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18.11.2020

Ilse Helbichs Wien der Zwischenkriegszeit – Teil 1

Eislaufplatz

Für das Buch „Vineta“ hat die Schriftstellerin Ilse Helbich Erinnerungen an ihre Kindheit in den 1920er und 1930er Jahren niedergeschrieben. Wir bringen daraus ausgewählte Texte in Kombination mit Bildmaterial aus unserer Sammlung, fallweise ergänzt um weiteres historisches Bildmaterial. Den Anfang macht „Eislaufplatz“.

Die schweigenden Frauen haben ihre Sonderbereiche jenseits der Welt ihrer Männer, die diese nur in bestimmten Stunden teilen dürfen.

Bei ihrer Mutter ist es nicht die Bridge-Jause, sondern der Eislaufplatz, und weil Bewegung in der frischen Luft gesund ist, müssen ihre beiden Kinder mit.

Es sind damals lange, harte Winter, die das Schlittschuhlaufen über Wochen und Monate möglich machen. Das sind Tage voll unterdrückter Erregung. Alles muss schnell-schnell gehen, das Essen, das Aufgabeschreiben, die Mutter will nichts als fort und unterdrückt mittags vor dem schweigsamen Vater nur mühsam ihre Ungeduld.

Endlich geht es im Eilschritt zum nahen Eislaufplatz, dessen scheppernde Musik ihnen von weitem entgegenschallt. Und jetzt zwischen den Obstbäumen die weiße Eisfläche, die Stufen hinunter in die alte Holzbaracke, die als Garderobe dient.

Es ist heiß hier drinnen, der schwere Eisenofen heizt tüchtig, in der Luft hängt der Geruch von nassen Kleidern.

Die Kinder haben echte Schlittschuhe, hohe, lederne, an denen die Kufen befestigt sind, nicht die abnehmbaren, mit denen sich die meisten der anderen Kinder plagen. Mit einem kleinen Schraubenschlüssel drehen die ihre rostigen Kufen an ihren hohen Schnürschuhen fest.

Und dann ist die Mutter schon weg, der Musik zu, es hilft nichts, sie stehen auf von der niederen Holzbank und stolpern die eisglatten Stufen hinauf und den hölzernen Steg entlang, sie kümmert sich nicht um den kleinen Bruder, der hinterher taumelt, schaut auch nicht nach, wie der aufs Eis kommt. Sie weiß, er macht hier eine jämmerliche Figur. Der Fünfjährige kann ja noch nicht einmal am Eis dahinschleifen und stolpert x-beinig am Rand dahin, wo er das Holzgeländer als Stütze benützen kann.

Runde um Runde. Sie überholt immer wieder den dahintorkelnden kleinen Bruder.

Jetzt kommen die Zwillinge, pausbäckige Teenager, die sie um ihre braunsamtenen Eislaufkleider beneidet und darum, dass sie mittanzen werden, die beiden drehen sich eng verschlungen wie eine Automatenfigur, nicht so losgelassen, wie ihre Mutter.

Schließlich wird ihr unerträglich kalt, der Wind ist auch stärker geworden und fährt ihr durch Wollrock und Strümpfe. Sie drückt sich am Bruder vorbei und schleift den Holzsteg entlang zurück in die warme Baracke und stellt sich ganz nahe zum Ofen, aber nach einer Zeit scheint der keine Wärme mehr zu spenden, obwohl er doch fast glüht, und da kommt schon die Mutter und holt sie zurück auf den Platz. Sie fährt also wieder im Kreis, irgendwann kommt der elegante Herr Berger und zieht sie hinter sich her und zeigt ihr das Bogenfahren, während sich die jetzt partnerlose Mutter um den kleinen Bruder kümmert.

Endlich dürfen sie heimgehen und bekommen heißen Tee am Küchentisch, und dann ist schon Abendessen, die Mutter bebt auch jetzt vor unterdrückter Ungeduld, denn nach dem Essen wird sich der Vater wie jeden Abend an seinen Schreibtisch setzen und die Mutter darf wieder auf den Eislaufplatz und tanzen.

Der Text stammt aus dem Buch „Vineta“ von Ilse Helbich, das 2013 im Literaturverlag Droschl erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Publikationsgenehmigung.

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Kommentare

Redaktion

Liebe Frau Menne, vielen Dank für Ihre positiven Rückmeldungen, vor allem auch zu dieser kleinen Reihe mit den Helbich-Texten (die ja in dieser Form für uns auch eine Premiere ist!). Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Menne Brigitte

Ich begrüße im neuen Newsletter die Info über die künftigen Einsatzgebiete Ihrer Mitarbeiter*innen, nunmehr Frau Laura Tomicek, der ich günstige, Ihren Talenten entgegenkommende Aktivitäten wünsche, wie auch, was mich beglückt, die Idee,
das Werk einer Literatin mit Ausstellungsstücken (Schlittschuhen etc.) zu kombinieren, weil beides zusammen sich wechselweise potenziert. Sehr schön ist das!