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Lena Mittermayr, 5.9.2024

Journalistinnen des 19. Jahrhunderts

„Frauen der Feder”

Weibliche Emanzipation im 19. Jahrhundert konnte sich in sehr unterschiedlichen Lebenswelten abspielen. Bestimmte Berufsfelder standen etwa bürgerlichen Frauen offen, in anderen mussten sie sich „verstecken“, um toleriert zu werden – so auch im Bereich des Journalismus.

Arbeiten oder nicht? Das war oft keine freie Entscheidung für Frauen, wie Johanna Gehmacher weiß, die als Historikerin die Frauen- und Geschlechterverhältnisse akribisch erforscht hat. „Viele Frauen mussten ihre Familie bereits in der Kindheit unterstützen, um das eigene Überleben zu sichern.” Ein großer Teil der Bevölkerung sei zu dieser Zeit noch in der Landwirtschaft tätig gewesen: „Dort wurde die Berufstätigkeit von Frauen gar nicht infrage gestellt, da sie existenziell notwendig für sie und ihre Familien war." Aber auch die Frauen der Arbeiterschaft waren in Industriebetrieben, in der Heimarbeit, aber auch auf Baustellen berufstätig. Für diese Arbeit erhielten sie geringere Löhne als die Männer, trotzdem stieß ihre Beteiligung an der Arbeiterbewegung lange auf Widerstand. Dies war ein Spiegelbild der breiteren sozialen Ungleichheiten und der Marginalisierung von Frauen in der industriellen Gesellschaft.

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Das bürgerliche Weiblichkeitsideal

Zum anderen entwickelte sich im späten 18. Jahrhundert eine bürgerliche Weiblichkeitsideologie, die der Abgrenzung vom Adel diente. Gehmacher weist darauf hin, wie unterschiedlich der Alltag von Frauen tatsächlich aussehen konnte. Denn Adel und Bürgertum hatten eine völlig konträre Vorstellungen davon, wie man die eigene Zeit gestalten sollte. Während harte Arbeit im Adel verpönt war, stellte die aufstrebende bürgerliche Klasse dem einen hohen Arbeitsethos entgegen. Nach dem Motto „wer etwas wert ist, der soll arbeiten und sich dadurch selbst verwirklichen", so Gehmacher. 

Diese Arbeitshaltung galt insbesondere für Männer, denn im Bürgertum sah man die außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen als rufschädigend für die gesamte Familie. Deshalb wurden Frauen, die für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die Zustimmung ihrer Ehemänner oder Väter brauchten, in den meisten Bildungsberufen gar nicht eingestellt.

Nun stellt sich die Frage, warum bürgerliche Frauen dennoch den Wunsch hegen, selbst erwerbstätig zu werden? Dazu muss man laut Gehmacher die wirtschaftlichen Dynamiken in der Zeit der Industrialisierung in den Blick nehmen. Aufgrund wiederkehrender ökonomischer Krisen gab es, so Gehmacher, „eine Vielzahl von bürgerlichen Töchtern, deren Familien durch wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht über genügend Geld verfügten, um ihre Töchter existenzsichernd zu verheiraten.” Durch die Aufnahme von Berufstätigkeit – etwa als Lehrerinnen – hofften diese Frauen ihr Überleben zu sichern.

Eine Erwerbstätigkeit ließ sich für bürgerliche Frauen im späten 19.Jahrhundert allerdings nur schwer rechtfertigen: Ehefrau, Mutter, Hausfrau – Häuslichkeit, Fleiß und Geduld – das war der Dreiklang des weiblichen Frauenideals. Die Historikerin Margret Friedrich führt in ihrem Text „Die ‚Frauenfrage’. Weibliche Bildung und Erwerbsarbeit” den Begriff „geistige Mütterlichkeit” ein. Darunter versteht man ein Konzept, das sich auf eine besondere Form der weiblichen Fürsorge bezieht, die über die traditionelle Mutterschaft hinausgeht. Diese geistige Mütterlichkeit war ein Schlüsselbegriff in der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten für Frauen. „Anstatt das bürgerliche Weiblichkeitsideal frontal anzugreifen, suchten sie [die Frauen] nach Schlupflöchern und fütterten in diesen Begriff geistige Mütterlichkeit so viel wie möglich hinein”, erklärt Gehmacher. So entstanden die typischen „Frauenberufe”, wie sie auch heute noch existieren. Krankenschwester, Volksschullehrerin, Sekretärin – all diese Berufe haben eines gemeinsam: Hinter der Tätigkeit verbirgt sich ein kümmernder, erzieherischer und moralischer Aspekt, eben die geistige Mütterlichkeit. 

Journalistinnen undercover

Einer dieser Berufe, den Frauen hinter dem Vorwand der geistigen Mütterlichkeit ergriffen, war jener der Journalistin. Dieser Beruf fiel deshalb in die Sphäre der geistigen Mütterlichkeit, da er Frauen eine Plattform bot, um erzieherische und bildende Thesen verbreiten zu können. Allerdings stießen sie mit ihren teils gesellschaftskritischen und progressiven Ansichten oft auf Widerstand in der männlich dominierten Medienlandschaft.

2.047 aktiv schreibende Frauen konnte die Bibliografin Sophie Pataky bereits im Jahr 1898 in ihrem Lexikon „Frauen der Feder” nachweisen, davon seien über die Hälfte, nämlich 1.133 Frauen, nicht nur schriftstellerisch tätig gewesen, sondern hätten auch Periodika bedient und würden folglich als Journalistinnen gelten. Dieses Werk der österreichischen Bibliographin ist wie eine Oase inmitten einer Wüste von mangelnder Forschungs-, Literatur- und Quellengrundlagen von Frauen im Journalismus des 19. Jahrhunderts. Die Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Kinnebrock spricht in diesem Zusammenhang von einem wahren Glücksfall. Auf rund 1.100 Seiten listet Pataky die Werke deutschsprachiger Autorinnen seit 1840 auf und dokumentiert auch deren Biografie.

72 zweispaltig bedruckte Seiten in „Frauen der Feder” dienen der Auflistung von Pseudonymen und Kürzeln, die schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert nutzten. Berücksichtigt man das weiter oben ausgeführte bürgerliche Weiblichkeitsideal des späten 19. Jahrhunderts, so ist es kein Wunder, dass Frauen ihre journalistische Erwerbstätigkeit häufig versteckten. Damals führte die, wie Kinnebrock sie nennt, weibliche „Arbeitsscham” dazu, dass die Journalistinnen ihre Erwerbstätigkeit geheim hielten. Daher wissen wir heute nur mehr wenig über die Motive, Bedingungen und Beweggründe von Frauen, die sich für eine Tätigkeit in der „Tagschriftstellerei” entschieden. 

Alias Betty Paoli

Eine dieser Frauen, die unter einem Pseudonym veröffentlichte, war Betty Glück (mit vollem Namen Barbara Elisabeth Anna Glück) alias Betty Paoli. Die „erste und zugleich bedeutendste Feuilletonistin Wiens”, so die Germanistin Karin Wozonig, machte sich mit ihren Rezensionen und Kritiken von Büchern, Theaterstücken und Kunst einen Namen in der Wiener Gesellschaft. Ihre teilweise sehr kritischen und harschen Bewertungen erschienen unter anderem in renommierten Zeitungen, wie der „Neuen Freien Presse” oder dem „Wiener Lloyd”. Diese journalistische Tätigkeit in Ressorts wie dem Feuilleton oder der Kunstsparte wurde von der Gesellschaft gebilligt, da sie für Frauen vorgesehen war. Wagten sie sich aber an aktuelle und politische Themen, so waren sie als „Emanzipierte” gebrandmarkt und wurden von der Gesellschaft mundtot gemacht – immerhin galt nach wie vor das Schreib- und Redeverbot von Frauen an öffentlichen Orten. Paoli wird nachgesagt, ihrer journalistischen Tätigkeit primär aus einer finanziellen Notlage heraus nachgegangen zu sein. Ihre Eltern verstarben beide früh und sie musste sich bereits im Alter von 16 Jahren ihren Lebensunterhalt verdienen. Paoli soll sich selbst mehr als Schriftstellerin denn als Journalistin gesehen haben. Allerdings ist die Grenze zwischen Schriftstellerei und Journalismus bis 1850 sehr schwammig. In ihren Schriften forderte Paoli unter anderem, dass sich Frauen ihre Ehepartner selbst aussuchen dürfen, und wetterte gegen so genannte Zweckehen. 

Paoli ist ein Paradebeispiel für eine Frau, die mit dem bürgerlichen Weiblichkeitsideal arbeitete, anstatt dagegen. Sie erkannte die Ideologie eines weiblichen Charakters an, dennoch forderte sie unermüdlich nach politischen Freiheiten für Frauen. Ihre progressiven Texte wurden in der „Neuen Freien Presse” oftmals auf der ersten Seite des Feuilletons veröffentlicht, was sie zu einer Revolutionärin machte. 

Fakt versus Fiktion

Tatsächlich sei der Forschungsgegenstand „Schreibende Frauen im 19. Jahrhundert” laut Kinnebrock seit den 1980ern stark gewachsen und ist mittlerweile umfangreich und ausgiebig recherchiert. Jedoch läge der Fokus bei diesen Forschungen vorwiegend auf der literarischen Arbeit von Frauen, nicht aber auf ihrer journalistischen. 

Warum dies so ist, darüber lassen sich aus heutiger Perspektive nur Vermutungen anstellen. Zum einen werden in der Forschung journalistische Arbeiten allgemein als weniger wertvoll betrachtet als literarische, weshalb sich die Aufmerksamkeit nicht gleichmäßig auf Literatinnen und Journalistinnen verteilt. Analog dazu sind auch kaum Männer bekannt, die ausschließlich journalistisch tätig waren. Zum anderen prahlten Frauen nicht gerade mit ihrer journalistischen Tätigkeit. Denn das bürgerliche Weiblichkeitsideal verweist Frauen in den familiären Raum. Diesen sollten sie pflegen und betreuen. Während die Privatsphäre also weiblich konnotiert ist, ist die Öffentlichkeit ganz klar den Männern zugeschrieben.

So lässt sich möglicherweise erklären, warum Frauen die fiktive Schriftstellerei „bevorzugten”. Sie war einfacher zu argumentieren, als eine außerhäusliche, öffentliche, ja vielleicht sogar politische Schrift. Allerdings, so Kinnebrock, wären in Buchform ebenso Stellungnahmen zur aktuellen Politik und Gesellschaftsentwicklung erschienen, wie in periodisch erscheinenden Medien, Zeitschriften und Zeitungen.

Kinnebrock versucht in ihrer Arbeit, anhand des umfangreichen Lexikons von Sophie Pataky herauszufinden, welche Frauen nun wirklich journalistische Texte publizierten. Auffallend ist ein verhältnismäßig hohes Durchschnittsalter – im Jahr 1898 war eine durchschnittliche deutschsprachige Journalistin 47 Jahre alt. Dies lässt sich unter anderem damit erklären, dass nach einer Hochzeit zunächst einmal nicht das Publizieren auf der Agenda einer frisch verheirateten Frau stand, sondern die Kindererziehung und der Haushalt. Knapp die Hälfte aller 1.133 Frauen, die in Patakys Werk als Journalistinnen bezeichnet werden, waren verheiratet. 

Der beschränkte Zugang von Frauen zum Bildungswesen schlägt sich auch auf die Statistik nieder: Gerade einmal ein Prozent der Journalistinnen, die Plataky in ihrem Lexikon erfasste, hatten eine Gymnasialbildung erfahren. Sieht man sich die Genres an, in denen Frauen publizierten, so erkennt man weiterhin eine Tendenz zu den sogenannten „fiktional-literarischen” Genres, also Lyrik, Erzählungen usw. Dennoch schreibt auch mehr als ein Drittel Sachbeiträge. Diese veröffentlichten Frauen aber keineswegs ausschließlich – wie oft angenommen wird – nur in Frauenzeitschriften. Kinnebrock weist nach, dass tatsächlich nur 13 Prozent der Journalistinnen in allgemeinen Frauenzeitschriften ihren Arbeitsschwerpunkt hatten. Mehrheitlich schrieben sie für Zeitschriften, die geschlechtsunabhängig waren – dazu zählen politische Zeitschriften, Illustrierte, Kulturzeitschriften usw. 

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Von Damals ins Jetzt

Während im Journalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Frauen oftmals um ihre Positionen kämpfen oder sich hinter Pseudonymen verstecken mussten, sind sie in der heutigen Zeit immer stärker in der Medienbranche vertreten. Die „Pionierinnen der Presse” legten den Grundstein dafür, dass heute viele kompetente und einflussreiche Journalistinnen – von Ambra Schuster bis zu Nina Horaczek – wichtige Beiträge zur Demokratie und zur öffentlichen Repräsentation von Frauen leisten können. Doch genau wie damals haben auch die Journalistinnen der Gegenwart mit Barrieren und Vorurteilen zu kämpfen. Rund 69 Prozent der Journalismus-Absolvent:innen in Österreich sind Frauen, doch der Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt nur bei knapp 20 Prozent. 

Aus diesem Grund findet seit 1998 der österreichische Journalistinnenkongress statt, wo sich jährlich Medienexpertinnen, Frauen aus der Kommunikationsbranche und Journalistinnen treffen. Diese Veranstaltung ist von großer Bedeutung, sie fördert den Austausch von Wissen, fördert feministische Perspektiven in der journalistischen Praxis und trägt zu einer geschlechtergerechten Medienlandschaft in Österreich bei.

Literatur:

Katharina Feest: Konstruktion von Weiblichkeit im Werk von Betty Paoli anhand ausgewählter Gedichte, Novllen und Artikel. Masterarbeit, Karl Franzens Universität Graz, 2015, https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/848002/full.pdf

Margret Friedrich: Die „Frauenfrage". Weibliche Bildung und Erwerbsarbeit, in: Kos, Wolfgang; Gleis, Ralph: Experiment Metropole 1873: Wien und die Weltausstellung. Wien: Czernin, 2014, S. 222-229.

Susanne Kinnebrock: Frauen und Männer im Journalismus. Eine historische Betrachtung, in: Thiele, Martina: Konkurrenz der Wirklichkeiten – Wilfried Scharf zum 60. Geburtstag. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 101-132. DOI: 10.25969/mediarep/12231

Interview mit Johanna Gehmacher 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben. In diesem Fall war es ein BH der Marke „Lada“ im Kapitel zu Wien um 1900.

Lena Mittermayr studiert Journalismus und PR an der FH JOANNEUM in Graz. Sie betätigt sich sportlich beim Hockey und Laufen und setzt sich für feministische Agenden und Gleichberechtigung ein.

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