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Fisch in Wien
Als der Fisch knapp wurde
Die bauliche Entwicklung Wiens nach der Zweiten Türkenbelagerung, das Bevölkerungswachstum des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und die vielen Nutzungsansprüche veränderten die Gewässer als Lebensräume für Fische stark. Die Fischer dokumentierten in Schreiben an die Stadt, dass sich die Fischfauna veränderte. Zwar brachte die Wiener Donau den Alberner und Stadlauer Fischern nach wie vor reichen Fang, am Wienfluss hingegen wirkten sich die Wasserausleitung in die Mühlbäche, der dadurch oft niedrige Wasserstand im Fluss sowie die Verschmutzung zunehmend negativ aus. In einem Brief an den Kaiser als Stadtherrn klagte die Wiener Fischerzunft 1720 unter anderem darüber, dass die Fischerei in der Wien und den umliegenden Gräben kaum mehr Erträge bringe. Diese Gewässer waren in den Jahren davor regelmäßig trockengefallen; dadurch war die Fischbrut zugrunde gegangen.
Die Fischer waren an der Verringerung des Bestandes durchaus selbst beteiligt. Trotz der ab 1400 erlassenen und mehrfach erneuerten Gesetze dezimierten sie weiterhin den Fischbestand durch den Fang zu vieler, häufig auch zu kleiner Tiere. Das zeigt zum Beispiel die Fischereiordnung von Maria Theresia aus dem Jahr 1771, die sich neuerlich gegen verbotene Fanggeräte richtete, ebenso wie gegen den Fang zu kleiner Fische und die Fischerei durch nicht befugte Personen. Dieser Missstand, so hieß es in dem Gesetz, reduziere vor allem an der Donau den Fischreichtum.
Die Zahl der Fischhändler in Wien war allerdings durchaus beachtlich. Am Fischmarkt in der Nähe des Rotenturmtores bzw. des Schanzels befanden sich 1803 insgesamt zwanzig Stände der sog. Fischkäufler, die Donaufischer hatten zehn weitere. Den Fischkäuflern stand der Großteil des Handels mit nach Wien gebrachten Süßwasserfischen zu. Sie durften die Fische aus Traun, Traisen, Thaya und March, die ungarischen Lieferungen und die „Seefische“ veräußern. Unter „Seefischen“ verstand man damals Fische aus Seen, zum Beispiel vom Neusiedler See.
Die Donaufischer durften dagegen, abgesehen von ihren eigenen Fängen (z.B. Barben, Nasen, Hechte oder Zander), nur mit kleinen Arten wie Grundeln, Gresslingen, Elritzen, Rotaugen oder Weißfischen handeln. Auf der Freyung hatte der Krebsenrichter seinen Standort und es ist anzunehmen, dass er nicht nur ein Amt innehatte, sondern auch Krebse verkaufte. Auf der Brandstatt – einem vor dem Stephansdom gelegenen Areal, das heute von Brandstätte, Bauernmarkt und Jasomirgottstraße begrenzt wird – gab es 21 Häringerhütten, an denen die konservierten Fische angeboten wurden. Fisch und Krebse wurden ebenfalls in den Vorstädten verkauft. Letztere kamen vielleicht auch aus den Wienerwaldbächen in die Stadt, am Ottakringer Bach jedenfalls gab es eine „Krebseninsel“ bzw. den „Krebsengarten“.
Es ist unbekannt, wie viel Fisch die Wienerinnen und Wiener vor dem 19. Jahrhundert verspeisten. Ab 1829 ersetzte die Verzehrungssteuer verschiedene ältere Mauten, Aufschläge und indirekte Steuern. Auch für Fische und Schalentiere, wie Krebse oder Muscheln, die an den Toren des Linienwalls bzw. über den Wasserweg in die Stadt kamen, war diese Verbrauchssteuer zu entrichten. Die Einnahmen wurden genau dokumentiert und damit wird es erstmals möglich, Mengen nachzuvollziehen. Die aus den Wiener Gewässern stammenden – allen voran die in der Donau gefangenen Fische – bleiben jedoch mengenmäßig unbekannt. Um 1830 kamen jährlich etwa 600 t Fische und Schalentiere nach Wien. Die Einfuhr verdoppelte sich in den folgenden 50 Jahren.
Die Fischversorgung Wiens konnte im 19. Jahrhundert mit dem Bevölkerungswachstum im heutigen Stadtgebiet kaum Schritt halten. Von 1830 bis 1870 sank das durchschnittliche Angebot pro Jahr und Bewohner von 1,8 auf 1,1 kg, danach zeitweise sogar auf weniger als ein Kilogramm. Erst zwischen 1900 und 1913 stieg es wieder auf 1,1 bis 1,5 kg. Auch wenn diese Pro-Kopf-Angaben nur eine grobe Einschätzung der Fischversorgung erlauben, bestätigen sie, dass die Wiener keine begeisterten Fischesser waren. Der für „frühere Zeiten“ oft zitierte hohe Fischkonsum mag für Klöster stimmen, in Wien und in anderen größeren Städten an der Donau, zum Beispiel in Linz, war die Realität sicher eine andere.
In der österreichischen Donau veränderten sich im 19. Jahrhundert die Fischbestände. Die ab 1830 verkehrenden Dampfschiffe verursachten wesentlich größere Wellen als die älteren Holzschiffe. Die steigende Zahl der Dampfschiffe wirkte sich auf die Fische negativ aus. Denn junge Tiere, die sich bevorzugt an den seichten Ufern aufhalten, werden mit den Wellen aus ihren Habitaten gespült. Durch die Sogwirkungen beim Rückgang der Wellen fallen Uferbereiche zudem kurzfristig trocken. Hauptsächlich war die geänderte Fischfauna jedoch eine Folge der systematischen Regulierung der österreichischen Donau ab den 1870er- bzw. 1880er-Jahren. Vor allem Fische, die auf eine Vernetzung zwischen dem Hauptarm und den Augewässern angewiesen sind, nahmen nun ab. Dazu gehörten zum Beispiel Hechte, Karauschen oder Schleien. Aber auch typische Flussfische wie Huchen reagierten auf das Verschwinden von Lebensräumen. Insgesamt nahmen die Mengen von 15 Donaufischarten, die auf dem Markt angeboten wurden, von jährlich bis zu 230 t Anfang der 1880er-Jahre bis um 1914 auf etwa 60 t ab.
Nicht nur aus der Donau, sondern auch aus anderen Regionen wurden in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts immer weniger Fische gebracht. In den 1890er-Jahren – also just zu einer Zeit, als die lokalen und regionalen Fischressourcen durch Gewässerverschmutzung, Regulierungen, an der Donau auch durch die steigende Zahl der Dampfschiffe, schrumpfte – begann die Stadt Wien eine Kampagne zur Erhöhung des Fischkonsums. Die große Bedeutung von Fisch für eine (gesunde) Ernährung sollte auch den „unteren Schichten“ zur Kenntnis gebracht werden.
Die größte Hoffnung für eine bessere Fischversorgung lag im Import von Meeresfischen. Solche Fische verkauften die Händler schon über viele Jahrhunderte, allerdings getrocknet oder eingelegt, da der lange Transport von frischen Fischen nicht möglich war. Im Jahr 1894 wurden erstmals größere Mengen frische Schellfische, Seehechte, Schollen, Steinbutt und Seezungen auf dem Markt angeboten. Die Eisenbahnlinien, die Wien inzwischen mit der Adria und mit der Nordsee verbanden, erfüllten die erste Voraussetzung, die durch Carl von Linde in den 1870er-Jahren entwickelten Kältemaschinen die zweite. Beide Einrichtungen erforderten große Mengen an fossiler Energie, ebenso wie die beim Fang dieser Meeresfische nun verwendeten Dampfschiffe. Kohle stand somit auch hinter sich ändernden Praktiken der urbanen Fischversorgung.
Auch die Verkaufseinrichtungen mussten erneuert und besser ausgestattet werden. Die hygienischen Zustände am zentralen Fischmarkt, der sich seit der Schleifung der Stadtmauern direkt am rechten Donaukanalufer befand, waren im 19. Jahrhundert hoch problematisch geworden. Während des Baus der Kaimauern und der Stadtbahn am rechten Donaukanalufer wurde der Fischmarkt auf die linke Flussseite verlegt und am rechten Ufer eine neue Fischmarkthalle im Bereich der Stefaniebrücke (heute Salztorbrücke) errichtet. Sie war nicht nur mit modernen Verkaufsständen ausgestattet, sondern auch mit Kühl- und Aufbewahrungsanlagen und wurde über die Hochquellenleitung versorgt.
Zu Weihnachten Seelachs und Kabeljau
Im Jahr 1900 eröffnete die bis heute existierende Firma Nordsee in Wien erste Fischverkaufslokale für den Handel mit Nordseefischen. Später betrieb sie auch auf dem 1904 neu eröffneten zentralen Fischmarkt einen Stand. Fische kamen, wie von der Regierung und der Approvisionierungskommission 1897 gewünscht, auch aus der Adria, doch machten diese nur einen verschwindend geringen Teil aus. Die Statistiken des Wiener Fischmarkts weisen insgesamt 32 Arten an Meeresfischen aus, die nun frisch und nicht mehr konserviert angeboten wurden. Den bei Weitem größten Anteil hatten Kabeljau und wenige andere dorschartige Fische wie der Seelachs. Die Fische wurden nun zwar das ganze Jahr über angeboten, aber auch Meeresfische wurden nach wie vor hauptsächlich zu Weihnachten gekauft. Mehr und mehr Wienerinnen und Wiener ersetzten offenbar den Weihnachtskarpfen durch einen „Weihnachtskabeljau“ oder „Weihnachtsseelachs“.
Dieser Text ist ein Auszug des Beitrags „Fisch in Wien. Von Hausen und Karpfen zu Kabeljau und Co“ aus dem kürzlich erschienenen Buch „Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte“, herausgegeben vom Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien.
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