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Julia König, 14.11.2021

H.C. Artmann und ein Plakatskandal

Artmann und Palmers? Palmers und Artmann!

Wie geht das zusammen? Med ana schwoazzn Dintn beschrieb H.C. Artmann u.a. ein Plakat, das 1953 für Skandal und Geldsegen gesorgt hatte.

Wer ist denn dieser Artmann eigentlich?

In aller Kürze sei hier festgehalten, dass Hans Carl Artmann am 12. Juni 1921 in Wien geboren wurde, eine Lehre zum Kaufmann absolvierte und zeitlebens als Schriftsteller und Übersetzer tätig war. Am 4. Dezember 2000 verstarb er 79-jährig in seiner Heimatstadt.

Dazwischen liegt ein reiches und bewegtes Leben, in dem er im für diese Betrachtung relevanten Zeitraum Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener (1952/1953) begegnete. Mit den Mitgliedern der sogenannten Wiener Gruppe, an deren Entstehung er beteiligt war, blieb er bis Ende der 1950er Jahre in Kontakt. Wobei Artmann den Begriff der „Gruppe“ als nichtzutreffend empfand und das Ganze eher als lose Gemeinschaft verstand.

Seine erste Buchveröffentlichung "med ana schwoazzn dintn" (Salzburg: Otto Müller 1958) wurde ein Bestseller, der sich bis heute großer Beliebtheit erfreut. Seinen Ruf als innovativer Dichter im Wiener Dialekt festigte Artmann mit dem Band „hosn rosn baa“ (Wien: Frick 1959), den er mit Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm vorlegte. Die gemeinsame Lesung am 9. Dezember 1959 im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses geriet zum veritablen Skandal und war auch der letzte Auftritt Artmanns im Umfeld der Wiener Gruppe.

Die Wienbibliothek im Rathaus verwahrt seit 2004 den Nachlass Artmanns, sein Gesamtwerk und das in nur vierzehn Archivboxen. Das ist wenig! Sehr wenig sogar! Erklären lässt sich das damit, dass er nicht auf seine Manuskripte geachtet hat. Artmann hat sie verschenkt, vergessen, liegen gelassen. So kommt es auch, dass wir kein Entstehungsmanuskript zu „Med ana schwoazzn Dintn“ besitzen – eventuell könnte es woanders erhalten geblieben sein, die Recherchen der Kolleg*innen der Handschriftensammlung haben allerdings keine diesbezüglichen Anhaltpunkte ergeben.

Nach der Veröffentlichung und dem Überraschungserfolg von "med ana schwoazzn dintn" hat sich Artmann als Dialektdichter abgestempelt gefühlt. Friedrich Polakovics hielt im Vorwort fest, das Artmanns Dialektgedichte mit dem Mund, aber nicht aus dem Mund des Volkes gesprochen sind. Die Dialektform war nicht (mehr) unbedingt Artmanns bevorzugte Ausdrucksform. Daraus Konsequenzen ziehend ist er in Folge für ein paar Jahre nach Schweden entschwunden – in sein „Exil“ geflohen.

Artmann und Plakate im Allgemeinen

Plakate zu H.C. Artmann bewerben sein Werk – also seine Publikationen; Aufführungen von Theaterstücken aus seinem Werk, nach seinen Überschreibungen und Übersetzungen; Lesungen seiner Gedichte und anderer Texte (selbst gelesen und von anderen gelesen); Vertonungen seiner Gedichte; persönliche Mitwirkung an musikalischen Abenden; sowie Ausstellungen, die ihm und seinem Werk gewidmet sind.

Die Wienbibliothek zeigt übrigens gerade eine kleine Zusammenstellung zu Artmann in den Ausstellungsräumen der Musiksammlung in der Bartensteingasse 9.

Das ist die übliche, geradezu die natürliche Reihenfolge. Doch 1953 hat Artmann das Ganze umgedreht. Da gab es ein Plakat, das gar nichts mit Artmann zu tun hatte, doch er wollte mit dem Plakat zu tun haben. Denn ein Plakatskandal hatte seine Neugier geweckt!

Lange, schöne, bestrumpfte Beine lenken den Blick von links unten nach rechts oben, wo zwei zarte, gepflegte Damenhände mit rot lackierten Fingernägeln, den einen Strumpf sachte nach oben zum Saum des kurzen Unterkleids ziehen und damit für viel mediale Aufregung sorgten. Das brachte den Dichter dazu, die folgenden Zeilen zu verfassen.

 

„des neiche blagat

 

des neiche blagat

- - - wasd? - - -

wos de blagatara

gestan

aun de blaunkn

blakadiad haum

- - - wasd? - - -

des schene göwe

met de balmas neilaun…

 

sog

glaubst ned

das da r a so a blagatara

ans gewad

a so a iwrechbliwanas

met de gschdödn haxn drauf

- - - wasd? - - -

waun s d eam dafua

a fiadl zolasd?

 

i mechad ma diaregt

ans aufhenkn

iwa meina hapfm

daham?“

 

h.c. artmann, aus: Med ana schwoazzn Dintn, Otto Müller Verlag Salzburg (1958)

Man muss es sich bitte laut vorlesen. Oder vorgelesen bekommen. Das hat für uns Burgschauspieler Robert Reinagl übernommen.

Und alle Nicht-Wiener*innen benötigen gegebenenfalls noch etwas Übersetzungshilfe, die ich hier zu geben versuche. Auch wenn Polakovics im Vorwort so treffend meinte: „Trocken verdolmetschen läßt sich freilich alles, aber der Zauber ist dann verflogen…“

 

„das neue plakat

 

das neue plakat

---weißt du?--- [sich der Aufmerksamkeit rückversichernd]

das die plakatierer

gestern

auf die planken

plakatiert haben

---weißt du?---

das schöne gelbe

mit den nylons von palmers

 

sag

glaubst du nicht

dass dir einer der plakatierer

eines geben würde

eines der übriggebliebenen

mit den inszenierten beinen darauf [„gestellten“]

---weißt du?---

wenn du ihm dafür

ein viertel bezahlen würdest?

 

ich möchte mir unbedingt [„direkt“]

eines aufhängen

über meinem bett

zuhause?“


Den Skandal klammert Artmann dabei völlig aus, beschreibt das Plakat nicht ausführlich, sondern beschränkt sich auf „gelb“, „Nylons“ und „Beine“, erwähnt die Marke. Doch alle Wiener*innen wussten, wovon die Rede war. Ein Plakatskandal hatte im Dezember 1953 die Gemüter erhitzt.

Der Plakatskandal

Heute würde dieses Plakat wohl niemanden mehr aufregen. Da sind wir im Straßenbild ganz andere Kaliber gewohnt!

Doch wir befinden uns im Jahre 1953 und wie im Band „50er. Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus“ im Beitrag „Zensur ist Trumpf“ dargelegt wurde, waren Plakatskandale ein ergiebiges Thema in diesem Jahrzehnt. Franz Gangelmayer, der schon für seine Diplomarbeit zum Palmers-Archiv gearbeitet hatte, dokumentierte einen ganz besonders aufregenden Plakatskandal:

„Als im Dezember 1953 der bekannte Werbegrafiker Gerhard Brause für die Firma ‚Palmers‘ zwei bestrumpfte Frauenbeine zeichnete, die über die halben Oberschenkel bis zu einem kurz gerafften Unterrock sichtbar waren, brach in Österreich eine Moraldebatte aus, welche diesem Unternehmen über Nacht große Bekanntheit brachte. Mit der Begründung, dass ‚die sehr realistische Darstellung eines Teiles eines kaum bekleideten Frauenkörpers geeignet sei, die Schamhaftigkeit zu verletzen und die sittliche Entwicklung jugendlicher Personen, insbesondere durch Reizung der Lüsternheit, schädlich zu beeinflussen‘, verbot das Innenministerium unter Berufung auf das ‚Schmutz- und Schundgesetz‘ das Ausstellen, Aushängen und Anschlagen des Plakats an Orten, wo es auch Jugendlichen unter 16 Jahren zugänglich war. Dieser Vorfall der Plakatzensur war selbst der Berliner Zeitung eine Meldung wert: ‚So zogen denn in aller Heimlichkeit Anstreicherkolonnen durch die nächtlichen Straßen von Wien und überklebten auf allen beanstandeten Plakaten die pikanten Unterröcke mit keuschen Röckchen. Somit ist in Wien die öffentliche Ordnung wieder hergestellt und dem Gesetz über ‚Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung’ Genüge getan. Der Schöpfer des Plakats, Gerhard Brause, erhielt von der Firma Palmers eine Prämie von 10.000 Schilling, denn der Umsatz der Palmers-Strümpfe stieg in den ersten beiden Tagen nach dieser Affäre um das Sechsfache.‘“

Gerhard Brause hat sich von der Prämie angeblich ein Auto gekauft – so besagt es die Legende. Die Rockerln waren auf Plakatpapier gedruckt und dann in der Dekorationsabteilung von Palmers von Hand ausgeschnitten worden, bevor die Plakatierer losziehen und die Beine überkleben konnten.

Dass wir diesen Plakatskandal rund 70 Jahre später auch noch nachvollziehen können, verdanken wir zum einen der Plakatsammlung der Stadt Wien, in der jedes Plakat, das je in Wien affichiert wurde, verwahrt wird, und zum anderen dem akribisch verwalteten Palmers-Archiv. An dieser Stelle vielen Dank an Ulla Fleischer – die jahrzehntelang das Herz und die Seele des Palmers-Archivs war und es wie keine andere in- und auswendig kennt! Von ihr kam auch der Hinweis auf das Gedicht.

Zwei Jahre später hat übrigens dieses Plakat genügt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Auftrag erfüllt!

Die Plakatwelt der 1950er Jahre

War das Plakat wirklich so ein Skandal? Verglichen mit anderen Plakaten der Zeit. Diese Frage kann man mit einem klaren Nein beantworten, wenn man sich als Vergleichsbeispiele die zwei hier abgebildeten Elastisana-Plakate anschaut, die beide nach Entwürfen von Othmar Motter entstanden – das mit dem schwarzen Handabdruck auf der Pobacke war übrigens auch für einen Plakatskandal gut.

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Kecke Posen zeigen beide, doch der Handabdruck des Rauchfangkehrers, dessen Arbeitsutensilien links zu erkennen sind, der seine Hand auf den Po der leichtbekleideten Dame klatscht, erregte die Gemüter. Heute würden wohl beide als sexistisch gelten.

Oberstes Ziel jedes Plakats zu jeder Zeit und an jedem Ort war und ist es aufzufallen. Wer nicht auffällt, hat schon verloren. Und was könnte dabei besser unterstützend wirken als ein kleiner Skandal? In den 1950er Jahren war das in Wien gar allzu leicht zu erreichen, denn auf „unmoralische Motive“ –auch in Film, Zeitung oder Comic- reagierte die Regierung und schuf mit dem am 31. März 1950 erlassenen „Schmutz- und Schundgesetz über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung“ die ideale Voraussetzung, um Aufregung, Aufmerksamkeit und damit Werbewirksamkeit zu generieren. Dass es in seiner Durchsetzung auch zur Inspirationsquelle für Dichter werden sollte, war nicht abzusehen gewesen.

Julia König, von 2008 bis 2024 Sammlungsleiterin der Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus, ab Jänner 2025 Leiterin des Deutschen Plakatmuseums im Museum Folkwang Essen. Studium der Kunstgeschichte und Library and Information Studies. Als Kuratorin und Herausgeberin war sie an zahlreichen Ausstellungs-, Publikations- und Sammlungsprojekten beteiligt, u.a. in Galerien, am Österreichischen Museum für angewandte Kunst (MAK) Wien, an der Silberkammer des Hofmobiliendepots, am Bundesdenkmalamt und ab 2005 an der Wienbibliothek im Rathaus.

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Kommentare

Elisabeth Schrattenholzer

Kleine Ergänzung
zur Übertragung ins Hochdeutsch von „met de gschdödn haxn drauf“:
Ich kenne den Ausdruck ‚de had a guads gschdö‘, was soviel heißt wie ‚sie hat eine tolle (sexuell attraktive) Figur‘ oder einfach ‚sie ist schön‘. (Nebenbei: Die gängige Verdinglichung des weiblichen Körpers kommt dadurch klar zum Ausdruck.)
‚A gschdöds madl‘ meine ich auch im Ohr zu haben. Deswegen würde ich ‚gschdöde haxn‘ mit ‚klasse Haxn‘, ‚tolle Beine‘ oder ‚geile Haxn‘ übertragen.

Mag. Walter Klag

„die Recherchen der Kolleg*innen“
„Und alle Nicht-Wiener*innen“
in
https://magazin.wienmuseum.at/hc-artmann-und-ein-plakatskandal

Das ist nicht Hochdeutsch! Die männliche Form wird unterdrückt. Was soll "Kolleg" sein?

Der Rat für deutsche Rechtschreibung
ist ein zwischenstaatliches Gremium, das von den staatlichen Stellen damit betraut wurde, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln.
https://www.rechtschreibrat.com/geschlechtergerechte-schreibung-empfehlungen-vom-26-03-2021/

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat in dieser Frage klar Position bezogen: Eine gendersensible Sprache und Schreibung wird vom Rat befürwortet. Das Gendern mit verkürzenden Formen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich im Wortinneren aber entspricht nicht der geltenden Rechtschreibung und wird daher nicht empfohlen! Eine Aktualisierung der Empfehlungen vom März 2023 wird in Kürze in die Arbeitsgruppen Geschlechtergerechte Schreibung und Schule übermittelt werden, um dann in der nächsten Sitzung des Rats am 14. Juli 2023 dort als Beschlussvorlage eingebracht zu werden. Darin wird eine klare Positionierung und Bekräftigung der Argumentation von 2021 enthalten sein.

Die geltende Rechtschreibung ist nach Statut des Rats i. d. F. von 2015 verbindlich für Schulen und Behörden. Die Beschlüsse des Rats müssen von den staatlichen Stellen gebilligt werden. Dies sollte am Ende der laufenden Amtsperiode Ende dieses Jahres erfolgen.

Dr. Sabine Krome
Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung
Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS), 68161 Mannheim
Tel.: +49 (0)621 1581-204 E-Mail: krome@ids-mannheim.de
Internet: http://www.ids-mannheim.de

Empfehlenswerte Bücher:
Fabian Payr / Von Menschen und Mensch*innen
20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören
ISBN 9783658366742
Birgit Kelle / Gendergaga ISBN 9783959724227
Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will

Paul Horntrich

Wer sich für Kontroversen zu Sexualität im öffentlichen Raum im Wien der 1950er Jahre interessiert: ich habe dazu einen längeren Aufsatz geschrieben, abzurufen unter https://revues.mshparisnord.fr/rhc/index.php?id=1988

Auch der Palmers-Skandal wird dabei behandelt!

Vera Eder

Ein wirklich gelungener Artikel aus den Komponenten Perlonstrumpf und Artmannlyrik! Wer hätte je an diese feinmaschige Vernetzung von Design und Literatur gedacht? donksche.

LEO A LENSING

Einfach schoen!

Peter Putz

Danke für diesen ausführlichen Text und die Fotos! Ich finde beides äußerst interessant!