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Tanja Gausterer, 21.2.2023

Lotte Tobisch und Erhard Buschbeck

Zwölf Jahre Glück

Erhard Buschbeck (1889–1960) war unbestritten der zentrale Bezugsmensch von Lotte Tobisch, dessen Platz in ihren fast 60 weiteren Lebensjahren nach seinem Tod niemand einnehmen konnte. Anlässlich der Lotte Tobisch-Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus: Porträt ihrer Beziehung zu dem umtriebigen Schriftsteller, Kulturpublizisten und ‚guten Geist‘ des Burgtheaters.

Erhard Buschbeck wurde am 6. Jänner 1889 in Salzburg geboren, wo er von 1899 bis 1905 das Akademische Gymnasium besuchte und Mitschüler des zwei Jahre älteren Georg Trakl (1887–1914) war; seine Matura absolvierte er 1909 in Gmunden. Danach studierte der Literatur- und Kunstliebhaber bis 1914 Jus an der Universität Wien. Während des Studiums kam er in Kontakt mit dem 1908 von Studenten gegründeten Akademischen Verband für Literatur und Musik, der den avantgardistischen Strömungen der Zeit ein Forum bieten wollte. Buschbeck fungierte dort ab 1910 als Schriftführer, ab November 1911 als literarischer Leiter und ein Jahr später als Obmann. Mit Lesungen und Vorträgen etwa von Peter Altenberg, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Adolf Loos, Thomas Mann oder Jakob Wassermann bot der Akademische Verband ein sehr engagiertes Programm an.

Förderer Schönbergs

Zudem forcierte Buschbeck musikalische Veranstaltungen und engagierte sich insbesondere für das Werk Arnold Schönbergs, der ab April 1912 mehrmals als Komponist, Dirigent und Vortragender bei Veranstaltungen des Verbandes gastierte. In die Musikgeschichte eingegangen ist das Große Orchester-Konzert am 31. März 1913 im Großen Musikvereinssaal. Auf dem Programm standen auf Schönbergs Wunsch neben eigenen Werken Kompositionen von Anton von Webern, Alban Berg, Alexander von Zemlinsky sowie Gustav Mahler.

Wie den Zeitungsberichten zu entnehmen ist, kam es bei der Aufführung bald zu Unmutsäußerungen, die sich allmählich steigerten und beim zweiten Orchesterlied Bergs zwischen konservativem und progressivem Lager eskalierten. Die angekündigten Kindertotenlieder sollen einen Besucher zum Ausruf „Mahler brauche diese Protektion nicht“ veranlasst haben, woraufhin der 24-jährige (als „Lausbub“ bezeichnete) Verbandsobmann nach vorherigen Beschwichtigungsversuchen losstürmte und den Protestierenden ohrfeigte. Die Meinungsverschiedenheiten führten schließlich nach dem zweiten Orchesterlied Bergs zum Abbruch. Enttäuscht schied Buschbeck nach diesem ‚Skandal- und Watschenkonzert‘ aus dem Verband aus, weil er dessen progressive Ausrichtung zurückgenommen sah.

Buschbeck sei der „vielleicht ‚Radikalste‘“ im Verband gewesen, „Avantgardist aus Neigung und Temperament, vielbelesen und diskutierfreudig, […] Philisterfeind und Kunstfanatiker“, resümierte der Journalist und Theaterkritiker Ludwig Ullmann über seinen Nachfolger als Obmann. Und Lotte Tobisch überlieferte als eine der letzten Lebensäußerungen Buschbecks: „Meine Herrschaften, meine Herrschaften, auf die Gesinnung kommt es an, nur auf die Gesinnung.“

Diese „Gesinnung“, die wohl vor allem Charakterfestigkeit und Entschiedenheit meint, behauptete Buschbeck auch als einer der wichtigsten Mentoren von Georg Trakl. Die Schulfreundschaft entstand über den gemeinsam besuchten Religionsunterricht. Buschbeck wurde durch das beidseitige Interesse an Dichtung einer der wenigen Vertrauten des menschenscheuen Dichters und machte sich auch um die Veröffentlichung seiner Texte verdient. Neben Trakl wurde die Verbindung mit dem österreichisch-deutschen Expressionisten Theodor Däubler (1876–1934) prägend, mit dem er von 1914 bis 1917 auf Reisen ging.

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Die „Burg“ wird seine Heimat

Nach dem Militärdienst kommt es zur entscheidenden Zäsur in Buschbecks Leben: Als Hermann Bahr (1863–1934) mit 1. September 1918 als Dramaturg an das Burgtheater berufen und Vorsitzender des kurzlebigen direktoralen Dreierkollegiums wurde, nahm er Erhard Buschbeck als eine Art Sekretär mit. Während Bahrs Intermezzo am Burgtheater nach wenigen Monaten endete, fand Buschbeck durch dieses erste Engagement seine zentrale Wirkungsstätte und durchlebte von 1918 bis 1960 insgesamt vierzehn Direktionen unter politisch wie zuweilen auch künstlerisch turbulenten Zeiten. Er fungierte als Dramaturg, als Chefdramaturg, als stellvertretender und von 8. März bis 15. Oktober 1948 auch als interimistischer Leiter (nachdem Raoul Aslan das Amt niedergelegt hatte) sowie als Leiter des künstlerischen Betriebsbüros. Für seine Verdienste wurde er 1949 zum Ehrenmitglied des Burgtheaters ernannt und war Träger des Ehrenrings der Kollegenschaft, der höchsten Auszeichnung des Ensembles. Seine Tätigkeiten an dieser Institution blieben dem Publikum weitgehend verborgen, die Fachwelt aber wusste über Buschbecks Meriten Bescheid.

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Lotte Tobisch begegnete Erhard Buschbeck vermutlich 1945, nachdem sie die ersten Rollen am Burgtheater angenommen hatte. Während sie mit neunzehn Jahren gerade ihre Karriere startete, stand Buschbeck bereits fast drei Jahrzehnte im Dienst des Theaters. Tobisch beschrieb ein „langsame[s] Kennenlernen im eiskalten Nachkriegswinter 1945/46 und während des darauffolgenden Frühlings und Sommers, bei gelegentlichen Spaziergängen im Wienerwald, die allmählich von regelmäßigen Sonntagsausflügen in die nähere und weitere Umgebung Wiens abgelöst wurden“. Sie ist stets diskret mit dieser Beziehung umgegangen. Zu Buschbecks Lebzeiten zog sie sich aus dem Burgtheater zurück, um seine Position nicht zu gefährden und Mauscheleien zu verhindern; nach seinem Tod stellte sie in allen Äußerungen unmissverständlich fest, dass der 37 Jahre Ältere die Liebe ihres Lebens war.

Die Zeit zwischen erster Begegnung und Annäherung von Lotte Tobisch und Erhard Buschbeck liegt weitgehend im Dunkeln. Spätestens im Frühjahr 1949 wurde aus der freundschaftlichen Verbundenheit eine Liebesbeziehung. „Dir, der Unverlierbaren!“, schrieb Buschbeck unter sein später „Letztes Geschenk“ betiteltes Sonett am 20. März 1949:
 

Der Schönheit Locken küssten zärtlich Deine Wange,
Da brach aus taubem Sehnen lind ein blühend Reis.
Die kühlen Hände hielt ich Dir am Tag oft lange:
Mein glühend Herz gab seine ganze Wärme preis.

Umschlungen traten wir aus Dämmerreichen,
Das innre Licht verzehrte jede Nichtigkeit –
Und Liebe schrieb die goldnen Zeichen
Ins Blau der Nacht für Ewigkeit.

Das Lied dringt jetzt zu Dir aus weiter Ferne.
Die Nacht der Nächte strafte grausam unser Zagen,
Die Trennung kam, damit das Glück die Demut lerne.
O wunder Sinn, lass von der Qual der Fragen:
Das Dunkel unsrer Brust erhellte jene Sterne
Und mildes Schneien fällt aus alten Tagen.

 

Ihr Tagebuch, das Lotte Tobisch während der Beziehung von 1949 bis 1959 führte, wenn sie „nicht sprechen konnte“, eröffnete sie am 21./22.11.1949 mit dem Eintrag: „Ich liebe Dich – unsagbar, ewig, ewig liebe ich Dich. – Größer als aller Schmerz, alles Leid und Weh ist unsere Liebe – größer auch als die Freuden und das Glück. Liebe ist das große ‚Alles‘[,] innerhalb dessen Leiden und Freuden kommen, sind, und gehen. – Nach den furchtbaren Stunden, Tagen der letzten Woche baute die Liebe, unsere Liebe, die unerschöpfliche Kraft unserer Liebe uns wieder die Brücke zueinander und wie nie zuvor sind wir verbunden – sind wir eins geworden; das einzige Große und Wunderbare: Liebe. – Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!“ Der nächste Eintrag folgte erst am 16. November 1950. Tobisch vermisste Buschbeck, der mit dem Burgtheater auf Tournee in Deutschland war, und erinnerte sich an die glückliche Zeit der vorangegangenen Monate: „Ein Sommer ist gewesen mit ihm, wie ohne ihn nie einer mehr kommen wird. Gastein! Welche Stunden verbrachten wir dort! Nie, nie könnte ich diese Wochen beschreiben – alle Sprachen der Welt könnten in Worten nichts wiedergeben von diesem wunderbar wirklich gewordenen Traum.“

Zu diesem Zeitpunkt wusste sie nicht, dass ihr Vater Karl Tobisch wenige Wochen davor, am 23. Oktober 1950, einen Brief an Buschbeck gesandt und in diesem Einwände gegen die ungewöhnliche Beziehung und Sorgen ob der vernachlässigten Schauspielkarriere seiner Tochter zum Ausdruck gebracht hatte. Buschbeck antwortete diplomatisch-souverän, zeigte Verständnis für die Bedenken des Vaters und verteidigte felsenstark die Liebe: „Ich werde Ihrer Tochter gegenüber stets nur in Liebe handeln, und immer das tun, was sie von mir wünscht. […] Glauben Sie mir: gedankenlos ist hier nichts geschehen und wird es auch nicht.“ Tobischs Tagebucheinträge aus jenen Jahren und wenige andere Zeugnisse bestätigen den Eindruck, dass das ungleiche Paar ein großes Lebensglück gefunden hatte. Die gemeinsamen Theaterfreunde Fred Hennings und Fritz Hochwälder kannten nur „zwei große Liebesgeschichten: Romeo und Julia und Erhard und Lotte“ bzw. überhaupt nur dieses „einzige wirkliche und echte Liebespaar“.

Für die glücklichen Jahre stehen insbesondere die gemeinsamen Urlaube. Ins Haus Abendruhe in Bad Gastein fuhr man regelmäßig zur Sommerfrische, ging wandern und traf immer wieder gemeinsame Freunde und Bekannte. Ein Lieblingsziel für gemeinsame Reisen war auch Italien, wie hinterlassene Fotos aus Venedig, Ravenna, Rimini, Rom, San Marino, Urbino, Perugia, Siena, Orvieto, Passo Abretano, Viterbo und Ostia zeigen. Auch der letzte grenzüberschreitende Urlaub war Italien vorbehalten.

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Etwa zehn Jahre lang hatte das gemeinsame Glück mehr oder weniger ungetrübt gewährt, als im Oktober 1959 bei Erhard Buschbeck ein bösartiges Geschwür am Kehlkopf diagnostiziert wurde. Tobisch notierte in ihr Tagebuch, das sie seit neun Jahren nicht mehr benutzt hatte: „Erhard hat Krebs. Vielleicht Wochen, Monate – höchstens aber ½ Jahr bleibt uns noch. Und ich will nichts denken[,] als an diese Zeit, die wir noch haben. – Diese Zeit soll die Krönung eines einmaligen Zusammenseins von 10 Jahren werden – für ihn vor allem und für mich. – Denn mit ihm verliere ich alles[,] was ich habe.“ Zu einem Teil dieser „Krönung“ wurde Anfang des Jahres 1960 eine gemeinsame Reise zu den antiken Tempeln in Paestum in der Provinz Salerno, von deren Eindrücklichkeit Buschbeck gehört hatte: „Am 14. Jänner ging vor unseren Augen der Vollmond über den Tempeln von Paestum auf. Es war ein Augenblick unbeschreiblicher Schönheit, der mich bis ins hohe Alter beglückt.“

Am 2. September 1960 starb Erhard Buschbeck in Wien. Sein Tod hinterließ bei Lotte Tobisch tiefe Spuren. Weggefährten des Paares würdigten in ihren Kondolenzschreiben nicht nur die Verdienste Buschbecks, sondern erkannten auch die tiefe Liebesbeziehung: „Dass Erhard dieses wunderbare seelische Gleichmass erwerben konnte[,] lag in seinem eigenen Charakter begründet. Dass er es aber auch in seinen alten Tagen behaupten und vertiefen konnte, das lag an Ihnen, das war Ihr unschätzbares Verdienst. Sie waren Jugend für ihn, zusätzlicher Quell der inneren Heiterkeit, die ihm zueigen war. Sie waren aber auch Gefährtin, Lenkerin, Betreuerin, Sie waren die Treue selbst im edelsten Sinn des Wortes“, schrieb der Journalist Jacques Hannak einen Tag nach Buschbecks Tod an die Freundin.

Lotte Tobisch nannte Buschbecks Tod später das „Ende meines Jugendtraums“. Tatsächlich hatte sie mit ihm – besonders unter damaligen Verhältnissen –  sozusagen die Blüte ihrer Jugendzeit verbracht. Sie war etwa 23 Jahre alt, als sie ein Paar wurden, und 34, als Buschbeck starb. Abgesehen vom privaten Glück lernte Lotte Tobisch auch sehr viel von ihrem Gefährten. Seine Erfahrung, sein Umfeld, seine Gelassenheit und Gewandtheit waren wichtige Impulse für ihr Leben.

Mit der Aufarbeitung des Verlustes gingen verschiedene Anstrengungen einher, Buschbecks Andenken zu wahren und sein Erbe auch in der Nachwelt präsent zu halten. Im Jänner 1961 gab es mehrere Versuche, ein Buchprojekt vorzubereiten, nämlich die „Herausgabe von Erhards Nachlass“, die Tobisch „wenn irgend möglich“ gerne selbst bewerkstelligen wollte. Als wichtigen Fürsprecher für diesen Plan konnte sie den Theaterkritiker Hans Weigel gewinnen, der den Salzburger Bergland Verlag für die Publikation interessierte. 1962 erschien mit Mimus Austriacus ein Querschnitt zu Erhard Buschbecks Wirken: einzelne Erzählungen und Gedichte, Erinnerungen an seine wichtigen Kontakte zu Georg Trakl, Theodor Däubler und Hermann Bahr, Abhandlungen und Reminiszenzen zum Theater und zu Theaterleuten sowie ausgewählte Korrespondenzstücke gaben einen guten Überblick über das literatur- und theateraffine Leben Buschbecks. Sich selbst hatte Tobisch bis auf ein schmales Nachwort herausgehalten. An dieser Zurücknahme des allzu Persönlichen hielt sie auch in ihrem Text Pylades und Mentor fest, den sie anlässlich des 75. Geburtstages von Buschbeck im Jänner 1964 an Freunde und Bekannte verschickte. Fünfzehn Jahre später, als das Burgtheater Erhard Buschbeck in den Pausenräumen eine Ausstellung zu dessen 90. Geburtstag widmete, griff sie diesen Text für die Begleitbroschüre noch einmal auf.

Obwohl Lotte Tobisch die Erinnerung an das Lebensglück mit Erhard Buschbeck bis ins hohe Alter hochhielt, war diese Gedächtnisausstellung 1979 ihre letzte große öffentliche Auseinandersetzung mit dem Geliebten. Als Resümee dieser Beziehung hielt sie allerdings noch vor ihrem 91. Geburtstag, als Buschbeck bereits 57 Jahre tot war, unmissverständlich fest: „Wer kann schon von sich behaupten, zwölf Jahre glücklich gewesen zu sein? Ich kann das!“

 

Dieser Text ist die stark gekürzte Version eines Beitrages aus dem Katalog zur Ausstellung „Wiener Salondame? Ein Albtraum!“ Lotte Tobisch – Charme, Engagement, Courage, die bis 31. März in der Wienbibliothek im Rathaus zu sehen ist. Auf Lotte Tobischs eigenen Wunsch hin gelangte 2019 ein Teil ihres schriftlichen Nachlasses als Schenkung an die Wienbibliothek im Rathaus, der nun ergänzt um Korrespondenzen, Lebensdokumente und Fotografien aus Privatbesitz im Rahmen der Ausstellung Licht auf bekannte und weniger bekannte Aspekte des Lebens dieser Grande Dame wirft.

In sieben Stationen mit knapp 300, oft erstmals gezeigten Exponaten sowie Audio- und Filmaufnahmen entsteht ein facettenreiches Porträt, das Tobischs vielfältigen Lebensweg von der Kindheit über ihre Schauspielkarriere, ihr privates und berufliches Netzwerk, ihre erfolgreiche Patronanz des Wiener Opernballs wie ihr langjähriges karitatives Engagement etwa als Präsidentin des Vereins Künstler helfen Künstlern nachzeichnet.

Die Begleitpublikation zur Ausstellung (Autorinnen: Tanja Gausterer, Kyra Waldner) ist im Residenz Verlag erschienen.

Tanja Gausterer, Studium der Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Handschriften, Musikalien und Nachlässe der Wienbibliothek im Rathaus. Mitherausgeberin der Reihe „Sichtungen. Archiv – Bibliothek – Literaturwissenschaft“, Ausstellungen und Publikationen u.a. zu österreichischen Literaturzeitschriften, dem Exil in England sowie zu Felix Salten. Kuratorin der Ausstellung „’Wiener Salondame? Ein Albtraum!‘ Lotte Tobisch. Charme – Engagement – Courage“ (gemeinsam mit Kyra Waldner) in der Wienbibliothek im Rathaus.

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