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Historische Persönlichkeiten im Krankenbett – zweiter Teil
Vor der Seuche sind alle gleich
Wien sah sich im Mittelalter und vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis 1713 mit zahlreichen Pestepidemien konfrontiert. Es ist davon auszugehen, dass der „schwarze Tod“ bis zu 50% der Stadtbevölkerung dahinraffte, was neben unvorstellbarem menschlichen Leid auch massive wirtschaftliche Auswirkungen hatte.
Seit 1541 wurden in landesfürstlichen „Infektionsordnungen“ Maßnahmen zur Begrenzung der Seuche festgeschrieben, die den aktuellen „Corona Verordnungen“ nicht unähnlich sind: Reisende mussten mehrere Tage abgeschottet von Bevölkerungszentren verbringen, bevor sie in die Städte durften, Häuser wurden gesperrt (Quarantäne), Prozessionen verboten und Gasthäuser geschlossen. Die Maßnahmen zeigten jedoch kaum Erfolg, da sie nur sehr nachlässig eingehalten wurden und die schlechten hygienischen Bedingungen ein Hauptgrund für die Verbreitung der Krankheit (Übertragung durch Ratten) waren. Die wichtigste Maßnahme gegen die Pest sahen die Herrschenden durch die Jahrhunderte überdies ohnehin darin, ihre Untertanen zu einem gottgefälligen Leben aufzufordern, um Gottes Zorn abzuwenden.
Einer dieser Herrschenden war Kaiser Leopold I.. In seiner Regierungszeit ereignete sich 1679 die schwerste Wiener Pestepidemie der frühen Neuzeit. Der damalige Rektor der Universität Wien und Professor für Medizin, Paul de Sorbait, riet Kaiser Leopold angesichts des neuerlichen Pestausbruchs, die Stadt mit einem kleinen Gefolge zu verlassen. Der Kaiser folgte seinem Rat, allerdings in abgewandelter Form: Er verließ zwar die Stadt, nahm dabei aber fast seinen ganzen – sehr beträchtlichen – Hofstaat mit, erst auf Wallfahrt nach Mariazell und danach weiter nach Prag und Linz. In fast allen Orten brach kurz nach seiner Abreise die Pest aus, selbst in Dörfern, die nur passiert wurden. Nachdem die Pestepidemie überstanden war, die Leopold durch sein Handeln auf weite Teile seines Reiches ausgedehnt hatte, ließ er zum Dank die Pestsäule am Wiener Graben errichten.
Neben diesem materiellen Erbe hat die Pestepidemie 1679 auch ein immaterielles Erinnerungsstück bis in die heutige Zeit hinterlassen: das Lied vom lieben Augustin. Der viel besungene „liebe Augustin“ war selbst Bänkelsänger und hieß mit vollem Namen Markus Augustin. Nach einer durchsoffenen Nacht schlief er seinen Rausch auf der Straße aus und wurde fälschlicherweise für ein Pestopfer gehalten. Siech-Knechte legten ihn in ein Massengrab in der Nähe der heutigen Sankt Ulrichs Kirche im 7. Bezirk. Als Augustin wieder aufwachte, spielte er so lange auf seinem Dudelsack, bis ihm jemand aus der Pestgrube half. Bis auf einen Kater war er gesund, sang fortan über sein Erlebnis und ist mit seiner Geschichte noch heute, 340 Jahre später, im kollektiven Gedächtnis der Stadt präsent.
Starb man an der Pest meist binnen drei Tagen, konnte bzw. musste man mit der Syphilis viele Jahre leben, bis sie zum Tode führte. Da spezifische Hautveränderungen zum Krankheitsbild gehören, war die Infektion phasenweise kaum zu kaschieren und führte mitunter zu sozialer Stigmatisierung. Auch die Behandlung der Syphilis mit Quecksilber brachte mehr Leid als Erleichterung.
Stefan Zweig beschreibt in seinem autobiographischen Werk „Die Welt von Gestern“ die Stimmungslage im Wien der Jahrhundertwende, angefangen bei Scheinmoral und der Unmöglichkeit, frei von öffentlicher Scham zu leben, bis zu der ständigen Bedrohung durch die Seuche: „Denn außer der gesellschaftlichen Bedrückung, die ständig zur Vorsicht und Verheimlichung zwang, überschattete damals noch ein anderes Element die Seele nach und selbst in den zärtlichsten Augenblicken: die Angst vor der Infektion. (…) Unablässig wurde die Jugend damals an die Gefahr gemahnt; wenn man in Wien durch die Straßen ging, konnte man an jedem sechsten oder siebenten Haus die Tafel „Spezialarzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ lesen, und zu der Angst vor der Infektion kam noch das Grauen vor der widrigen und entwürdigenden Form der damaligen Kuren“. In der Folge beschreibt er die Quecksilber-Behandlung und ihre Auswirkungen vom Ausfall der Haare und sämtlicher Zähne bis zu den psychischen Folgen und der Furcht, dass die Krankheit jederzeit, auch nach vielen Jahren, wieder ausbrechen kann. Er beschreibt, dass viele junge Männer nach einer Lues-Diagnose sich lieber gleich für den Freitod entschieden. Nach Schätzungen dürften damals 20 Prozent der Menschen im Alter von 20 bis 30 einer sexuell übertragbaren Krankheit zum Opfer gefallen sein.
Eines der bekanntesten Opfer der Krankheit war der Komponist Franz Schubert. Er infizierte sich um 1823 und litt an einer Vielzahl von Symptomen, die die chronische Krankheit in ihrem Verlauf kennzeichnen. Immer wieder unterzog er sich im Allgemeinen Krankenhaus Quecksilber-Kuren und sein körperlicher Zustand belastete ihn schwer: „Ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen der Welt“, schrieb er darüber an seinen Freund Leopold Kuppelwieser. Zehn Jahre nach der Ansteckung erlag Schubert, geschwächt durch die Grunderkrankung und ihre Behandlungsmethoden, nur 31-jährig einer Typhusinfektion.
Syphilis bereitete auch dem bekanntesten Wiener Maler seiner Zeit ein frühes Ende: Hans Makart. Er verstarb 1884 im Alter von 44 Jahren an einer syphilitischen Gehirnhautentzündung, wodurch er u.a. die Gestaltung von Kaiserin Elisabeths Schlafzimmer in der Hermesvilla nicht mehr vollenden konnte, mit der ihn Kaiser Franz Joseph beauftragt hatte. Da der Grund für seinen Tod eine Spätfolge der Syphilis war, dürfte er sich schon in jungen Jahren damit angesteckt haben.
Da eine Lues-Erkrankung in der Öffentlichkeit wenn möglich verschwiegen wurde, kennen wir sicherlich nicht alle historischen Persönlichkeiten, die ihr zum Opfer fielen. Es gibt aber beispielsweise (umstrittene) Hinweise, dass auch Gustav Klimt an der sexuell übertragbaren Krankheit litt (in einem Brief soll Emilie Flöge geschrieben haben: „Ich hätte gern eine Affäre mit ihm. Aber er möchte mich nicht mit Syphilis anstecken." ) und auch der rätselhafte frühe Tod Mozarts wird immer wieder mit der Syphilis in Zusammenhang gebracht.
Fest steht, dass Egon Schiele seinen Vater am Neujahrstag 1905 an die Syphilis verlor. Schiele selbst wiederum fiel der letzten großen Pandemie des 20. Jahrhunderts zum Opfer: der Spanischen Grippe. Er starb am 31. Oktober 1918 im Alter von 28 Jahren, drei Tage nachdem auch seine im sechsten Monat schwangere Frau Edith der Krankheit erlegen war.
Die spanische Grippe traf Wien am Ende des 1. Weltkrieges besonders hart. Es ist schwer zu sagen, wie viele Opfer sie in der Stadt forderte. Seriöse Schätzungen sind kaum möglich, da Ärzte damals kaum Unterscheidungen zwischen Lungenentzündung, Tuberkulose und Grippe treffen konnten und die staatliche Ordnung zusammenbrach. Als die Behörden den Ernst der Lage im Oktober schlussendlich erkannten, verfügten sie sogar Schulschließungen, jedoch waren diese kaum noch durchzusetzen. Weltweit kam es zu Millionen von Toten, manche Schätzungen gehen von über 100 Millionen aus, mehr als fünf Prozent der damaligen Weltbevölkerung. Im Gegensatz zu sonstigen Grippewellen war die Bevölkerungsgruppe der 15- bis 35-Jährigen von der Spanischen Grippe am schwersten betroffen.
Auch Richard Neutra, einer der international berühmtesten Architekten aus Wien, erkrankte als junger Mann an der spanischen Grippe, nachdem er sich kurz zuvor während seines Kriegsdienstes schon mit Malaria und Tuberkulose infiziert hatte. Unglaublicherweise überlebte er jedoch – wenn auch nur knapp – alle drei Krankheiten. Er starb erst 1970, nach einem langen, erfolg- und arbeitsreichen Leben, im Alter von 78 Jahren an Herzversagen.
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