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Friedrich Pfäfflin, 23.4.2024

Karl Kraus und Georg Jahoda

Drucker, Verleger, „Mitschöpfer“

Mit seiner Zeitschrift ´Die Fackel` hat Karl Kraus jahrzehntelang die österreichische Geschichte und Kultur maßgeblich geprägt. Doch nicht im Alleingang: Seinem Drucker und Verleger Georg Jahoda kam dabei eine tragende Rolle zu. Anlässlich des 150. Geburtstags von Kraus: Ein Auszug aus einem neuen Buch über den Schriftsteller und seinen Mitstreiter.

Karl Kraus hatte eine kleine, schwer lesbare Handschrift. Sie wirkt wie eine Geheimschrift. Ihr Haushalt graphischer Formen war oekonomisch. Die Endsilben der Substantiva verlaufen sich häufig in Kürzeln, die nur durch den Abstand der Ober- oder Unterlängen benachbarter Buchstaben „entziffert“ werden können. So fragt ihn im März 1912 Karl Spenn, der Faktor der Setzerei in der Wiener Druckerei Jahoda & Siegel, ob er ihm erlaube, dass er abends seine Manuskripte mit nach Hause nehme, um sie abzuschreiben? Dann könne er am Morgen mehrere Schriftsetzer gleichzeitig am Neusatz beteiligen – auch an der Ausführung der etwa 15 folgenden Korrekturgänge. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht überliefert. Aber vermutlich wurde dieses Ansinnen abgelehnt.

Solchen Schwierigkeiten waren alle handschriftlichen Manuskripte ausgeliefert, die von Hand im Bleisatz oder mit der Maschine gesetzt, korrigiert, erweitert und revidiert, endlich imprimiert und im Buchdruckverfahren vervielfältigt worden sind. Von den damit verbundenen, tagtäglichen Gefährdungen seiner Texte handeln Briefe, Postkarten, Zettel und Telegramme, mit denen sich Karl Kraus in den Jahren 1901 bis 1926 an seinen Drucker, Georg Jahoda, wendet. Hunderte solcher Blättchen, die Kraus’ Manuskripte ankündigen, begleiten, Geliefertes zur raschen Erledigung auffordern oder zur Revision zurückrufen, haben sich in den Sammlungen von Innsbruck, Marbach und Wien erhalten. Manche Vorgänge wären in geringen Varianten dutzendfach zu belegen.

Martin Jahoda [Wien 13.12.1903 – New York 18.7.1990], der Sohn und Nachfolger von Georg Jahoda [Wien 28.11.1863 – ebd. 24.11.1926], übernimmt die Aufgabe seines Vaters in den Jahren 1926 bis 1936. Die Geschäfte der Jahodas für Karl Kraus mit der Berufsbezeichnung „Drucker“ zu bezeichnen, entspräche zwar gängiger Praxis. Aber die Druckerei Jahoda & Siegel, die von Oktober 1901 bis Februar 1936 ´Die Fackel` und die Mehrzahl der über fünf Dutzend und Schriften von Karl Kraus – und anfangs auch vieler Mitarbeiter und Freunde – gesetzt, korrigiert und gedruckt hat, ist in einem weiteren Sinne auch Kraus’ Verleger, ja mehr als das. Georg Jahoda ist sein Sekretär. Jahoda ist der Beschaffer von Quellen. Jahoda handelt für Kraus als Geldverwalter. Er ist die Versandabteilung für Frei- und Presseexemplare. Er überweist Autorenhonorare. Er wehrt Besucher ab und antwortet als „´Die Fackel`“ auf Zuschriften. Jahoda übernimmt Telefonanrufe, ist Kraus’ Reisemarschall und betreibt mit Aufwand und Akribie die tägliche postalische oder telegraphische Verbindung zwischen dem Herausgeber der ´Fackel` und seinem „Verleger“, wenn Karl Kraus auf Reisen ist. Georg Jahoda wird sein erster Mitstreiter; er ist der „Mitschöpfer“ seines Werks.

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Von Wien und Österreich ins Deutsche Reich Karl Kraus war ein erfolgreicher Autor, von Anfang an. Große Aufmerksamkeit gilt dabei früh schon der Frage, wie der Wiener ´Fackel` und der Buchproduktion vor allem im Deutschen Reich eine größere Öffentlichkeit verschafft werden könne. Karl Kraus war der Sohn eines durch seine „Genialitaet und kaufmaennische Tuechtigkeit“ [Lensing, Brief, S. 6] gerühmten Unternehmers in der Papierherstellung, der Papierverarbeitung mit weitreichendem Exklusivvertrieb für die Farbe Ultramarin, der es wie andere auch vom provinziellen Jičin in Nordostböhmen nach Wien geschafft hatte. Auch eine Druckerei der Firma Jacob Kraus, vermutlich zum Bedrucken grober Papiersäcke, soll im XX. Wiener Bezirk, der Brigittenau existiert haben [Lensing, Brief S. 42]. Niederlassungen der väterlichen Firma bestanden in Prag, Franzensthal im Böhmerwald, Karbitz bei Aussig, Leitmeritz am Zusammenfluss von Eger und Elbe, in Weitenegg bei Melk und im niederösterreichischen Neunkirchen.

Jahoda & Siegel wird der „Verlag ´Die Fackel`, Wien, Leipzig“

Es kann also nicht verwundern, dass der jüngste Sohn des Unternehmers Jacob Kraus [Unterkralowiz/Böhmen 4.9.1833 – Wien 5.4.1900] und der Bruder von vier erfolgreichen Kaufleuten Kraft und Neigung verspürt hat, es mit seiner Zeitschrift dem Vater und seinen Brüdern, jedenfalls auf seinem Feld, gleichzutun. [Ein fünfter Bruder, Gustav, war bereits vor der Übersiedlung der Familie nach Wien als Kind in Jičin gestorben.] Karl Kraus unternimmt fünf Versuche zur verlegerischen Ausweitung des Vertriebs seiner Zeitschrift und des Verlags, von denen zwei nicht nur im finanziellen Fiasko enden, sondern vier mit für ihn unerträglichen Qualitätseinbußen, was die Zuverlässigkeit im Satz und beim Druck seiner Schriften angeht. 1921 gibt er endlich alle Versuchungen dieser Art auf: Jahoda & Siegel ist von nun an der „Verlag ´Die Fackel`, Wien, Leipzig“. In den zwanzig Jahren davor ist Jahoda & Siegel der Drucker, seit 1907 zusätzlich so etwas wie sein „Verlagsleiter“ oder Administrator, in redaktionellen Fragen zeitweilig unterstützt von Ludwig Ullmann [1887 bis 1959], Philipp Berger [1886 – Auschwitz, nach dem 23.1.1943], Paul Engelmann [1891-1965] und Leopold Liegler [1882-1949]. Immer wieder ist Jahoda in der Rolle des Drucker-Verlegers. Dieser Teilhaber der Druckerei ist der Hilfreiche, der stets zurücktritt, wenn Karl Kraus schönen Versprechungen nachgibt, um der ´Fackel` zu helfen.

Im Oktober 1919 streiten Karl Kraus und Georg Jahoda über „den ungünstigen Verkauf“ der ´Fackel`-Nummer 514-518. Es ist nicht von inhaltlichen Gründen die Rede, sondern von Vertriebsgebieten. Dieses Heft mit dem kurzen Gratulationsbrief des Präsidenten der Deutschösterreichischen Nationalversammlung, des Sozialdemokraten Adolf Seitz zum 20-jährigen Bestehen der ´Fackel`, enthält in seinem Hauptteil auf mehr als 60 Seiten unter dem Titel ´Gespenster` die Abrechnung mit der Rolle der Presse in Weltkriegs- und Nachkriegszeiten, ihrem Einfluss beim Auslösen des Krieges und ihrer Macht, diesen Zustand, etwa mit der Hilfe des Kriegspressequartiers, zu legitimieren.

Das Heft ist im Juni 1919 mit 13.500 Exemplaren gedruckt worden, wie vorausgehende Hefte auch. Kraus hält die Auflage für zu hoch. Jahoda setzt dagegen: Die Auflage sei festgelegt worden, weil „wir ja die Hoffnung hatten, dass zurzeit des Erscheinens nicht nur die jugoslavische sondern auch die ungarische Grenze dem Zeitschriftenverkehr wieder geöffnet sein wird“.

Die ´Fackel` ist keine Wiener Angelegenheit. Die ›Fackel‹ wird in Europa gelesen, diskutiert, abgelehnt, gepriesen. Sie wird in Czernowitz, Prag, Königsberg, Paris, Zürich, in Agram und Budapest abonniert und gelesen. Natürlich vor allem in Wien und in Berlin. Zumindest einen Abonnenten und Leser hat sie in dem Maler des Blauen Reiter, Albert Bloch, in Kansas im fernen Amerika. Aber zwei deutsche Niederlassungen in München und Berlin, 1908 bis 1911, sollten die Auseinandersetzung mit deutschen Themen und ihren Publizisten wirkungsvoller gestalten. [Von F 341/42 v. 27.1.1912 erscheint die Zeitschrift mit Angaben zusätzlich in deutscher, seit F 531-543 v. April 1920 bis F 595-600 v. Juli 1922 auch mit tschechischer Währung.]

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Der Autor und sein Drucker

Vor mehr als einem halben Jahrhundert hat Paul Schick in seiner schmalen, häufig nachgedruckten Monographie bei Rowohlt, ´Karl Kraus`, auf die gegenseitige Wertschätzung zwischen dem Autor  und seinem Drucker hingewiesen und eine Photographie dieses „treuen und verständnisvollen Helfers“ veröffentlicht [Karl Kraus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt 1965]. Regelmäßige Leser der ´Fackel` konnten Jahodas Namen in den Jahren zwischen 1916 und 1926 dort öfters finden, wenn Kraus das schöpferische Mitwirken an seinem Werk, seine dienende Sorge für die Vermeidung von des „Worts Verderben“ rühmte. Jahoda hat die Jahresringe ihrer Zusammenarbeit gezählt, und Karl Kraus dankt ihm dafür öffentlich. Jens Malte Fischer hat, wie Reinhard Merkel rühmt, „die umfassende, kohärente, kompetente und somit zur gültigen Referenz für jede künftige Befassung mit Kraus geeignete Darstellung des Lebens und Werks als eines Ganzen“ veröffentlicht [Arbitrium 2021; 39 (I), S. 105–110]. Bei Fischer wird Georg Jahoda in dem Kapitel ´Die Freunde, die Vertrauten, die Kreise, die Konnexionen` vorgestellt: Jahoda hat Kraus’ „Zeitschrift zwischen Oktober 1901 und Oktober 1926 leidenschaftlich mit nie versiegender Sorgfalt gedruckt, angetrieben von der die beiden Männer verbindenden Leidenschaft für das gedruckte Wort und durch sie alle immensen Anforderungen von Kraus […] ertragend und mittragend […].“ Dass ´Die Fackel` fast ohne Druckfehler erscheint, die stets nachgewiesen und korrigiert werden, muss „noch heute Staunen und Verblüffung hervorrufen“ [Jens Malte Fischer, Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020, S. 464f.].

 

(c) Wallstein Verlag

Hinweis

Dieser Text ist ein Auszug aus der Einleitung von Friedrich Pfäfflins Buch ´​Karl Kraus und Georg Jahoda. Der Satiriker und sein Drucker und Verleger`, das im Herbst 2023 im Wallstein Verlag erschienen ist (€ 43,20). Nach einer Einführung zur Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Kraus und Jahoda bietet der Hauptteil des Bandes eine Zusammenstellung von Briefen, Karten, Telegrammen und Zetteln, die von Pfäfflin kenntnisreich kommentiert werden. Die Wienbibliothek im Rathaus zeigt ab 26. April 2024 zum 150. Geburtstag eine Ausstellung mit dem Titel „Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben“. Die Familie des Satirikers Karl Kraus

Friedrich Pfäfflin, geb. 1935, hat nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Verlagsbuchhändler ein Vierteljahrhundert die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach geleitet. In den Jahren 1968 bis 1973 erschien der von ihm initiierte, von Heinrich Fischer herausgegebene Reprint der ´Fackel` von Karl Kraus in über 35.000 Exemplaren. Veröffentlichungen u. a.: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nádhern? von Borutin 1913-1936 (Hg., 2005); Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern (Hg., 2008); Das Werk der Photographin Charlotte Joel (Hg., 2019).

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