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Andreas Brunner, 2.3.2020

Homosexuelle in der NS-Zeit

Im Netz der Verfolgung

Fast neun Jahre seines Lebens war Richard Grune wegen seiner Homosexualität in NS-Konzentrationslagern inhaftiert. Den Terror verarbeitete er unmittelbar nach seiner Befreiung in seinem zehn Lithographien umfassenden Mappenwerk „Passion des XX. Jahrhunderts“, das nun als Schenkung von Tobias G. Natter in die Sammlung des Wien Museums kam. 

Grunes eindringlichen Darstellungen von ausgemergelten Körpern, die tot in Stacheldrahtzäunen hängen, von Männern, die Körper an Körper in den engen Stockbetten der Baracken fast zu einer amorphen Masse verschmelzen oder von geknechteten Häftlingen, die sich mit letzter Kraft aufeinander stützen, wurden ikonisch: Viele dieser Motive meint man zu kennen, auch wenn die Geschichte dahinter im Verborgenen bleibt.

Richard Grune, 1903 in Flensburg geboren, studierte am Bauhaus in Weimar und hatte in den 1920er-Jahren erste künstlerische Erfolge. Als politischer Gegner der Nationalsozialisten engagierte er sich im linken Widerstand und fertigte Zeichnungen und Grafiken für dessen illegale Publikationen an. Anfang Dezember 1934 wurde er in Berlin wegen homosexueller Handlungen nach § 175 des reichsdeutschen Strafgesetzes verhaftet und ohne Verfahren mehrere Monate im KZ Lichtenburg inhaftiert. Erst 1936 wurde er rechtskräftig verurteilt und nach der Verbüßung der Gefängnishaft als „Schutzhäftling“ ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. 

Die Männer mit dem rosa Winkel

Die mit dem rosa Winkel gekennzeichneten homosexuellen Häftlinge standen in der Lagerhierarchie weit unten, doch gelang es Richard Grune, aufgrund seiner guten Kontakte zu politischen Häftlingen eine relativ gesicherte Position als Lagerschreiber zu erhalten. Mit einer Gruppe anderer Rosa-Winkel-Häftlinge wurde er im April 1940 ins KZ Flossenbürg verlagert. Einer dieser Mithäftlinge war der Wiener Josef Kohout, dessen Erinnerungen an seine KZ-Haft 1971 unter dem Titel „Die Männer mit dem rosa Winkel“ unter dem Pseudonym Heinz Heger als Buch erschienen. Kohout war mit seiner Publikation der erste homosexuelle Mann, der von seinem Schicksal in der NS-Zeit erzählte.

Obwohl Grune auch in der Nachkriegszeit ein relativ offen homosexuelles Leben führte, wurde im Geleitwort zur Publikation der „Passion“ nicht auf den Haftgrund eingegangen. Er versuchte sich als politischer Häftling darzustellen, da nur diese Anspruch auf Entschädigungsleistungen hatten. In Deutschland ging die Verfolgung Homosexueller auch in der jungen Bundesrepublik nahtlos weiter, blieb doch der § 175 in seiner von den Nationalsozialisten verschärften Form bis 1969 in Gültigkeit. So geriet auch Richard Grune wieder ins Netz der Verfolgung, floh vorübergehend aus Deutschland nach Spanien und konnte bis zu seinem Tod in keiner bürgerlichen Existenz mehr Fuß fassen. Er starb verarmt und auch als Künstler vergessen 1984 in Kiel.

Parallelen zu dem österreichischen Künstler Hugo Walleitner

Ähnlich erging es einem anderen, ebenfalls österreichischen Künstler, der wie Grune in der unmittelbaren Nachkriegszeit seine Erlebnisse im KZ Flossenbürg an die Öffentlichkeit brachte. Hugo Walleitners Zeichnungen, mit denen er seine 1947 im Selbstverlag in Bad Ischl veröffentlichten Erinnerung unter dem Titel „Zebra“ illustrierte, ähneln den Motiven von Grune frappant, obwohl eine Bekanntschaft der beiden Künstler weder in Flossenbürg noch für die Nachkriegszeit verbürgt ist. Hugo Walleitners von der Forschung kaum wahrgenommener Bericht erzählte bereits 1947 ausführlich vom besonders brutalen Umgang gegenüber Homosexuellen im KZ Flossenbürg. Doch im Gegensatz zu Heger/Kohout deklarierte sich Walleitner nicht selbst als Rosa-Winkel-Häftling, sondern blieb in „Zebra“ in der Rolle des Beobachters. Wie Grune konnte aber auch Walleitner nach seiner ersten Publikation künstlerisch nicht weiter reüssieren, auch er starb vergessen und unbedacht 1982.

Richard Grune musste erfahren, dass seine Darstellung des Lageralltags im KZ Flossenbürg nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Eine im März 1946 im Kieler „Haus der Landwirte“ durch den damaligen Kieler Bürgermeister Otto Tschadek (dem späteren österreichischen SPÖ-Justizminister von 1949-1952 und 1956-1960) eröffnete Ausstellung mit Grunes Lithographien unter dem Titel „Die Ausgestoßenen“ wurde einen Monat nach der Eröffnung von Vandalen, die nie gefasst wurden, zerstört.

Das nun dem Wien Museum übergebene Mappenwerk Richard Grunes stammte ursprünglich aus dem Nachlass des Wiener Schriftstellers und Homosexuellen-Aktivisten Erich Lifka, der in den 1950er- und 1960er-Jahren mehrmals wegen homosexueller Kontakte und dem Vertrieb pornografischer Bilder inhaftiert war. In die zweite Amtszeit von Otto Tschadek als Justizminister fielen Beratungen einer Reformkommission, die das Sexualstrafrecht reformieren sollte und auch empfahl, die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität zu beenden. In dieser saß ein anderer späterer SPÖ-Justizminister, Christian Broda, der in den 1950er-Jahren auch Anwalt von Erich Lifka war. Broda sollte schließlich 1971 in der Alleinregierung von Bruno Kreisky das sogenannte Totalverbot homosexueller Handlungen aus dem Strafrecht streichen, im selben Jahr als Josef Kohout seine Flossenbürg-Erinnerungen publizierte.

Literatur:

Heinz Heger: Die Männer mit dem rosa Winkel. Gifkendorf 1971
Hugo Walleitner: Zebra. Ein Tatsachenbericht aus dem Konzentrationslager Flossenbürg. Bad Ischl 1947
Andreas Sternweiler: „… er hat sich zeichnend am Leben erhalten“. Der Künstler Richard Grune. In: Joachim Müller/Andreas Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Berlin 2000, S. 190-206
Manuela Bauer, Hannes Sulzenbacher: „Mein Name ist Erich Lifka. In Moskau kennt man mich.“ In: Invertito Nr. 15, 2013, S. 169-196
 

Andreas Brunner, Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik, daneben auch als Möbelrestaurator, Filmproduzent, Kellner, Koch, Buchhändler oder Literaturagent tätig. Seit Ende der 1980er-Jahre in der Wiener Schwulen- und Lesbenbewegung engagiert, in der Rosa Lila Villa, Mitarbeiter der ersten schwulen Buchhandlung „Löwenherz“, Gründung der Regenbogen Parade, Ko-Kurator der Ausstellung „geheimsache:leben. schwule und lesben im wien des 20. Jahrhunderts“ (2005) und von „Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam“ (2016), Ko-Leiter von QWIEN - Zentrum für queere Geschichte, Forschungen und Publikationen zur schwul/lesbischen Stadtgeschichte, Entwicklung schwul/lesbischer Stadtführungen, Aufbau eines Archivs für die Geschichte von LGBTI* in Wien.

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