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Herwig Czech, 31.3.2020

Joseph II. und die Erste Wiener Medizinische Schule

„Vollständige medicinische Polizey“

In die Zeit Joseph II. fällt ein entscheidender Entwicklungsschub der staatlichen Gesundheitsversorgung. Die Planung des Allgemeinen Krankenhauses entsprach absolutistischen Ansprüchen und stellte zugleich die Weichen für die Verbindung von Klinikbetrieb und medizinischer Forschung.

„Das Allgemeine Krankenhaus ist umstrahlt von der Gloriole Joseph II., es ist eine Schöpfung des edlen Monarchen, der seinem Volke, wie es auf seinem Denkmal heißt, nicht lange, aber mit voller Hingabe lebte“: So euphorisch äußerte sich Max Neuburger, der Gründungsdirektor des Wiener Instituts für Medizingeschichte im Josephinum, im Jahr 1935 über Joseph II. und die unter seiner Regierung verwirklichten medizinischen Reformen und Vorhaben. Diese Verherrlichung könnte auch mit dem historischen Hintergrund zu tun gehabt haben: Angesichts der politischen Verhältnisse des Jahres 1935 mag Neuburger, der wenige Jahre später als Jude ins Exil getrieben werden sollte, ein der Aufklärung und Vernunft verpflichteter Despot geradezu als Verheißung erschienen sein.

Die neuere Historiographie ist da meist weniger respektvoll. Oft wird Joseph II. als „gescheiterter Reformer“ gesehen, der Oxforder Historiker Robert John Weston Evans bezeichnete den Monarchen als „noblen, aber letztlich unausstehlichen Antihelden“. Der Kaiser und sein Wirken polarisieren offenbar bis in die Gegenwart. Die Kontroversen beziehen sich dabei nicht nur auf seine Person, sondern auch auf den historischen Begriff des Josephinismus als einer österreichischen Variante des Aufgeklärten Absolutismus. Doch worin liegt die Affinität zwischen dem Josephinismus und der Medizin begründet? Der Josephinische Reformabsolutismus war in erster Linie ein Projekt zum Aufbau eines einheitlich und zentral gelenkten Staates, der über die entsprechenden Machtmittel zur Durchsetzung seiner Interessen nach innen und nach außen verfügt. Dazu gehörte die Zurückdrängung des Einflusses der alten feudalen Ordnung – von Sonderrechten und autonomen Einflussbereichen des Adels, der Städte und Territorien und natürlich der Kirche. Im Bezug auf die Wissenschaft einschließlich der Medizin sind in diesem Zusammenhang auch die Universitäten zu nennen, die im Zuge entsprechender Reformen bereits unter Maria Theresia praktisch verstaatlicht wurden.

Ein wichtiger Aspekt der neuen Gestalt des Staates ist ein neues, unmittelbares Verhältnis zwischen dem Souverän und seinen Untertanen, die sich schrittweise als Staatsbürger bzw. in ihrer Gesamtheit als Bevölkerung eines zunehmend territorial integrierten Staates konstituieren, dessen wichtigste Machtbasis sie dann auch bilden. Michel Foucault hat diese Entwicklung als das Erreichen der biopolitischen Modernitätsschwelle bezeichnet und damit den Beginn einer Epoche in der europäischen Geschichte definiert, die wir immer noch als die unsere wiedererkennen können. Das Charakteristische daran ist, dass sich die Funktion der Souveränität nun dadurch definiert und legitimiert, dass sie die biologische Existenz der Menschen, die Förderung von Gesundheit und körperlichem Wohlergehen der Bevölkerung, zum eigentlichen Gegenstand des Politischen macht.

Dieser Vorgang lässt sich beispielhaft illustrieren an Johann Peter Franks monumentalem Werk „System einer vollständigen medicinischen Polizey“, dessen Publikation in sechs Bänden nicht weniger als 40 Jahre in Anspruch nahm, von 1779 bis 1819. Darin unternimmt der Autor den Versuch, jeden Aspekt der menschlichen Existenz unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Gesundheit zu betrachten; er wird damit nicht nur zu einem der Begründer der Hygiene als wissenschaftlicher Disziplin, sondern er liefert auch die Grundlagen für ein flächendeckendes, integriertes System des öffentlichen Gesundheitswesens. 

Frank wurde 1785 Professor an der Medizinischen Klinik in Pavia und Generaldirektor des Medizinalwesens in der österreichischen Lombardei. Mit seiner Berufung 1795 an die Spitze des Wiener Allgemeinen Krankenhauses konnte er seine Anschauungen dann in dessen Reformierung in die Praxis umsetzen.

Die Grundlagen für die Erste Wiener Medizinische Schule wurden bekanntlich bereits 40 Jahre zuvor durch Maria Theresia geschaffen, und zwar 1745 durch die Berufung von Gerard van Swieten als ihren Leibarzt.  1754 wurde dessen Mitschüler und späterer Nachfolger als kaiserlicher Leibarzt Anton de Haen als Professor der Medizinischen Klinik im Wiener Bürgerspital zu einem wichtigen Wegbereiter von neuen Prinzipien wie dem Unterricht am Krankenbett und der Verbindung von Klinikbetrieb und Forschung, die dann später auch im Allgemeinen Krankenhaus umgesetzt wurden. 

Die Debatten rund um die Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses thematisieren teilweise sehr deutlich das involvierte staatliche Interesse. Ein Beispiel dafür ist Johann Peter Xaver Fauken, der eines der letztlich nicht verwirklichten Konzepte für das AKH verfasst und publiziert hat. Gleich zu Beginn seiner Schrift hält er fest: „Der Nutzen eines solchen Krankenhauses für den Staat ist allzu offenbar, als daß ein aufgeklärter Mensch selben auch nur in Zweifel ziehen könnte.“ Daran lässt sich eine Idee erkennen, die hegemonialen Status erreicht hat: Sie erscheint als selbstevident und bedarf keiner weiteren Begründung. Wer sie anzweifelt, riskiert den Ausschluss aus dem Diskurs der aufgeklärten Zeitgenossen. 

Das heißt natürlich nicht, dass auf dem Weg zur Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses nicht eine ganze Reihe von Streitfragen auftauchte. Trotz des selbstbewussten Einstiegs sah Fauken durchaus die Notwendigkeit, Argumente für die von ihm favorisierte zentralisierte Krankenhausversorgung vorzubringen. Er nannte in diesem Zusammenhang Kostenersparnisse bei der Verwaltung, eine erleichterte Verpflegung und Versorgung der Kranken, sowie als Vorteil für die medizinische Ausbildung und Forschung die Möglichkeit, unterschiedlichste Krankheitsbilder an einem Ort zu studieren.

Fauken erwähnte aber auch den gravierendsten Nachteil einer derartigen Konzentration von kranken Menschen, nämlich die Verbreitung übertragbarer Krankheiten – das gefürchtete Spitalfieber. Als abschreckendes Beispiel nannte er das Hôtel-Dieu in Paris, damals die größte derartige Einrichtung in Europa. Letztlich war das Wiener Allgemeine Krankenhaus in wesentlichen Punkten bewusst als Antwort auf die dortigen Verhältnisse konzipiert, die Joseph II. auf seiner Paris-Reise persönlich erlebt hatte. Diese Abgrenzung sieht man in der Unterbringung der Kranken im AKH – es wurde betont, dass jede Person ein eigenes Bett bekommen sollte – sowie in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, die minuziös geregelt war, oder auch in der Zufuhr von Frischluft, die als wirksamstes Gegenmittel gegen die Verbreitung todbringender Dämpfe galt.

Behandlung statt nur Versorgung

Ein entscheidendes Element bei der Gründung des AKH war auch die Herauslösung der Krankenversorgung aus der Armenfürsorge, die erst den Weg zur Entwicklung eines Krankenhauses im heutigen Verständnis eröffnete. Die Trennung in unterschiedliche Stationen je nach Krankheiten, die Betonung der medizinischen Behandlung gegenüber der bloßen Versorgung sowie der Stellenwert der Ausbildung im Rahmen der medizinischen Klinik stellten weitere Neuerungen dar.

Bei den Planungen für das Allgemeine Krankenhaus setzte Joseph II. von Anfang an feste Grenzen: Ein völliger Neubau kam aus Kostengründen nicht infrage, daher sollte das bestehende Großarmenhaus entsprechend umgebaut und erweitert werden. Die baulichen Veränderungen bestanden vor allem in der Adaptierung der Innenräume, Veränderungen an den Fassaden sowie in zwei Neubauten, dem Garnisonsspital und dem „Narrenturm“.

Bei aller persönlichen Großzügigkeit, mit der Joseph das Projekt vorantrieb, war die Sparsamkeit vor allem bei der baulichen Umsetzung ein bestimmendes Prinzip; die Gründung des Allgemeinen Krankenhauses beruhte daher zumindest teilweise auf einer Zusammenfassung und Zentralisierung bestehender Einrichtungen; und dessen Etablierung in der Anlage des Großarmenhauses bedeutete auch eine Verdrängung der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner, was weitere Veränderungen in der institutionellen Struktur der Armenversorgung in Wien nach sich zog. 

Herwig Czech, Studium der Geschichte an den Universitäten Graz, Wien, Paris VII und Duke (North Carolina). Assistent für Geschichte der Medizin an der MedUni Wien (Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin – Josephinum); Ko-Projektleiter des von der Max-Planck-Gesellschaft finanzierten Forschungsprojekts „Hirnforschung an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext nationalsozialistischer Unrechtstaten“. Zahlreiche Publikationen zum Thema Biopolitik, Medizin und Nationalsozialismus, unter anderem über den Wiener Kinderarzt und Erstbeschreiber des Autismus Hans Asperger.

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Kommentare

Bosch Liane

Guten Tag,
vielen Dank für den wunderbaren, so interessanten Beitrag. Besonders gerne sehe ich mir das farbige Gemälde des alten AKH an. (Links der Linienwall und im Hintergrund der Leopoldsberg) Gerade überlege ich mir, in welches Gebäude des AKH man Beethovens Neffen , Karl, nach seinem Selbstmordversuch im Juli 1826 wohl gebracht haben könnte...
Mit freundlichen Grüßen
Liane Bosch