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Ludwig Wittgensteins Skulptur „Mädchenkopf“
„Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden!“
Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) zählt zu den größten Philosophen des 20. Jahrhunderts und zu den renommiertesten Wissenschaftlern österreichischer Herkunft überhaupt. Obwohl sich sein Wirkungsort ab den 1930er Jahren primär nach Cambridge verlagerte und Aufenthalte in Norwegen und Irland einschloss, blieb er fest in der österreichischen Kultur verwurzelt.
Außer seinen philosophischen Werken hinterließ Ludwig Wittgenstein zwei Kunstwerke: das von 1925 bis 1928 für seine Schwester Margarethe (Margaret) Stonborough-Wittgenstein errichtete Haus im 3. Wiener Gemeindebezirk, das als „Stein gewordene Philosophie“ bezeichnet wird, und eine lebensgroße „Mädchenbüste“ aus gebranntem Ton.
Die Mädchenbüste ist das einzige bildhauerische Werk Wittgensteins und das einzige nennenswerte Kunstwerk, das je von einem Philosophen von Weltrang geschaffen wurde. Sie entstand zwischen 1925 und 1927 nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk des akademischen Bildhauers Michael Drobil (1877 – 1958), den Wittgenstein während seiner Kriegsgefangenschaft in Monte Cassino 1919 kennen gelernt hatte und dem er in den Folgejahren regelmäßig Atelierbesuche abstattete.
Die außergewöhnliche Freundschaft hatte zahlreiche „formalästhetische“ Debatten zur Folge, die den Philosophen schließlich veranlassten, selbst künstlerisch tätig zu werden – als „Glätter“ und „Klärer“, wie er es bezeichnete.
Die Tonplastik zeigt das Bildnis eines halbwüchsigen Mädchens mit nach rechts gedrehtem, leicht nach unten geneigtem Kopf und zeittypischer Frisur. Die betont schlichte Ausführung des Kopfes greift die geometrische Form einer Kugel auf, die Gesichtszüge finden nur sparsame Ausprägung. Die Plastik vermittelt den Eindruck von Besonnenheit und Ruhe, wenngleich das bestimmende Merkmal die Drehung des Kopfes ist, die den Betrachter zur Umrundung veranlasst.
Die Sehnsucht nach Beruhigung der Form basiert auf Vorbildern der klassischen Antike, aber auch auf einem Grundbedürfnis nach Reduktion und Abstraktion, das auch in diversen internationalen Kunstströmungen der 1920-Jahre Niederschlag fand. Wesentlicher als jeder kunsthistorische Vergleich ist jedoch der philosophische Anspruch Wittgensteins, eine vollkommene Form zu schaffen.
Aus heutiger Sicht ist Wittgensteins „Mädchenkopf“ nicht als Zufallsprodukt eines dilettierenden Philosophen zu betrachten, sondern als „Materie gewordene Philosophie“, die eine verbindende Linie zwischen Ethik und Ästhetik zu postulieren versucht. Sie setzt die wissenschaftlich abgehandelten Forderungen nach einer „wahren“ und „richtigen Form“ in eine konkrete, sinnlich wahrnehmbare Gestalt um und vergegenständlicht somit ein ideelles Konzept. Darüber hinaus leitet die Keramik-Büste auch die „beobachtungsreiche“ linguistische Philosophie ein, die Wittgenstein zum Kernbereich seines späteren Schaffens machte, und stellt somit einen historischen Markstein in seinem wissenschaftlichen Werdegang dar.
Aufgrund der einzigartigen kunst- und kulturgeschichtlichen Bedeutung wurde der „Mädchenkopf“, der aus der Sammlung Margaret Stonboroughs stammt, im Zuge eines Ausfuhrverfahrens vor exakt 10 Jahren unter Denkmalschutz gestellt. 2017 wurde er anlässlich einer Versteigerung im Dorotheum für die Sammlung des Wienmuseums angekauft, wo er adäquate kuratorische wie konservatorische Betreuung findet und künftig einem großen Besucherkreis präsentiert werden kann,- frei nach dem Motto: „Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden!“ (Ludwig Wittgenstein)
Anmerkung der Redaktion: Der Ankauf der Wittgenstein-Skulptur wurde durch die großzügige Unterstützung einer Förderin des Wien Museums ermöglicht.
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