umstrukturierung) in den Druckereibetrieben führte, weil ein in etwa zehnfach schnellerer Druckprozess dadurch möglich war.
Bei genauer Untersuchung der Postkarten lassen sich auch Hinweise auf die Produktion mittels Schnellpresse am Material selbst feststellen: Vorder- und Rückseite der Karten bestehen aus einem dünnen, bedruckten Papier, das beim Großteil der Postkarten auf einen zwischenliegenden Karton aufkaschiert wurde, da aufgrund eines Rotationsprozesses nicht direkt Karton durch die Schnellpresse gezogen und bedruckt werden konnte. Postkarten der Anfangsjahre weisen hingegen teilweise nicht diese Papier-Karton-Schichtung auf, sondern bestehen aus einem einzigen an Vorder- und Rückseite bedruckten Karton, was darauf hindeutet, dass die WW frühe Postkarten mit anderen Druckpressen produzierte.
Bei mehrfarbigen Drucken ist manchmal auch ersichtlich, dass die einzelnen Farben der Motive nicht exakt zusammen (übereinander) gedruckt wurden, sondern eine Art Motiv-Versatz vorzufinden ist. Dieses Phänomen ist der Kombination mehrerer Druckstöcke geschuldet, wie sie in der Druckgraphik häufig vorzufinden ist – denn im Allgemeinen gilt: pro gedruckter Farbe ist ein separater Druckstock notwendig. Von den einzelnen Farb-Layern der Postkarten der Wiener Werkstätte befinden sich im Wien Museum auch Probedrucke, über die ersichtlich wird, wie Motive farblich für den Mehrfarbendruck aufbereitet wurden.
Für das Endresultat war jedoch nicht nur die Anzahl der Druckstöcke ausschlaggebend. Auch die Reihenfolge der Kombination von Druckplatten (Farb-Layer) im Druck hatte einen Einfluss auf das farbliche Ergebnis. Man sieht bei den Postkarten der WW deutlich, dass man das konturgebende Motiv (meist gedruckt in schwarz) in den allermeisten Fällen als letzten Druck-Layer über alle anderen Farben druckte. Von diesem Regelfall wurde aber auch zugunsten neuer Farbeffekte abgewichen, wie man es beispielsweise bei Richard Teschners Postkarte Nr. 327 „Gruss aus Mariazell!“ sehen kann. Hier wurde die goldene „Hintergrundfarbe“ über das schwarze Ornament gedruckt, was wiederum das darunterliegende Schwarz abschwächt und dadurch zur farblichen Betonung von Madonna mit Kind im Zentrum der Karte führt.
Aus drucktechnischer Perspektive war die wohl herausforderndste Aufgabe der Lithograph:innen in den Werkstätten, Skizzen und Entwürfe der Künstler:innen farblich in Druckfarben und im Druck entstehende Mischfarben zu zerlegen, da mit einem Minimum an Druckstöcken ein Maximum an Farbfülle erzeugt werden sollte. So gibt es farblich bemerkbare Abweichungen von den Skizzen der Künstler:innen zum tatsächlich gedruckten Farbrepertoire bei den Postkarten, da Künstler:innen und Lithograph:innen in verschiedenen Farbschemata dachten. In den Druckerein mussten die von den Künstler:innen intendierten Farben mit wenigen Druckfarben – und vor allem auch deren Mischfarben, die sich erst im Druck ergeben – umgesetzt werden.
Markenzeichen Mehrfarbigkeit
Der große Vorteil der Lithographie ist, dass Tonwertabstufungen (verglichen mit Hoch- und Tiefdruckverfahren) problemlos erzeugt und kombiniert werden können. Dadurch ist es auch möglich, aus verhältnismäßig wenigen Druckfarben, eine enorme Bandbreite an Mischfarben (mittels Überschneidung von Farbflächen) zu generieren, was zur herausragenden (Mehr)Farbigkeit der Bildpostkarten der WW geführt hat. Bedenkt man, dass der Vierfarbendruck (CMYK) zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, ist die hier bewusst gewählte Strategie der Wiener Werkstätte bemerkenswert: Motive wurden nicht maximal ökonomisch über die farbliche Aufteilung in vier (Druck)Farben realisiert, sondern über die Kombination einer Vielzahl an Druck-Layern und den daraus resultierenden Mischfarben zusammengesetzt. Weil für jede gedruckte Farbe auch ein eigener Druckvorgang notwendig war, ging mit dieser Produktionsweise ein deutlicher Mehraufwand für die ausführenden Werkstätten hinsichtlich Zeit-, Ressourcen- und Planungsmanagement einher.
Ein herausragendes Beispiel für den bewusst aufwendig produzierten Mehrfarbendruck stellt Postkarte Nr. 307 „Mädchen mit Blumenstrauß“ von Mela Köhler dar, die basierend auf ihren Modeentwürfen Postkartensujets entwarf. Bemerkenswert ist bei dieser Karte das enorme Farbenspektrum, das die Postkarte im gesamten Motiv und speziell im Bereich des Blumenstraußes aufweist. Diese Karte verdeutlicht auch, dass die Postkarten der Wiener Werkstätte aus den verschiedenen Werkstätten heraus entstanden und daher auch unterschiedlichste Motive umfassen. In der Regel waren die Künstler:innen der WW nie „nur“ für das Entwerfen von Postkarten zuständig, sondern leiteten ihre Kartenmotive von anderen Bereichen und Tätigkeiten ab, wie beispielsweise Mela Köhler von ihren Modeentwürfen. Herangezogen wurden aber auch bestehende Lithographien, Bilderbögen oder Plakate für Postkartensujets.
Wenngleich die Auflagenzahlen der Einzelpostkarten und Kartenserien nicht mehr genau nachvollziehbar sind, ist davon auszugehen, dass die Produktion nach größtmöglicher Effizienz strebte. Es wird angenommen, dass beliebte Motive erneut aufgelegt wurden, was zur allgemein bekannten Nummernproblematik der Postkarten der WW geführt hat.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die sehr aufwendige Produktion der Bildpostkarten der WW drucktechnisch besonders interessant ist, weil man einerseits einem extrem hohen (und technisch herausfordernden) künstlerischen Anspruch nachkommen wollte und andererseits, weil über den Vertrieb gleichzeitig eine von wirtschaftlichen Interessen motivierte Distributions- und Kommunikationsstrategie verfolgt werden sollte. Die bis heute gut erhaltenen Postkarten, Probedrucke, Skizzen und Entwürfe ermöglichen der Forschung, sich sowohl den künstlerischen als auch den technischen Herstellungsprozessen anzunähern, wodurch es auch möglich ist, neue Erkenntnisse zur Wiener Werkstätte als Betrieb sowie zu den ausführenden Akteur:innen und einzelnen Künstler:innen zu generieren.
Eisl, Helene: Postkarten der Wiener Werkstätte. Überlegungen zu Drucktechnik und Herstellung, Masterarbeit, Universität für angewandte Kunst Wien, 2022.
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Durstmüller, Anton: 500 Jahre Druck in Österreich. Die österreichischen graphischen Gewerbe zwischen Revolution und Weltkrieg 1848-1918. Die Entwicklungsgeschichte der graphischen Gewerbe von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band II. Wien: Hauptverband der Graphischen Unternehmungen Österreichs, 1985.
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Hansen, Traude: Die Postkarten der Wiener Werkstätte. Verzeichnis der Künstler und Katalog ihrer Arbeiten. Mit 18. Farbtafeln und 822 schwarzweißen Abbildungen sowie Wiedergabe der Monogramme. Augsburg: Schneider-Henn, 1982.
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Kommentare
Gern gelesen. Toller Beitrag! Danke.
Danke für Ihr Interesse und die Nachfrage. Die Druckereien von Ansichtskarten sind nur selten bekannt. Ein Großteil der hier abgebildeten Karten stammt aus dem Nachlass der Druckerei Berger, ob sie aber alle dort produziert wurden, kann auf Basis des aktuellen Wissensstandes nicht verifiziert werden.
Danke für diesen wertvollen Beitrag! Vielleicht könnte man bei den einzelnen Karten auch die jeweilige Druckerei angeben.