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Melanie Unseld und Andrea Ruscher, 25.3.2025

Schwarze Bühnenfiguren in Wien um 1800

In der „falschen“ Haut

Othello ist bis heute eine der bekanntesten Figuren auf der Bühne, wenn es um die Darstellung von Schwarzen Menschen geht. Dass die Figur allerdings nur eine von vielen in den Libretti um 1800 war, weiß Melanie Unseld. Im Interview erzählt sie von Diversität am Wiener Theater, wie weiße Schauspieler:innen in schwarze Bodysuits schlüpften, und warum zeitgenössische Stücke vom globalen Sklavenhandel beeinflusst waren.

Andrea Ruscher

Shakespeares Othello wurde 1785 in Wien erstmals aufgeführt. Wie kam das beim Wiener Publikum an?

Melanie Unseld

Shakespeare war bekannt und beliebt, Othello war eines seiner gut angenommenen Stücke. In Wien wurde eine Übersetzung des englischen Originals gegeben, allerdings mit einigen Abänderungen durch die Zensur. Shakespeares Protagonist war für das Wiener Publikum damit zwar neu, aber der Typus, der hier verhandelt wird, war bereits vertraut. Weder die Tatsache, dass die Figur einer Schwarzen Person auf der Bühne war, noch sein Charakter waren überraschend für die Zuseher:innen. Othello war von Shakespeare als Figur konzipiert, die ihre Emotionen nicht im Griff hat. Diese überemotionale Schwarze Figur steht im Kontrast zu dem, was man in der ‚eigenen‘ Community als Ideal betrachtete. Und diesen Typus gab es mehrfach in Stücken des 18. Jahrhunderts. 

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AR

Was verstehen Sie unter einer Schwarzen Figur?

MU

Damit sind Bühnenfiguren gemeint, die als nicht-europäische, und nicht-asiatische Figuren konzipiert sind. Für das Theater des 18. Jahrhunderts ist damit gar nicht unbedingt eine eindeutige Herkunft gemeint. Im Gegenteil: Es kann damit eine Herkunft aus Äthiopien oder Westafrika, Karibik oder Indien gemeint sein. ‚Schwarz‘ ist deshalb ein kulturelles Konstrukt. Wichtig für die Figur des Schwarzen Menschen ist dabei, dass sie auf den Bühnen des 18. Jahrhunderts meist stark typisiert wurde. Und weiters ist interessant, dass im 18. Jahrhundert diese Figur immer häufiger mit Sklaverei verbunden wurde. Othello ist das ja nicht, im Gegenteil: er ist ein mächtiger Mann.

AR

Wenn Othello und Co zu dem Zeitpunkt nichts Neues waren, seit wann kann der Typus der Schwarzen Person auf der europäischen Bühne dann nachgewiesen werden?

MU

Das ist ganz schwer zu sagen. Auf der Bühne geht es ja immer um Dramatik. Und Dramatik entsteht durch Spannung. Die Idee des Konflikts – auf der einen Seite das vertraute ‚Eigene‘ und als Kontrast auf der anderen Seite das fremdartig ‚Andere‘ – gehört zu den Grundkonstanten von Theater. Das sehen wir schon in der griechischen Tragödie. Nehmen wir zum Beispiel Medea. Sie ist eine weibliche Figur, die aus der Ferne kommt. Ihr wird Unrecht getan, woraufhin ihre Emotionen überschießen und sie zur Mörderin der eigenen Kinder wird. Das Thema eines ‚anderen‘ moralischen Korsetts, eines ‚anderen‘ emotionalen Haushalts, und dessen Kontrast zum ‚Eigenen‘ ist so alt wie das Theater selbst. Wie diese Figur des ‚Anderen‘ explizit gemacht wird – Frau gegen Mann, Schwarz gegen weiß, jung gegen alt – das ist Teil der Theatergeschichte.

AR

Können Schwarze Bühnenfiguren um 1800 also so simpel zusammengefasst werden – als Mittel zum Kontrast?

MU

Das wäre zu pauschal. Denn die Bandbreite ist ausgesprochen groß. Das hat mich selbst überrascht, als ich tiefer in die Forschung eingestiegen bin.

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AR

Welche Typen tauchen um 1800 zusätzlich auf?

MU

Wir sehen eine steigende Zahl an Figuren, die in Zusammenhang mit tagesaktuellen Diskursen rund um Sklaverei und den Black Atlantic stehen. Ein Beispiel dafür ist etwa Joni, die Protagonistin aus Friedrich W. Zieglers Stück Die Mohrinn (1801). Sie ist in jeder Hinsicht anders als Othello. Joni ist eine Frau, die in ihren Emotionen noch sanfter, noch gemäßigter ist als ihre weibliche Gegenspielerin Aurelie auf der Bühne. Als versklavte Schwarze Frau kommt sie zu einem jungen weißen Mann namens Georg, der sie ‚erzieht‘. Sie spielt Laute, rezitiert Gedichte und ist im Grunde europäischer sozialisiert als alle anderen um sie herum. Sie wird zum Idealtypus einer europäischen Frau – aber eben in der „falschen“ Haut. Alle sind sich einig, Joni wäre die perfekte Ehepartnerin für Georg, wenn sie nur nicht Schwarz wäre. Immer wieder wird betont, wie „hässlich“ sie sei. Sogar sie selbst sagt das und ist untröstlich, dass sie deshalb ihre große Liebe nicht heiraten kann. Hier sehen wir einige der Fragen, die die Menschen damals beschäftigten: Eine ästhetische, nämlich: Können Schwarze Körper schön sein? Oder auch eine soziale: Sollen Eheschließungen zwischen weißen und Schwarzen Menschen erlaubt sein? Um 1800 wurde ja die Frage, wer als Paar zusammenpasst und heiraten können soll, neu diskutiert. Liebesheirat war damals eine neue Idee: dass man eben nicht aufgrund von Standeszugehörigkeit oder wirtschaftlichen Vorteilen heiratet, sondern dass es so etwas wie eine Seelenpassung zwischen zwei Personen geben kann und soll. Diese Diskussion wurde auf die Bühne gebracht, damit sich das Publikum eine Meinung bilden kann. Der Autor Ziegler ergriff hier klar Partei, indem er dem gemischten Paar ein Happy End ermöglichte. Das Stück war erfolgreich – aber auch umstritten. In den Kritiken ist spürbar, dass sich die Zeitgenossen nicht einig waren, ob gelten soll, wie es auf der Bühne gezeigt wurde. 

AR

Dass Partnerwahl ein Thema ist, das Menschen überall auf der Welt beschäftigt, ist gewissermaßen einleuchtend. Aber wenn Sie vom transatlantischem Sklavenhandel sprechen – warum hat das die Theaterbesucher:innen in Wien damals interessiert? War das nicht zu weit weg?

MU

Das habe ich mich auch gefragt und ich habe mich durch ganze Jahrgänge der Wiener Zeitung gelesen, um Antworten zu finden. Ich war erstaunt, wie viele Berichte rund um die Themen Sklaverei und Sklavenhandel in den Zeitungen zu finden waren. Es wäre nicht in dieser Ausführlichkeit besprochen worden, wenn es nicht auf breites Interesse gestoßen wäre. Tatsächlich war die globale Sklaverei direkt mit wirtschaftlichen Interessen der Wiener:innen verbunden: Im Süden von Wien gab es etwa eine Baumwollfabrik, auch Menschen in Wien wollten Kaffee trinken und Kaufleute waren interessiert, mit Zucker viel Geld zu verdienen. Importprodukte von Plantagen aus Übersee waren hoch im Kurs. Wie Wirtschaft und Moral dabei zusammenhingen, war ein wesentlicher Diskussionspunkt. Ein weiterer Faktor für das Interesse der Wiener:innen an globalen Zusammenhängen war die Präsenz von Schwarzen Personen in der Stadt. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden, war die Habsburgermonarchie zwar nicht stark in den Black Atlantic eingebunden – also dem Handel mit Sklav:innen im Dreieck zwischen der Westküste Afrikas, den USA bzw. der Karibik und Europa. Aber das Habsburger Reich war nahe am Osmanischen Reich und dem nordafrikanischen Raum. Und auch von dort wurden Menschen nach Wien verschleppt. Wir können also davon ausgehen, dass die durchschnittlichen Wiener:innen um 1800 Menschen aus Afrika oder anderen Weltgegenden im Alltag begegnet sind. Durch die Ankunft der napoleonischen Armeen in Wien, in denen auch Schwarze Männer als Soldaten dienten, waren es dann nochmal mehr.

AR

Wenn diese Phänomene auf die Bühne gebracht wurden, wer hat dann die Schwarzen Figuren verkörpert? Waren das Menschen mit dunkler Hautfarbe oder war Blackfacing eine gängige Praxis?

MU

Die Quellenlage ist hier schwierig. Hie und da wissen wir von Schwarzen Musikern. Es gab beispielsweise am Hof von Esterhazy einen zeitgenössisch so genannten Hofmohren, der bei Haydn Unterricht erhielt. Er war der Vater des Geigers George Bridgetower, der später zusammen mit Beethoven musizierte. Aber für die Bühne in Wien ist die Quellenlage zu konkreten Personen sehr dünn. Mir sind keine Schauspieler:innen oder Sänger:innen aus dieser Zeit in den Quellen begegnet, bei denen ich annehmen könnte, dass sie dunkle Hautfarbe hatten. Daran schloss sich für mich die Frage an, wie hat man Schwarze Figuren dargestellt? Um diese Frage zu beantworten, habe ich Kostüme und Figurinen studiert. Außerdem habe ich mir Quellen angesehen, in denen Tipps und Tricks für das Schminken für die Bühne erklärt wurden. In diesen Büchern wird darauf hingewiesen, dass es sehr schädlich für die Haut sei, sie dunkel zu färben. Man riet davon ab. Wenn aber davon abgeraten wird, heißt das auch, dass es sehr wohl gemacht wurde. Wollte man eine Schwarze Person auf der Bühne darstellen, war es außerdem durchaus üblich die Schauspieler:innen in Trikots einzunähen. Das Einnähen war eine weitverbreitete Praxis am Theater. Auch Tänzerinnen, die mehr Haut zeigen sollten, aber das aus Gründen des Anstands nicht wollten, hat man in hautfarbene Trikots eingenäht. Die Technik war bekannt und dann wechselte man eben den Farbton.

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Kurze Zeit später änderte sich das aber und wir sehen Schwarze Schauspieler wie Ira Aldridge, die zu internationalen Stars avancieren.

MU

Ja. Aber mit Aldridge sind wir bereits in den 1820er Jahren, er debütierte 1824 in London. Und: Aldridge war ein Star. Stars kommen und gehen. Daher muss man bedenken, dass die Fülle der Schwarzen Figuren, die wir um 1800 haben, sicher nicht alle von den Stars gespielt werden konnten. Denken wir nur an die Oper Die N* (1804) von Antonio Salieri. Darin singen der „Chor der Europäer“ und der „Chor der N*“. Ich gehe davon aus, dass im ganzen Chor keine Schwarzen Menschen mitsangen, sondern dass die Unterscheidung über die Kostüme gezeigt wurde. In früheren Kostümentwürfen für Maskenbälle finden sich etwa Kostüme für „Äthiopier“ oder „Türken“ oder andere Gruppen aus fernen Ländern. Auch hier wurde die Fremdheit nicht über die Hautfarbe kenntlich gemacht, sondern über die ausgefallene, fantasiereiche, zum Teil recht schrille Kostümierung. Die Sehgewohnheiten des Publikums waren darin geübt, am Kostüm die Gruppe der „Schwarzen Sklaven“ von der Gruppe der „Europäer“ zu unterscheiden.

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Während Schwarze Bühnenfiguren um 1800 tatsächlich Hochkonjunktur hatten und sehr ausdifferenziert waren, sind heute nur wenige, und vor allem stereotype, rassistisch geprägte Figuren wie Monostatos aus der Zeit bekannt. Wie kommt das?

MU

Monostatos ist eine Figur aus einem stark kanonisierten Stück, Mozarts Zauberflöte. Die Bekanntheit bezieht sich auf die Zauberflöte. Mozarts Oper ist nicht wegen Monostatos berühmt, aber er ist eben Teil der Oper. Warum aber die Vielfalt der Figuren vergessen wurde, lässt sich nicht mit einer einzigen Antwort erklären. Viele der Stücke hatten einen starken Zeitbezug – etwa August von Kotzebues Drama Die N*sklaven (1794), das eine starke Stimme in der Abolitionismus-Debatte war. Ein Aspekt dürfte sein, dass die Virulenz des Diskurses um die Sklaverei nachließ, 1807 wurde mit dem Slave Trade Act zwar nicht die Sklaverei an sich, aber doch der Handel mit Sklaven verboten – wenngleich das politische Problem ja noch lange nicht gelöst war. Aber Diskurse verändern sich.

AR

Kehren wir zum Abschluss noch einmal zu Othello zurück. Er wurde so beliebt in Wien, dass es eigene Versionen gab. Was können Sie uns über das Wiener Othellerl erzählen?

MU

Das Stück Othellerl. Der M* von Wien (1829) von Carl Meisl bring uns ins Vorstadttheater. Dort machte man sich über alles lustig, was in der Stadt passierte. Besonders gerne wurden prominente Theaterstücke parodiert. Und so wurde auch Othello parodiert und mitten in die Wiener Gesellschaft verpflanzt. Er wird zum ‚Typ von nebenan‘, der mit den anderen Wiener Typen um die Gunst der weiblichen Bevölkerung buhlt. In der Eröffnungsszene fällt der Satz „Itzt kommen d’M* in d’Mod“, was offensichtlich doppeldeutig gemeint ist. Einerseits geht es darum, Schwarze Figuren vermehrt auf den Bühnen der Zeit auftauchen, und andererseits sehen die beiden männlichen Gegenspieler den Othello plötzlich als Konkurrenz, der am Ende das angebetete Desdemonerl abbekommt – während sie leer ausgehen.

Eine umfassende Behandlung des Themas kann in Melanie Unselds Artikel „‘Itzt kommen d’Mohren in d’Mod‘. Darstellungen schwarzer Menschen auf den Wiener Bühnen" nachgelesen werden. Er ist im Sammelband „Wien um 1800. Eine Großstadtkultur im historischen Umbruch“ im Böhlau Verlag erschienen.

Weiterführende Literatur:

Melanie Unseld: „Un|Freiheit auf und jenseits der Bühne. Beethovens Fidelio und das Theater an der Wien“, in: „…die Freiheit, Aufzubrechen…“. Hölderlin – Hegel – Beethoven, hg. von Violetta L. Waibel, Martin Vöhler, Jörg Robert (Hölderlin-Forschungen 5), Paderborn 2025, S. 189–209.

Melanie Unseld: „‚Itzt kommen d’ Mohren in d’ Mod!‘. Darstellungen schwarzer Menschen auf den Wiener Bühnen um 1800“, in: Wien um 1800. Eine Großstadtkultur im historischen Umbruch, hg. von Lydia Rammerstorfer, Gernot Waldner und Norbert Christian Wolf (Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 39), Wien 2024, S. 415–438. 

Melanie Unseld: „Die N* in Wien. Eine Oper als Medium der Wissensproduktion über Sklaverei um 1800“, in: Music Across the Ocean. Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hg. von Carola Bebermeier, Clemens Kreutzfeldt und Melanie Unseld (vernetzen – bewegen – verorten 5), Bielefeld 2024, S. 49–66.
 

Melanie Unseld ist Professorin für Musikwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 

Andrea Ruscher ist Teil der Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum. Sie studierte Globalgeschichte und war zuvor am Österreichischen Kulturforum Kairo und in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik tätig. 

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