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Gerd Sulzenbacher, 25.5.2023

H.A.P.P.Y – Queere Avantgarde in Wien

Trashig, spaßig, politisch

H.A.P.P.Y queerte seiner Zeit voraus, als „queer“ selbst noch kein Begriff war. Seit den Anfängen in der Wiener Clubszene der 1990er Jahre vervielfältigte sich das Schaffen des Kollektivs in alle Richtungen. Weit über ein Jahrzehnt wurde in zahllosen Partys, Fernsehsendungen, Umzügen und Bühnenshows gefeiert, persifliert, irritiert und Kritik geübt. Als oberste Prinzipien galten der Ulk sowie der „schlechte Geschmack“.  Der Nachlass des H.A.P.P.Y-Gründers Thomas „Tomtschek“ Seidl (1968 – 2011) befindet sich in Teilen im Wien Museum.

Aus heutiger Sicht (und aus der Position eines später geborenen) über H.A.P.P.Y zu schreiben, ähnelt dem Versuch, ein Fest nachzuerzählen, das man* nur aus Bildern und Geschichten kennt. Vorauszuschicken ist: In Sachen Parodie sowie im Veranstalten queerer Gegenkultur hat H.A.P.P.Y vieles vorweggenommen, was uns heute üblich scheint. Dabei war das Kollektiv ganz Kind seiner Zeit, also der 1990er und frühen 2000er, als der Kapitalismus noch prall und saftig war und Kunst und Party bereits fließend ineinander übergingen.

Thomas Seidl aka Tomtschek initiierte H.A.P.P.Y 1993 anfänglich als Clubbing. Donnerstags wurden die House-Partys im damaligen Szenelokal Blue Box (Richtergasse 8, 1070) zweitweise von einer Plüschtier-Lawine geflutet. Der Legende nach begann es mit einem verschobenen Kühlschrank, der „plötzlich wo stand, wo er nicht hingehörte – nämlich mittendrin“ (Dranaz et al, 2013, S. 7).

Aufgrund großen Zuspruchs wechselten die Partys kurz darauf ins Wiener Kulturzentrum WUK, wo sie an manchen Wochenenden bis zu tausend Besucher:innen anzogen. H.A.P.P.Y war sehr bald, sehr vieles: Blödelei, Karnevaleske, Kasperlade. Mit der Großform des Festes und der Clubkultur als Unterlage machte das Kollektiv sich die unterschiedlichsten Genres künstlerisch zu eigen. In den Folgejahren erschienen Telenovelas, Zines, Soaps und Musicals. Bis 2011 wurden mehr als 400 H.A.P.P.Ynings veranstaltet.

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Das H.A.P.P.Y Universum erstreckte sich sogar aufs Fernsehprogramm. Von 1998 bis 2001 sendete TIV (=True Image Vision, ein Vorgänger von Okto-TV) jeden Montagabend eine Stunde H.A.P.P.Y-TV in die heimischen Wohnzimmer. Es liefen Serien wie Felicidat! – Dornenwege zum Glück oder Heimen & Werken, die „weltweit erste, schwule ‚mens only‘ Bastelshow“ (Phettberg, 2004). Darunter auch eine Dokumentation namens Kaka, the throwen 5th Teletubbie. Darin begleitet man* Kaka, ein fünftes, alleinwohnendes und sozusagen verstoßenes Teletubbie beim Aufstehen, beim Klogang, und dabei, wie es auf dem Arbeitsweg vor Kindern flieht. Seinen Arbeitstag verbringt es damit, auf einem kargen Schutthaufen zu stehen und Zeitschriften in die Gegend zu halten. Abends sitzt es biertrinkend vor dem Fernseher, wo es seine bunten Geschwister sieht. Die Ungerechtigkeit der Welt wird ihm schlagartig bewusst. Im Traum streift es gemeinsam mit ihnen über die grünen Wiesen des Teletubbie-Lands. Der Kurzfilm vereint auf kleinem Raum die H.A.P.P.Y-Rezeptur: Plüsch, Verkleidung, popkultureller Trash und hintenrum politisch.

Worum ging’s?

Nach Eigendefinition verschrieb H.A.P.P.Y sich „der Realisation bescheuerter Projekte“ (Galerie Gut Gasteil).

Verallgemeinernd lässt sich H.A.P.P.Y als ‚Performance-Kollektiv‘ bezeichnen, das sich rund um seinen frühverstorbenen Gründer Tomtschek gruppiert. Die Bezeichnung greift allerdings zu kurz, insofern H.A.P.P.Y als Ereignis einer urbanen, queeren Community verstanden sein wollte, die unter genderpolitischem Vorzeichen agierte. Im Laufe der Jahre ging es in den „bescheuerten Projekten“ vermehrt um die konkrete Benennung von- und um die Auseinandersetzung mit Sexismus und Homophobie, sowie die damit verbundene strukturelle Gewalt. H.A.P.P.Y-typisch nie ohne Humor, meist verdreht und zugleich dennoch geradeheraus.

So stellten die vielbesuchten Veranstaltungen nicht zuletzt eine Gegenöffentlichkeit her, wie etwa der jährlich stattfindende Mauerblümchenball: „Ein Ball für die, die zu wenig schön für den Opernball und zu wenig schrill für den Rosenball sind“, wie ihn dessen langjährige Patronin bezeichnete.

H.A.P.P.Y war, obwohl es manche Ausstellung gab, nicht auf den Kunstmarkt ausgerichtet. Die Gruppe finanzierte sich hauptsächlich durch Eintrittspreise. Das Produzierte diente in der Regel dem jeweiligen Auftritt und Veranstaltungsort; Orte, die bekanntlich von ihren Besucher:innen leben. Die Arbeiten verschwendeten sich nicht selten in der Einmaligkeit der Aktion, des Festes, der Show. Das gilt für die selbstgeschneiderten Vollkörperkostüme und Bühnenbilder der vielen Shows, welche aufzulisten jeden Rahmen sprengten, gleich wie für die aus fünfzehn Tonnen Stroh bestehende Installation Bär Benedikt mit Hummel Olga im Arsch (Gut Gasteil, 2006). „[Tomtscheks] konsequentes künstlerisches Vorbeiproduzieren an jedweder wirtschaftlichen Verwertbarkeit hatte etwas ehrlich Subversives.“, erinnert sich Heidi List in ihrem Nachruf auf Seidl.

Prominent veranschaulicht dies das Kuchenloch, eine soziale Skulptur, die 2011 im Rahmen des Kultursommerfestivals Tatort Hernals stattfand. In Form eines Pop-Up Kuchenlokals wurde Kuchen aufgetischt. Die Backwaren hießen: Chocholate Buttcrack, Himbeer-Blondinen, Schwuchtelbuchtln, oder Marillen-Schandfleck. Die Ansage: „ALLES / 1 EURO / KEIN(e) LATTE! / KEINE TABS! / KEIN SCHEISS!“ Der Titel Kuchenloch spielte auf den amerikanischen Ausdruck „Shut your piehole!“ an, welcher Kinder zum Schweigen bringen soll, nimmt ihn mit Humor, wortwörtlich, und kehrt ihn um. Nicht nur das Kuchenloch öffnete, auch der Ort (das Gelände einer ehemaligen Autowerkstatt) setzte sich als Öffnung in den Stadtraum fort, den man* sich kuchenessend zu eigen machte.

Verwandtschaftsgrad: H.A.P.P.Y / Materialkunde: Trash! 

In seiner jugendlichen Unverbesserlichkeit erinnert das H.A.P.P.Y-Universum an die Arbeit des deutschen Theatermachers Christoph Schlingensief (1960-2010). Bühnenbild, Kostüm und Deko der Marke DIY aggregierten sich zu etwas, das man, je nach Betrachtung, Gesamtkunstwerk oder Großprovisorium nennen könnte. Als Material dienten Medien-, Konsum- und Alltagskultur, vorrangig Privatfernsehen, Personen des öffentlichen Lebens sowie jede Menge Trash. Die Ergebnisse wirken gleichermaßen aufwendig-gestaltet und hinreißend-schrottig. Die Titel beliefen sich auf Wortspiele und Verballhornungen, in der Art von Schulbubenstreichen, psychologisch und frivol. (Nicht ins Dunkel, Museum der Ersatzflüssigkeiten, Selbsthilfegruppe ausrangierter Voodoopuppen, …)

Eine Traditionslinie zum Wiener Aktionismus herzustellen (was H.A.P.P.Y-Teilnehmer:innen selbst in Betracht ziehen), gelingt höchstens über den geteilten Hang zur Derbheit, der bei H.A.P.P.Y, statt in Blut und Fäkalien, sich lieblicher in den Ulk und ins Plüschtierhaft-Fantastische neigte. Vielmehr lassen sich Überschneidungen zu den Arbeiten der 1993 gegründeten Künstlergruppe Gelitin ausmachen. Wobei das Revival von Plüsch und Pelz um die 2000er (der Furry-Ästhetik aus den 1980ern) umfassender zu betrachten wäre. Die H.A.P.P.Y Acts verwendeten „Nacktunterhosen“ mit aufgenähten Geschlechtsteilen sowie „Ersatzflüssigkeiten“. H.A.P.P.Y's überbordende Liebe zum Kitsch erinnert an Renate Bertlmanns (*1943) Objektkunst zwischen 1980 und 2000: den gefederten- und geflügelten Phalli, die in aller Zärtlichkeit das Zepter des Patriarchats demontieren. Im Drag und der Travestie zeigt sich ein Naheverhältnis zu den Auftritten des Künstler:innentrios Geschwister Odradek (1991-1997), das anfangs im Schauraum vom Böhlerhaus am Schillerplatz auftrat, sowie Performances im Umfeld der Akademie der Bildenden Künste veranstaltete. Insoweit dürfen die H.A.P.P.Ynings als Vorgänger von Eventreihen wie Rhinoplasty im Wiener Club U oder den Shows von House Of Rausch gelten.

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Aus der Sammlung

Dem Wien Museum ist ein Teil des Nachlasses von Tomtschek und H.A.P.P.Y über Roland Fischer-Briand und Christopher Wurmdobler zugekommen. Bestehend aus Plakaten, Eventflyern, Printerzeugnissen, Postkarten und Kostümteilen. Darunter drei „Umschnallsuspensorien“, wattierte Stoffdildos mit Schnüren, sowie genannte „Nacktunterhosen“, beigefarbene Shorts mit gestopften Stoffgenitalien. Vielseitig und grellbunt gestalten sich die Zines, die H.A.P.P.Y-Gazetti. Gehalten in der Pulp-Ästhetik der Illustrierten, deren Formate und Sprache sie gleichermaßen bedienen wie persiflieren. In den Zines wurden H.A.P.P.Y-Events beworben sowie vergangene H.A.P.P.Ynings dokumentiert und fotografisch abgebildet. Als vordigitales Informationsmedium hatten sie damit eine Doppelfunktion von Newsletter und Communityblatt, wobei sie für gewöhnlich mit parodistischen Glossen aufwarteten. Neben Styling- und Geschenktipps, wurde auf Tagesaktuelles aus der Österreichischen Innenpolitik, auf den Katholizismus und auf Popkultur reagiert, gleichwie auf Schwulenklischees und Homophobie. In loser Folge erschienen Widmungen, sowie Kleinstportraits aus der Queer-, Drag- und SM-Szene.

Erhalten sind etliche Demonstrationsplakate der Wiener Regenbogenparaden, wo H.A.P.P.Y seit 1996 unter verschiedenen Bezugspunkten und als „fiktive Gruppen“ (Braidt) mitmarschierte: Etwa als Jährliches Treffen der Trachten-Fäkalisten Oberdöbling (2005) oder als F/icken P/udern Ö/sterreich (2011). Als Tuntenhausen liest Krönchenzeitung demonstrierte H.A.P.P.Y 2008 mit Pappschildern, die im Stil des heimischen Boulevardblatts Forderungen lautmachte wie „Mehr Lesben auf Seite 5!“ oder „Volksabstimmung über Homoehe!“ Zur Erinnerung: „Der [österreichische] Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2017 jene gesetzlichen Regelungen aufgehoben, die diesen Paaren den Zugang zur Ehe bisher verwehrten.

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Nach Andrea B. Braidt verwenden H.A.P.P.Y-Aktionen Slogans aus homophoben-Kontexten und entmachten die Beleidigungen durch ihre Umkehr-Sprüche. Die Schilder aus der Serie Verbindung Schlagender Homo-Burschenschaften… (2009) verfahren ähnlich, wobei sie sich auf rechtsnationale Männerbünde beziehen. Darauf sind in Frakturschrift gehaltene Verballhornungen zu lesen: Tuntonia, Vaginalia oder Po-lympia sowie die Slogans: Darkroom statt Brauchtum, Zungenkuss statt Hitlergruß, Morgenlatte statt Abendland, und Menstruieren statt Mansurieren. Hier zeigen sich Vorformen dessen, was seit 2016 von linker, feministischer Seite durch die Wiener Burschenschaft Hysteria als satirisch-aktivistisches Großprojekt veranstaltet wird, welche die frauenfeindliche Agenda exklusiver patriarchaler Clubs ins Ziel nimmt.

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In der Zusammenschau der Objekte aus dem Nachlass sowie den dokumentierten H.A.P.P.Ynings zeichnet sich das langjährige Schaffen von H.A.P.P.Y facettenreich und differenziert ab. Den verlockenden Partys und den darin (oft über den Weg der Parodie) verhandelten Inhalten, lagen immer wieder konkrete politischen Forderungen zugrunde. In diesem Sinne müssen insbesondere die so bezeichneten Blödeleien, als künstlerisch-kulturkritische Formen ernst genommen werden, welche die Härte normativer Strukturen mit der weichen Subversion des Ulks entwaffnen. Dabei hatte die Community einen zentralen Stellenwert inne – auch hier hat H.A.P.P.Y glücklich vorgewirkt.

 

Literatur und Quellen:

Herzlichen Dank an Christopher Wurmdobler für Hintergrundgespräche und viele Hinweise.

https://www.h-a-p-p-y.net/

Andrea B. Braidt, Ohnmacht braucht Kontrolle, In: Eva Dranaz, Jochen Fill, Christopher Wurmdobler (Hg.), Hapsi Apsi Pipsi Popsi Yipsi! Jugendhaare einer Kaiserin, Czernin, Wien, 2013.

Eva Dranaz, Jochen Fill, Christopher Wurmdobler (Hg.), Hapsi Apsi Pipsi Popsi Yipsi! Jugendhaare einer Kaiserin, Czernin, Wien, 2013.

Karl Fluch, Nachruf, Herr Tomtschek 1968-2011, In: Der Standard, 17.11.2011, online verfügbar: https://www.derstandard.at/story/1319183057764/nachruf-herr-tomtschek-1968-2011

Hermes Phettberg, Denn sie sind alle gaga, In: Andrea Kohl (Hg.), Haare am Po Po, Yeah! Das wunderbare H.A.P.P.Y-Buch, Czernin, Wien, 2004.

H.A.P.P.Y, eine Jubiläumsausstellung. Galerie Gut Gasteil, Prigglitz, Niederösterreich, 2006.

Gerd Sulzenbacher studierte Kunstgeschichte und Sprachkunst. Verschiedene Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Seit 2023 Mitherausgeber der Triëdere – Zeitschrift für Literatur & Theorie.

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Kommentare

Redaktion

Lieber Herr Drabek, da haben Sie absolut recht! Danke für den Hinweis - ist schon ergänzt! Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Roland Drabek

Hier ist Ihnen in den Verweis- und Quellverzeichnis wohl eindeutig die noch immer abrufbare Seite http://www.h-a-p-p-y.net/ unter die Lappen gegangen.

christian maryska

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