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Eva-Maria Orosz, 30.7.2021

Ein „arabisches Zimmer“ im Wien Museum

Imaginationen des „Orients“

Im 19. Jahrhundert zog mit „orientalischen“ Zimmern ein Ort fremder Kultur in viele bürgerliche Wohnungen ein. Dank einer Schenkung befindet sich seit Kurzem ein vollständig erhaltenes Exemplar in der Sammlung des Wien Museums.

Zum Geschichtsbewusstsein des 19. Jahrhunderts kam – insbesonders nach der Weltausstellung 1873 und der großen Präsenz des Nahen und Fernen Ostens – ein anhaltendes Interesse am Orient. Die durch Teppiche, Holzverkleidungen und exotische Möbel gestalteten Räume erfüllten damals alle atmosphärischen Anforderungen eines Gründerzeit-Salons. Mit den hybriden Interieurs erhielten europäische Imaginationen des „Orients“ einen realen Raum, in den auch Stereotype, Machtverhältnisse und Begierden hineinprojiziert und manifest wurden.

Im Jahr 2015 übernahm das Wien Museum mit Unterstützung der Hammer-Purgstall Gesellschaft ein rund 30 m2 großes „arabisches Zimmer“. Es hat sich in der Familie des Auftraggebers über 100 Jahre unverändert erhalten, als einziger Raum der einst großzügigen 1901 gestalteten Bauherren-Wohnung von Anton Johann Kainz-Bindl. In den letzten Jahrzehnten hat die Schmuck- und Emailkünstlerin Ulrike Zehetbauer den Raum für ihre Einladungen und Feste genutzt. Ihr verdankt das Wien Museum das „arabische Zimmer“, das nun als das einzige vollständig erhaltene Exemplar bürgerlichen Orientalismus in Wien gelten kann.

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Wiener Weltausstellung 1873

Das europäische Interesse am „Orient“ war im 19. Jahrhundert vielfältig und bezog sich regional nicht auf den Nahen Orient oder die islamischen Ländern, sondern auf ganz Asien bis hin zu Japan. Gelehrte und Künstler studierten das fremde Kunstschaffen, um die heimische Architektur, vor allem aber das Kunstgewerbe zu verfeinern, das im Zuge der Industrialisierung an Qualität verloren hatte. Für die Popularisierung „orientalischer“ Interieurs im Speziellen war die Wiener Weltausstellung 1873 maßgeblich mitverantwortlich. Sie setzte aus wirtschaftlichen und handelspolitischen Überlegungen einen Schwerpunkt auf die Länderpräsentationen des Orients und wies ihnen im Industriepalast und auf dem Ausstellungsgelände viel Platz zu. Nachdem die Organisatoren nationale Wohnhäuser und ihre Einrichtungen zeigen wollten, gab es Interieurs aus verschiedenen Teilen der islamischen Welt: Ägypten, Marokko, Osmanisches Reich, Persien und Tunesien. Das Besucher- und Medienecho war enorm und Zeitungen berichteten ausführlich über die fremden Lebenswelten. Die „Orientmode“ entwickelte sich zu einem regelrechten Trend in der Innenarchitektur, ihre Spuren blieben bis in die 1930er Jahre sichtbar.

Museen geben vor

Nach dem Ende der Weltausstellung wollte man Exponate aus der orientalischen Abteilung für Wien erhalten. Sie kamen in die Obhut des 1874 dafür gegründeten Orientalischen Museums, das 1875 im Palais Alfred Windischgrätz in der Renngasse 12 eröffnete und ab 1879 in der Börse am Schottenring 1 war. Dort richtete der Maler Hugo Charlemont vier „orientalische“ Interieurs unter Verwendung von Sammlungen der Hocharistokratie und von Kronprinz Rudolf ein.

Es ist nicht zu übersehen, dass sich hier europäische und „orientalische“ Vorstellungen die Hände gaben und der zeitgenössische Dekorationsstil von Hans Makarts Atelier miteinfloss. Die Sammlung des Orientalischen Museums übrigens, das 1886 in das k.k. Handelsmuseum umgewandelt wurde, ging 1906 im Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen Museum für angewandte Kunst, auf. Dort gab es ab 1883 ein „Arabisches Zimmer, das von Franz (František) Schmoranz und Johann (Jan) Machytka gestaltete war. Beide hatten bereits für das Arabische Wohnhaus auf der Weltausstellung verantwortlich gezeichnet. 1908 studierte und skizzierte LeCorbusier diesen Raum, der bis 1931 ausgestellt war und seitdem im Depot verwahrt wird. Die Museums- und Ausstellungsinszenierungen hatten belehrende und vorbildgebenden Einfluss auf private Wohnvorstellungen. Über einen „orientalischen“ Salon zu verfügen war für das Bürgertum nicht weiter ungewöhnlich, zumindest jedoch einzelne Gegenstände daraus zu besitzen allgemein üblich.

Alles für die Einrichtung benötigte war im Zentrum der Haupt- und Residenzstadt, am Graben oder auf der Kärntnerstraße, zu beziehen, wo Kaufhäuser und Teppichhändler mit ihren Schaufenstern und Schauräumen lockten und den boomenden Markt bedienten. Der k.k. Teppich- und Textilfabrikant Philipp Haas & Söhne musste 1882 wegen hoher Nachfrage seine Geschäftslokale um einen eigenen „Bazar oriental“ vergrößern. Niemand geringerer als der Direktor der Kunstgewerbeschule, Professor Josef von Storck (1830–1902), gestaltete drei „orientalische“ Zimmer, die laufend wechselnde Dekorationen bekommen sollten.

An der Kärntnerstraße 45 eröffneten 1892 die Unternehmer N. & G. Zacchiri ein weiteres großes „orientalisches“ Kaufhaus für Möbel, Teppiche und Dekorationsgegenstände. Das Unternehmen war bereits 1867 von den osmanischen Großhändlern Georgio und Nikola Zacchiri ursprünglich als Teppichhandel für Ware aus Smyrna (İzmir) und Persien gegründet worden. Ihre Geschäftslokale waren zunächst in der Bartensteingasse 3–5 sowie am Graben 26. Erst im Laufe der Jahre erweiterten sie um „orientalische“ Salons für Herren,- Rauch-, Schlafzimmer sowie Boudoirs und boten die Ausstattung ganzer Wohnungen, Hotels und Villen an. Zacchiri unterhielten eine eigene Teppichfabrik in Uşak im Hinterland von İzmir und eine Möbelfabrik in Kairo. Das international tätige Unternehmen war in Budapest und Paris vertreten und lieferte an das griechische Königshaus sowie an den Hof des Osmanischen Reichs.

Von der Eseltasche bis zum griechischen Wein

Ein Firmenkatalog unterrichtet über die „Neuheiten in europäischen, orientalischen, indischen und anderen ausländischen Waaren“ und ein reiches Sortiment an Teppichen sowie Eseltaschen, Fensterdecken, Portieren und Vorhängen, die für „orientalische“ Räume unentbehrlich waren. Bei Zacchiri gab es alle erdenklichen Gebrauchs- und Dekorationsgegenstände wie etwa türkische Kaffeeservice oder meterlange ägyptische Palmen, darüber hinaus Lanzen, Hellebarden und sonstige Waffen, selbst griechischer Wein war zu bekommen. Der bebilderte Teil des Firmenkatalogs bereitet die Möbelkollektion mit einem Schwerpunkt auf „Moossarabie“-Möbeln mit gedrechselten Holzstäben und Damaszener-Möbeln auf.

„Orientalische“ Interieurs in Wien waren hybride Arrangements aus einer Mischung von Originalteilen und heimischen Erzeugnissen, zusammengestellt von Dekorateuren, Architekten und Malern. Freilich waren sie an westliche Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse angepasst, sodass man beispielsweise nicht mit überkreuzten Beinen auf dem Boden saß, sondern auf Fauteuils. Mitunter war das „Orientalische“ nicht mehr als eine oberflächliche Behübschung, wie ein Vorschlag von Zacchiri selbst zeigt.

Orientalismus und Secessionskunst

Das dem Wien Museum vor wenigen Jahren geschenkte Zimmer ist eine interessante Fallstudie, seine Entstehung und Nutzung wird von den Nachkommen berichtet. Auftraggeber war Anton Johann Kainz-Bindl (1879–1957), der als junger Mann über ein Vermögen verfügte. Die Verlassenschaft seines Vaters verpflichtete ihn, eine Weltreise zu unternehmen, ein Haus zu bauen und das verbleibende Geld in Staatsanleihen zu investieren. Im Jahr 1899 begann er zu reisen, im April 1900 heiratete er  seine Ziehschwester Maria Russleitner und ging mit ihr von Triest aus auf eine Reise in den Nahen Osten. Ab dem Frühjahr 1900 ließ er direkt gegenüber von Otto Wagners Stadtbahnstation Nussdorfer Straße ein vierstöckiges Wohn- und Geschäftshaus bauen (Währinger Gürtel 166). Dort eröffnete er seinen Handel mit Pferdefutter und bezog das Mezzaningeschoss. Das „arabische Zimmer“ ließ er im Erkerraum als Empfangssalon einrichten.

Die Familiengeschichte erzählt überzeugend, dass Kainz-Bindl das mobile Inventar von seinen Reisen mitbrachte. Die Wandvertäfelungen hingegen entstanden nachweislich beim renommierten Wiener Möbelbauer und Innenausstatter Portois & Fix, der um 1900 einige Aufträge von Secessionskünstlern bekam. Die bogenförmige Erkerumrahmung unseres „arabischen Zimmers“ von 1901 entspricht eindeutig dem Formempfinden des Wiener Kunstfrühlings. Von Portois & Fix stammte ebenso das „Türkische Zimmer“ Kronprinz Rudolfs in der Wiener Hofburg aus dem Jahr 1885, das in der Allgemeinen Illustrirten Zeitung beschrieben, abgebildet und gut bekannt war.

Zurückgekehrt von einer Reise mit seiner Gemahlin Kronprinzessin Stephanie von Belgien an den osmanischen Hof 1884, hatte er sich ein privates Arbeitszimmer gestalten lassen, das seine persönlichen Interessen, die Sammlung orientalischer Gegenstände und seine Erinnerungen aufnahm. Ähnlich dürfte es sich bei Anton Kainz-Bindl zugetragen haben, der nicht nur nach dem Vorbild aus dem Kaiserhaus handelte. Den Orientreisenden priesen Reiseveranstalter und Reiseführer wie der Österreichische Lloyd als Höhepunkt des Souvenirartikel-Konsums in Konstantinopel einen Besuch des als „Orientalisches Museum“ bekannten Verkaufslokals beim Großen Bazar an. Ein, wie es im Reiseführer heißt, „äußerst kunstvoll“ ausgestatteter Salon sollte ein „richtiges, genaues Vorbild von türkisch-arabischen Interieurs“ geben und letztendlich zum Kaufen animieren.

In der Wohnkultur des Historismus gab es verhältnismäßig klare Zuordnungen von Einrichtungsstil und Raumfunktion. In der Sphäre der Frauen war meist der Neorokokostil vorherrschend bzw. eine Gestaltung, die das gesellschaftliche Rollenbild der Frau – weich, rund, zu behütend – widerspiegelte. In den Räumen der Herren dominierte in vergleichsweiser Strenge die Neorenaissance mit einem Verweis auf das Gelehrtentum. Es stellt sich die Frage, wie es denn um die „orientalischen“ Interieurs in der Geschlechterfrage stand: Zur Zeit der Wiener Weltausstellung wurden sie eher Frauen als Boudoir zugeordnet, nach 1880 rückten sie in Rauch- und Arbeitszimmern in die Domäne des Mannes.

Interessant ist, dass das bereits erwähnte Kaufhaus Zacchiri in einer französischen Ausgabe seines Katalogs eine Zimmerdekoration zugleich als Boudoir und als Rauchzimmer vorschlägt und die Geschlechterdifferenz aufhebt. Womöglich steht eine weibliche Aneignung dieser Räume mit den beeindruckenden Fernreisen in Zusammenhang, an denen Frauen teilnahmen. Zweifellos und zwangsläufig flossen Erinnerungen und Erlebnisse von Maria Kainz-Bindl in das „arabische“ Empfangszimmer am Währinger Gürtel, da sie ihren Mann in den Orient begleitete. Kenntnis über die subjektive Bedeutung des Interieurs besitzen wir für den Fall des Hausherren. Die Orientreisen und das Interieur waren für den 20jährigen Anton Kainz-Bindl identitätsstiftend und bildeten die materielle Kultur seiner Selbst. Er verstand und vermittelte sich als kunstsinniger Gelehrter und Sammler, führte ein gesellschaftlich zurückgezogenes Dasein. Bis zu seinem Tod 1957 blieb das Zimmer unverändert, ihm hatte er den Status eines „Heiligtums“ gegeben – so die Überlieferung. Auch für seine Nachkommen war es etwas Außergewöhnliches und Wertvolles und bildete einen glänzenden Rahmen für gesellschaftliche Zusammenkünfte des Kartenspiels und Einladungen, die gerne unter arabischen Mottos standen. Die Öffentlichkeit konnte das „arabische Zimmer“ bereits in der Islam-Ausstellung auf der Schallaburg 2017 kennenlernen. Im neuen Wien Museum am Karlsplatz wird es ab 2023 wieder zu sehen sein.

Literatur:

Maximilan Harthmut/Julia Rüdiger (Hg.), Gezimmertes Morgenland. Orientalische und orientalisierende Holzinterieurs in Mitteleuropa im späten 19. Jahrhundert, Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2021

Eva B. Ottillinger, Kronprinz Rudolfs ‚Türkisches Zimmer‘ und die Orientmode in Wien“, in: Erika Mayr-Oehring/Elke Doppler (Hg.), Orientalische Reise. Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert, Ausst. Kat. Wien Museum, Wien 2003, 95–109.

John Potvin (Hg.), Oriental Interiors. Design, Identity, Spaces, London, Oxford, New York, New Delhi, Sydney: Bloomsbury Academic 2015

Eva-Maria Orosz, Kunsthistorikerin, Kuratorin für Angewandte Kunst und Möbel im Wien Museum; Forschungsschwerpunkte: Interieur, Period Rooms und Möbel 19. und 20. Jahrhundert, Museums- und Sammlungsgeschichte. Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte Wiens, u. a. Schmuck der Wiener Werkstätte, Werkbundsiedlung Wien, Otto Wagner.

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Kommentare

Redaktion

Danke für das Feedback! Ja, genau, das Zimmer befand sich bis dahin am ursprünglichen Ort! Beste Grüße, Peter Stuiber

christian maryška

sehr schöner beitrag - d.h. das zimmer wurde erst um 2015 abgebaut?